S 35 AS 1065/06

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
35
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 35 AS 1065/06
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Wird ALG II weiter gezahlt, obwohl die Leistung durch (bestandskräftigen)
Bescheid aufgehoben wurde, richtet sich die Rechtmäßigkeit der
Erstattungsforderung nach § 50 Abs. 2 SGB X.
2. Der Leistungsempfänger von Sozialleistungen hat, auch wenn er seinen
Mitteilungspflichten nachgekommen ist, fehlerhaft gezahlte Leistungen
zurückzuerstatten, wenn er die Fehlerhaftigkeit der Zahlung erkennen konnte.
3. Zum Erlass nach § 44 SGB II.
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Erstattung überzahlter Leistungen der Grundsicherung streitig.

Der 1975 geborene erwerbsfähige Kläger hat bis zum 31.12.2004 Arbeitslosenhilfe bezogen. Er beantragte am 26.10.2004 die Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II und gab im Antrag an, dass er als Abiturient (11. Klasse) das Abendgymnasium besuche. Die Beklagte bewilligte dem Kläger Leistungen mit Bescheid vom 24.11.2004 ab 1.1.2005 bis 31.5.2005 in Höhe von monatlich 489,64 EUR (BG Nr. 07402BG0013627). Dabei setzte sich die Leistung zusammen aus der Regelleistung in Höhe von 331,00 EUR und den Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 158,64 EUR. Am 30.11.2004 ging bei der Beklagten eine Veränderungsmitteilung des Klägers vom gleichen Tag ein. Darin gibt der Kläger an, dass er ab 1.1.2005 Schüler bei dem Abendgymnasium R. R. sei. Auf der Veränderungsmitteilung befindet sich ferner ein Vermerk, wonach der Kläger einen Ablehnungsbescheid benötige.

Mit Bescheid vom 7.12.2004 wurde die Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts mit Wirkung vom 1.1.2005 aufgehoben. Als Grund gab die Beklagte an: "Eigene Abmeldung" und bezog sich dabei auf § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X i.V.m. § 40 Abs. 1 SGB II und § 330 Abs. 3 SGB III. Die Beklagte zahlte gleichwohl für die Monate Januar bis März 2005 die Leistungen in Höhe von jeweils 489,64 EUR aus und erließ den Erstattungsbescheid vom 26.4.2005. Dem Kläger seien Leistungen in Höhe von 1.468,92 EUR zu Unrecht gezahlt worden. Es ergebe sich eine Gesamtforderung in dieser Höhe, die vom Kläger zu erstatten sei (§ 50 Abs. 1 SGB X).

Mit Antrag vom 26.1.2006 forderte der Kläger, den Rückforderungsbescheid vom 26.4.2005 insoweit aufzuheben, als dort Leistungen für die Unterkunft von mehr als 44 % der ausbezahlten Leistungen zurückgefordert werden. Zur Begründung verweist er auf § 40 Abs. 2 SGB II. Mit weiterem Antrag auf Rücknahme vom 30.1.2006 beantragte der Kläger, den Rückforderungsbescheid vom 26.4.2005 gänzlich aufzuheben. Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X lägen nicht vor, da keine wesentliche Änderung im Vergleich zur Sach- und Rechtslage bei Erlass des Bescheides vorgelegen habe.

Mit Bescheid vom 10.2.2006 änderte die Beklagte ihren Bescheid vom 26.4.2005 dahingehend, dass nunmehr ein Gesamtbetrag von 1.216,92 EUR zurückgefordert wird. Von den Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 475,91 EUR wurden nur 223,92 EUR zurückgefordert. Bereits getilgt seien 240,00 EUR, sodass eine Restforderung von 976,92 EUR bestehe.

Hiergegen hat der Kläger mit Schreiben vom 21.2.2006 Widerspruch eingelegt und zur Begründung vorgetragen, die ausbezahlten Leistungen seien ohne Bewilligungsbescheid erbracht worden. Somit richte sich die Erstattungspflicht nach § 50 Abs. 2 SGB X. Es fehle die nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X erforderliche Änderung in den rechtlichen oder tatsächlichen Verhältnissen. Die Beklagte hat den Widerspruch zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 2.6.2006). Zur Begründung führte sie aus, aufgrund des Überprüfungsantrags sei lediglich die Rückzahlungssumme reduziert worden, folglich könne nur die Rückforderungssumme angegriffen werden. Die Rückforderung erfolge nach § 50 Abs. 2 SGB X. Dieser verweise auf die §§ 45 und 48 SGB X. Anwendbar sei vorliegend § 45 SGB X. Der Kläger habe die Höhe der Summe, die zu leisten gewesen wäre, gekannt. Er habe den Aufhebungsbescheid gekannt und daher gewusst, dass Leistungen seitens der ARGE ihm nicht mehr zustanden. Er selber habe sich nicht auf ein schützenswertes Vertrauen berufen. Auch § 48 Abs. 1 Satz 2 Ziff. 4 SGB X lasse eine Änderung für die Vergangenheit zu. Die Beklagte erläuterte ferner die Höhe der Rückzahlungssumme.

