Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 6 U 1896/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 939/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 17.01.2007 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Feststellung einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV; nachfolgend: BK 2108).
Der am 1959 geborene Kläger war von August 1977 bis Dezember 1979 bei der Firma C. F. GmbH als Kranfahrer, im Januar 1980 bei der Firma R. C. als Arbeiter im Trockenbau, im Februar 1980 bei der Firma B. M. als Maurer, von August 1982 bis September 1982 bei der Firma M. W. als Arbeiter im Kanalbau, von Januar 1986 bis März 1994 bei der Firma R. F. GmbH als Arbeiter in der Parkettfertigung, von Februar 1995 bis Juli 1995 bei der Firma H. H. GmbH & Co. KG als Lagerarbeiter, von November 1996 bis Dezember 1996 bei der Firma M. GmbH als Maurer und zuletzt von April 1999 bis 07.11.2001 bei der Firma K.-H. R. GmbH als Maurer beschäftigt. In der Zeit von März 1980 bis August 1982 und Oktober 1982 bis Mitte Januar 1986 hielt sich der Kläger in seinem Heimatland Italien auf und war dort in einem Lebensmittelgeschäft tätig. Von April 1994 bis März 1995, August 1995 bis November 1996 und Januar 1997 bis Mitte April 1999 war der Kläger arbeitslos. Seit 08.11.2001 ist der Kläger dauerhaft arbeitsunfähig.
Die beruflichen Belastungen des Klägers stellen sich wie folgt dar (eigene Angaben des Klägers anlässlich einer persönlichen Befragung durch den Technischen Aufsichtsdienst [TAD] vom 02.08.2007, Blatt 37 bis 40 der LSG-Akten): Bei seiner Tätigkeit als Kranfahrer bei der Firma C. F. GmbH fielen keine wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten an. Bei seiner Tätigkeit bei der Firma R. C. erstellte er Gipskartonwände und Decken inklusive Unterkonstruktion. Bei seiner Tätigkeit bei der Firma B. M. übte er Maurerarbeiten (Verarbeitung kleinformatiger Steine) aus. Bei seiner Tätigkeit bei der Firma M. W. hatte er mit der Schaufel die Sohlenplanie der zuvor von einem Bagger ausgehobenen Kanalgräben zu erstellten und musste die Grabenwände "putzen". Bei seiner Tätigkeit bei der Firma R. F. GmbH sägte er Rundholz mit einer Kettensäge und transportierte dieses anschließend mit einem Kran zur Weiterverarbeitung; gelegentlich hatte er Parkettrohlinge (ca. 50 cm x 10 cm. x 0,5 cm) in dafür vorgesehene Transportboxen zu stapeln. Bei seiner Tätigkeit bei der Firma H. H. GmbH & Co. KG führte er leere Kanister (ca. 30 Liter) einer Abfüllanlage zu und entnahm die gefüllten Kanister mit einer Transporthilfe. Bei seiner Tätigkeit bei der Firma M. GmbH verrichtete er Maurerarbeiten (Verarbeitung kleinformatiger Steine). Bei seiner Tätigkeit bei der Firma K.-H. R. GmbH (durchschnittliche Arbeitsschicht neun bis elf Stunden) war er zu ca. 60 % bei Umbauarbeiten eingesetzt, wobei Hilfsmittel wie Hebezeug oder Minibagger nur selten genutzt werden konnten. Der Kläger musste in diesem Zusammenhang sämtliches Material (u. a. Steine mit einem Gewicht von 34 kg) und Werkzeug von Hand transportieren und Aushubarbeiten von Hand ausführen. Im Übrigen wurde er im Kanalbau bei Hausanschlüssen, zu Verputz- und Maurerarbeiten (Verarbeitung kleinformatiger Steine) oder im Trockenbau eingesetzt. Während der Zeit des Aufenthalts in Italien übte der Kläger nach eigenen Angaben keine wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten aus.
Nachdem bei ihm eine mäßige Osteochondrose L4/L5 mit medialer Protrusion L4/L5 sowie eine Spondylose L5/S1 diagnostiziert worden war, beantragte der Kläger die Feststellung einer BK. Nach Einholung einer Stellungnahme des TAD und des staatlichen Gewerbearztes Dr. G. lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 07.08.2002 und Widerspruchsbescheid vom 14.03.2003 das Vorliegen einer BK 2108 mit der Begründung ab, es fehle an einer langjährigen Belastung.
