S 28 AS 261/08 ER

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
SG Lübeck (SHS)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
28
1. Instanz
SG Lübeck (SHS)
Aktenzeichen
S 28 AS 261/08 ER
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Der einem Zivildienstleistenden gezahlte Sold und das ihm gezahlte Verpfle-gungsgeld sind Leistungen, die der Sicherung des Lebensunterhalts des Zivil-dienstleistenden dienen. Sie sind daher keine zweckbestimmten Einnahmen im Sinne von § 11 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a) SGB II.

2. Das einem Zivildienstleistenden gezahlte Fahrgeld und das Kleidergeld sind zweckbestimmte Einnahmen im Sinne von § 11 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a) SGB II, das sie einem dienstlichen Zweck und nicht der Sicherung des Lebensunter-halts dienen.

3. Der Zivildienst nach dem Zivildienstgesetz ist keine Erwerbstätigkeit im Sin-ne von § 30 SGB II. Es ist daher kein Freibetrag nach § 30 SGB II zu berück-sichtigen.
1. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet dem Antragsteller vorläufig bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache unter dem Vorbehalt der Rückforderung Leistungen zu den Kosten der Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II zu zahlen, mit der Maßgabe das bisher angerechnete "Fahrgeld ZDL" in Höhe von 35,20 EUR und das "Kleidergeld ZDL" in Höhe von 35,40 EUR bei der Berechnung der Leistungen nicht anzurechnen. 2. Im Übrigen wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. 3. Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu drei Fünfteln.

Gründe:

I.

Mit seinem am 20. Februar 2008 bei dem Sozialgericht Lübeck gestellten Antrag wendet sich der Antragsteller gegen die Anrechnung seiner Zivildienstbezüge auf seine Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Der Antragsteller, der mit seinen Eltern und Geschwistern in einem Haushalt lebt, stand seit längerem bei der Antragsgegnerin im Leistungsbezug und leistet seit 1. Oktober 2007 seinen Zivildienst. Im Anschluss an den vorangegangenen Bewilligungszeitraum bewilligte die Antragsgegnerin der Bedarfsgemeinschaft mit Bescheid vom 15. Oktober 2007 für die Zeit vom 1. November 2007 bis zum 30. April 2008 Leistungen nach dem SGB II. Hierbei rechnete sie die Zivildienstbezüge des Antragstellers auf die ihm nach dem SGB II zustehenden Leistungen an. Hinsichtlich der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ergab sich kein Zahlbetrag mehr. Anstelle der bis zum 31. Oktober 2007 gewährten anteiligen Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 179,27 EUR gewährte sie nur noch 78,97 EUR. Die Höhe der Leistungen an die anderen Antragsteller wurde durch die Anrechnung des Zivildienstsoldes nicht berührt. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 18. Januar 2008 als unbegründet zurück.

Der Antragsteller beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,

die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten ihm vorläufig bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache Leistungen nach dem SGB II ohne Anrechnung seiner Zivildienstbezüge zu zahlen.

Die Antragsgegnerin beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen,

den Antrag abzulehnen.

II.

Der Antrag auf Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz ist zulässig. Er ist auch zum Teil begründet.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zu Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Antrag ist gemäß § 86 b Abs. 3 SGG schon vor Klagerhebung zulässig. Eine solche Regelungsanordnung im Sinne des § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG setzt das Vorliegen eines Anordnungsanspruches und eines Anordnungsgrundes voraus. Der Anordnungsanspruch bezieht sich auf den materiellen Anspruch, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird. Dazu findet eine Abschätzung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache statt, wobei grundsätzlich überwiegende Erfolgsaussichten in der Hauptsache bestehen müssen, damit ein Anordnungsanspruch vorliegt. Ein Anordnungsgrund liegt bei der Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung vor, wenn ein Abwarten auf eine Entscheidung in der Hauptsache nicht zuzumuten ist. An das Vorliegen eines Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit unbegründet, so ist wegen fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage, § 86 b Rn 27 ff.). Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu. In diesem Fall ist unter Berücksichtigung der Interessen des Antragstellers einerseits sowie der öffentlichen Interessen oder der Interessen anderer Personen andererseits zu prüfen, ob es dem Antragsteller zumutbar ist, die Hauptsacheentscheidung abzuwarten. Eine echte, auch für die Zukunft nicht mehr korrigierbare Vorwegnahme der Hauptsache durch Erlass einer einstweiligen Anordnung ist nur bei schweren und unzumutbaren Nachteilen im Fall des Nichterlasses der einstweiligen Anordnung zulässig (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer a. a. O. mit Nachweisen aus der Rechtsprechung). Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind vom Anspruchsteller glaubhaft zu machen.

