L 1 R 1285/06

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 32 R 363/05
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 R 1285/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten, Zeiten des Sozialhilfebezuges rentenrechtlich wie Zeiten des Bezuges von Arbeitslosenhilfe zu berücksichtigen und zu bewerten

Der 1939 geborene Kläger beantragte im Mai 2004 bei der Beklagten eine Regelaltersrente. Diese wurde ihm mit Bescheid vom 14. Juli 2004 ab 1. April 2004 bewilligt. Als "Anrechnungszeit wegen Arbeitslosigkeit" wurde u. a. die Zeit vom 1. Juli 1987 bis 22. September 1987 berücksichtigt, jedoch nicht die vorangegangenen Monate Mai und Juni 1987 sowie Zeiten ab 2. Januar 1995. Während des letztgenannten Zeitraumes bezog der Kläger Sozialhilfe.

Der Kläger erhob Widerspruch. Zwischen 1995 und 2004 hätte keine Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug vorgelegen. Sozialhilfe sei eine öffentlich-rechtliche Leistung im Sinne des § 58 Abs. 1 Nr. 3 Sozialgesetzbuch 6. Buch (SGB VI).

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 22. Dezember 2004 (GA Bl. a ff) zurück. Die Zeit vom 2. Januar 1995 bis zum 31. März 2004 sei als Anrechnungszeit wegen Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug berücksichtigt gemäß § 74 Satz 5 Nr. 1 SGB VI. Nach § 74 Satz 5 Nr. 1 SGB VI würden allerdings Kalendermonate, die nur deshalb Anrechnungszeiten seien, weil Arbeitslosigkeit nach dem 30. Juli 1978 vorgelegen habe und für die weder Arbeitslosengeld noch Arbeitslosenhilfe bezogen worden sei, nicht mit Entgeltpunkten aus der Gesamtleistungsbewertung zugeordnet.

Der Kläger hat Klage vor dem Sozialgericht Berlin (SG) erhoben. Versicherte mit Sozialhilfebezug seien nicht Arbeitslose zweiter Klasse, Versicherte mit Arbeitslosenhilfebezug nicht die besseren Arbeitslosen. Er sei unbeschränkt arbeitsfähig gewesen und habe der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestanden. Er sei auch in der Zeit vom 1. Mai 1987 bis 30. Juni 1987 arbeitslos gemeldet gewesen, habe jedoch keinen Leistungsanspruch gehabt.

Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung am 12. Juni 2006 erklärt, über die Arbeitslosigkeit vom 2. Januar 1995 bis 31. März 2004 als Anrechnungszeit erneut zu entscheiden, sofern der Kläger die "Lücke vom 1. Mai 1987 bis 30. Juni 1987 nachweisen könne".

Das SG hat die Klage mit Urteil vom selben Tag abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Berücksichtigung und Bewertung der Zeit vom 2. Januar 1995 bis 31. März 2004 als Anrechnungszeit. Der streitgegenständliche Zeitraum könne gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1 SGB VI keine Anrechnungszeit sein, weil es im Versicherungsverlauf des Klägers im Zeitraum 1. Mai 1987 bis 30. Juni 1987 eine Lücke gebe. Einer Bewertung der Zeit stehe darüber hinaus § 74 Satz 5 Nr. 1 SGB VI entgegen. Dass Zeiten der Arbeitslosigkeit nach dem 30. Juni 1978, für die nicht Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe gezahlt worden sei, als Anrechungszeit nicht bewertet werde, sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (Bezugnahme auf Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 5. 07. 2005 -B 4 RA 40/03 R).

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers. Er hat die Kopie eines Bildschirmausdruckes der Bundesagentur für Arbeit eingereicht. Dort ist (nur) der Zeitraum vom 27. Mai 1987 bis 30. Juni 1987 als "alo" eingetragen. Die Ungleichbehandlung von Arbeitslosenhilfeempfängern gegenüber arbeitsfähigen und arbeitswilligen Sozialhilfeempfängern sei verfassungswidrig.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 12. Juli 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, unter Änderung des Bescheides vom 14. Juli 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Dezember 2004 die Altersrente unter Berücksichtigung und Bewertung der Zeit vom 2. Januar 1995 bis 31. März 2004 neu festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen des Sachverhalts wird im Übrigen auf die Gerichtsakte sowie die Akte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen nach § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) verwiesen wird, als unbegründet zurückzuweisen. Entgegen der Auffassung des Klägers hat sich das BSG im Urteil vom 5. Juli 2005 mit der Frage ausgesetzt, ob die Nichtbewertung von Anrechnungszeiten der Arbeitslosigkeit, für welche weder Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe gezahlt wurde, mit der Verfassung vereinbar ist. Es hat eine Verfassungswidrigkeit der konkreten Vorschrift des § 74 Satz 2 Nr. 1 SGB VI in der seit Januar 1997 geltenden Fassung durch das Gesetz zur Umsetzung des Programms von mehr Wachstum und Beschäftigung in den Bereichen der Rentenversicherung und Arbeitsförderung verneint (Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz – WfG) vom 25. September 1996 (BGBl. I S. 1461) (seit 1. Januar 2005 ist diese Regelung jetzt aufgrund des 4. Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt in § 263 Abs. 2 a Satz 3 SGB VI enthalten). Ein rechtswidriger Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz [GG]) liegt nicht vor. Der Gesetzgeber durfte an sich systemwidrige Begünstigungen, wie hier die Bewertung von Zeiten der Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug hier, abschaffen (so zutreffend und ausführlicher BSG, U. v. = SozR 4 – 2.600 § 263 Nr. 2, Rdnr. 23). Selbst wenn die beeinträchtigte Rentenanwartschaft im Rang eines vermögenswerten subjektiven Rechts betroffen und damit Art. 14 Abs. 1 GG einschlägig war, rechtfertigten die gesetzgeberischen Ziele diesen Eingriff. Die Rechtsänderungen dienten dem Systemerhalt, die mit ihm verbundenen Beeinträchtigungen sind gering (a.a.O., Rn 30). Auch Art. 3 Abs. 1 GG (Verbot von ungerechtfertigter unschiedlicher Behandlung von Personengruppen) ist nicht verletzt. Denn die systemwidrige, möglicherweise sogar gleichheitswidrige Begünstigung von Arbeitslosen ohne Leistungsbezug ist ein hinreichend gewichtiger Grund, der ihre Abschaffung und damit auch eine Ungleichbehandlung gegenüber Arbeitslosen mit Leistungsbezug rechtfertigt. Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerde gegen dieses Urteil des BSG nicht zur Entscheidung angenommen (Beschluss vom 3. 4. 2006 – 1 BvR 2059/05).

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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