Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 2 J 246/82
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 13/11 J 1591/84
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Dem leistungsgeminderten, vollschichtig einsetzbaren, Versicherten ist der Arbeitsmarkt dann verschlossen, wenn er bei Fehlen privater Verkehrsmittel und eingeschränkt möglicher Fußwegstrecke die Üblichen Wege von der Wohnung bis zur nächsten Haltestelle eines öffentlichen Verkehrsmittels und von der Haltestelle zum Arbeitsplatz nicht mehr zurücklegen kann; es liegt Berufs- und Erwerbsunfähigkeit vor, §§ 1246 Abs. 2, 1247 Abs. 2 RVO.
2. Es gibt keinen Erfahrungssatz, daß der Fußweg zwischen Wohnung und Haltestelle sowie zwischen Haltestelle und Arbeitsplatz meist länger als 5 Minuten ist (Abweichung vom BSG – 12 RJ 74/71 – 1972-05-17). Die zeitliche Einschränkung des zumutbaren Fußwegs ist als Maßstab ungeeignet, da die erreichbare Wegstrecke ohne Angabe der Geschwindigkeit nicht feststellbar ist.
3. Bei einer zumutbaren Fußwegstrecke von 500 m werden im Bereich der exemplarisch untersuchten Verkehrslinienpläne des Frankfurter Verkehrsverbundes sowie der Stadt Darmstadt (HEAG) die überwiegende Anzahl der Wohnungen und Betriebe erschlossen (Abweichung von BSG – 5 RJ 86/78 – 1979-09-11).
2. Es gibt keinen Erfahrungssatz, daß der Fußweg zwischen Wohnung und Haltestelle sowie zwischen Haltestelle und Arbeitsplatz meist länger als 5 Minuten ist (Abweichung vom BSG – 12 RJ 74/71 – 1972-05-17). Die zeitliche Einschränkung des zumutbaren Fußwegs ist als Maßstab ungeeignet, da die erreichbare Wegstrecke ohne Angabe der Geschwindigkeit nicht feststellbar ist.
3. Bei einer zumutbaren Fußwegstrecke von 500 m werden im Bereich der exemplarisch untersuchten Verkehrslinienpläne des Frankfurter Verkehrsverbundes sowie der Stadt Darmstadt (HEAG) die überwiegende Anzahl der Wohnungen und Betriebe erschlossen (Abweichung von BSG – 5 RJ 86/78 – 1979-09-11).
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 8. November 1984 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Es geht in dem Rechtsstreit noch um eine Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit bzw. wegen Berufsunfähigkeit ab 10. Januar 1983.
Der 1926 geborene Kläger hat nach seinen Angaben keinen Beruf erlernt und in der Zeit von 1941 bis 1978 verschiedene Hilfsarbeitertätigkeiten mit Unterbrechungen ausgeübt, zuletzt als Bauhelfer bei der Firma L ... Ab dem 1. August 1980 bezog der Kläger Leistungen der Sozialhilfe vom Landkreis , der mit Schreiben vom 13. März 1981 den Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf sich übergeleitet hat.
Am 19. Februar 1981 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung von Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit bzw. wegen Berufsunfähigkeit. Die Beklagte zog einen Befundbericht der praktischen Ärzte Dr. S. und M. vom 7. Februar 1981 bei, die Fremdbefunde beifügten und als Diagnosen angaben: "Hypertonus, chronische Gastritis, rezidivierende Ulcus duodeni, Zustand nach operierter Ureterabgangsstenose rechts, Zustand nach Varicenoperation und Menisektomie rechts und links.” Die Beklagte holte sodann ein Gutachten bei dem Orthopäden Dr. R. ein, der am 13. Juli 1981 zu dem Ergebnis kam, daß bei dem Kläger folgende Gesundheitsstörungen vorlägen:
"Mittelgradige Arthrosis deformans beider Kniegelenke, derzeit ohne wesentlichen Reizzustand, Krampfaderleiden, Zustand nach Venenexhairese, weichteilrheumatischer Reizzustand an beiden Handgelenken ohne wesentliche funktionelle Beeinträchtigung und geringfügig linkskonvexe Fehlstellung der Rumpfwirbelsäule im Lendenwirbelsäulen-Anteil bei mäßiger osteoporotischer Kalksalzminderung und Gefügestörung, klinisch funktionell ausreichend kompensiert.”
Der Gutachter kam zum Ergebnis, der Kläger könne noch alle körperlich leichten Arbeiten in wechselnder Körperhaltung vorwiegend sitzend, mit zwischenzeitlich zumutbarem Aufstehen und Umhergehen vollschichtig verrichten. Einschränkungen hinsichtlich des Arbeitsweges ergäben sich nicht.
Im Gutachten vom 15. Juli 1981 kam Dr. R. von der Sozialärztlichen Dienststelle in zu dem Ergebnis, daß über das fachorthopädische Gutachten hinausgehende Leistungseinschränkungen auf internistischem Gebiet nicht vorlägen. Dementsprechend lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 4. August 1981 mit der Begründung ab, bei dem Kläger lägen zwar vor: Abnutzungsschäden der Kniegelenke, Fehlhaltung und geringe Verschleißzeichen der Wirbelsäule, Hochdruck, Krampfadern und chronische Magenschleimhautentzündung; der Kläger könne jedoch noch vollschichtig leichte Arbeiten mit Einschränkungen verrichten. Hiergegen hat der Kläger am 14. August 1981 Widerspruch eingelegt. Aufgrund einer neuen Bescheinigung der praktischen Ärzte Dr. S. und M. vom 13. August 1981 wurde noch ein urologisches Gutachten eingeholt, das Prof. H. am 13. April 1982 erstellt hat. Er kam darin zu dem Ergebnis, daß von einer kompensierten Funktionsstörung der rechten Niere ausgegangen werden müsse, die aufgrund einer jedoch stationären chronischen Pyelonephritis verändert sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 30. Juni 1982 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 20. Juli 1982 Klage erhoben und vorgetragen, die Beklagte habe einen Teil seiner erwerbsmindernden Körperschäden nicht angesprochen und berücksichtigt. Die Beschwerden an der rechten Niere hätten zugenommen und es sei ein bisher nicht erkanntes Herzleiden festgestellt worden. Er habe weder einen Führerschein noch ein Kraftfahrzeug und müsse von seiner Wohnung ca. 4–5 km bis zur nächsten Bushaltestelle zurücklegen, da von seinem Wohnort aus keine Busse verkehrten. Der Kläger hat Arztbriefe des Orthopäden Dr. I. vom 10. Januar 1983, des Urologen Dr. H., vom 23. Juni 1983 und des Radiologen Dr. Lo. vom 19. Mai 1983 vorgelegt.
