L 17 U 376/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 15 U 167/99 ZVW
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 17 U 376/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 30.09.2003 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung und Entschädigung der Berufskrankheit (BK) Nr 2108 nach der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) streitig.

Der 1938 geborene Versicherte, der von Beruf selbstständiger Rundfunk- und Fernsehtechniker war, beantragte im April 1991 die Anerkennung seiner Lendenwirbelsäulen(LWS)-Erkrankung als BK, da er über 22 Jahre hinweg ca. 25 kg schwere Fernseher tragen musste. Der Techn. Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten sah die arbeitstechnischen Voraussetzungen für das Vorliegen einer BK nach Nr 2108 der Anlage zur BKV als erfüllt an. Nach Einholung von medizinischen Unterlagen, insbesondere eines Gutachtens nach Aktenlage des Chirurgen Prof. Dr.K. vom 30.07.1997, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 14.11.1997 die Gewährung von Entschädigungsleistungen wegen einer Wirbelsäulenerkrankung ab. Zur Begründung führte sie u.a. an, dass der Versicherte an ausgeprägten degenerativen Veränderungen der gesamten Wirbelsäule i.S. einer Spondylose des gesamten Achsensystems leide. Dies stelle einen schicksalhaften Krankheitsprozess dar (bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 26.01.1998).

Gegen diese Bescheide hat der Versicherte Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben, die mit Urteil vom 24.11.1998 abgewiesen wurde. Im anschließenden Berufungsverfahren wurde die Streitsache durch Urteil des Bayer. Landessozialgerichts vom 14.04.1999 wegen wesentlicher Verfahrensmängel aufgehoben und an das SG Nürnberg zurückverwiesen.

Auf Veranlassung des Versicherten hat der Dipl.Physiker D.M. am 12.03.2002 ein Gutachten über die Berechnung der Lebensarbeitszeitbelastung des Versicherten in Newtonsekunden vorgelegt. Anschließend hat Dr.J. am 21.06.2002 ein arbeitsmedizinisches Gutachten nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erstellt. Er ist von einer Berufserkrankung i.S. der BK Nr 2108 ausgegangen. Die MdE hat er mit 20 vH eingeschätzt. Die Beklagte hat dem mit Stellungnahme ihres Beratungsarztes, des Chirurgen Dr.S. , vom 04.09.2002 widersprochen.

Am 13.08.2002 ist der Versicherte verstorben. Den Rechtsstreit hat sein Sohn R. W. fortgesetzt.

Mit Urteil vom 30.09.2003 hat das SG die Klage abgewiesen. Es hat sich im Wesentlichen auf die Ausführungen des Prof. Dr.K. gestützt. Danach sprächen gegen einen beruflichen Zusammenhang die gleichartigen degenerativen Veränderungen in allen Wirbelsäulenabschnitten. Es müsse von einer anlagebedingten schicksalhaften Erkrankung ausgegangen werden. Die beruflichen Faktoren seien nicht als ursächlich, auch nicht i.S. einer richtunggebenden Verschlimmerung anzusehen.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt und vorgetragen, dass bei dem Versicherten eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS vorgelegen habe. Dies sei in dem Gutachten des Dr.J. zutreffend zum Ausdruck gekommen.

Die Beklagte hat hierzu unter Vorlage einer Stellungnahme ihres Beratungsarztes Dr.S. am 02.04.2005 Stellung genommen und darauf hingewiesen, dass zur objektiven Beurteilung der Bandscheiben der LWS ein CT bzw. KSP erforderlich gewesen wäre.

Nach Beiziehung der einschlägigen Röntgenaufnahmen hat der Senat ein Gutachten des Orthopäden Prof.Dr.S. vom 02.05.2006 eingeholt. Dieser hat auf objektivierte Gesundheitsstörungen im Bereich der Wirbelsäule in gleicher Ausprägung in HWS, BWS und LWS hingewiesen. Dies habe ein degeneratives Bandscheibenleiden dargestellt, das nicht mit Wahrscheinlichkeit durch die beruflichen Tätigkeiten des Versicherten verursacht worden sei.

