Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 13 KR 66/07
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung der Bescheide vom 14.03.2007 und 05.04.2007 und Abänderung des Be- scheides vom 20.04.2007 in der Fassung des Wider- spruchsbescheides vom 20.07.2007 verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 30.03. bis 13.07.2007 Kranken- geld in Höhe von kalendertäglich 32,05 EUR, insgesamt 3.397,30 EUR zu zahlen. Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin trägt die Beklagte.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf Krankengeld für die Zeit vom 30.03. bis 13.07.2007 in Höhe von kalendertäglich 32,05 EUR, insgesamt 3.397,30 EUR.
Die am 00.00.1973 geborene Klägerin war seit März 1996 als Kindergärtnerin in einem katholischen Kindergarten in Geilenkirchen beschäftigt. Im Dezember 2005 gebar sie ein Kind und nahm nach Ablauf der 8-wöchigen Mutterschutzfrist die Arbeit wieder auf.
Ab 30.01.2007 war die Klägerin wegen körperlicher und seelischer Erschöpfung (Neurasthenie) arbeitsunfähig. Ihr Hausarzt Dr. E. bescheinigte die Arbeitsunfähigkeit fortlaufend bis einschließlich 13.07.2007. In einem von der Beklagten veranlassten Gutachten (nach Aktenlage) des Medizinischen Dienst der Krankenkasse (MDK) vom 09.03.2007 kam Dr. H. zum Ergebnis, es könne dahingestellt bleiben, ob die Mehrfachbelastung durch das Zusammenwirken von Anforderungen im häuslichen Umfeld und am Arbeitsplatz zu einer Überforderungsreaktion geführt habe; durch vorübergehende berufliche Entpflichtung und hausärztliche Beratung sowie stützende Gespräche sei im Verlauf weniger Wochen eine Genesung zu erwarten; der Umstand, dass eine nervenärztliche oder psychotherapeutische Behandlung bisher nicht erfolgt sei, spreche gegen eine schwere Gemütserkrankung. Auf der Basis der vorliegenden Informationen sei nicht ersichtlich, dass die Klägerin nach dem 12.03.2007 noch außerstande wäre, an den Arbeitsplatz zurückzukehren.
Die Klägerin erhielt vom Arbeitgeber Entgeltfortzahlungen bis zum 12.03.2007.
Durch Bescheid vom 14.03.2007 stellte die Beklagte fest, dass die Arbeitsunfähigkeit am 16.03.2007 (= Freitag) ende.
Dagegen legte die Klägerin am 15.03.2007 durch ihren Hausarzt Dr. E. Widerspruch ein unter Hinweis auf die fortbestehende Arbeitsunfähigkeit. Aufgrund einer Untersuchung der Klägerin teilte der MDK-Arzt Dr. K. in einem weiteren Gutachten vom 29.03.2007 mit, die Klägerin habe arbeitsplatzbedingte Schwierigkeiten beschrieben; das Arbeitsverhältnis sei zum 31.07.2007 gekündigt worden; bis dahin sei ihr ein neues Arbeitsgebiet zugeteilt worden. Dr. K. kam zum Ergebnis, gegenüber dem Vorgutachten lägen keine neuen Erkenntnisse vor.
Daraufhin teilte die Beklagte der Klägerin durch Bescheid vom 05.04.2007 mit, es bleibe bei der Entscheidung, dass ab 17.03.2007 Arbeitsfähigkeit vorliege; das neue MDK-Gutachten habe bestätigt, dass nicht ersichtlich sei, dass sie nach dem 12.03.2007 weiterhin außerstande wäre, an den Arbeitsplatz zurückzukehren.
Nach einem am 05.04.2007 geführten Telefonat mit dem Hausarzt und einem weiteren Widerspruch vom 12.04.2007 durch diesen bewilligte die Beklagte durch Änderungsbescheid vom 20.04.2007 "aufgrund des vorliegenden Sachverhalts und nach Abwägung" Krankengeld für die Zeit vom 13.03. bis 29.03.2007. Sie zahlte diese Leistung in Höhe von kalendertäglich 32,05 EUR.