Das Sozialgericht Darmstadt hat einen Befundbericht des praktischen Arztes Dr. M. vom 17. September 1982 eingeholt, der ein weiteres Attest vom 14. Februar 1983 übersandt hat, einen Entlassungsbericht des L-krankenhauses vom 26. November 1982 beigezogen und ein Gutachten bei dem Orthopäden Dr. Ki. vom 22. August 1983 eingeholt. Das Gericht hat ferner eine Auskunft eingeholt bei der Gemeinde vom 26. März 1984 über die Entfernung von der Wohnung des Klägers zum nächsten öffentlichen Verkehrsmittel.
Mit Urteil vom 8. November 1984 hat das Sozialgericht Darmstadt (S-2/J-246/82) Bescheid und Widerspruchsbescheid der Beklagten aufgehoben und diese – unter Abweisung im übrigen – verurteilt, dem Kläger Erwerbsunfähigkeitsrente ab dem 10. Januar 1983 zu gewähren. In der Begründung hat es ausgeführt, der Kläger sei zwar in der Lage, vollschichtig einer leichten Tätigkeit nachzugehen, die überwiegend im Sitzen erfolgen solle, er sei dennoch als erwerbsunfähig anzusehen, da ihm der Arbeitsmarkt praktisch verschlossen sei. Der Kläger sei nicht mehr in der Lage, entsprechende Arbeitsplätze von seiner Wohnung aus aufzusuchen. Dem Kläger könne die von der Gemeinde mitgeteilte Fußwegstrecke von 3,4 km bis zum nächsten öffentlichen Verkehrsmittel nicht mehr zugemutet werden. Zum Zeitpunkt des Gutachtens vom 13. Juli 1981 seien die Veränderungen in den Kniegelenken nicht so gravierend gewesen. Erst aus dem Arztbrief des behandelnden Orthopäden Dr. L. vom 10. Januar 1983 ergäben sich so gravierende Veränderungen im Bereich der Kniegelenke, die es rechtfertigten, eine Einschränkung der täglichen Wegstrecke zum Arbeitsplatz zu machen.
Gegen das ihr am 19. November 1984 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 29. November 1984 Berufung eingelegt, mit der sie die Aufhebung des Urteils sowie Abweisung der Klage begehrt.
Die Beklagte trägt vor, der Kläger könne auch hoch längere Fußwegstrecken als 500 m zurücklegen oder sich mit Fahrrad oder Kleinkraftrad fortbewegen. Er müsse sich auch auf das gesamte Bundesgebiet bzw. auf Heimarbeit verweisen lassen. Dr. K. habe in seinem Gutachten mit 500 m keineswegs eine absolute obere Grenze festlegen wollen; es handele sich auch nur um die zumutbare ununterbrochene Fußwegstrecke ohne Gehhilfen. Der Kläger könne erforderlichenfalls kurze Pausen einlegen und Gehhilfen benutzen. Der Gutachter habe nicht die Frage beantwortet, ob es erwiesen sei, daß es außer Zweifel stehe, daß der Kläger längere Fußwege nicht zurücklegen könne. Dr. Ki. sei auch von dem Vorgutachten vom 13. Juli 1981 abgewichen, ohne dies zu begründen, da er das eingeschränkte Leistungsvermögen bereits 3 Monate vor Rentenantragstellung angenommen habe. Im Gutachten vom 13. Juli 1981 seien Einschränkungen hinsichtlich des Arbeitsweges nicht gemacht worden. Hier hätten die Gutachter zu der jeweils gegenteiligen Auffassung gehört werden, gegebenenfalls ein weiterer Gutachter herangezogen werden müssen. Diese Auffassung werde auch gestützt durch die grundsätzlichen Ausführungen des Dr. Sch. vom 4. Mai 1984. Nach der Stellungnahme des ärztlichen Beraters Dr. B. vom 10. Dezember 1983 halte sie, die Beklagte, es nicht für erwiesen, daß bei dem vollschichtig einsetzbaren Kläger eine zusätzliche Leistungseinschränkung vorliege, die einen Rentenanspruch begründen könne. Am interessantesten sei der Bericht der chirurgischen Ambulanz des L-krankenhauses vom 13. August 1985, wonach sich der Kläger beim Fußballspielen am 12. Mai 1985 eine Verletzung zugezogen habe. Wenn der Kläger noch Fußball spielen könne, dann seien damit alle Fragen über die Schwere der Kniegelenksveränderungen und die Länge des Anmarschweges ziemlich eindeutig beantwortet.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 8. November 1984 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Der Kläger erklärte auf Befragen, er wohne seit 1968 an seiner derzeitigen Anschrift. Von der Firma L. L., bei der er zuletzt gearbeitet habe, sei er in mit dem Arbeiterbus abgeholt worden. Einen Antrag nach dem Schwerbehindertengesetz habe er nicht gestellt. Er besitze kein Fahrrad und fahre auch nicht ein solches. Er spiele auch nicht Fußball. Der Doktor habe ihn wohl mißverstanden. Er habe am 12. Mai in der Sonne gelegen und Kinder hätten einen Ball auf ihn geworfen, den er voller Wut barfuß zurückgetreten habe. Der Kläger hat im Termin weitere ärztliche Berichte des Internisten Dr. La. vom 28. Juni 1985, des Urologen Dr. H. vom 11 Juli 1985 sowie des Dr. M. vom 27. Juni 1985 vorgelegt.