Auf Veranlassung des Klägers hat der Senat ein weiteres Gutachten nach § 109 SGG von dem Orthopäden Dr.W. am 06.07.2007 eingeholt. Dieser hat ein degeneratives Bandscheibenleiden bestätigt i.S. der speziellen Form einer disseminierten idiopathischen Skeletthyperostose, sog. Morbus Forestier. Diese Erkrankung sei nicht durch die berufliche Tätigkeit des Versicherten verursacht worden.

Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils vom 30.09.2003 sowie des Bescheides vom 14.11.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26.01.1998 zu verurteilen, eine BK Nr 2108 der Anlage zur BKV anzuerkennen und Rente nach einer MdE von 20 vH ab frühestmöglichem Zeitpunkt bis zum Todesmonat des Versicherten zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 30.09.2003 zurückzuweisen.

Ergänzend wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung und Entschädigung einer BK nach § 9 Abs 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) i.V.m. Nr 2108 der Anlage zur BKV.

Nach § 9 Abs 1 SGB VII sind BKen die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als BK bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden. Zu den vom Verordnungsgeber bezeichneten BKen gehören nach der Nr 2108 auch "bandscheibenbedingte Erkrankungen der LWS durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können".

Die Feststellung der BK setzt also voraus, dass zum einen die arbeitstechnischen Voraussetzungen erfüllt sind, zum anderen das typische Krankheitsbild der BK vorliegt und diese i.S. der unfallrechtlichen Kausalitätslehre mit Wahrscheinlichkeit auf die wirbelsäulenbelastende berufliche Tätigkeit zurückzuführen ist (vgl. KassKomm -Ricke- § 9 SGB VII Rdnr 11; Brackmann/ Krasney, Handbuch der Sozialversicherung Band III -Stand 1997- § 9 SGB VII Rdnr 21 f). Schließlich muss die schädigende Tätigkeit aufgegeben sein. Die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs liegt vor, wenn nach vernünftiger Abwägung aller Umstände den für den Zusammenhang sprechenden Umständen ein deutliches Übergewicht zukommt, so dass darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann (vgl. u.a. BSG vom 18.11.1997, SGb 1999, 39). Eine Möglichkeit verdichtet sich zur Wahrscheinlichkeit, wenn nach geltender ärztlich-wissenschaftlicher Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden (Bereiter-Hahn/Mehrtens, Unfallversicherung, § 9 SGB VII, Anm 10.1 mwN). Die Beweislast dafür, dass die Erkrankung der Wirbelsäule durch die arbeitskraftbezogene Einwirkung verursacht worden ist, trägt der Kläger.

Ohne Zweifel erfüllte der Versicherte nach den Feststellungen des TAD der Beklagten die arbeitstechnischen Voraussetzungen zur Feststellung einer BK nach Nr 2108 der Anlage zur BKV. Er war über 22 Jahre hinweg mit dem Heben und Tragen von ca. 25 kg schweren Fernsehern beschäftigt. Damit war er weit über den erforderlichen Bewertungsrahmen hinaus Arbeitsbelastungen ausgesetzt, die nach dem MDD-Modell den Bewertungsrahmen erheblich überschreiten. Dies hat auch der Physiker M. in seinem Gutachten vom 12.03.2002 festgestellt und wird von der Beklagten nicht bestritten.

Trotz Vorliegens der arbeitstechnischen Voraussetzungen hat der Kläger aber keinen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente nach der BK Nr 2108, da es an der Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs zwischen der Erkrankung der LWS und der beruflichen Belastung fehlt. Nach den überzeugenden Feststellungen von Prof. Dr.S. und Dr.W. litt der Versicherte zwar an einer Erkrankung der Wirbelsäule. Es handelte sich dabei aber um ein degeneratives Bandscheibenleiden (Morbus Forestier), das in gleicher Ausprägung alle drei Wirbelsäulenabschnitte (HWS, BWS und LWS) betraf.