Gegen die Begrenzung der Krankengeldbewilligung erhob die Klägerin am 26.04.2007 Widerspruch und teilte mit, sie habe am 02.05.2007 einen Termin beim Psychologen; sie sei zurzeit weiter arbeitsunfähig. In einem Attest vom 15.05.2007 bescheinigte die Diplompsychologin H., die Klägerin befinde sich seit dem 02.05.2007 in ihrer Behandlung; sie habe berichtet, dass sie durch die problematische Situation am Arbeitsplatz sehr belastet sei; sie leide an quälenden Gedanken, die um die erlebten Kränkungen kreisten; ihr Selbstwertgefühl habe sehr gelitten; nach 10 Jahren Engagement für den Arbeitgeber habe sie nun die Kündigung erhalten; sie könne mit der Situation nicht umgehen und habe geäußert, dass sie nicht in der Lage sei, ihre Arbeit unter diesen Bedingungen weiterhin wie gewohnt zu verrichten, da sie unter starker Anspannung stehe, häufig weinen müsse und am Arbeitsplatz das Gefühl habe "zusammenzubrechen". Aus psychologischer Sicht - so die Diplompsychologin - sei die Klägerin aktuell nicht in der Lage, die Arbeitsanforderungen zu erfüllen. In weiteren Folgebescheinigungen vom 14.06. und 03.07.2007 bescheinigte Dr. E. Arbeitsunfähigkeit der Klägerin bis 13.07.2007. Nach dem Ende der Arbeitsunfähigkeit wurde die Klägerin bis zum Ende des Beschäftigungsverhältnisses (31.07.2007) arbeitgeberseitig von der Arbeit freigestellt.
Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 20.07.2007 zurück. Sie verwies auf die zwei MDK-Gutachten, in denen festgestellt worden sei, dass über den 12.03.2007 hinaus keine Arbeitsunfähigkeit mehr vorliege. Die Beurteilung des MDK sei bei der Entscheidung der Kasse richtunggebend; diesen richtungweisenden Charakter behalte die Beurteilung des MDK auch im Hinblick auf das Attest der Diplompsychologin H.
Dagegen hat die Klägerin am 14.08.2007 Klage erhoben. Sie trägt vor, in der gesamten Zeit - auch vom 30.03. bis 13.07.2007 - noch arbeitsunfähig gewesen zu sein. Sie ist der Auffassung, die Beklagte könne ihre Leistungspflicht nicht mit der Begründung verneinen, bei früherer Beendigung des Arbeitsverhältnisses sei eine frühere Genesung möglich gewesen.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 14.03.2007 und 05.04.2007 und Abänderung des Bescheides vom 20.04.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.07.2007 zu verurteilen, ihr auch für die Zeit vom 30.03. bis 13.07.2007 Krankengeld in Höhe von kalendertäglich 32,05 EUR, insgesamt 3.397,30 EUR zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie stützt ihre Auffassung auf die beiden MDK-Gutachten vom 09.03. und 29.03.2007; der MDK habe sich schlüssig und überzeugend geäußert; aus dem Attest der Diplompsychologin H. vom 15.05.2007 ergäben sich keine neuen Erkenntnisse. Die Mobbing-Situation sei dem MDK bekannt gewesen. Der Tatbestand der psychologischen Behandlung begründe nicht das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit. Die Beklagte ist der Auffassung, es sei "ein Anspruch auf Krankengeld nicht gegeben, wenn die Arbeitsunfähigkeit ausschließlich durch die psychosoziale Situation (Mobbing) am Arbeitsplatz begründet wird". In Mobbing-Fällen sei der Arbeitgeber zum Eingreifen und Handeln verpflichtet; ihn treffe die arbeitsvertragliche Nebenpflicht, seinen Arbeitnehmer vor sogenanntem Mobbing und damit vor Verletzungen seines Persönlichkeitsrechts durch seine Kollegen oder auch Vorgesetzte zu schützen. Der Arbeitgeber habe für die schuldhafte Verletzung arbeitsvertraglicher Schutzpflichten, etwa der Pflicht zum Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts oder der Gesundheit, einzustehen. Ihm obliege es, die Gehaltsausfälle der Klägerin zu ersetzen. Die Beklagte stützt sich für ihre Rechtsauffassung auf verschiedene Urteile des Bundesarbeitsgerichts, von Landesarbeitsgerichten und auf arbeitsrechtliche Literatur.