Das Gericht hat Befundberichte der behandelnden Ärzte eingeholt, und zwar des Radiologen Dr. L. vom 12. August 1985, des Urologen Dr. H. vom 11. August 1985, des Internisten Dr. La. vom 9. August 1985, des Dr. J. vom L-krankenhaus vom 13. August 1985, des Internisten Dr. Kl. vom 20. August 1985, des Arztes Dr. G. vom 22. August 1985 sowie des Orthopäden Dr. Lü. vom 28. August 1985. Diese Ärzte haben teilweise noch weitere Befundunterlagen beigefügt.
Das Gericht hat ferner die Leistungsakten des Arbeitsamtes Darmstadt beigezogen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Leistungsakten des Arbeitsamtes Darmstadt, der Rentenakten der Beklagten sowie der Gerichtsakten ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung, § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG), ist zulässig, § 143 SGG. Berufungsausschließungsgründe nach §§ 144, 146, 149 SGG liegen nicht vor.
Die Berufung ist auch begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt ist unzutreffend und war deshalb aufzuheben, die Klage war in vollem Umfang abzuweisen.
Der Kläger hat gegen die Beklagte weder einen Anspruch auf Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit nach § 1247 Abs. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) noch wegen Berufsunfähigkeit nach § 1246 Abs. 1 RVO. Der Kläger ist weder erwerbsunfähig noch berufsunfähig nach §§ 1247 Abs. 2, 1246 Abs. 2 RVO.
Erwerbsunfähig ist der Versicherte nach § 1247 Abs. 2 RVO, der infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder von Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf nicht absehbare Zeit eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit nicht mehr ausüben oder nicht mehr als nur geringfügige Einkünfte durch Erwerbstätigkeit erzielen kann.
Berufsunfähig ist ein Versicherter nach § 1246 Abs. 2 RVO, dessen Erwerbsfähigkeit infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist.
Der Kreis der Tätigkeiten nach denen die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten zu beurteilen ist, umfaßt alle Tätigkeiten, die seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können.
Nach Auffassung des Senats ist der Kläger auf das allgemeine Arbeitsfeld verweisbar. Dementsprechend kommen nach dem vom Bundessozialgericht (BSG) in ständiger Rechtsprechung entwickelten und vom erkennenden Senat für richtig gehaltenen Mehr-Stufen-Schema für den Kläger alle Tätigkeiten in Frage, die er nach seinen Kräften und Fähigkeiten noch ausüben kann. Eine Begrenzung der zumutbaren Verweisungsberufe findet nicht statt. Der auf das allgemeine Arbeitsfeld verweisbare Kläger ist nicht berufsunfähig. Wie das Sozialgericht im Urteil vom 8. November 1984 zutreffend festgestellt hat, kann der Kläger noch vollschichtig leichte Arbeiten in wechselnder Körperhaltung, vorzugsweise im Sitzen, ohne Über-Kopf-Arbeiten, ohne Zeitdruck, in warmen, geschlossenen Räumen ausüben. An dem Leistungsvermögen des Klägers sind in der Zwischenzeit keine Veränderungen eingetreten. Wie Dr. B. von der Beklagten in seiner Beurteilung vom 10. Dezember 1985 überzeugend ausführt, wird die vollschichtige Belastbarkeit des Klägers durch die während des Berufungsverfahrens beigezogenen Befundberichte und sonstigen Unterlagen nicht in Frage gestellt. Eine Änderung ergibt sich auch nicht durch die vom Kläger im Termin am 16. April 1986 vorgelegten 3 Arztbriefe. Der Arztbrief des Dr. Mi. vom 27. Juni 1985 war bereits vorher zu den Akten gelangt und lag der Beurteilung des Herrn Dr. B. zugrunde. Von Dr. H. und Dr. La. lagen jüngere ausführliche Befundberichte vor, und zwar vom 11. August 1985 bzw. vom 9. August 1985; auch deren Feststellungen waren bereits berücksichtigt. Der Senat sah keine Veranlassung, bei derart umfangreicher medizinischer Dokumentation ein weiteres Gutachten einzuholen.
Bei dem auf das allgemeine Arbeitsfeld verweisbaren und vollschichtig einsetzbaren Kläger bedarf es keinen konkreten Benennung wenigstens einer Verweisungstätigkeit (vgl. Urteil des BSG vom 15. November 1983 – 1 RJ 112/82 – in SozR 2200 § 1246 RVO Nr. 109). Der Kläger ist auch nicht gesundheitlich stärker oder spezifisch eingeschränkt und kann auch nicht nur unter besonders unüblichen Arbeitsbedingungen tätig sein (vgl. Urteil des BSG vom 15. November 1983 s.o.).
Der Kläger ist nach Auffassung des erkennenden Senats auch noch in der Lage, den Arbeitsweg zu Fuß zurückzulegen (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts – BSG – vom 28. November 1978 – 4 RJ 117/77) bzw. ist aus gesundheitlichen Gründen nicht gehindert, zumutbare Arbeitsplätze von seiner Wohnung aus aufzusuchen (vgl. Urteil des Hess. LSG vom 23. August 1982 – L-1/6/An-167/82). Der erkennende Senat ging dabei davon aus, daß der Kläger nach seinen Angaben weder ein Fahrrad besitzt, noch ein solches fahren kann, daß er keinen Pkw oder ein anderes motorisiertes Fahrzeug besitzt und der Weg von seiner Wohnung bis zur nächsten Haltestelle eines öffentlichen Verkehrsmittels nach der Auskunft der Gemeinde vom 26. März 1984 exakt 3,4 km beträgt.
Dabei kommt es nicht auf den konkreten Weg an, da dem Versicherten ein Wohnortwechsel zuzumuten ist (BSG vom 10. März 1982 – 5b RJ 70/81). Entscheidend ist vielmehr, welcher Weg zur Arbeitsstelle oder zu einem öffentlichen Verkehrsmittel als üblich angesehen werden kann (BSG vom 10. März 1982 5b RJ 70/81). In dieser Entscheidung wurde vom Landessozialgericht eine mögliche Fußstrecke von 800 m als ausreichend angesehen.