Daran gemessen hat der Antragsteller jedenfalls hinsichtlich der Kosten für den Lebensunterhalt einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Der Antragsteller hat bereits dem Grunde nach keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, da er insoweit nicht Hilfebedürftig ist. Hilfebedürftig ist nach § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht 1. durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit, 2. aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Hier erhält der Antragsteller die erforderliche Hilfe bereits von anderen, da er als Zivildienstleistender im Rahmen des Zivildienstgesetzes unabhängig von Einkommen und Vermögen einen Anspruch auf umfassende Leistungen zur Sicherung seines Lebensunterhaltes hat. Dies wird auch daran deutlich, dass der Antragsteller mit seinem Anspruch auf einen Sold in Höhe von 222,30 EUR/mtl. und eine Verpflegungspauschale in Höhe von 131,30 EUR/mtl. insgesamt also 353,60 EUR/mtl. einen höheren Anspruch hat, als ihn die für das SGB II geltenden Regelsätze in Höhe von 347,00 bzw. 312,00 EUR vorsehen.

Demgegenüber hat er hinsichtlich der Kosten der Unterkunft und Heizung jedenfalls teilweise einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Der Antragsteller ist nach Anrechnung seines Einkommens teilweise bedürftig, da er insoweit keine Leistungen anderer Stellen erhält. Eine unentgeltliche dienstliche Unterbringung im Sinne von § 31 Zivildienstgesetz liegt nicht vor. Darüber hinaus hat der Antragsteller auch keinen Anspruch auf eine Mietbeihilfe aus § 7a Abs. 1 Unterhaltssicherungsgesetz, da er nicht allein stehend und nicht Mieter von Wohnraum ist.

Die Antragsgegnerin hat zu Recht den Zivildienstsold und das "Verpflegungsgeld ZDL" als anrechenbares Einkommen des Antragstellers bei der Berechnung der Leistungen für Unterkunft und Heizung zugrunde gelegt. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II sind als Einkommen zu berücksichtigen Einnahmen in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen nach diesem Buch, der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz und nach den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes vorsehen und der Renten oder Beihilfen, die nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schaden an Leben sowie an Körper oder Gesundheit erbracht werden, bis zur Höhe der vergleichbaren Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz. Bei dem Zivildienstsold und dem Verpflegungsentgelt ZDL handelt es sich um Einnahmen in Geld. Eine der genannten Ausnahmen liegt nicht vor.

Die Antragsgegnerin hat den Zivildienstsold und das Verpflegungsentgelt ZDL zutreffend auch erst nach Abzug des in Betracht kommenden Regelsatzes berücksichtigt, da dieser Betrag bereits zum Wegfall des Anspruches auf Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes geführt hat und ansonsten eine Doppelanrechnung erfolgt wäre.

