L 13 AS 380/08 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
13
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 12 AS 3958/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AS 380/08 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin zu 1 wird der Beschluss des Sozialgerichts Heilbronn vom 17. Dezember 2007 abgeändert. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin zu 1 vom 24. September 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. Oktober 2007 wird angeordnet, soweit durch den Bescheid die Bewilligung vom 8. August 2007 für die Zeit vom 1. September 2007 bis 31. Januar 2008 auch in Höhe von monatlich 192,20 EUR aufgehoben wurde.

Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Die Antragsgegnerin zu 1 hat der Antragstellerin 1/3 der außergerichtlichen Kosten im erstinstanzlichen Verfahren zu erstatten. Außergerichtliche Kosten im Beschwerdeverfahren sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde der Antragsgegnerin zu 1, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat, ist zulässig und sachlich begründet.

Die Antragstellerin, die am 30. November 2007 Klage erhoben hat, begehrt mit ihrem am 2. November 2007 gestellten Antrag einstweiligen Rechtsschutz hinsichtlich der Aufhebung der Leistungsbewilligung ab September 2007 durch Bescheid der Antragsgegnerin zu 1 vom 24. September 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. Oktober 2007. Mit diesem Bescheid hat die Antragsgegnerin zu 1 die Bewilligung von laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts mit Wirkung ab 1. September 2007 aufgehoben, nachdem der Antragstellerin zuvor mit bestandskräftigem Bescheid vom 7. August 2007 Arbeitslosengeld II (Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) ohne Kosten für Unterkunft und Heizung) in Höhe von 65,19 EUR für die Zeit vom 10. Juli bis zum 31. Juli 2007 und ab August 2007 bis Januar 2008 in Höhe von 277,00 EUR monatlich bewilligt worden war.

Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz ist auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG gerichtet. Danach kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Widerspruch und Klage haben vorliegend nach § 39 Nr. 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung. Es handelt sich um eine Entscheidung über Leistungen der Grundsicherung von Arbeitssuchenden im Sinn dieser Vorschrift, welche in die durch Verwaltungsakt zuerkannten Rechte eingreift (vgl. Senatsbeschluss vom 22. Januar 2007 - L 13 AS 4160/06 ER-B - in Juris). Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragstellerin ist aufgrund von § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG anhand einer Interessenabwägung zu beurteilen. Die öffentlichen Interessen am sofortigen Vollzug des Verwaltungsakts und die privaten Interessen an der Aussetzung der Vollziehung sind gegeneinander abzuwägen (Krodel, Der sozialgerichtliche Rechtsschutz in Anfechtungssachen, NZS 2001, 449, 453). Dabei ist zu beachten, dass das Gesetz mit dem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung in § 39 SGB II dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheids Vorrang vor dem Interesse des Betroffenen an einem Aufschub der Vollziehung einräumt. Diese typisierend zu Lasten des Einzelnen ausgestaltete Interessenabwägung kann aber im Einzelfall auch zu Gunsten des Betroffenen ausfallen. Die gegeneinander abzuwägenden Interessen ergeben sich in der Regel aus den Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens, dem Vollziehungsinteresse und der für die Dauer einer möglichen aufschiebenden Wirkung drohenden Rechtsbeeinträchtigung (Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 1. Aufl. 2005, Rn. 195).