Der erkennende Senat ist darüber hinaus der Auffassung, daß der dem Kläger mögliche Fußweg von 500 m ausreicht, um bei Verweisung auf das gesamte Bundesgebiet und auf das allgemeine Arbeitsfeld einen entsprechenden Arbeitsplatz oder ein öffentliches Verkehrsmittel zu erreichen. Einer weiteren Aufklärung des für den Kläger möglichen Arbeitsweges bedurfte es daher nicht. Die von dem Orthopäden Dr. Ki. im Gutachten vom 22. August 1983 festgesetzte Fußwegstrecke von 500 m bildet die untere Grenze. Die von der Beklagten vorgelegte Stellungnahme des Orthopäden Dr. Sch. vom 4. Mai 1981 aus einem anderen Verfahren stellt durchaus allgemeingültige Grundsätze für die Feststellung der zumutbaren Fußwegstrecke auf, die Anlaß zu Zweifeln an der Beurteilung des Dr. Ki. geben. Ferner hat die Beklagte auch zu Recht gerügt, daß Dr. Ki. die eingeschränkte Gehfähigkeit auf einen Zeitpunkt 3 Monate vor der Rentenantragstellung (19. Februar 1981) datiert, ohne sich mit entgegenstehenden ärztlichen Beurteilungen auseinanderzusetzen, wie etwa dem Gutachten des Orthopäden Dr. R. vom 13. Juli 1981, der keine Einschränkungen hinsichtlich des Arbeitsweges machte.
Soweit im Urteil des BSG vom 11. September 1979 (5 RJ 86/78) mit dem dortigen LSG davon ausgegangen wurde, daß die Fähigkeit, Fußwege bis zu 500 m zurückzulegen, nicht ausreiche, um einen entsprechenden Arbeitsplatz oder ein öffentliches Verkehrsmittel zu erreichen, kann sich der erkennende Senat dem nicht anschließen. Dem Urteil des BSG vom 11. September 1979 (s.o.) ist nicht zu entnehmen, auf welchen Überlegungen bzw. Erkenntnissen diese Feststellung beruht. Nach den vom erkennenden Senat getroffenen eigenen Feststellungen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, läßt sich ein Erfahrungssatz nicht aufstellen, mit dem Inhalt, daß 500 m Fußweg nicht ausreichen, einen entsprechenden Arbeitsplatz oder ein öffentliches Verkehrsmittel zu erreichen. Die exemplarisch vorgenommene Untersuchung anhand der Verkehrslinienpläne des Frankfurter Verkehrsverbundes und der Stadt Darmstadt (HEAG) hat vielmehr gezeigt, daß mit einem Fußweg von 500 m in diesen beiden Bereichen die überwiegende Anzahl der Wohnungen und Betriebe durch öffentliche Verkehrsmittel erschlossen wird. Dabei wurde zur Berücksichtigung von straßenbedingten Umwegen um die Haltestellen der öffentlichen Verkehrsmittel jeweils ein Kreis mit einem Radius von 400 m gezogen, wobei hier noch nicht einmal die jenigen Ziele erfaßt sind, die ohne Umweg auf geradem Wege zu einer Haltestelle eines öffentlichen Verkehrsmittels zu erreichen sind und in einer Entfernung zwischen 400 m und 500 m liegen. Dieses Ergebnis kann auch auf andere Städte übertragen werden. Soweit das BSG in seinem Urteil vom 17. Mai 1972 (12 RJ 74/71) den möglichen Fußweg zeitlich mit höchstens 5 Minuten beschreibt, und daraus das Vorliegen von Berufsunfähigkeit folgert, kann dies nicht zu einem anderen Ergebnis führen. Zum einen ist aus einer zeitlichen Beschränkung des Fußweges eine mögliche Fußwegstrecke nicht mit ausreichender Genauigkeit abzuleiten, da die in einer vorgegebenen Zeit zurückgelegte Strecke von der Geschwindigkeit abhängt. Zum anderen läßt sich auch diesem Urteil nicht entnehmen, auf welchen Grundlagen die Feststellung beruht, daß auch in Industriegebieten der Weg zwischen Wohnung und Haltestelle eines öffentlichen Verkehrsmittels sowie zwischen Haltestelle und Arbeitsplatz meist mehr als 5 Minuten Gehzeit erfordere. Soweit diese Feststellung als "erfahrungsgemäß” beschrieben wird, ist nicht erkennbar, über welche speziellen Erfahrungen der Senat verfügte. Allgemeiner Erfahrung entspricht es vielmehr, daß es durchaus Wohnungen und Arbeitsstätten in einer 5-Minuten-Fußweg-Entfernung von Haltestellen öffentlicher Verkehrsmittel gibt, sowie näher als auch weiter entfernt gelegene. Bei einer für Fußgänger recht hohen Geschwindigkeit von 6 km/h entsprächen 5 Minuten zu Fuß einer Wegstrecke von 500 m. Insoweit hat der erkennende Senat oben bereits dargelegt, aus welchen Gründen Arbeitsplätze bei Verweisbarkeit auf das gesamte Bundesgebiet und auf das allgemeine Arbeitsfeld zumutbar zu erreichen sind. Erst bei einer deutlich geringeren Geschwindigkeit und dementsprechend kürzerer Strecke käme in Betracht, daß der Zugang zu Arbeitsplätzen besonders stark erschwert ist. Dies deutet sich auch in dem Urteil des BSG vom 17. Mai 1972 (s.o.) an, wenn dort die Rede davon ist, daß ein im Gehen Behinderter Entfernungen ohnehin nur langsamer als nicht gehbehinderte Personen zurücklegen könne, ohne daß jedoch insoweit konkrete Feststellungen getroffen und näherungsweise quantifiziert worden wären. Dem entspricht auch die Kritik des 5. Senats im Urteil vom 11. September 1979 (s.o.), daß es weniger auf die Gehzeit als vielmehr auf die mögliche Gehstrecke ankomme. Erst im Urteil des BSG vom 10. März 1982 (5b RJ 70/81) lassen die Feststellungen, daß ein Fußweg von 800 m üblicherweise ausreiche, um die nächste Haltestelle zu erreichen, erkennen, auf welcher Grundlage sie getroffen wurden, nämlich auf der Kenntnis der Haltestellenabstände öffentlicher Verkehrsmittel zwischen 600 m und 1200 m. Bei konsequenter Weiterführung dieses Ansatzpunktes konnte es nach Auffassung des erkennenden Senates nur auf das gesamte öffentliche Verkehrsnetz und die Umgebung jeder einzelnen Haltestelle ankommen.