Auf den Röntgenaufnahmen vom 05.06.2002 zeigen sich eindeutig fortgeschrittene degenerative Veränderungen bei HWS, BWS und LWS. Die degenerativen Veränderungen sind für alle drei Wirbelsäulenabschnitte gleich ausgeprägt. Eine Dominanz degenerativer Veränderungen für die LWS findet sich nicht. Bereits dieser Befund spricht für eine unabhängig von berufsbedingten Belastungen vorhandene erhebliche anlagebedingte Prädisposition.

Auch das Verteilungsmuster im Bereich der LWS ist eindeutig. Grundsätzlich manifestieren sich belastungsbedingte Bandscheibenerkrankungen der LWS i.S. der BK Nr 2108 im Bereich des untersten und mechanisch am meisten belasteten Bewegungssegmentes zwischen 5.LWK und Kreuzbein. Aus den Röntgenaufnahmen von 2002 lässt sich aber gerade feststellen, dass für die Bewegungssegmente der LWS das unterste Bewegungssegment insgesamt am besten erhalten ist und den weitesten Zwischenwirbelraum zeigt. Reaktive knöcherne Veränderungen i.S. von Osteochondrosen und Spondylosen im Bewegungssegment zwischen 5.LWK und Kreuzbein sind dagegen deutlich geringer ausgeprägt als in den darüberliegenden Bewegungssegmenten.

Auf den Röntgenbildern für alle drei Wirbelsäulenabschnitte fällt auf, dass deutliche knöcherne Reaktionen i.S. einer Spondylose mit ausgeprägten Randanbauten bestehen. Dieser Befund entspricht einer sog. disseminierten idiopathischen Skeletthyperostose (Morbus Forestier). Hierbei handelt es sich um eine konstitutionell begründete Reaktionsweise, nämlich die überschießende knöcherne Metaplasie straffen, fibrösen Gewebes, also eine osteoplastische Diathese.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass radiologisch degenerative Veränderungen dokumentiert sind, sich aber keine Dominanz für das unterste freie Bewgungssegment ergibt. Auch finden sich keine Hinweise auf Verschlimmerungen. Diese Feststellungen entsprechen auch den sog. "Konsensusempfehlungen", die auf Initiative des HVBG erstellt worden sind. Dort wird ausgeführt, dass im Idealfall auch eine Kernspintomographie (KSP) der LWS vorliegen sollte, um damit das Vorliegen degenerativer Veränderungen im Bandscheibengewebe festzustellen. Eine KSP ist aber nicht erforderlich, da die vorhandenen Röntgendokumente bereits weit fortgeschrittene degenerative Veränderungen der Bandscheiben belegen.

Nicht folgen kann der Senat den Ausführungen des Dr.J. im Gutachten vom 21.06.2002. Ihm ist vor allem zu widersprechen, dass sich bei dem Versicherten dominierend für die LWS degenerative Bandscheibenveränderungen fänden. Diese sind vielmehr in allen drei Wirbelsäulenabschnitten gleichmäßig ausgeprägt. Der Gutachter geht nicht auf die Tatsache ein, dass sich in Bezug auf die LWS nicht die geringsten radiologischen Zeichen degenerativer Veränderungen für das normalerweise am meisten belastete untere freie Bewegungssegment zwischen 5.LWK und Kreuzbein finden. Das lumbosakrale Segment ist praktisch von einer degenerativen Veränderung ausgespart. Außerdem wertet er nicht die auffälligen radiologischen Befunde i.S. einer generalisierten Skeletthyperostose.

Nach Auffassung des Senats ist der Sachverhalt in medizinischer Hinsicht hinreichend aufgeklärt. Die Einholung weiterer Gutachten ist nicht erforderlich. Die Berufung war als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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