Der Kläger hat am 14.04.2003 zum Sozialgericht Stuttgart Klage erhoben und geltend gemacht, er habe bei der Firma K.-H. R. GmbH schwer heben und tragen müssen, außerdem habe die Beklagte die Tätigkeit bei der Firma R. F. GmbH nicht berücksichtigt. Das Sozialgericht hat zu dem Verfahren ein weiteres Klageverfahren, in dem der Kläger die Feststellung eines Ereignisses vom 13.09.2001 (heftiger Schmerz im Rücken anlässlich einer Drehbewegung während der Arbeit beim Tragen schwerer Steine mit anschließendem Sturz auf einer Treppe) als Arbeitsunfall begehrt hat, verbunden und mit Gerichtsbescheid vom 17.01.2007 die Klagen abgewiesen.
Gegen den am 31.01.2007 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 22.02.2007 - ausschließlich beschränkt auf die Feststellung einer BK 2108 - Berufung eingelegt.
Der Kläger beantragt (sachdienlich gefasst),
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 17.01.2007 und den Bescheid der Beklagten vom 07.08.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.03.2003 aufzuheben und festzustellen, das beim ihm eine Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV vorliegt.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hat eine Stellungnahme des TAD nach persönlicher Anhörung des Klägers zu dessen beruflicher Belastung mit einer Berechnung nach dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell vorgelegt (Gesamtdosis 3,540 MNh; zur Berechnung im Einzelnen vgl. Blatt 34 bis 66 der LSG-Akten).
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143, 144, 151 SGG zulässige Berufung des Klägers, über die der Senat gemäß § 124 Abs. 2 SGG auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist nicht begründet. Die Voraussetzungen zur Anerkennung der Wirbelsäulenerkrankung des Klägers als BK 2108 liegen nicht vor.
Streitgegenständlich ist vorliegend der Bescheid vom 07.08.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.03.2003 und somit allein die Frage, ob die Voraussetzungen für die Feststellung einer BK 2108 gegeben sind. Nicht streitgegenständlich ist hingegen die vom Sozialgericht ebenfalls entschiedene Frage, ob das Ereignis vom 13.09.2001 als Arbeitsunfall zu bewerten ist. Denn der Kläger hat mit Schriftsatz vom 22.02.2007 ausdrücklich erklärt, dass die den Arbeitsunfall betreffende Klage nicht weiter verfolgt wird. Insoweit ist der angefochtene Gerichtsbescheid daher rechtskräftig geworden.
Da die Beklagte jedwede Entschädigung ablehnt, weil kein Versicherungsfall eingetreten sei, kann der Kläger eine Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG erheben. Dies hat der Kläger bei sinnentsprechender Auslegung seines Vorbringens (BSG, Urteil vom 07.09. 2004, B 2 U 45/03 R in SozR 4-2700 § 2 Nr. 2) auch getan. Dem auf Entschädigung gerichteten Teil des schriftsätzlich gestellten Antrages kommt bei dieser Sachlage keine eigenständige Bedeutung zu (BSG, a.a.O.).
Eine Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) i. V. m. Nr. 2108 der Anlage zur BKV ist eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen hat, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.
Für die Anerkennung und Entschädigung einer Erkrankung nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV müssen folgende Tatbestandsmerkmale gegeben sein: Bei dem Versicherten muss eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule vorliegen, die durch langjähriges berufsbedingtes Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige berufsbedingte Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung (so genannte arbeitstechnische Voraussetzungen) entstanden ist. Die Erkrankung muss den Zwang zur Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten herbeigeführt haben, und als Konsequenz aus diesem Zwang muss die Aufgabe dieser Tätigkeiten tatsächlich erfolgt sein.