Der Kläger kann auf den ihm möglichen Arbeitsplätzen des allgemeinen Arbeitsfeldes auch noch mindestens die Hälfte des Durchschnittseinkommens einer Vergleichsperson im bisherigen Beruf erreichen. Da der Kläger noch eine vollschichtige Tätigkeit ausführen kann, bedarf es einer Feststellung und Gegenüberstellung der jeweils erzielten und erzielbaren Löhne nicht (vgl. Urteil des BSG vom 15. November 1983 s.o.).
Der Kläger ist auch nicht erwerbsunfähig. Wer nicht berufsunfähig ist, kann die weitergehenden Voraussetzungen der Erwerbsunfähigkeit ebenfalls nicht erfüllen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG sowie wegen Abweichung von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts nach § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG zuzulassen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Es geht in dem Rechtsstreit noch um eine Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit bzw. wegen Berufsunfähigkeit ab 10. Januar 1983.
Der 1926 geborene Kläger hat nach seinen Angaben keinen Beruf erlernt und in der Zeit von 1941 bis 1978 verschiedene Hilfsarbeitertätigkeiten mit Unterbrechungen ausgeübt, zuletzt als Bauhelfer bei der Firma L ... Ab dem 1. August 1980 bezog der Kläger Leistungen der Sozialhilfe vom Landkreis , der mit Schreiben vom 13. März 1981 den Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf sich übergeleitet hat.
Am 19. Februar 1981 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung von Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit bzw. wegen Berufsunfähigkeit. Die Beklagte zog einen Befundbericht der praktischen Ärzte Dr. S. und M. vom 7. Februar 1981 bei, die Fremdbefunde beifügten und als Diagnosen angaben: "Hypertonus, chronische Gastritis, rezidivierende Ulcus duodeni, Zustand nach operierter Ureterabgangsstenose rechts, Zustand nach Varicenoperation und Menisektomie rechts und links.” Die Beklagte holte sodann ein Gutachten bei dem Orthopäden Dr. R. ein, der am 13. Juli 1981 zu dem Ergebnis kam, daß bei dem Kläger folgende Gesundheitsstörungen vorlägen:
"Mittelgradige Arthrosis deformans beider Kniegelenke, derzeit ohne wesentlichen Reizzustand, Krampfaderleiden, Zustand nach Venenexhairese, weichteilrheumatischer Reizzustand an beiden Handgelenken ohne wesentliche funktionelle Beeinträchtigung und geringfügig linkskonvexe Fehlstellung der Rumpfwirbelsäule im Lendenwirbelsäulen-Anteil bei mäßiger osteoporotischer Kalksalzminderung und Gefügestörung, klinisch funktionell ausreichend kompensiert.”
Der Gutachter kam zum Ergebnis, der Kläger könne noch alle körperlich leichten Arbeiten in wechselnder Körperhaltung vorwiegend sitzend, mit zwischenzeitlich zumutbarem Aufstehen und Umhergehen vollschichtig verrichten. Einschränkungen hinsichtlich des Arbeitsweges ergäben sich nicht.
Im Gutachten vom 15. Juli 1981 kam Dr. R. von der Sozialärztlichen Dienststelle in zu dem Ergebnis, daß über das fachorthopädische Gutachten hinausgehende Leistungseinschränkungen auf internistischem Gebiet nicht vorlägen. Dementsprechend lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 4. August 1981 mit der Begründung ab, bei dem Kläger lägen zwar vor: Abnutzungsschäden der Kniegelenke, Fehlhaltung und geringe Verschleißzeichen der Wirbelsäule, Hochdruck, Krampfadern und chronische Magenschleimhautentzündung; der Kläger könne jedoch noch vollschichtig leichte Arbeiten mit Einschränkungen verrichten. Hiergegen hat der Kläger am 14. August 1981 Widerspruch eingelegt. Aufgrund einer neuen Bescheinigung der praktischen Ärzte Dr. S. und M. vom 13. August 1981 wurde noch ein urologisches Gutachten eingeholt, das Prof. H. am 13. April 1982 erstellt hat. Er kam darin zu dem Ergebnis, daß von einer kompensierten Funktionsstörung der rechten Niere ausgegangen werden müsse, die aufgrund einer jedoch stationären chronischen Pyelonephritis verändert sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 30. Juni 1982 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 20. Juli 1982 Klage erhoben und vorgetragen, die Beklagte habe einen Teil seiner erwerbsmindernden Körperschäden nicht angesprochen und berücksichtigt. Die Beschwerden an der rechten Niere hätten zugenommen und es sei ein bisher nicht erkanntes Herzleiden festgestellt worden. Er habe weder einen Führerschein noch ein Kraftfahrzeug und müsse von seiner Wohnung ca. 4–5 km bis zur nächsten Bushaltestelle zurücklegen, da von seinem Wohnort aus keine Busse verkehrten. Der Kläger hat Arztbriefe des Orthopäden Dr. I. vom 10. Januar 1983, des Urologen Dr. H., vom 23. Juni 1983 und des Radiologen Dr. Lo. vom 19. Mai 1983 vorgelegt.
Das Sozialgericht Darmstadt hat einen Befundbericht des praktischen Arztes Dr. M. vom 17. September 1982 eingeholt, der ein weiteres Attest vom 14. Februar 1983 übersandt hat, einen Entlassungsbericht des L-krankenhauses vom 26. November 1982 beigezogen und ein Gutachten bei dem Orthopäden Dr. Ki. vom 22. August 1983 eingeholt. Das Gericht hat ferner eine Auskunft eingeholt bei der Gemeinde vom 26. März 1984 über die Entfernung von der Wohnung des Klägers zum nächsten öffentlichen Verkehrsmittel.