Das Gericht hat zur weiteren Aufklärung des medizinischen Sachverhalts Behandlungsunterlagen von der Diplompsychologin H. und Befundberichte des Hausarztes Dr. E. vom 16.10.2007 und 19.11.2007 eingeholt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen die Klägerin betreffende Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), da sie rechtswidrig sind. Die Beklagte hat zu Unrecht die Krankengeldzahlung ab 30.03.2007 beendet. Die Klägerin hatte noch bis 13.07.2007 gem. § 44 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) Anspruch auf Krankengeld, da sie über den 29.03.2007 hinaus bis zu diesem Zeitpunkt wegen einer Krankheit arbeitsunfähig war.
Die Arbeitsunfähigkeit begann am 30.01.2007. Ursache war eine körperliche und seelische Erschöpfung (Neurasthenie). Dieser psychogenvegetative Erschöpfungszustand war im Wesentlichen durch arbeitsplatzbedingte Schwierigkeiten hervorgerufen. Dies ergibt sich zur Überzeugung der Kammer aus den verschiedenen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen des Dr. E. und der beiden Gutachten des MDK vom 09. und 29.03.2007. Die durch dieses seelische Krankheitsbild bedingte Arbeitsunfähigkeit endete - entgegen der Auffassung des MDK - nicht am 12.03.2007 und - entgegen der Auffassung der Beklagten - auch nicht am 29.03.2007. Vielmehr hielt der Zustand weiter an mit der Folge, dass sich die Klägerin am 02.05.2007 in psychologische Behandlung begab. Aus den von der Diplompsychologin H. vorgelegten (handschriftlichen) Behandlungsnotizen ergibt sich, dass der Klägerin in der Vergangenheit wiederholt gekündigt worden war; eine erste Kündigung war wegen "Missverständnis" zurückgenommen worden; die Klägerin litt unter dem hohen Leistungsdruck und einem "Mobbing" durch Kollegen. Die Symptome der Krankheit äußerten sich u.a. in Schwächegefühlen, fehlender Motivation, Weinen, Kopf- und Rückenschmerzen. Aus diesen während der Behandlung gewonnenen Erkenntnissen haben die Diplompsychologin H. und der Hausarzt die Schlussfolgerung gezogen, dass die Klägerin jedenfalls bis 13.07.2007 krankheitsbedingt arbeitsunfähig war. Dass die Arbeitsunfähigkeit zu diesem Datum endete, ist ebenfalls nachvollziehbar, da die Krankheitssymptome ihre Ursache in dem Arbeitskonflikt hatten. Als der Arbeitgeber die Klägerin für die restliche Zeit des Arbeitsverhältnisses bis zum 31.07.2007 von der Arbeit freistellte, war die wesentliche Ursache des Krankheitsbildes beseitigt. Angesicht der zeitnahen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen des behandelnden Hausarztes und der Feststellungen der Diplompsychologin H. hat die Beurteilung des MDK, das Ende der Arbeitsunfähigkeit sei der 12.03.2007 gewesen, die Kammer nicht überzeugt. Das erste MDK-Gutachten vom 09.03.2007 erging nach Aktenlage und beschränkt sich im Wesentlichen auf Vermutungen. Die Erwartung des MDK-Arztes, durch vorübergehende berufliche Entpflichtung und bedarfsweise hausärztliche Beratung, gegebenenfalls auch stützende Gespräche, werde im Verlauf weniger Wochen eine ausreichende