Nach diesen Grundsätzen hat die Beschwerde der Antragsgegnerin zu 1 Erfolg, weil die in der Hauptsache angegriffene Entscheidung jedenfalls, soweit die Aufhebung der Anordnung der aufschiebenden Wirkung begehrt wird, rechtmäßig ist und dem Vollzugsinteresse gegenüber dem Interesse des Betroffenen an einem Aufschub der Vollziehung nach der gesetzlichen Wertung insoweit Vorrang zukommt und keine Gründe vorliegen, hiervon zugunsten der Antragstellerin abzuweichen. Die Antragsgegnerin zu 1 wendet sich mit ihrer Beschwerde im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gegen die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen die Aufhebungsentscheidung insoweit, als diese insgesamt und nicht nur hinsichtlich monatlicher Leistungen in Höhe von 192,20 EUR angeordnet worden ist. Die so begrenzte Beschwerde hat Erfolg. Denn die von der Antragstellerin erzielten Kaltmieteinnahmen in Höhe von 220 EUR monatlich sind als Einnahmen zu berücksichtigen und mindern die Höhe der von der Antragsgegnerin zu 1 zu gewährenden Regelleistung. Der Bescheid vom 24. September 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. Oktober 2007, der die Gewährung von Leistungen ab dem 1. September 2007 aufhebt, ist bei summarischer Prüfung jedenfalls teilweise rechtmäßig, da der Antragstellerin Leistungen höchstens in Höhe von 192,20 EUR zugestanden haben. Dies gilt unabhängig von dem Vortrag, dass ihr die vertraglich vereinbarte Miete in den Monaten September und Oktober 2007 lediglich in Höhe von monatlich 100,- EUR zugeflossen und im Übrigen mit einer Rückzahlungsverpflichtung aus einer Darlehensschuld gegenüber ihrem Mieter aufgerechnet worden sei. Denn bei dieser Aufrechnung handelt es sich nur um eine bestimmte Form der Einkommensverwendung. Hierdurch verliert der Mietzins nicht seinen Charakter als Einkommen. Der Einsatz von Einkommen zur Schuldentilgung darf im Rahmen der Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts - wie bereits zuvor nach den bis zum 31. Dezember 2004 anwendbaren Regelungen zur Arbeitslosenhilfe - grundsätzlich nicht zum Vorteil des Hilfesuchenden berücksichtigt werden.

Ob die Antragstellerin vor Aufhebung des Bewilligungsbescheids in ausreichender Weise angehört worden ist, bedarf keiner abschließenden Beurteilung, weil die Anhörung im Rahmen des Widerspruchsverfahrens als nachgeholt anzusehen ist. Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ist § 45 Abs. 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) i.V.m. § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Danach darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden (§ 45 Abs. 1 SGB X). Gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X ist eine Rücknahme ausgeschlossen, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Der Verwaltungsakt muss nach § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X i.V.m. dem über § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II anwendbaren § 330 Abs. 2 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

Diese Voraussetzungen liegen hier vor. An die Antragstellerin ist nach Erlass des Bewilligungsbescheids vom 7. August 2007 ab September 2007 eine Kaltmiete in Höhe von 220,- EUR geleistet worden, die zum teilweisen Wegfall ihres Anspruchs auf Arbeitslosengeld II (Alg II) bis zum Ablauf des Bewilligungszeitraums am 31. Januar 2008 geführt hat. Alg II gemäß § 19 Satz 1 SGB II erhält ein erwerbsfähiger Hilfebedürftiger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Hilfebedürftig ist gemäß § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln vor allem nicht aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann. Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II sind als Einkommen zu berücksichtigen alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der in Absatz 1 sowie in § 11 Abs. 3 SGB II und in § 1 der auf der Grundlage von § 13 SGB II ergangenen Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung Alg II-V 2004 - BGBl. I 2004, 2622 - in der bis zum 31. Dezember 2007 geltenden Fassung sowie Alg II-V 2007 BGBl. I 2007, 2942 - in der ab 1. Januar 2008 geltenden Fassung) genannten Leistungen und Zuwendungen.

Die Kaltmieteinkünfte in Höhe von 220,- EUR aus der Vermietung des Untergeschosses des im Eigentum der Antragstellerin stehenden, schuldenfreien Hauses sind grundsätzlich nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II als monatliches Einkommen zu berücksichtigen, da sie Einnahmen in Geld sind. Es gibt keine Rechtsgrundlage dafür, die Mieteinnahmen entgegen dieser Vorschrift nicht als Einkommen zu werten und auf die Kosten der Unterkunft anzurechnen. Eine Ausnahme von der Berücksichtigung von Geldeinnahmen als Einkommen und ihre Anrechnung auf die Kosten der Unterkunft und Heizung sieht ausschließlich § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II für bestimmte Rückerstattungen und Guthaben vor, aber nicht für laufende Mieteinnahmen aus der Vermietung von Teilen einer bisher allein genutzten Wohnung oder eines Hauses. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II, der u.a. die Senkung der Kosten der Unterkunft durch Vermietung vorsieht. Denn eine solche Senkung tritt bei der Vermietung von Teilen einer selbst genutzten Unterkunft bereits dadurch ein, dass sich die Größe der selbst genutzten Unterkunft durch Vermietung verkleinert und nur auf die so reduzierte weiterhin selbst genutzte Fläche entfallende Kosten zu berücksichtigen sind. Denn Kosten der Unterkunft sind nur die Kosten der selbst genutzten Unterkunft, zu der an Dritte vermietete Räume nicht gehören. Dementsprechend lässt es sich auch nicht rechtfertigen, auf die verbleibenden Kosten die Mieteinnahmen für den nicht mehr selbst genutzten Teil der Wohnung oder des Hauses anzurechnen. Diese sind vielmehr nicht zweckgebundenes Einkommen, bei dessen Berücksichtigung dem Leistungsempfänger die Regelung des § 11 Abs. 2 SGB II zugute zu kommen hat. Dies für die in § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II genannten Rückerstattungen und Guthaben auszuschließen, war u.a. das Ziel dieser Neuregelung, die, wie dargelegt, Mieteinnahmen nicht erfasst und sich auf diese auch nicht analog anwenden lässt, weil Mieteinnahmen als laufende Geldleistungen Dritter nicht mit den in der Regel aus Geldleistungen der kommunalen Träger "angesparten Guthaben" vergleichbar sind (vgl. BT-Drucks. 16/1696, 24).