Mit Urteil vom 8. November 1984 hat das Sozialgericht Darmstadt (S-2/J-246/82) Bescheid und Widerspruchsbescheid der Beklagten aufgehoben und diese – unter Abweisung im übrigen – verurteilt, dem Kläger Erwerbsunfähigkeitsrente ab dem 10. Januar 1983 zu gewähren. In der Begründung hat es ausgeführt, der Kläger sei zwar in der Lage, vollschichtig einer leichten Tätigkeit nachzugehen, die überwiegend im Sitzen erfolgen solle, er sei dennoch als erwerbsunfähig anzusehen, da ihm der Arbeitsmarkt praktisch verschlossen sei. Der Kläger sei nicht mehr in der Lage, entsprechende Arbeitsplätze von seiner Wohnung aus aufzusuchen. Dem Kläger könne die von der Gemeinde mitgeteilte Fußwegstrecke von 3,4 km bis zum nächsten öffentlichen Verkehrsmittel nicht mehr zugemutet werden. Zum Zeitpunkt des Gutachtens vom 13. Juli 1981 seien die Veränderungen in den Kniegelenken nicht so gravierend gewesen. Erst aus dem Arztbrief des behandelnden Orthopäden Dr. L. vom 10. Januar 1983 ergäben sich so gravierende Veränderungen im Bereich der Kniegelenke, die es rechtfertigten, eine Einschränkung der täglichen Wegstrecke zum Arbeitsplatz zu machen.
Gegen das ihr am 19. November 1984 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 29. November 1984 Berufung eingelegt, mit der sie die Aufhebung des Urteils sowie Abweisung der Klage begehrt.
Die Beklagte trägt vor, der Kläger könne auch hoch längere Fußwegstrecken als 500 m zurücklegen oder sich mit Fahrrad oder Kleinkraftrad fortbewegen. Er müsse sich auch auf das gesamte Bundesgebiet bzw. auf Heimarbeit verweisen lassen. Dr. K. habe in seinem Gutachten mit 500 m keineswegs eine absolute obere Grenze festlegen wollen; es handele sich auch nur um die zumutbare ununterbrochene Fußwegstrecke ohne Gehhilfen. Der Kläger könne erforderlichenfalls kurze Pausen einlegen und Gehhilfen benutzen. Der Gutachter habe nicht die Frage beantwortet, ob es erwiesen sei, daß es außer Zweifel stehe, daß der Kläger längere Fußwege nicht zurücklegen könne. Dr. Ki. sei auch von dem Vorgutachten vom 13. Juli 1981 abgewichen, ohne dies zu begründen, da er das eingeschränkte Leistungsvermögen bereits 3 Monate vor Rentenantragstellung angenommen habe. Im Gutachten vom 13. Juli 1981 seien Einschränkungen hinsichtlich des Arbeitsweges nicht gemacht worden. Hier hätten die Gutachter zu der jeweils gegenteiligen Auffassung gehört werden, gegebenenfalls ein weiterer Gutachter herangezogen werden müssen. Diese Auffassung werde auch gestützt durch die grundsätzlichen Ausführungen des Dr. Sch. vom 4. Mai 1984. Nach der Stellungnahme des ärztlichen Beraters Dr. B. vom 10. Dezember 1983 halte sie, die Beklagte, es nicht für erwiesen, daß bei dem vollschichtig einsetzbaren Kläger eine zusätzliche Leistungseinschränkung vorliege, die einen Rentenanspruch begründen könne. Am interessantesten sei der Bericht der chirurgischen Ambulanz des L-krankenhauses vom 13. August 1985, wonach sich der Kläger beim Fußballspielen am 12. Mai 1985 eine Verletzung zugezogen habe. Wenn der Kläger noch Fußball spielen könne, dann seien damit alle Fragen über die Schwere der Kniegelenksveränderungen und die Länge des Anmarschweges ziemlich eindeutig beantwortet.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 8. November 1984 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Der Kläger erklärte auf Befragen, er wohne seit 1968 an seiner derzeitigen Anschrift. Von der Firma L. L., bei der er zuletzt gearbeitet habe, sei er in mit dem Arbeiterbus abgeholt worden. Einen Antrag nach dem Schwerbehindertengesetz habe er nicht gestellt. Er besitze kein Fahrrad und fahre auch nicht ein solches. Er spiele auch nicht Fußball. Der Doktor habe ihn wohl mißverstanden. Er habe am 12. Mai in der Sonne gelegen und Kinder hätten einen Ball auf ihn geworfen, den er voller Wut barfuß zurückgetreten habe. Der Kläger hat im Termin weitere ärztliche Berichte des Internisten Dr. La. vom 28. Juni 1985, des Urologen Dr. H. vom 11 Juli 1985 sowie des Dr. M. vom 27. Juni 1985 vorgelegt.
Das Gericht hat Befundberichte der behandelnden Ärzte eingeholt, und zwar des Radiologen Dr. L. vom 12. August 1985, des Urologen Dr. H. vom 11. August 1985, des Internisten Dr. La. vom 9. August 1985, des Dr. J. vom L-krankenhaus vom 13. August 1985, des Internisten Dr. Kl. vom 20. August 1985, des Arztes Dr. G. vom 22. August 1985 sowie des Orthopäden Dr. Lü. vom 28. August 1985. Diese Ärzte haben teilweise noch weitere Befundunterlagen beigefügt.
Das Gericht hat ferner die Leistungsakten des Arbeitsamtes Darmstadt beigezogen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Leistungsakten des Arbeitsamtes Darmstadt, der Rentenakten der Beklagten sowie der Gerichtsakten ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung, § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG), ist zulässig, § 143 SGG. Berufungsausschließungsgründe nach §§ 144, 146, 149 SGG liegen nicht vor.
Die Berufung ist auch begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt ist unzutreffend und war deshalb aufzuheben, die Klage war in vollem Umfang abzuweisen.
Der Kläger hat gegen die Beklagte weder einen Anspruch auf Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit nach § 1247 Abs. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) noch wegen Berufsunfähigkeit nach § 1246 Abs. 1 RVO. Der Kläger ist weder erwerbsunfähig noch berufsunfähig nach §§ 1247 Abs. 2, 1246 Abs. 2 RVO.
