L 15 V 10/07

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
15
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 11 V 18/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 V 10/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 13. April 2007 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der 1925 geborene Kläger ist schwerbeschädigt und gilt als erwerbsunfähig im Sinne von § 31 Abs.3 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Er begehrt die Bewilligung einer monatlichen Schwerstbeschädigtenzulage nach der Stufe II gemäß § 31 Abs.5 BVG in Verbindung mit der Verordnung zur Durchführung des § 31 Abs.5 des Bundesversorgungsgesetzes (DVO zu § 31 Abs.5 BVG).

Die Landesversicherungsanstalt Schwaben hat mit Bescheid vom 09.05.1949 die bei dem Kläger bestehende Schädigungsfolge "Verlust des rechten Oberschenkels" mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 70 v.H. bewertet. Aufgrund des Antrages vom 14.10.1953 sind mit Bescheid des Versorgungsamtes A. vom 15.03.1954 als zusätzliche Schädigungsfolgen "Einzelstecksplitter im rechten Ellenbogenbereich, unbedeutende arthrotische Veränderungen am linken Kniegelenk" bei gleichbleibender MdE festgestellt worden.

Aufgrund des Anerkenntnisses des Landesversorgungsamtes Bayern vom 26.03.1970 hat das Versorgungsamt A. mit Ausführungs-Bescheid vom 13.05.1970 wegen zwischenzeitlicher Leidensverschlimmerung die MdE ab 01.04.1967 auf 80 v.H. angehoben. Als Folgen einer Schädigung im Sinne des BVG sind nunmehr anerkannt worden: 1. Teilverlust des rechten Oberschenkels; 2. Einzelstecksplitter im rechten Ellenbogengelenk; 3. arthrotische Veränderungen im linken Kniegelenk.

Unter Berücksichtigung einer besonderen beruflichen Betroffenheit im Sinne von § 30 Abs.2 BVG (vorzeitige Pensionierung als Beamter) ist die MdE mit Bescheid vom 02.06.1976 ab 01.12.1974 auf 90 v.H. erhöht worden.

Aufgrund des Unfalles vom 26.11.1977 sind mit Bescheid des Versorgungsamtes A. vom 15.06.1978 Versorgungsleistungen nach einer MdE von 100 v.H. eingewiesen worden.

Mit Bescheid des Versorgungsamtes A. vom 01.08.1989 ist die MdE von 100 v.H. bestätigt worden. Als Schädigungsfolgen sind nunmehr berücksichtigt worden: "Teilverlust des rechten Oberschenkels, Einzelstecksplitter im rechten Ellenbogengelenk, erhebliche Arthrosis deformans im linken Kniegelenk, Beuge- und Streckbehinderung des linken Kniegelenks nach Kniescheibenbruch und Bruch der inneren Oberschenkelgelenkrolle mit leichter O-Bein-Stellung, geringgradige Lockerung des Knieaußenbandes und Arthrose beider Schultergelenke(mit Bewegungseinschränkung)". Bewilligt worden ist eine Schwerstbeschädigtenzulage nach der Stufe I.

Der Kläger hat am 29.06.2004 einen Neufeststellungsantrag eingereicht und mit Schreiben vom 16.11.2004 vorgetragen, aufgrund der Notwendigkeit Unterarmstockstützen zu benutzen, sei es zu weiteren Schädigungsfolgen im Bereich der Handgelenke und der Wirbelsäule gekommen. Sein Brustbein sei zusammengewachsen. Ziel seines Antrags sei das Erreichen einer höheren Schwerstbeschädigtenzulage.

Der Chirurg R. hat mit versorgungsärztlich-unfallchirurgischem Gutachten vom 02.06.2005 ausgeführt, dass bei einer Gesamtpunktzahl von 140 der DVO zu § 31 Abs.5 BVG die Schwerstbeschädigtenzulage nach der Stufe I unverändert zustehe. Entsprechendes gelte für die Pflegezulage nach der Stufe I sowie die Kleiderverschleißpauschale mit einer Bewertungszahl von 58. Dementsprechend ist der Antrag vom 29.06.2004 mit dem streitgegenständlichen Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung A. vom 01.07.2005 ablehnend verbeschieden worden.