Vom Einkommen sind gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB II Steuern abzusetzen. Allerdings ist hier davon auszugehen, dass die Summe der zu versteuernden Einkünfte der Antragstellerin in der maßgeblichen Zeit unterhalb des steuerlichen Grundfreibetrags von 7.664 EUR lag. Weitere hier grundsätzlich in Betracht kommende Abzugsbeträge nach § 11 Abs. 2 Nr. 3 bis 5 SGB II hat die nicht erwerbstätige Antragstellerin bisher nicht substantiiert geltend gemacht. Insbesondere ist, da es sich nicht um eine Untervermietung handelt, nicht ein auf die vermietete Fläche entfallender Mietkostenanteil, der, wie dargelegt, bei den Kosten der Unterkunft nicht zu berücksichtigten ist, als Aufwendung nach § 11 Abs. 2 Nr. 5 SGB II abzusetzen. Da das im Eigentum der Antragstellerin stehende Haus schuldenfrei ist, scheidet aber auch die anteilige Berücksichtigung von Zinsen aus. Sonstige Aufwendungen dürften, soweit sie auf den vermieteten Teil entfallen, durch die vom Mieter zu leistenden Abschlagszahlungen gedeckt werden. Die Antragsgegnerin zu 1 hat daher lediglich 35,20 EUR zugunsten der Antragstellerin im Rahmen der Beschwerdebegründung pauschal in Abzug gebracht, was bei summarischer Prüfung keinen Bedenken begegnet, solange keine höheren Beträge nachgewiesen werden. Weiterhin wurde zutreffend die Pauschale in Höhe von 30 EUR gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alg II-V 2004 abgesetzt. Danach war von der Regelleistung in Höhe von 347,- EUR ein Betrag in Höhe von 154,80 EUR abzuziehen. Damit war die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hinsichtlich der Monate September bis Dezember 2007 aber nur gerechtfertigt, soweit mit der angegriffenen Entscheidung die Leistung für diese Monate vollständig, auch soweit diese den Betrag in Höhe von 192,20 EUR nicht überschreiten, aufgehoben worden waren. Für Januar 2008 gilt das Gleiche, da sich weder an der Höhe der Regelleistung noch an der der Pauschale (vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 1 Alg-II-V 2007) etwas geändert hat.

Bei summarischer Prüfung ist auch davon auszugehen, dass die übrigen Voraussetzungen für die Rücknahme der Bewilligung von Alg II ab September 2007 und damit auch für die Vergangenheit insoweit vorlagen. Insbesondere kann sich die Antragstellerin nicht auf schutzwürdiges Vertrauen berufen. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X dann nicht berufen, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Grobe Fahrlässigkeit ist dahingehend zu verstehen, dass die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, wer schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss (vgl. Bundessozialgericht - BSG - BSGE 42, 184, 187 = SozR 4100 § 152 Nr. 3; BSGE 62, 32, 35 = SozR 4100 § 71 Nr. 2). Diese Voraussetzungen liegen hier insoweit vor, als die Antragstellerin in ihrem Antrag vom 10./11. Juli 2007 ihre Mieteinnahmen in Höhe von 220,- EUR nicht angegeben hat. Dem zum 20. Juli 2007 vorgelegten Mietvertrag ließ sich lediglich der von der Antragsgegnerin zu 1 berücksichtigte Mietzins in Höhe von 100,- EUR monatlich entnehmen. Die Fristen des § 45 Abs. 3 und 4 SGB X sind eingehalten.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (vgl. § 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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