Dabei müssen die anspruchsbegründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung und die als Folge geltend gemachte Gesundheitsstörung - hier also eine bandscheibenbedingte Erkrankung - erwiesen sein, d. h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können (vgl. u. a. BSG, Urteil vom 30.04.1985, 2 RU 43/84 in SozR 2200 § 555a Nr. 1). Hingegen genügt hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung (haftungsbegründende Kausalität) sowie der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung (haftungsausfüllende Kausalität) eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 30.04.1985, a.a.O.); das bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang sprechen muss, wobei dieser nicht schon dann wahrscheinlich ist, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist. (vgl. BSG, Urteil vom 02.11.1999, B 2 U 47/98 R in SozR 3-1300 § 48 Nr. 67; Urteil vom 02.05.2001, B 2 U 16/00 R in SozR 3-2200 § 551 Nr. 16). Kommen mehrere Ursachen in Betracht (konkurrierende Kausalität), so sind nur solche Ursachen als rechtserheblich anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.1988, 2/9b RU 28/87 in SozR 2200 § 548 Nr. 91). Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des jeweiligen Klägers (vgl. BSG, Urteil vom 27.06.1991, 2 RU 31/90 in SozR 3-2200 § 548 Nr. 11).
Der Kläger erfüllt nach derzeitigem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse und der Rechtsprechung bereits die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht.
Das so genannte und hier von der Beklagten der Beurteilung zu Grunde gelegte Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD) ist ein Verfahren zur Bewertung der beim Einzelnen auftretenden tatsächlichen Belastung im Hinblick auf die in der BK 2108 aufgeführten Kriterien (langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten bzw. langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung), also zur Beurteilung, ob die arbeitstechnischen Voraussetzungen vorliegen. Bei der Beurteilung der Belastung der genannten Berufsgruppen geht das MDD von einer erforderlichen Mindestexposition i. S. einer kritischen Dosis je Schicht für Frauen von 3500 Nh (= 3,5 kNh) und für Männer von 5500 Nh (= 5,5 kNh) bzw. für das gesamte Berufsleben von 17 Mega-Newton-Stunden (MNh) für Frauen bzw. 25 MNh für Männer aus.
Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 18. März 2003, B 2 U 13/02 R in SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 1) dient das MDD letztendlich der Konkretisierung der in der BK 2108 verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe. Es ist als Zusammenfassung wissenschaftlicher Erfahrungstatsachen ein geeignetes Modell, die kritische Belastungsdosis eines Versicherten zu ermitteln und in Beziehung zu seinem Erkrankungsrisiko zu setzen. Dabei ist zu beachten, dass die Schwellen- oder Dosiswerte des MDD keine festen Grenzwerte, sondern allenfalls Orientierungswerte sind, die eine Hilfe bei der Beurteilung des medizinischen Zusammenhangs zwischen versicherter Einwirkung und Erkrankung darstellen.
Nach der neuesten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 30.10.2007, B 2 U 4/06 R) ist derzeit trotz diverser Schwächen des MDD an diesem Berechnungsmodell in modifizierter Form als Grundlage für die Konkretisierung der im Text der BK 2108 zur Kennzeichnung der beruflichen Einwirkungen verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe festzuhalten, weil aktuell kein den wissenschaftlichen Erkenntnisstand besser abbildendes Alternativmodell zur Verfügung steht. Allerdings kann das Erreichen einer bestimmten Mindesttagesdosis, wie nach dem MDD gefordert, nach den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht mehr verlangt werden, sodass bei der Berechnung auch die Tage mit Tagesdosen, die unterhalb der Mindesttagesdosis liegen, zu berücksichtigen sind. Im Hinblick auf die bestehenden Unsicherheiten sind die Richtwerte des MDD für die Gesamtbelastungsdosis zu halbieren, so dass von einem langjährigen Heben und Tragen schwerer Lasten bzw. einer langjährigen Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung auszugehen ist, wenn mindestens 50 % des nach dem MDD ermittelten Wert für die Gesamtbelastungsdosis erreicht oder überschritten werden.