Mit der hiergegen am 4.7.2006 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Rechtsbegehren weiter. Die Überweisungen seien ohne Bewilligungsbescheid erfolgt, sodass § 50 Abs. 2 SGB X einschlägig sei. Es fehle bereits am Merkmal "zu Unrecht erbrachte" Leistungen. Der Kläger habe Anspruch auf die Leistungen gehabt. Durch den Besuch der Abendschule sei er nicht nach § 7 Abs. 5 SGB II vom Kreis der nach dem SGB II Berechtigten ausgeschlossen. So sei der Besuch der Abendschule nicht dem Grunde nach förderfähig nach BAföG. Die Erstattung nach § 50 Abs. 2 SGB X setze voraus, das ein die Leistung gewäh-render Verwaltungsakt nach § 45 SGB X aufgehoben werden könnte. Bei dem Kläger habe ein schutzwürdiges Vertrauen bestanden. Er habe weder die Rechtswidrigkeit der Überweisungen gekannt, noch hätte er sie kennen müssen. Die Klage bezieht sich ausdrücklich auf den Bescheid vom 26.4.2005. Zwar sei der ursprüngliche Vertrauensschutz durch den Aufhebungsbescheid vom 7.12.2004 beseitigt worden. Durch die Auszahlungen sei ein neuer Vertrauenstatbestand geschaffen worden. Unredliches Verhalten könne dem Kläger nicht unterstellt werden. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 24.1.2008 hat der Kläger auf die Frage, warum er die Änderungsmitteilung eingereicht hat, mitgeteilt, er habe einen Zusagebescheid bekommen, dass er BAföG erhalte und sei deshalb verpflichtet gewesen, dies der ARGE mitzuteilen. Bei den 489,00 EUR, die auf seinem Konto eingingen, habe er gedacht, dass ist so eine Art Übergangsphase. Er habe das auch schon von anderen gehört, die parallel BAföG und Leistungen von der ARGE bekommen haben. Der Kläger hatte mit der Regionaldirektion eine Ratenzahlung vereinbart und über mehrere Monate 30,00 EUR abbezahlt. Zu seinem beruflichen Werdegang hat der Kläger angegeben, er habe Anfang der 90er Jahre Maurer gelernt, Zivildienst gemacht, war auch mal in einer ABM. Er habe eine zweijährige Ausbildung zum Heilerziehungspfleger – ohne Abschluss - absolviert. Das Abendgymnasium habe er bereits vor dem 1.1.2005 besucht, allerdings es erst nach 1 ½ Jahren, also ab 1.1.2005, BAföG erhalten. Weiter bezieht sich der Kläger auf die Entscheidung des BSG vom 8.2.2001 (Az.: B 11 AL 21/00 R). Der Kläger reicht Kontoauszüge über den Zeitraum Januar bis einschließlich März 2005 ein. Ferner wird ein BAföG-Bescheid vom 4.4.2005 vorgelegt, wonach dem Kläger BAföG in der Zeit vom 1.1.2005 bis 31.7.2005 in Höhe von monatlich 525,00 EUR bewilligt wurde.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 10.2.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2.6.2006 zu verpflichten, den Erstattungsbescheid vom 26.4.2005 gänzlich aufzuheben, hilfsweise die Beklagte zu verurteilen, den Anspruch nach § 44 SGB II zu erlassen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Kläger habe sich selbst aus dem Leistungsbezug abgemeldet und um einen Ablehnungsbescheid gebeten. Die ohne Rechtsgrund gezahlten Leistungen seien berechtigterweise zurückgefordert worden. Der vorgelegte BAföG-Bescheid beweise, dass die Ausbildung ab dem 1.1.2005 förderfähig war. Ein schützenswertes Vertrauen darauf, dass der Kläger die SGB II-Leistungen behalten könne, habe er nicht gehabt. Die Beklagte stellt klar, dass mit dem Bescheid vom 10.2.2006 auch über den Antrag nach § 44 SGB X vom 30.1.2006 entschieden wurde.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die beigezogene Verwal-tungsakte sowie die Gerichtsakte, die Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist im Haupt- und Hilfsantrag unbegründet. Der angefochtene Über-prüfungsbescheid vom 10.2.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2.6.2006 verletzt den Kläger nicht rechtswidrig in seinen Rechten im Sinne von § 54 Abs. 2 Sozial-gerichtsgesetz (SGG). Der Erstattungsbescheid vom 26.4.2005 stellt sich, nach dem die Beklagte im Bescheid vom 10.2.2006 die zu erstattende Summe auf 1.216,92 EUR begrenzt hat, nicht als rechtswidrig dar. Der Bescheid vom 10.2.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2.6.2006, der die weitergehende Rücknahme des Erstattungsbescheides vom 26.4.2005 ablehnt, erweist sich nicht als rechtswidrig. Die Beklagte war nicht verpflichtet, die Erstattungsforderung gänzlich nach § 44 SGB X zurückzunehmen.

Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen (§ 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Es handelt sich bei dem streitigen Erstattungsbescheid vom 26.04.2005 um einen nicht begünstigenden Verwaltungsakt in diesem Sinne. Er erweist sich, in der Fassung des Bescheides vom 10.2.2006, aber nicht als unrichtig.

Rechtsgrundlage für die Erstattungsforderung ist § 50 Abs. 2 SGB X. Danach sind, soweit Leistungen ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden, diese zu erstatten (§ 50 Abs. 2 Satz 1 SGB X). Die §§ 45 und 48 SGB X gelten entsprechend (§ 50 Abs. 2 Satz 2 SGB X). Die Tatbestandsvoraussetzungen liegen hier vor. Ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht ist eine Leistung immer dann, wenn sie weder formell auf einer ausgesprochenen Bewilligung noch materiell auf einem gesetzlichen Anspruch des Empfängers beruht. Ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht ist hiernach z.B. eine Sozialleistung, die trotz rechtmäßiger Aufhebung der Bewilligung weitergezahlt worden ist (vgl. BSG vom 9.9.1986 11a RA 2/85 = BSGE 60, 239 = SozR 1300 § 45 Nr 26).

So liegt der Fall auch hier. Indem die Beklagte dem Kläger für die Monate Januar bis März 2005 Arbeitslosengeld II in Höhe von monatlich 489,64 EUR ausbezahlt hat, wurde eine Sozialleistung ohne zugrunde liegenden Verwaltungsakt erbracht, da der bewilligende Bescheid mit Bescheid vom 7.12.2004 - bestandskräftig - aufgehoben war. Der Kläger hatte in diesem Zeitpunkt auch keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld II. Ihm stand BAföG dem Grunde nach zu (vgl. § 7 Abs. 5 SGB II). Es wurde auch tatsächlich, in Höhe von monatlich 525,00 EUR ausbezahlt, sodass keine Hilfebedürftigkeit im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. § 9 SGB II vorlag. Die Ausführungen des Klägers, wonach er Anspruch auf Leistungen gehabt habe, sind somit unverständlich und gehen ins Leere.

Allein aufgrund der Tatsache, dass der Kläger Leistungen zu Unrecht ohne Verwaltungsakt erhielt, ergibt sich indes noch kein Erstattungsanspruch. Das folgt aus § 50 Abs. 2 Satz 2 SGB X, wonach die §§ 45, 48 SGB X entsprechend gelten. Hiernach ist der Erstattungsanspruch im wesentlichen von den gleichen Voraussetzungen wie die Rücknahme eines schon bei Erlass rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes abhängig (vgl. BSGE 55, 250, 251 f = SozR 1300 § 50 Nr. 3; SozR 1300 § 45 Nr. 12), und zwar soweit dort die Rücknahme für die Vergangenheit geregelt ist; denn bei der Erstattung nach § 50 Abs.2 SGB X handelt es sich ausschließlich um bereits erbrachte Leistungen (BSGE 60, 239, 240 = SozR 1300 § 45 Nr. 26). Ein Erstattungsanspruch besteht daher nur in den, den Tatbe-ständen von § 45 Abs. 2 Satz 3 und Abs. 3 Satz 2 SGB X entsprechenden Fällen (§ 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X) und muss von der Behörde entsprechend § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen geltend gemacht werden, "welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen" (vgl. BSGE 60, 239, 240 = SozR 1300 § 45 Nr. 26; SozR 1300 § 45 Nr. 44).