Der hiergegen gerichtete Widerspruch vom 15.07.2005 ist mit Widerspruchsbescheid des Zentrums Bayern Familie und Soziales vom 24.11.2005 zurückgewiesen worden. Die MdE sei mit 100 v.H. bereits höchstmöglich bewertet. Eine Höherbewertung der Einzel-MdE-Grade für die bereits als Schädigungsfolgen anerkannten Beschwerden an beiden Schultergelenken könne nach versorgungsärztlicher Auffassung nicht erfolgen, so dass weiterhin die Schwerstbeschädigtenzulage nach der Stufe I zu gewähren sei. Die weiteren geltend gemachten Gesundheitsstörungen im Bereich der Wirbelsäule und des Brustbeines seien nicht auf die anerkannten Schädigungsfolgen im Sinne eines Überlastungschadens zurückzuführen.

Im Rahmen des sich anschließenden Klageverfahrens hat das Sozialgericht Augsburg nach Einholung weiterer ärztlicher Unterlagen mit Beweisanordnung vom 05.04.2006 Prof.Dr.R. gemäß § 106 Abs.3 Nr.5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zum ärztlichen Sachverständigen bestellt. Dieser ist mit orthopädisch-unfallchirurgischem Gutachten vom 16.08.2006 zu dem Ergebnis gekommen, dass die vorliegenden Wirbelsäulenveränderungen und Beschwerden keine Schädigungsfolgen seien. Eine Zunahme der Beschwerden in den Schultergelenken in den vergangen Jahren sei nicht auszuschließen. Bei fast freier Beweglichkeit seien diese jedoch bei einer MdE von 30 v.H. gesamt, d.h. rechts und links, ausreichend und gerecht erfasst. Die Beschwerden am Brustbein seien glaubhaft und Folge der hier notwendig gewordenen Durchtrennung dieses Knochens. Sie stünden jedoch in keinem Zusammenhang mit der Schädigung und könnten somit nicht als Schädigungsfolgen anerkannt werden.

Dr.R. hat mit ärztlichem Attest vom 16.10.2006 u.a. auf das Vorliegen eines degenerativen Wirbelsäulensyndroms bei fortgeschrittener Osteochondrose L5/S1 und ausgeprägter Spondylosis deformans bei Spondylosis hyperostotica und Osteoporose hingewiesen. Um Stellungnahme gebeten hat Prof.Dr.R. mit ergänzendem Gutachten vom 13.11.2006 ausgeführt, er schließe sich der Beurteilung von Dr.R. an, dass eine nunmehr festgestellte Osteoporose durch die schädigungsbedingte Immobilität mitverursacht worden sei. Der schädigungsbedingte Anteil sei mit einer MdE um 10 v.H. zu berücksichtigen. Dementsprechend hat das Sozialgericht Augsburg mit Urteil vom 13.04.2007 - S 11 V 18/05 - den Beklagten verurteilt, als weitere Schädigungsfolge eine "Osteoporose der Wirbelsäule" festzustellen und hat die Klage im Übrigen abgewiesen.

Die Berufung vom 11.06.2007 ging am 12.06.2007 beim Sozialgericht Augsburg ein. Zur Begründung hob der Kläger hervor, es ergäbe sich folgende SBZ-Berechnung: Teilverlust rechter Oberschenkel MdE 80 v.H. 80 Punkte SF am linken Knie MdE 50 v.H. 50 Punkte SF Nr.2 und Nr.6 siehe 2. MdE 30 v.H. 15 Punkte Erhöhung nach § 3 Abs.1 2. Halbsatz (Gebrauchts- unfähigkeit beider Füße) 20 Punkte

Gesamtpunktzahl 165 Punkte Gemäß § 5 DVO zu § 31 Abs.5 BVG ergäbe sich bei einer Punktzahl von 165 die SBZ-Stufe II. Da diese Berechnung bereits 1991 so hätte erfolgen müssen, werde die höhere SBz ab 01.01.1979 beantragt.

