S 16 U 133/05

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 16 U 133/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 15 U 94/08
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Umstritten ist zwischen den Beteiligten die Feststellung eines Arbeitsunfalls und die Bewilligung von Rente.

Die 1972 geborene Klägerin nahm am 1107.2003 einem ca. 80 bis 90 kg schweren, sitzenden Patienten Blut ab als dieser plötzlich kollabierte und seitlich wegkippte. Die Klägerin fing den Patienten auf und brachte ihn mit Hilfe einer herbeigerufenen Kollegin in eine liegende Position. Anschließend verspürte sie Rückenschmerzen. Eine kernspintomographische Untersuchung der Lendenwirbelsäule am 16.07.2003 ergab einen medialen Bandscheibenprolaps L 5/S 1 sowie eine Protrusion L 4/L 5. Ab dem 15.07.2003 war die Klägerin arbeitsunfähig krank geschrieben worden. Bereits zuvor - vom 03.02. bis 10.02.2003- war sie wegen einer Lumboischialgie arbeitsunfähig krank geschrieben gewesen. In den Unterlagen des damals behandelnden Facharztes für Innere Medizin T ist für den 03.02.2003 ein "Hexenschuss" vermerkt. Zur Klärung der Zusammenhangsfrage holte die Beklagte ein unfallchirurgisches Gutachten von E und Q ein. Diese äußerten unter dem 16.02.2004, für eine traumatische Bandscheibenschädigung sei eine erhebliche Krafteinleitung, wie sie auch geeignet sei, eine Wirbelkörperfraktur zu verursachen, zu fordern. In der Mehrzahl der Fälle mit geringer Krafteinwirkung, wie sie typisch für das "Verhebetrauma" seien, liege eine degenerative Veränderung vor, so dass das Ereignis lediglich der Auslöser, nicht jedoch die wesentliche Ursache des Schadens sei. Diese vorbestehenden degenerativen Veränderungen seien bei der Klägerin durch die kernspintomographisch nachgewiesenen Befunde sowie durch die bereits vor dem Ereignis beschriebene Lumboischialgie belegt. Der Bandscheibenvorfall der Klägerin sei auf die vorbestehenden degenerativen Veränderungen zurückzuführen. Das Ereignis vom 11.07.2003 sei lediglich der Auslöser des Bandscheibenvorfalls gewesen. Auf dieser medizinischen Grundlage lehnte die Beklagte die Feststellung des Geschehens vom 11.07.2003 als Arbeitsunfall ab (Bescheid vom 01.04.2004). Mit ihrem Widerspruch bezog sich die Klägerin auf eine Stellungnahme von M, der die Auffassung vertrat, das Auffangen des schwergewichtigen Patienten habe eine unphysiologische kurzfristige Spitzenbelastung der Wirbelsäule der Klägerin bewirkt, die durchaus den Bandscheibenvorfall erklären könne. Die Beklagte holte daraufhin ein weiteres Zusammenhangsgutachten ein, das N, D und L1 unter dem 02.12.2004 erstatteten. Auch diese Gutachter vertraten die Auffassung, die MRT-Aufnahmen vom 16.07.2003 belegten die zum Zeitpunkt des Geschehens am 11.07.2003 bestehenden degenerativen Vorveränderungen, auf die der Bandscheibenvorfall im Wesentlichen zurückzuführen sei. Das Geschehen am 11.07.2003 sei nicht geeignet gewesen, Bandscheibenveränderungen zu verursachen. Die Widerspruchsstelle bei der Beklagten wies daraufhin den Widerspruch der Klägerin zurück (Widerspruchsbescheid vom 04.05.2005). Mit ihrer am 30.05.2005 bei Gericht eingegangenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 01.04.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.05.2005 zu verurteilen, ihr anlässlich des Versicherungsfalls vom 11.07.2003 eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von mindestens 20 vom Hundert zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat Befundberichte von den behandelnden Ärzten, den T und I eingeholt. Sodann hat das Gericht gemäß § 106 SGG C-L2 und anschließend (gemäß § 109 SGG) H gehört. Während C-L2 in Übereinstimmung mit den Vorgutachtern die Auffassung vertreten hat, der Bandscheibenvorfall der Kläger habe sich nur gelegentlich des Geschehens vom 11.07.2003 ereignet, ist H der Ansicht gewesen, das Geschehen sei mit einer übermäßigen Kraft-Anspannung der Wirbelsäule einhergegangen, so dass der Bandscheibenvorfall als Unfallfolge anzusehen und mit einer MdE von 20 bis 30 vom Hundert zu bewerten sei. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme im Einzelnen wird auf die Gerichtsakten und die Akten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet. Der Bescheid vom 01.04.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 04.05.2005 ist rechtmäßig. Das Geschehen am 11.07.2003 hat keine Gesundheitsschäden (mit-)verursacht. Ein Arbeitsunfall liegt daher nicht vor. Zwar ist H gegenteiliger Ansicht. Er hat vorgeschlagen die Bandscheibenveränderungen im Lendenwirbelsäulenbereich der Klägerin als Unfallfolgen anzusehen und mit einer MdE von 20 bis 30 vom Hundert zu bewerten. Seinem Vorschlag kann jedoch nicht gefolgt werden. Davon ist die Kammer auf der Grundlage der Darlegungen von C-L2, N und E überzeugt. Danach ist das Geschehen vom 11.07.2003 lediglich Auslöser und damit Ursache im naturwissenschaftlichen Sinn für die beschriebenen Bandscheibenveränderungen gewesen. Der naturwissenschaftliche Ursachenbegriff ist jedoch nur der Ausgangspunkt für den in der gesetzlichen Unfallversicherung maßgeblichen Ursachenbegriff der wesentlichen Bedingung. Nach diesem Ursachenbegriff werden nicht alle in naturwissenschaftliche Sinne für den Eintritt eines Zustandes kausalen Faktoren als Ursachen angesehen, sondern nur diejenigen, die den Zustand wesentlich mitverursacht haben. Ereignisse, die in dem Sinne austauschbar sind, dass jeder andere alltäglich vorkommende und ähnlich geartete Vorgang zu etwa derselben Zeit die gleichen Erscheinungen ausgelöst hätte, oder dass diese sogar ohne äußere Einwirkungen zutage getreten wären, sind dagegen rechtlich nicht wesentlich, sondern als rechtlich unerhebliche Gelegenheitsursache zu behandeln. Der im vorliegenden Fall zu beurteilende Hergang, das Abfangen eines aus der Sitzposition zur Seite fallenden schweren Patienten kann für die Bandscheibenveränderungen der Klägerin nicht als rechtlich wesentlich angesehen werden. Überragende Ursachenfaktoren sind vielmehr die sich auf den MRT-Aufnahmen vom 16.07.2003 zeigenden degenerativen Veränderungen, die so gravierend gewesen sind, dass sie bereits vor dem Geschehen am 11.07.2003 behandlungsbedürftig gewesen sind. Dies gilt umso mehr als traumatische Bandscheibenvorfälle stets mit (minimalen), knöchernen oder Bandverletzungen vergesellschaftet sind (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage, Seite 527). Solche Begleitverletzungen sind im Falle der Klägerin nicht feststellbar gewesen. Der Sachverständige C-L2 hat im Übrigen darauf hingewiesen, dass die Krafteinwirkung auf die Wirbelsäule der Klägerin am 11.07.2003 sich in der Größenordnung alltäglicher Belastungen bewegt hat. Die Bandscheibenveränderungen der Klägerin hätten daher auch bei jeder anderen, auch geringfügigeren Belastung - z. B. beim Staubsaugen oder Wegrücken oder Anheben von Tischen oder Möbelstücken - etwa zur selben Zeit auftreten können. Das Abfangen des Patienten am 11.07.2003 ist demnach als rechtliche unwesentliche sog. Gelegenheitsursache anzusehen. Mit anderen Worten: Die Bandscheibenveränderungen sind nur bei Gelegenheit des Geschehens am 11.07.2003 aufgetreten. Sie hätten zu derselben Zeit aus anderem Anlass ebenfalls auftreten können.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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