Die Voraussetzungen sind erfüllt. Insbesondere erging der Erstattungsbescheid vom 26.4.2005 innerhalb der Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X. Zwar hat der Kläger die Leistungen, wie er vorgetragen hat, verbraucht. Auf den Vertrauensschutztatbestand des § 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X kann er sich gleichwohl nicht berufen. Nach § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X kann sich der Begünstigte auf Vertrauen nicht berufen, soweit er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt danach vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt im besonders schweren Maße verletzt hat. Dies ist dann der Fall, wenn er einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt und daher nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (vgl. u.a. BSG, Urteil vom 8. Februar 2001 -B 11 AL 21/00 R - in SozR 3-1300 § 45 Nr. 45 m.w.N.).

Das Maß der Fahrlässigkeit ist nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Begünstigten sowie der besonderen Umstände des Falles zu beurteilen. Voraussetzung für die Erstattung ist somit, dass die Fehlerhaftigkeit der Zahlung von Alg II für den Kläger unter Berücksichtigung seines Einsichtsvermögens, seiner Schul- und Berufsbildung ohne weiteres erkennbar war. Dies ist nach Auffassung der Kammer der Fall. Der Kläger hat mit Vorlage der Veränderungsmitteilung und dem Hinweis, dass er einen Ablehnungsbescheid benötige, Kenntnis von der Tatsache, dass der gleichzeitige Bezug von BaföG und Alg II zumindest mitteilungspflichtig ist. Ihm war, wie er in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat, auch bekannt, dass die Zusage von BaföG sich auf die Leistungsbewilligung von Alg II auswirken kann. Der Kläger hatte einen - bestandskräftigen - Aufhebungsbescheid erhalten. Danach wird die Bewilligung der Leistung ab 1.1.2005 vollständig aufgehoben. Der Wortlaut dieses Bescheides ist auch für den nicht akademisch gebildeten Kläger so eindeutig, dass er nicht darauf vertrauen konnte, dass ihm gleichwohl Leistungen zu Recht gezahlt werden. Ein möglicher Vertrauensschutztatbestand wurde somit jedenfalls durch den Aufhebungsbescheid vom 7.12.2004 aufgehoben.

Schutzwürdiges Vertrauen wurde auch nicht durch die tatsächliche Überweisung erneut geschaffen. Nach den vorliegenden Kontoauszügen erfolgte die Überweisung der zunächst monatlich bewilligten Summe von 489,64 EUR unter Angabe der BG-Nr. des Klägers (07402BG0013627). Dem Kläger musste es sich bei Betrachtung seiner Bankauszüge geradezu aufdrängen, dass er hier versehentlich die Leistungen des Alg II weiter erhält, obwohl die Leistung durch den Bescheid vom 7.12.2004 aufgehoben wurde. Dann musste es sich ihm aber auch aufdrängen, dass die Zahlung nicht rechtens sein kann. Hierzu sind keine großen intellektuellen Fähigkeiten erforderlich, sodass auch diese nahe liegenden Überlegungen vom Kläger erwartet werden konnten. Der Vortrag des Klägers, er sei davon ausgegangen, dass es sich um eine Art Übergangsphase gehandelt habe, stellt sich nach Auffassung der Kammer als reine Schutzbehauptung dar. Vielmehr ist die Tatsache, dass der Kläger zunächst begonnen hatte, die Überzahlung ratenweise zu begleichen, dahingehend zu werten, dass er die Rechtswidrigkeit der Zahlungen erkannt hatte. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der vom Kläger zitierten Entscheidung des Bun-dessozialgerichts vom 8.2.2001 (Az.: B 11 AL 21/00 R). Von dem Kläger wird hier, anders als in dem von ihm genannten Fall, nicht erwartet, dass er die Berechnung eines rechtsfehlerhaften Bescheides überprüft und dessen Fehler erkennt. Vorliegend geht es vielmehr darum, zu erkennen, dass die Zahlung einer Leistung, obwohl diese aufgehoben wurde, nicht zusteht. Hierfür sind keine eingehenden Überlegungen erforderlich. Auch der Kläger, der über einen Abschluss als Maurer sowie über eine beendete (wenngleich nicht abgeschlossene) Weiterbildung zum Heimerzieher verfügt, konnte unproblematisch erkennen, dass er ALG II überwiesen erhält, das ihm nicht zusteht. Der Fehler, "Überweisung trotz Aufhebung des Bescheides", ist so offenkundig und muss jedem Leistungsempfänger, gleich welcher Schul- und Berufsbildung, ins Auge springen, sodass ein Vertrauen auf die fehlerhafte Überweisung nicht schutzwürdig ist.