Von Seiten des Bayer. Landessozialgericht wurden die Versorgungs- und Schwerbehinderten-Akten des Beklagten sowie die erstinstanzlichen Unterlagen und die weitere Streitakte L 15 V 18/98 beigezogen. Nach Überprüfung machte das BayLSG die Beteiligten mit Nachricht vom 30.07.2007 darauf aufmerksam, dass aus hiesiger Sicht der Rechtsstreit entscheidungsreif sei, da nur noch die rechtliche Einordnung der Einzel-MdE-Werte nach § 31 Abs.5 BVG und der hierzu ergangenen DVO streitig sei. Der Kläger legte nochmals dar, dass aus seiner Sicht eine Gesamtpunktzahl von 165 erreicht werde, welche einer Schwerstbeschädigtenzulage nach der Stufe II entspräche.

In der mündlichen Verhandlung vom 13.11.2007 hebt der Kläger hervor, dass er sich seit dem letzten Unfall vom Januar 2005 auch zu Hause nur noch mittels Rollstuhl fortbewegen kann.

Der Kläger stellt den Antrag, das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 13.04.2007 insoweit aufzuheben, als die Klage abgewiesen wurde, und den Bescheid des Beklagten vom 01.07.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.11.2005 dahingehend abzuändern, dass dem Kläger eine Schwerstbeschädigtenzulage nach der Stufe II mit Wirkung ab 01.01.1979 zu gewähren ist.

Die Bevollmächtigte des Beklagten beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 13.04.2007 als unbegründet zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird gemäß § 202 SGG in Verbindung mit § 540 der Zivilprozessordnung (ZPO) sowie entsprechend § 136 Abs.2 SGG auf die Unterlagen des Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 143, 144 und 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig, jedoch unbegründet. Das Sozialgerichts Augsburg hat die Klage des Klägers mit dem angefochtenen Urteil vom 13.04.2007 zu Recht abgewiesen.

Die mit Bescheid des Versorgungsamtes A. vom 01.08.1989 anerkannten Schädigungsfolgen, die mit Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 13.04.2007 erweitert worden sind und insgesamt eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 100 v.H. bedingen, schlüsseln sich wie folgt auf:

1. Teilverlust des rechten Oberschenkels MdE 80 v.H. 2. Einzelstecksplitter im rechten Ellenbogengelenk MdE 10 v.H. 3. erhebliche Arthrosis deformans am linken Kniegelenk MdE 50 v.H. 4. Beuge- und Steckbehinderung des linken Knie- gelenks nach Kniescheibenbruch und Bruch der inneren Oberschenkelgelenkrolle mit leichter O-Bein-Stellung 5. geringgradige Lockerung des Knieaußenbandes 6. Arthrose beider Schultergelenke (mit Bewegungseinschränkung) MdE linker Arm 15 v.H. MdE rechter Arm 20 v.H. 7. Osteoporose der Wirbelsäule MdE 10 v.H.

Der Teilverlust des rechten Oberschenkels ist hier nicht mit einer MdE um 70 v.H., sondern mit einer MdE um 80 v.H. in Ansatz zu bringen. Ausweislich des versorgungsärztlich-unfallchirurgischen Gutachtens des Chirurgen R. vom 02.06.2005 klagt der Kläger über zunehmende Stumpf- und Phantomschmerzen, ein Stumpfschlagen sowie eine Prothesenuntüchtigkeit des Oberschenkelstumpfes. R. hat eine endgradige Beweglichkeitseinschränkung des rechten Hüftgelenks einbezogen. Zudem hat der Kläger im Januar 2006 (so das Gutachten Prof.Dr.R.) bzw. im Januar 2005 (so die Angaben des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung) einen weiteren Unfall erlitten. Ausweislich des Gutachtens von Prof.Dr.R. vom 16.08.2006 ist die erlittene distale Oberschenkelfraktur durch eine Winkelplatte versorgt und erscheint knöchern fest verheilt.

Hiervon ausgehend ergibt sich eine Gesamtpunktzahl von 140 nach § 5 Abs.1 DVO zu § 31 Abs.5 BVG. Denn entgegen der Auffassung des Klägers dürfen die Schädigungsfolgen im Bereich beider Schultergelenke nicht vorab mit einer Gesamt-MdE zusammengefasst von 30 v.H. bewertet werden. § 2 Abs.1 und 2 der DVO zu § 31 Abs.5 BVG sehen vielmehr einen separaten Ansatz mit einer Einzel-MdE um 15 v.H. bzw. 20 v.H. vor. Dementsprechend bleiben diese Schädigungsfolgen gemäß § 2 Abs.4 Satz 2 der DVO zu § 31 Abs.5 BVG außer Betracht.