Nach den vorgelegten Berechnungen des TAD vom 02.08.2007 unterschreitet der Kläger die Hälfte des Richtwertes nach dem MDD (= 12,5 MNh) bei Weitem. Wirbelsäulenbelastende Tätigkeiten im Sinne der BK 2108 hatte der Kläger bei seiner Tätigkeit bei den Firmen R. C. , B. M. , M.W. , M. GmbH und K.-H. R. GmbH und damit noch nicht einmal drei Jahre lang auszuüben. Entgegen dem schriftsätzlichen Vortrag des Klägers in der Berufungsbegründung handelte es sich bei seiner Tätigkeit bei der Fa. R. F. GmbH nicht um eine wirbelsäulenbelastende Tätigkeit in Form von schwerem Heben und Tragen, da er nach seinen eigenen, konkreteren Angaben gegenüber dem TAD der Beklagten die zugesägten Rundhölzer nicht von Hand, sondern mit einem Kran transportierte. Der TAD hat unter Zugrundelegung der beruflichen Belastungen bei den o.a. Tätigkeiten eine Gesamtbelastungsdosis von 3,540 MNh ermittelt. Zwar hat der TAD bei seiner Berechnung für die Tätigkeit im Januar 1980 bei der Fa. B. M. (einen Monat) eine anteilige Jahresdosis nicht berücksichtigt, weil die Tagesdosen unterhalb der Mindesttagesdosis liegen. Eine relevante Erhöhung der Gesamtbelastungsdosis durch Einbeziehung dieser einmonatigen Tätigkeit ist indessen ausgeschlossen. Bei zusätzlicher Berücksichtigung der vom TAD nach den Angaben des Klägers zu seiner Tätigkeit in der Fa. B. M. herangezogenen Erfahrungswerte für den Trockenbau (in einem Jahr 160 Tage mit 3,603 Nh, 60 Tage mit 3,734 Nh) ergibt sich eine Jahresdosis von 0,8 MNh, was - da nur anteilig für die Beschäftigungszeit im Januar anzusetzen - lediglich zu einer Erhöhung der Gesamtbelastungsdosis um 0,064 MNh führt, sodass der nach der neuesten Rechtsprechung des BSG (a.a.O.) erforderliche Wert von 12,5 MNh weiterhin deutlich unterschritten wird.
Nachdem bereits die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht erfüllt sind, waren weitere Ermittlungen auf medizinischem Fachgebiet nicht erforderlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Feststellung einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV; nachfolgend: BK 2108).
Der am 1959 geborene Kläger war von August 1977 bis Dezember 1979 bei der Firma C. F. GmbH als Kranfahrer, im Januar 1980 bei der Firma R. C. als Arbeiter im Trockenbau, im Februar 1980 bei der Firma B. M. als Maurer, von August 1982 bis September 1982 bei der Firma M. W. als Arbeiter im Kanalbau, von Januar 1986 bis März 1994 bei der Firma R. F. GmbH als Arbeiter in der Parkettfertigung, von Februar 1995 bis Juli 1995 bei der Firma H. H. GmbH & Co. KG als Lagerarbeiter, von November 1996 bis Dezember 1996 bei der Firma M. GmbH als Maurer und zuletzt von April 1999 bis 07.11.2001 bei der Firma K.-H. R. GmbH als Maurer beschäftigt. In der Zeit von März 1980 bis August 1982 und Oktober 1982 bis Mitte Januar 1986 hielt sich der Kläger in seinem Heimatland Italien auf und war dort in einem Lebensmittelgeschäft tätig. Von April 1994 bis März 1995, August 1995 bis November 1996 und Januar 1997 bis Mitte April 1999 war der Kläger arbeitslos. Seit 08.11.2001 ist der Kläger dauerhaft arbeitsunfähig.