Genesung erfolgen, hat sich offensichtlich nicht erfüllt, wie der weitere Krankheitsverlauf und die Einleitung psychologischer Behandlung im Mai 2007 zeigen. Auch das zweite MDK-Gutachten vom 29.03.2007 bleibt vage. Wie im Vorgutachten wird auch hier darauf hingewiesen, es finde keine psychologische Mitbehandlung statt. Der hieraus gezogene Schluss, es liege keine schwergradige Gemütserkrankung vor, erscheint jedoch vorschnell und wenig begründet. Wenn ein - gerade seelisch - erkrankter Mensch nicht sofort alle zur Verfügung stehenden Behandlungsmöglichkeiten in Anspruch nimmt, bedeutet dies nicht, dass kein gravierendes Krankheitsbild vorliegt. Die Kammer ist davon überzeugt, dass die MDK-Ärzte die Arbeitsplatzkonflikte und ihre Auswirkungen auf die Gesundheit der Klägerin und die daraus resultierende Arbeitsfähigkeit überschätzt haben. Sie folgt daher den Feststellungen des Hausarztes, der in Zusammenwirken mit der Diplompsychologin H. die Arbeitsunfähigkeit bis 13.07.2007 bescheinigt hat.
Soweit die Beklagte auf die arbeitsrechtlichen Pflichten eines Arbeitgebers gegenüber gemobbten Arbeitnehmern hinweist, gibt sie zwar - ersichtlich zutreffend - den Stand der arbeitsrechtlichen Rechtsprechung und Literatur wieder. Diese hat jedoch nichts mit dem krankenversicherungsrechtlichen Anspruch auf Krankengeld bei Arbeitsunfähigkeit zu tun. Wenn krankheitsbedingt Arbeitsunfähigkeit besteht, ist für den Krankengeldanspruch nicht von Bedeutung, wer oder was sie verursacht oder verschuldet hat - von der hier nicht vorliegenden Fallgestaltung selbstverschuldeter Krankheit im Sinne von § 52 SGB V abgesehen - und ob Dritte durch Erfüllung der ihnen obliegenden Pflichten die Ursachen und damit gegebenenfalls die Arbeitsunfähigkeit selbst beseitigen können. Die von der Beklagten vertretene Auffassung, es sei "ein Anspruch auf Krankengeld nicht gegeben, wenn die Arbeitsunfähigkeit ausschließlich durch die psychosoziale Situation (Mobbing) am Arbeitsplatz begründet wird", findet weder im Gesetz noch in der arbeitsrechtlichen und auch nicht in der krankenversicherungsrechtlichen Rechtsprechung und Literatur eine Stütze. Im Gegenteil: Wenn ein Versicherter wegen einer Krankheit arbeitsunfähig ist, begründet dies einen Anspruch auf Krankengeld, selbst wenn die Arbeitsunfähigkeit auslösende Krankheit ausschließlich durch die psychosoziale Situation (Mobbing) am Arbeitsplatz begründet wird. Löst nämlich (allein) das Mobbing eine seelische Erkrankung aus und führt diese zu Arbeitsunfähigkeit, so sind damit die Voraussetzungen nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB V für einen Anspruch auf Krankengeld erfüllt (vgl. auch: LSG NRW, Urteil vom 09.03.2006, L 16 KR 242/04). Davon, dass bei der Klägerin auch in der Zeit vom 30.03. bis 13.07.2007 ein seelisches Krankheitsbild vorgelegen hat, das ihre Arbeitsunfähigkeit bedingt hat, ist die Kammer, wie oben dargelegt, aufgrund der zeitnahen Feststellungen des sie behandelnden Arztes und der mitbehandelnden Diplompsychologin überzeugt.