Bei dem Zivildienstsold und dem Verpflegungsentgelt ZDL handelt es sich auch nicht um zweckbestimmte Leistungen, die nicht als Einkommen angerechnet werden dürfen. Nicht als Einkommen sind nach § 11 Abs. 3 SGB II zu berücksichtigen 1. Einnahmen, soweit sie als a) zweckbestimmte Einnahmen, b) Zuwendungen der freien Wohlfahrtspflege einem anderen Zweck als die Leistungen nach diesem Buch dienen und die Lage des Empfängers nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen nach diesem Buch nicht gerechtfertigt wären, 2. Entschädigungen, die wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, nach § 253 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs geleistet werden. Eine derartige andere Zweckbestimmung des Zivildienstsoldes und des Verpflegungsentgelts ZDL liegt nicht vor, da beide Leistungen ebenso wie die Leistungen nach § 20 SGB II der Sicherung des Lebensunterhaltes dienen.

Die Antragsgegnerin hat jedoch zu Unrecht auch das dem Antragsteller gewährte Fahrgeld ZDL in Höhe von 35,20 EUR und das Kleidergeld ZDL in Höhe von 35,40 EUR angerechnet. Hierbei handelt es sich um zweckbestimmte Leistungen im Sinne von § 11 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a) SGB II, die nicht als Einkommen angerechnet werden dürfen. Die Leistungen werden gewährt, damit der Antragsteller seine Dienststelle täglich erreichen und seinen Dienstpflichten nachkommen bzw. sich die erforderliche Arbeitskleidung beschaffen kann. Eine entsprechende Leistung ist in den Leistungen nach dem SGB II, hier insbesondere in dem Regelsatz, nicht enthalten. Es liegt insoweit auch ein Anordnungsgrund vor, da sowohl die Fahrtkosten des Antragstellers als auch die Kosten für die Arbeitsbekleidung aktuell ungedeckt sind und der Antragsteller auf die Leistungen dringend angewiesen ist. Eine Regelung ist unabweisbar erforderlich, damit der Antragsteller in die Lage versetzt wird, seine Dienststelle zu erreichen und sich mit der erforderlichen Arbeitskleidung zu versorgen.

Die Antragsgegnerin hat die anzurechnenden Zivildienstbezüge auch zu Recht nicht als Einkommen aus einer Erwerbstätigkeit angesehen und insoweit zu Recht hierfür keinen Freibetrag nach § 30 SGB II berücksichtigt. Bei erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die erwerbstätig sind, ist nach § 30 Satz 1 SGB II von dem monatlichen Einkommen aus Erwerbstätigkeit ein weiterer Betrag abzusetzen. Dieser beläuft sich 1. für den Teil des monatlichen Einkommens, das 100 Euro übersteigt und nicht mehr als 800 Euro beträgt, auf 20 vom Hundert und 2. für den Teil des monatlichen Einkommens, das 800 Euro übersteigt und nicht mehr als 1.200 Euro beträgt, auf 10 vom Hundert. Bei dem von dem Antragsteller geleisteten Zivildienst handelt es sich nicht um eine Erwerbstätigkeit. Bei dem Zivildienst handelt es sich nicht um eine auf Erwerb gerichtete Tätigkeit sondern um eine staatlich auferlegte Dienstpflicht nach Art. 12a Abs. 1 Grundgesetz (GG). Demgemäß erhält der Zivildienstleistende auch kein Arbeitsentgelt sondern einen Sold nebst weiteren zweckbestimmten Bezügen. Es kommt auch keine analoge Anwendung der Feibetragsregelung auf den Sold in Betracht. Ziel der Feibetragsregelung ist es, dem Hilfebedürftigen einen finanziellen Anreiz für die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zu schaffen (Klaus in juris-PK SGB II, 2. Aufl. 2007, § 30 Rn. 12). Ein derartiges Ziel kann für den Zivildienst als staatlich auferlegte Dienstpflicht nach Art. 12a Abs. 1 Grundgesetz (GG) nicht angenommen werden.

Die Kostenentscheidung folgt der Entscheidung in der Hauptsache und beruht auf der entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG. Hierbei hat das Gericht berücksichtigt, dass der Antragsteller hinsichtlich der Höhe der anzurechnenden Beträge zu knapp drei Fünfteln obsiegt hat.
Rechtskraft
Aus
Saved