Die beruflichen Belastungen des Klägers stellen sich wie folgt dar (eigene Angaben des Klägers anlässlich einer persönlichen Befragung durch den Technischen Aufsichtsdienst [TAD] vom 02.08.2007, Blatt 37 bis 40 der LSG-Akten): Bei seiner Tätigkeit als Kranfahrer bei der Firma C. F. GmbH fielen keine wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten an. Bei seiner Tätigkeit bei der Firma R. C. erstellte er Gipskartonwände und Decken inklusive Unterkonstruktion. Bei seiner Tätigkeit bei der Firma B. M. übte er Maurerarbeiten (Verarbeitung kleinformatiger Steine) aus. Bei seiner Tätigkeit bei der Firma M. W. hatte er mit der Schaufel die Sohlenplanie der zuvor von einem Bagger ausgehobenen Kanalgräben zu erstellten und musste die Grabenwände "putzen". Bei seiner Tätigkeit bei der Firma R. F. GmbH sägte er Rundholz mit einer Kettensäge und transportierte dieses anschließend mit einem Kran zur Weiterverarbeitung; gelegentlich hatte er Parkettrohlinge (ca. 50 cm x 10 cm. x 0,5 cm) in dafür vorgesehene Transportboxen zu stapeln. Bei seiner Tätigkeit bei der Firma H. H. GmbH & Co. KG führte er leere Kanister (ca. 30 Liter) einer Abfüllanlage zu und entnahm die gefüllten Kanister mit einer Transporthilfe. Bei seiner Tätigkeit bei der Firma M. GmbH verrichtete er Maurerarbeiten (Verarbeitung kleinformatiger Steine). Bei seiner Tätigkeit bei der Firma K.-H. R. GmbH (durchschnittliche Arbeitsschicht neun bis elf Stunden) war er zu ca. 60 % bei Umbauarbeiten eingesetzt, wobei Hilfsmittel wie Hebezeug oder Minibagger nur selten genutzt werden konnten. Der Kläger musste in diesem Zusammenhang sämtliches Material (u. a. Steine mit einem Gewicht von 34 kg) und Werkzeug von Hand transportieren und Aushubarbeiten von Hand ausführen. Im Übrigen wurde er im Kanalbau bei Hausanschlüssen, zu Verputz- und Maurerarbeiten (Verarbeitung kleinformatiger Steine) oder im Trockenbau eingesetzt. Während der Zeit des Aufenthalts in Italien übte der Kläger nach eigenen Angaben keine wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten aus.
Nachdem bei ihm eine mäßige Osteochondrose L4/L5 mit medialer Protrusion L4/L5 sowie eine Spondylose L5/S1 diagnostiziert worden war, beantragte der Kläger die Feststellung einer BK. Nach Einholung einer Stellungnahme des TAD und des staatlichen Gewerbearztes Dr. G. lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 07.08.2002 und Widerspruchsbescheid vom 14.03.2003 das Vorliegen einer BK 2108 mit der Begründung ab, es fehle an einer langjährigen Belastung.
Der Kläger hat am 14.04.2003 zum Sozialgericht Stuttgart Klage erhoben und geltend gemacht, er habe bei der Firma K.-H. R. GmbH schwer heben und tragen müssen, außerdem habe die Beklagte die Tätigkeit bei der Firma R. F. GmbH nicht berücksichtigt. Das Sozialgericht hat zu dem Verfahren ein weiteres Klageverfahren, in dem der Kläger die Feststellung eines Ereignisses vom 13.09.2001 (heftiger Schmerz im Rücken anlässlich einer Drehbewegung während der Arbeit beim Tragen schwerer Steine mit anschließendem Sturz auf einer Treppe) als Arbeitsunfall begehrt hat, verbunden und mit Gerichtsbescheid vom 17.01.2007 die Klagen abgewiesen.
Gegen den am 31.01.2007 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 22.02.2007 - ausschließlich beschränkt auf die Feststellung einer BK 2108 - Berufung eingelegt.
Der Kläger beantragt (sachdienlich gefasst),
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 17.01.2007 und den Bescheid der Beklagten vom 07.08.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.03.2003 aufzuheben und festzustellen, das beim ihm eine Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV vorliegt.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hat eine Stellungnahme des TAD nach persönlicher Anhörung des Klägers zu dessen beruflicher Belastung mit einer Berechnung nach dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell vorgelegt (Gesamtdosis 3,540 MNh; zur Berechnung im Einzelnen vgl. Blatt 34 bis 66 der LSG-Akten).
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143, 144, 151 SGG zulässige Berufung des Klägers, über die der Senat gemäß § 124 Abs. 2 SGG auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist nicht begründet. Die Voraussetzungen zur Anerkennung der Wirbelsäulenerkrankung des Klägers als BK 2108 liegen nicht vor.