Der Zeitraum vom 30.03. bis 13.07.2007 umfasst 106 Kalendertage. Das der Klägerin zustehende Krankengeld betrug kalendertäglich 32,05 EUR. Daraus errechnet sich für den streitbefangenen Zeitraum ein Nachzahlungsbetrag von 3.397,30 EUR.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf Krankengeld für die Zeit vom 30.03. bis 13.07.2007 in Höhe von kalendertäglich 32,05 EUR, insgesamt 3.397,30 EUR.
Die am 00.00.1973 geborene Klägerin war seit März 1996 als Kindergärtnerin in einem katholischen Kindergarten in Geilenkirchen beschäftigt. Im Dezember 2005 gebar sie ein Kind und nahm nach Ablauf der 8-wöchigen Mutterschutzfrist die Arbeit wieder auf.
Ab 30.01.2007 war die Klägerin wegen körperlicher und seelischer Erschöpfung (Neurasthenie) arbeitsunfähig. Ihr Hausarzt Dr. E. bescheinigte die Arbeitsunfähigkeit fortlaufend bis einschließlich 13.07.2007. In einem von der Beklagten veranlassten Gutachten (nach Aktenlage) des Medizinischen Dienst der Krankenkasse (MDK) vom 09.03.2007 kam Dr. H. zum Ergebnis, es könne dahingestellt bleiben, ob die Mehrfachbelastung durch das Zusammenwirken von Anforderungen im häuslichen Umfeld und am Arbeitsplatz zu einer Überforderungsreaktion geführt habe; durch vorübergehende berufliche Entpflichtung und hausärztliche Beratung sowie stützende Gespräche sei im Verlauf weniger Wochen eine Genesung zu erwarten; der Umstand, dass eine nervenärztliche oder psychotherapeutische Behandlung bisher nicht erfolgt sei, spreche gegen eine schwere Gemütserkrankung. Auf der Basis der vorliegenden Informationen sei nicht ersichtlich, dass die Klägerin nach dem 12.03.2007 noch außerstande wäre, an den Arbeitsplatz zurückzukehren.
Die Klägerin erhielt vom Arbeitgeber Entgeltfortzahlungen bis zum 12.03.2007.
Durch Bescheid vom 14.03.2007 stellte die Beklagte fest, dass die Arbeitsunfähigkeit am 16.03.2007 (= Freitag) ende.
Dagegen legte die Klägerin am 15.03.2007 durch ihren Hausarzt Dr. E. Widerspruch ein unter Hinweis auf die fortbestehende Arbeitsunfähigkeit. Aufgrund einer Untersuchung der Klägerin teilte der MDK-Arzt Dr. K. in einem weiteren Gutachten vom 29.03.2007 mit, die Klägerin habe arbeitsplatzbedingte Schwierigkeiten beschrieben; das Arbeitsverhältnis sei zum 31.07.2007 gekündigt worden; bis dahin sei ihr ein neues Arbeitsgebiet zugeteilt worden. Dr. K. kam zum Ergebnis, gegenüber dem Vorgutachten lägen keine neuen Erkenntnisse vor.
Daraufhin teilte die Beklagte der Klägerin durch Bescheid vom 05.04.2007 mit, es bleibe bei der Entscheidung, dass ab 17.03.2007 Arbeitsfähigkeit vorliege; das neue MDK-Gutachten habe bestätigt, dass nicht ersichtlich sei, dass sie nach dem 12.03.2007 weiterhin außerstande wäre, an den Arbeitsplatz zurückzukehren.
Nach einem am 05.04.2007 geführten Telefonat mit dem Hausarzt und einem weiteren Widerspruch vom 12.04.2007 durch diesen bewilligte die Beklagte durch Änderungsbescheid vom 20.04.2007 "aufgrund des vorliegenden Sachverhalts und nach Abwägung" Krankengeld für die Zeit vom 13.03. bis 29.03.2007. Sie zahlte diese Leistung in Höhe von kalendertäglich 32,05 EUR.