Erwerbsunfähig ist der Versicherte nach § 1247 Abs. 2 RVO, der infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder von Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf nicht absehbare Zeit eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit nicht mehr ausüben oder nicht mehr als nur geringfügige Einkünfte durch Erwerbstätigkeit erzielen kann.
Berufsunfähig ist ein Versicherter nach § 1246 Abs. 2 RVO, dessen Erwerbsfähigkeit infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist.
Der Kreis der Tätigkeiten nach denen die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten zu beurteilen ist, umfaßt alle Tätigkeiten, die seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können.
Nach Auffassung des Senats ist der Kläger auf das allgemeine Arbeitsfeld verweisbar. Dementsprechend kommen nach dem vom Bundessozialgericht (BSG) in ständiger Rechtsprechung entwickelten und vom erkennenden Senat für richtig gehaltenen Mehr-Stufen-Schema für den Kläger alle Tätigkeiten in Frage, die er nach seinen Kräften und Fähigkeiten noch ausüben kann. Eine Begrenzung der zumutbaren Verweisungsberufe findet nicht statt. Der auf das allgemeine Arbeitsfeld verweisbare Kläger ist nicht berufsunfähig. Wie das Sozialgericht im Urteil vom 8. November 1984 zutreffend festgestellt hat, kann der Kläger noch vollschichtig leichte Arbeiten in wechselnder Körperhaltung, vorzugsweise im Sitzen, ohne Über-Kopf-Arbeiten, ohne Zeitdruck, in warmen, geschlossenen Räumen ausüben. An dem Leistungsvermögen des Klägers sind in der Zwischenzeit keine Veränderungen eingetreten. Wie Dr. B. von der Beklagten in seiner Beurteilung vom 10. Dezember 1985 überzeugend ausführt, wird die vollschichtige Belastbarkeit des Klägers durch die während des Berufungsverfahrens beigezogenen Befundberichte und sonstigen Unterlagen nicht in Frage gestellt. Eine Änderung ergibt sich auch nicht durch die vom Kläger im Termin am 16. April 1986 vorgelegten 3 Arztbriefe. Der Arztbrief des Dr. Mi. vom 27. Juni 1985 war bereits vorher zu den Akten gelangt und lag der Beurteilung des Herrn Dr. B. zugrunde. Von Dr. H. und Dr. La. lagen jüngere ausführliche Befundberichte vor, und zwar vom 11. August 1985 bzw. vom 9. August 1985; auch deren Feststellungen waren bereits berücksichtigt. Der Senat sah keine Veranlassung, bei derart umfangreicher medizinischer Dokumentation ein weiteres Gutachten einzuholen.
Bei dem auf das allgemeine Arbeitsfeld verweisbaren und vollschichtig einsetzbaren Kläger bedarf es keinen konkreten Benennung wenigstens einer Verweisungstätigkeit (vgl. Urteil des BSG vom 15. November 1983 – 1 RJ 112/82 – in SozR 2200 § 1246 RVO Nr. 109). Der Kläger ist auch nicht gesundheitlich stärker oder spezifisch eingeschränkt und kann auch nicht nur unter besonders unüblichen Arbeitsbedingungen tätig sein (vgl. Urteil des BSG vom 15. November 1983 s.o.).
Der Kläger ist nach Auffassung des erkennenden Senats auch noch in der Lage, den Arbeitsweg zu Fuß zurückzulegen (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts – BSG – vom 28. November 1978 – 4 RJ 117/77) bzw. ist aus gesundheitlichen Gründen nicht gehindert, zumutbare Arbeitsplätze von seiner Wohnung aus aufzusuchen (vgl. Urteil des Hess. LSG vom 23. August 1982 – L-1/6/An-167/82). Der erkennende Senat ging dabei davon aus, daß der Kläger nach seinen Angaben weder ein Fahrrad besitzt, noch ein solches fahren kann, daß er keinen Pkw oder ein anderes motorisiertes Fahrzeug besitzt und der Weg von seiner Wohnung bis zur nächsten Haltestelle eines öffentlichen Verkehrsmittels nach der Auskunft der Gemeinde vom 26. März 1984 exakt 3,4 km beträgt.
Dabei kommt es nicht auf den konkreten Weg an, da dem Versicherten ein Wohnortwechsel zuzumuten ist (BSG vom 10. März 1982 – 5b RJ 70/81). Entscheidend ist vielmehr, welcher Weg zur Arbeitsstelle oder zu einem öffentlichen Verkehrsmittel als üblich angesehen werden kann (BSG vom 10. März 1982 5b RJ 70/81). In dieser Entscheidung wurde vom Landessozialgericht eine mögliche Fußstrecke von 800 m als ausreichend angesehen.
Der erkennende Senat ist darüber hinaus der Auffassung, daß der dem Kläger mögliche Fußweg von 500 m ausreicht, um bei Verweisung auf das gesamte Bundesgebiet und auf das allgemeine Arbeitsfeld einen entsprechenden Arbeitsplatz oder ein öffentliches Verkehrsmittel zu erreichen. Einer weiteren Aufklärung des für den Kläger möglichen Arbeitsweges bedurfte es daher nicht. Die von dem Orthopäden Dr. Ki. im Gutachten vom 22. August 1983 festgesetzte Fußwegstrecke von 500 m bildet die untere Grenze. Die von der Beklagten vorgelegte Stellungnahme des Orthopäden Dr. Sch. vom 4. Mai 1981 aus einem anderen Verfahren stellt durchaus allgemeingültige Grundsätze für die Feststellung der zumutbaren Fußwegstrecke auf, die Anlaß zu Zweifeln an der Beurteilung des Dr. Ki. geben. Ferner hat die Beklagte auch zu Recht gerügt, daß Dr. Ki. die eingeschränkte Gehfähigkeit auf einen Zeitpunkt 3 Monate vor der Rentenantragstellung (19. Februar 1981) datiert, ohne sich mit entgegenstehenden ärztlichen Beurteilungen auseinanderzusetzen, wie etwa dem Gutachten des Orthopäden Dr. R. vom 13. Juli 1981, der keine Einschränkungen hinsichtlich des Arbeitsweges machte.