Streitgegenständlich ist vorliegend der Bescheid vom 07.08.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.03.2003 und somit allein die Frage, ob die Voraussetzungen für die Feststellung einer BK 2108 gegeben sind. Nicht streitgegenständlich ist hingegen die vom Sozialgericht ebenfalls entschiedene Frage, ob das Ereignis vom 13.09.2001 als Arbeitsunfall zu bewerten ist. Denn der Kläger hat mit Schriftsatz vom 22.02.2007 ausdrücklich erklärt, dass die den Arbeitsunfall betreffende Klage nicht weiter verfolgt wird. Insoweit ist der angefochtene Gerichtsbescheid daher rechtskräftig geworden.
Da die Beklagte jedwede Entschädigung ablehnt, weil kein Versicherungsfall eingetreten sei, kann der Kläger eine Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG erheben. Dies hat der Kläger bei sinnentsprechender Auslegung seines Vorbringens (BSG, Urteil vom 07.09. 2004, B 2 U 45/03 R in SozR 4-2700 § 2 Nr. 2) auch getan. Dem auf Entschädigung gerichteten Teil des schriftsätzlich gestellten Antrages kommt bei dieser Sachlage keine eigenständige Bedeutung zu (BSG, a.a.O.).
Eine Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) i. V. m. Nr. 2108 der Anlage zur BKV ist eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen hat, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.
Für die Anerkennung und Entschädigung einer Erkrankung nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV müssen folgende Tatbestandsmerkmale gegeben sein: Bei dem Versicherten muss eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule vorliegen, die durch langjähriges berufsbedingtes Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige berufsbedingte Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung (so genannte arbeitstechnische Voraussetzungen) entstanden ist. Die Erkrankung muss den Zwang zur Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten herbeigeführt haben, und als Konsequenz aus diesem Zwang muss die Aufgabe dieser Tätigkeiten tatsächlich erfolgt sein.
Dabei müssen die anspruchsbegründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung und die als Folge geltend gemachte Gesundheitsstörung - hier also eine bandscheibenbedingte Erkrankung - erwiesen sein, d. h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können (vgl. u. a. BSG, Urteil vom 30.04.1985, 2 RU 43/84 in SozR 2200 § 555a Nr. 1). Hingegen genügt hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung (haftungsbegründende Kausalität) sowie der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung (haftungsausfüllende Kausalität) eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 30.04.1985, a.a.O.); das bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang sprechen muss, wobei dieser nicht schon dann wahrscheinlich ist, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist. (vgl. BSG, Urteil vom 02.11.1999, B 2 U 47/98 R in SozR 3-1300 § 48 Nr. 67; Urteil vom 02.05.2001, B 2 U 16/00 R in SozR 3-2200 § 551 Nr. 16). Kommen mehrere Ursachen in Betracht (konkurrierende Kausalität), so sind nur solche Ursachen als rechtserheblich anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.1988, 2/9b RU 28/87 in SozR 2200 § 548 Nr. 91). Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des jeweiligen Klägers (vgl. BSG, Urteil vom 27.06.1991, 2 RU 31/90 in SozR 3-2200 § 548 Nr. 11).
Der Kläger erfüllt nach derzeitigem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse und der Rechtsprechung bereits die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht.
Das so genannte und hier von der Beklagten der Beurteilung zu Grunde gelegte Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD) ist ein Verfahren zur Bewertung der beim Einzelnen auftretenden tatsächlichen Belastung im Hinblick auf die in der BK 2108 aufgeführten Kriterien (langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten bzw. langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung), also zur Beurteilung, ob die arbeitstechnischen Voraussetzungen vorliegen. Bei der Beurteilung der Belastung der genannten Berufsgruppen geht das MDD von einer erforderlichen Mindestexposition i. S. einer kritischen Dosis je Schicht für Frauen von 3500 Nh (= 3,5 kNh) und für Männer von 5500 Nh (= 5,5 kNh) bzw. für das gesamte Berufsleben von 17 Mega-Newton-Stunden (MNh) für Frauen bzw. 25 MNh für Männer aus.
Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 18. März 2003, B 2 U 13/02 R in SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 1) dient das MDD letztendlich der Konkretisierung der in der BK 2108 verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe. Es ist als Zusammenfassung wissenschaftlicher Erfahrungstatsachen ein geeignetes Modell, die kritische Belastungsdosis eines Versicherten zu ermitteln und in Beziehung zu seinem Erkrankungsrisiko zu setzen. Dabei ist zu beachten, dass die Schwellen- oder Dosiswerte des MDD keine festen Grenzwerte, sondern allenfalls Orientierungswerte sind, die eine Hilfe bei der Beurteilung des medizinischen Zusammenhangs zwischen versicherter Einwirkung und Erkrankung darstellen.
Nach der neuesten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 30.10.2007, B 2 U 4/06 R) ist derzeit trotz diverser Schwächen des MDD an diesem Berechnungsmodell in modifizierter Form als Grundlage für die Konkretisierung der im Text der BK 2108 zur Kennzeichnung der beruflichen Einwirkungen verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe festzuhalten, weil aktuell kein den wissenschaftlichen Erkenntnisstand besser abbildendes Alternativmodell zur Verfügung steht. Allerdings kann das Erreichen einer bestimmten Mindesttagesdosis, wie nach dem MDD gefordert, nach den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht mehr verlangt werden, sodass bei der Berechnung auch die Tage mit Tagesdosen, die unterhalb der Mindesttagesdosis liegen, zu berücksichtigen sind. Im Hinblick auf die bestehenden Unsicherheiten sind die Richtwerte des MDD für die Gesamtbelastungsdosis zu halbieren, so dass von einem langjährigen Heben und Tragen schwerer Lasten bzw. einer langjährigen Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung auszugehen ist, wenn mindestens 50 % des nach dem MDD ermittelten Wert für die Gesamtbelastungsdosis erreicht oder überschritten werden.
Nach den vorgelegten Berechnungen des TAD vom 02.08.2007 unterschreitet der Kläger die Hälfte des Richtwertes nach dem MDD (= 12,5 MNh) bei Weitem. Wirbelsäulenbelastende Tätigkeiten im Sinne der BK 2108 hatte der Kläger bei seiner Tätigkeit bei den Firmen R. C. , B. M. , M.W. , M. GmbH und K.-H. R. GmbH und damit noch nicht einmal drei Jahre lang auszuüben. Entgegen dem schriftsätzlichen Vortrag des Klägers in der Berufungsbegründung handelte es sich bei seiner Tätigkeit bei der Fa. R. F. GmbH nicht um eine wirbelsäulenbelastende Tätigkeit in Form von schwerem Heben und Tragen, da er nach seinen eigenen, konkreteren Angaben gegenüber dem TAD der Beklagten die zugesägten Rundhölzer nicht von Hand, sondern mit einem Kran transportierte. Der TAD hat unter Zugrundelegung der beruflichen Belastungen bei den o.a. Tätigkeiten eine Gesamtbelastungsdosis von 3,540 MNh ermittelt. Zwar hat der TAD bei seiner Berechnung für die Tätigkeit im Januar 1980 bei der Fa. B. M. (einen Monat) eine anteilige Jahresdosis nicht berücksichtigt, weil die Tagesdosen unterhalb der Mindesttagesdosis liegen. Eine relevante Erhöhung der Gesamtbelastungsdosis durch Einbeziehung dieser einmonatigen Tätigkeit ist indessen ausgeschlossen. Bei zusätzlicher Berücksichtigung der vom TAD nach den Angaben des Klägers zu seiner Tätigkeit in der Fa. B. M. herangezogenen Erfahrungswerte für den Trockenbau (in einem Jahr 160 Tage mit 3,603 Nh, 60 Tage mit 3,734 Nh) ergibt sich eine Jahresdosis von 0,8 MNh, was - da nur anteilig für die Beschäftigungszeit im Januar anzusetzen - lediglich zu einer Erhöhung der Gesamtbelastungsdosis um 0,064 MNh führt, sodass der nach der neuesten Rechtsprechung des BSG (a.a.O.) erforderliche Wert von 12,5 MNh weiterhin deutlich unterschritten wird.
Nachdem bereits die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht erfüllt sind, waren weitere Ermittlungen auf medizinischem Fachgebiet nicht erforderlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
Login
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