Gegen die Begrenzung der Krankengeldbewilligung erhob die Klägerin am 26.04.2007 Widerspruch und teilte mit, sie habe am 02.05.2007 einen Termin beim Psychologen; sie sei zurzeit weiter arbeitsunfähig. In einem Attest vom 15.05.2007 bescheinigte die Diplompsychologin H., die Klägerin befinde sich seit dem 02.05.2007 in ihrer Behandlung; sie habe berichtet, dass sie durch die problematische Situation am Arbeitsplatz sehr belastet sei; sie leide an quälenden Gedanken, die um die erlebten Kränkungen kreisten; ihr Selbstwertgefühl habe sehr gelitten; nach 10 Jahren Engagement für den Arbeitgeber habe sie nun die Kündigung erhalten; sie könne mit der Situation nicht umgehen und habe geäußert, dass sie nicht in der Lage sei, ihre Arbeit unter diesen Bedingungen weiterhin wie gewohnt zu verrichten, da sie unter starker Anspannung stehe, häufig weinen müsse und am Arbeitsplatz das Gefühl habe "zusammenzubrechen". Aus psychologischer Sicht - so die Diplompsychologin - sei die Klägerin aktuell nicht in der Lage, die Arbeitsanforderungen zu erfüllen. In weiteren Folgebescheinigungen vom 14.06. und 03.07.2007 bescheinigte Dr. E. Arbeitsunfähigkeit der Klägerin bis 13.07.2007. Nach dem Ende der Arbeitsunfähigkeit wurde die Klägerin bis zum Ende des Beschäftigungsverhältnisses (31.07.2007) arbeitgeberseitig von der Arbeit freigestellt.
Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 20.07.2007 zurück. Sie verwies auf die zwei MDK-Gutachten, in denen festgestellt worden sei, dass über den 12.03.2007 hinaus keine Arbeitsunfähigkeit mehr vorliege. Die Beurteilung des MDK sei bei der Entscheidung der Kasse richtunggebend; diesen richtungweisenden Charakter behalte die Beurteilung des MDK auch im Hinblick auf das Attest der Diplompsychologin H.
Dagegen hat die Klägerin am 14.08.2007 Klage erhoben. Sie trägt vor, in der gesamten Zeit - auch vom 30.03. bis 13.07.2007 - noch arbeitsunfähig gewesen zu sein. Sie ist der Auffassung, die Beklagte könne ihre Leistungspflicht nicht mit der Begründung verneinen, bei früherer Beendigung des Arbeitsverhältnisses sei eine frühere Genesung möglich gewesen.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 14.03.2007 und 05.04.2007 und Abänderung des Bescheides vom 20.04.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.07.2007 zu verurteilen, ihr auch für die Zeit vom 30.03. bis 13.07.2007 Krankengeld in Höhe von kalendertäglich 32,05 EUR, insgesamt 3.397,30 EUR zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie stützt ihre Auffassung auf die beiden MDK-Gutachten vom 09.03. und 29.03.2007; der MDK habe sich schlüssig und überzeugend geäußert; aus dem Attest der Diplompsychologin H. vom 15.05.2007 ergäben sich keine neuen Erkenntnisse. Die Mobbing-Situation sei dem MDK bekannt gewesen. Der Tatbestand der psychologischen Behandlung begründe nicht das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit. Die Beklagte ist der Auffassung, es sei "ein Anspruch auf Krankengeld nicht gegeben, wenn die Arbeitsunfähigkeit ausschließlich durch die psychosoziale Situation (Mobbing) am Arbeitsplatz begründet wird". In Mobbing-Fällen sei der Arbeitgeber zum Eingreifen und Handeln verpflichtet; ihn treffe die arbeitsvertragliche Nebenpflicht, seinen Arbeitnehmer vor sogenanntem Mobbing und damit vor Verletzungen seines Persönlichkeitsrechts durch seine Kollegen oder auch Vorgesetzte zu schützen. Der Arbeitgeber habe für die schuldhafte Verletzung arbeitsvertraglicher Schutzpflichten, etwa der Pflicht zum Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts oder der Gesundheit, einzustehen. Ihm obliege es, die Gehaltsausfälle der Klägerin zu ersetzen. Die Beklagte stützt sich für ihre Rechtsauffassung auf verschiedene Urteile des Bundesarbeitsgerichts, von Landesarbeitsgerichten und auf arbeitsrechtliche Literatur.