Soweit im Urteil des BSG vom 11. September 1979 (5 RJ 86/78) mit dem dortigen LSG davon ausgegangen wurde, daß die Fähigkeit, Fußwege bis zu 500 m zurückzulegen, nicht ausreiche, um einen entsprechenden Arbeitsplatz oder ein öffentliches Verkehrsmittel zu erreichen, kann sich der erkennende Senat dem nicht anschließen. Dem Urteil des BSG vom 11. September 1979 (s.o.) ist nicht zu entnehmen, auf welchen Überlegungen bzw. Erkenntnissen diese Feststellung beruht. Nach den vom erkennenden Senat getroffenen eigenen Feststellungen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, läßt sich ein Erfahrungssatz nicht aufstellen, mit dem Inhalt, daß 500 m Fußweg nicht ausreichen, einen entsprechenden Arbeitsplatz oder ein öffentliches Verkehrsmittel zu erreichen. Die exemplarisch vorgenommene Untersuchung anhand der Verkehrslinienpläne des Frankfurter Verkehrsverbundes und der Stadt Darmstadt (HEAG) hat vielmehr gezeigt, daß mit einem Fußweg von 500 m in diesen beiden Bereichen die überwiegende Anzahl der Wohnungen und Betriebe durch öffentliche Verkehrsmittel erschlossen wird. Dabei wurde zur Berücksichtigung von straßenbedingten Umwegen um die Haltestellen der öffentlichen Verkehrsmittel jeweils ein Kreis mit einem Radius von 400 m gezogen, wobei hier noch nicht einmal die jenigen Ziele erfaßt sind, die ohne Umweg auf geradem Wege zu einer Haltestelle eines öffentlichen Verkehrsmittels zu erreichen sind und in einer Entfernung zwischen 400 m und 500 m liegen. Dieses Ergebnis kann auch auf andere Städte übertragen werden. Soweit das BSG in seinem Urteil vom 17. Mai 1972 (12 RJ 74/71) den möglichen Fußweg zeitlich mit höchstens 5 Minuten beschreibt, und daraus das Vorliegen von Berufsunfähigkeit folgert, kann dies nicht zu einem anderen Ergebnis führen. Zum einen ist aus einer zeitlichen Beschränkung des Fußweges eine mögliche Fußwegstrecke nicht mit ausreichender Genauigkeit abzuleiten, da die in einer vorgegebenen Zeit zurückgelegte Strecke von der Geschwindigkeit abhängt. Zum anderen läßt sich auch diesem Urteil nicht entnehmen, auf welchen Grundlagen die Feststellung beruht, daß auch in Industriegebieten der Weg zwischen Wohnung und Haltestelle eines öffentlichen Verkehrsmittels sowie zwischen Haltestelle und Arbeitsplatz meist mehr als 5 Minuten Gehzeit erfordere. Soweit diese Feststellung als "erfahrungsgemäß” beschrieben wird, ist nicht erkennbar, über welche speziellen Erfahrungen der Senat verfügte. Allgemeiner Erfahrung entspricht es vielmehr, daß es durchaus Wohnungen und Arbeitsstätten in einer 5-Minuten-Fußweg-Entfernung von Haltestellen öffentlicher Verkehrsmittel gibt, sowie näher als auch weiter entfernt gelegene. Bei einer für Fußgänger recht hohen Geschwindigkeit von 6 km/h entsprächen 5 Minuten zu Fuß einer Wegstrecke von 500 m. Insoweit hat der erkennende Senat oben bereits dargelegt, aus welchen Gründen Arbeitsplätze bei Verweisbarkeit auf das gesamte Bundesgebiet und auf das allgemeine Arbeitsfeld zumutbar zu erreichen sind. Erst bei einer deutlich geringeren Geschwindigkeit und dementsprechend kürzerer Strecke käme in Betracht, daß der Zugang zu Arbeitsplätzen besonders stark erschwert ist. Dies deutet sich auch in dem Urteil des BSG vom 17. Mai 1972 (s.o.) an, wenn dort die Rede davon ist, daß ein im Gehen Behinderter Entfernungen ohnehin nur langsamer als nicht gehbehinderte Personen zurücklegen könne, ohne daß jedoch insoweit konkrete Feststellungen getroffen und näherungsweise quantifiziert worden wären. Dem entspricht auch die Kritik des 5. Senats im Urteil vom 11. September 1979 (s.o.), daß es weniger auf die Gehzeit als vielmehr auf die mögliche Gehstrecke ankomme. Erst im Urteil des BSG vom 10. März 1982 (5b RJ 70/81) lassen die Feststellungen, daß ein Fußweg von 800 m üblicherweise ausreiche, um die nächste Haltestelle zu erreichen, erkennen, auf welcher Grundlage sie getroffen wurden, nämlich auf der Kenntnis der Haltestellenabstände öffentlicher Verkehrsmittel zwischen 600 m und 1200 m. Bei konsequenter Weiterführung dieses Ansatzpunktes konnte es nach Auffassung des erkennenden Senates nur auf das gesamte öffentliche Verkehrsnetz und die Umgebung jeder einzelnen Haltestelle ankommen.
Der Kläger kann auf den ihm möglichen Arbeitsplätzen des allgemeinen Arbeitsfeldes auch noch mindestens die Hälfte des Durchschnittseinkommens einer Vergleichsperson im bisherigen Beruf erreichen. Da der Kläger noch eine vollschichtige Tätigkeit ausführen kann, bedarf es einer Feststellung und Gegenüberstellung der jeweils erzielten und erzielbaren Löhne nicht (vgl. Urteil des BSG vom 15. November 1983 s.o.).
Der Kläger ist auch nicht erwerbsunfähig. Wer nicht berufsunfähig ist, kann die weitergehenden Voraussetzungen der Erwerbsunfähigkeit ebenfalls nicht erfüllen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG sowie wegen Abweichung von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts nach § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG zuzulassen.
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