Dies ist dem erstinstanzlichen Gutachter Prof.Dr.R. mit Gutachten vom 16.08.2006 offensichtlich nicht bewusst gewesen, wenn er die Schädigungsfolgen im Bereich beider Schultergelenke mit einer MdE von 30 v.H. zusammengefasst bewertet hat. Das Sozialgericht Augsburg hat mit Urteil vom 13.04.2007 völlig zutreffend die gemäß § 2 Abs.1 und 2 der DVO zu § 31 Abs.5 BVG erforderliche Aufsplittung der Schädigungsfolgen im Bereich beider Schultergelenke wieder vorgenommen und insoweit keine Punkte in Ansatz gebracht.

Auch die Zusammenschau der Arthrose des rechten Schultergelenks (mit Bewegungseinschränkung) und des Einzelstecksplitters im rechten Ellenbogengelenk ergibt insoweit keine höhere MdE als 20 v.H., denn der Einzelstecksplitter im rechten Ellenbogengelenk verursacht keine Funktionsstörung oder -beeinträchtigung. Es besteht lediglich eine zarte, längsverlaufende Narbe (vgl. S.7 des Gutachtens von R. vom 02.06.2005).

Unstreitig ist zwischen den Parteien, dass die Schädigungsfolgen im Bereich des linken Beines mit einer MdE von 50 v.H. und die Schädigungsfolgen im Bereich des rechten Beines mit einer MdE um 80 v.H. zu berücksichtigen sind. Es ergibt sich somit eine Zwischensumme von 130 Punkten.

Auch wenn das rechte Bein fehlt, ist das linke Bein schädigungsbedingt bis zum Unfall im Januar 2005 bzw. 2006 nicht gebrauchsunfähig gewesen. Ausweislich seines eigenen Vorbringens mit Schriftsatz vom 16.11.2004 hat sich der Kläger damals noch unter erheblichen Mühen mit Unterarmstockstützen fortbewegen können. Gemäß § 3 Abs.1 Nr.1 der DVO zu § 31 Abs.5 BVG findet daher nur eine Erhöhung um 10 Punkte (und nicht um 20 Punkte) in der Vergangenheit statt. Zusammenfassend haben daher sowohl der Beklagte als auch das Sozialgericht Augsburg mit Urteil vom 13.04.2007 zutreffend nur eine Gesamt-Punktzahl von 140 Punkten einschließlich des Zeitraumes Dezember 2004 zugrunde gelegt.

Erst seit dem letzten Unfall vom Januar 2005 oder 2006 kann sich der Kläger auch zu Hause nur noch mittels Rollstuhl fortbewegen (vgl. auch Gutachten von Prof.Dr.R. vom 16.08.2006 und die dort beschriebene Zunahme der Arthrose auch des linken Kniegelenkes bei äußerlich sichtbarer Deformierung). Dies bedingt nunmehr eine Gebrauchsunfähigkeit im Sinne von § 3 Abs.1 Nr.3 der DVO zu § 31 Abs.5 BVG. Bei einer Erhöhung um 20 Punkte ab Januar 2005 bzw. 2006 ergibt sich nunmehr eine Gesamt-Punktzahl von 150 Punkten. Beides (140 Punkte bzw. 150 Punkte) ergibt unverändert gemäß § 5 Abs.1 der DVO zu § 31 Abs.5 BVG eine Schwerstbeschädigtenzulage der Stufe I.

Nach alledem ist die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 13.04.2007 als unbegründet zurückzuweisen, ohne dass es im Hinblick auf die geltend gemachte Nachzahlung einer höheren Schwerbeschädigtenzulage als nach der Stufe I mit Wirkung ab 01.01.1979 unter Verjährungsgesichtspunkten im Sinne von § 44 Abs.4 des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren (SGB X) ankommt.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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