Das Gericht hat zur weiteren Aufklärung des medizinischen Sachverhalts Behandlungsunterlagen von der Diplompsychologin H. und Befundberichte des Hausarztes Dr. E. vom 16.10.2007 und 19.11.2007 eingeholt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen die Klägerin betreffende Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), da sie rechtswidrig sind. Die Beklagte hat zu Unrecht die Krankengeldzahlung ab 30.03.2007 beendet. Die Klägerin hatte noch bis 13.07.2007 gem. § 44 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) Anspruch auf Krankengeld, da sie über den 29.03.2007 hinaus bis zu diesem Zeitpunkt wegen einer Krankheit arbeitsunfähig war.
Die Arbeitsunfähigkeit begann am 30.01.2007. Ursache war eine körperliche und seelische Erschöpfung (Neurasthenie). Dieser psychogenvegetative Erschöpfungszustand war im Wesentlichen durch arbeitsplatzbedingte Schwierigkeiten hervorgerufen. Dies ergibt sich zur Überzeugung der Kammer aus den verschiedenen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen des Dr. E. und der beiden Gutachten des MDK vom 09. und 29.03.2007. Die durch dieses seelische Krankheitsbild bedingte Arbeitsunfähigkeit endete - entgegen der Auffassung des MDK - nicht am 12.03.2007 und - entgegen der Auffassung der Beklagten - auch nicht am 29.03.2007. Vielmehr hielt der Zustand weiter an mit der Folge, dass sich die Klägerin am 02.05.2007 in psychologische Behandlung begab. Aus den von der Diplompsychologin H. vorgelegten (handschriftlichen) Behandlungsnotizen ergibt sich, dass der Klägerin in der Vergangenheit wiederholt gekündigt worden war; eine erste Kündigung war wegen "Missverständnis" zurückgenommen worden; die Klägerin litt unter dem hohen Leistungsdruck und einem "Mobbing" durch Kollegen. Die Symptome der Krankheit äußerten sich u.a. in Schwächegefühlen, fehlender Motivation, Weinen, Kopf- und Rückenschmerzen. Aus diesen während der Behandlung gewonnenen Erkenntnissen haben die Diplompsychologin H. und der Hausarzt die Schlussfolgerung gezogen, dass die Klägerin jedenfalls bis 13.07.2007 krankheitsbedingt arbeitsunfähig war. Dass die Arbeitsunfähigkeit zu diesem Datum endete, ist ebenfalls nachvollziehbar, da die Krankheitssymptome ihre Ursache in dem Arbeitskonflikt hatten. Als der Arbeitgeber die Klägerin für die restliche Zeit des Arbeitsverhältnisses bis zum 31.07.2007 von der Arbeit freistellte, war die wesentliche Ursache des Krankheitsbildes beseitigt. Angesicht der zeitnahen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen des behandelnden Hausarztes und der Feststellungen der Diplompsychologin H. hat die Beurteilung des MDK, das Ende der Arbeitsunfähigkeit sei der 12.03.2007 gewesen, die Kammer nicht überzeugt. Das erste MDK-Gutachten vom 09.03.2007 erging nach Aktenlage und beschränkt sich im Wesentlichen auf Vermutungen. Die Erwartung des MDK-Arztes, durch vorübergehende berufliche Entpflichtung und bedarfsweise hausärztliche Beratung, gegebenenfalls auch stützende Gespräche, werde im Verlauf weniger Wochen eine ausreichende Genesung erfolgen, hat sich offensichtlich nicht erfüllt, wie der weitere Krankheitsverlauf und die Einleitung psychologischer Behandlung im Mai 2007 zeigen. Auch das zweite MDK-Gutachten vom 29.03.2007 bleibt vage. Wie im Vorgutachten wird auch hier darauf hingewiesen, es finde keine psychologische Mitbehandlung statt. Der hieraus gezogene Schluss, es liege keine schwergradige Gemütserkrankung vor, erscheint jedoch vorschnell und wenig begründet. Wenn ein - gerade seelisch - erkrankter Mensch nicht sofort alle zur Verfügung stehenden Behandlungsmöglichkeiten in Anspruch nimmt, bedeutet dies nicht, dass kein gravierendes Krankheitsbild vorliegt. Die Kammer ist davon überzeugt, dass die MDK-Ärzte die Arbeitsplatzkonflikte und ihre Auswirkungen auf die Gesundheit der Klägerin und die daraus resultierende Arbeitsfähigkeit überschätzt haben. Sie folgt daher den Feststellungen des Hausarztes, der in Zusammenwirken mit der Diplompsychologin H. die Arbeitsunfähigkeit bis 13.07.2007 bescheinigt hat.
Soweit die Beklagte auf die arbeitsrechtlichen Pflichten eines Arbeitgebers gegenüber gemobbten Arbeitnehmern hinweist, gibt sie zwar - ersichtlich zutreffend - den Stand der arbeitsrechtlichen Rechtsprechung und Literatur wieder. Diese hat jedoch nichts mit dem krankenversicherungsrechtlichen Anspruch auf Krankengeld bei Arbeitsunfähigkeit zu tun. Wenn krankheitsbedingt Arbeitsunfähigkeit besteht, ist für den Krankengeldanspruch nicht von Bedeutung, wer oder was sie verursacht oder verschuldet hat - von der hier nicht vorliegenden Fallgestaltung selbstverschuldeter Krankheit im Sinne von § 52 SGB V abgesehen - und ob Dritte durch Erfüllung der ihnen obliegenden Pflichten die Ursachen und damit gegebenenfalls die Arbeitsunfähigkeit selbst beseitigen können. Die von der Beklagten vertretene Auffassung, es sei "ein Anspruch auf Krankengeld nicht gegeben, wenn die Arbeitsunfähigkeit ausschließlich durch die psychosoziale Situation (Mobbing) am Arbeitsplatz begründet wird", findet weder im Gesetz noch in der arbeitsrechtlichen und auch nicht in der krankenversicherungsrechtlichen Rechtsprechung und Literatur eine Stütze. Im Gegenteil: Wenn ein Versicherter wegen einer Krankheit arbeitsunfähig ist, begründet dies einen Anspruch auf Krankengeld, selbst wenn die Arbeitsunfähigkeit auslösende Krankheit ausschließlich durch die psychosoziale Situation (Mobbing) am Arbeitsplatz begründet wird. Löst nämlich (allein) das Mobbing eine seelische Erkrankung aus und führt diese zu Arbeitsunfähigkeit, so sind damit die Voraussetzungen nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB V für einen Anspruch auf Krankengeld erfüllt (vgl. auch: LSG NRW, Urteil vom 09.03.2006, L 16 KR 242/04). Davon, dass bei der Klägerin auch in der Zeit vom 30.03. bis 13.07.2007 ein seelisches Krankheitsbild vorgelegen hat, das ihre Arbeitsunfähigkeit bedingt hat, ist die Kammer, wie oben dargelegt, aufgrund der zeitnahen Feststellungen des sie behandelnden Arztes und der mitbehandelnden Diplompsychologin überzeugt.
Der Zeitraum vom 30.03. bis 13.07.2007 umfasst 106 Kalendertage. Das der Klägerin zustehende Krankengeld betrug kalendertäglich 32,05 EUR. Daraus errechnet sich für den streitbefangenen Zeitraum ein Nachzahlungsbetrag von 3.397,30 EUR.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Login
NRW
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