Bei der Entscheidung für die Erstattung nach § 50 Abs. 2 SGB X hatte die Beklagte kein Ermessen auszuüben. Dies ergibt sich aus § 40 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 2 SGB III. Dabei ist § 330 Abs. 2 SGB III dahingehend auszulegen, dass die Vorschrift auch den Fall der Erstattung von ohne Verwaltungsakt zu Unrecht gezahlten Leistungen erfasst, wenn für diese Erstattung der entsprechend anzuwendende § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X erfüllt ist (LSG Bad.-Württ., Urt. v. 10.10.2006, L 13 AL 3133/05).

Somit musste die Beklagte im Bescheid vom 10.2.2006 lediglich die Rückforderungssumme reduzieren. Nach § 40 Abs. 2 SGB II sind 56 v. H. der bei der Leistung nach § 19 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 sowie § 28 berücksichtigten Kosten für Unterkunft mit Ausnahme der Kosten für Heizung- und Warmwasserversorgung, nicht zu erstatten. Daraus ergibt sich, dass die Regelleistung (in Höhe von 331,00 EUR monatlich), die Heizkosten (in Höhe von 8,64 EUR monatlich) voll zu erstatten sind. Die übrigen Kosten der Unterkunft (150,00 EUR monatlich) sind um 56 % zu reduzieren, mithin um 84,00 EUR. Daraus errechnet sich eine Erstattungssumme von monatlich 405,64 EUR, woraus sich die Gesamterstattungssumme von 1.216,92 EUR ergab. Die Klage war auch im Hilfsantrag zurückzuweisen. Sofern der Kläger mit der Klage den Erlass der Leistung nach § 44 SGB II geltend macht, ist dieser Antrag unzulässig. Nach § 44 SGB II dürfen Träger von Leistungen nach dem SGB II Ansprüche erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Bei dem Erlass handelt es sich im Gegensatz zur Niederschlagung nicht um einen rein innerdienstlichen Akt, sondern um einen Verwaltungsakt im Sinne des § 31 SGB X, der entweder von Amts wegen oder auf Antrag ergeht und durch den die Schuld erlischt (vgl. hierzu Eicher/Spellbrink, § 44 Rdnr. 6 mit weiteren Nachweisen auf die Rechtsprechung zur Niederschlagung und zum Erlass). Daher kann der Leistungsempfänger bei Ablehnung eines Erlasses gegen diesen Verwaltungsakt Widerspruch einlegen und danach mit einer Anfechtungs- und Verpflichtungsklage bei den Sozialgerichten gegen die Entscheidung vorgehen. Voraussetzung für die gerichtliche Geltendmachung ist somit ein vorgeschaltetes Antrags- und Widerspruchsverfahren. Der Hilfsantrag ist mithin bereits wegen Fehlens der Prozessvoraussetzungen (Vorverfahren, vgl. § 78 SGG) unzulässig und aus diesem Grund abzuweisen. Eine Ausnahme vom Erfordernis des Vorverfahrens (nach § 78 Abs. 1 Satz 2 SGG) liegt nicht vor. Die Regelung des § 44 SGB II ist § 76 Abs. 2 Nr. 3 SGB IV nachgebildet, der wieder-um § 227 Abgabenordnung (AO) nachgebildet ist. Insofern kann auf die Rechtsprechung zu den genannten Vorschriften zurückgegriffen werden. Danach gehört die Regelung zu den Vorschriften des Haushalts- und Rechnungswesens der Leistungsträger (vgl. BSG, Urteil vom 26.06.1990, 3 RK 31/88). Zwar kann der Leistungsträger über einen Erlass bereits mit der Geltendmachung der Erstattung entscheiden (vgl. Eicher/Spellbrink, § 44 Rdnr. 18). Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Schuldner einer Forderung, unter Umgehung des Antrags- und Vorverfahrens nach § 78 SGG, den Erlass einer Forderung in einem gerichtlichen Verfahren gegen den Erstatttungsbescheid geltend machen kann. Im Übrigen könnte der Kläger mit dem gestellten Antrag bereits deshalb nicht durchdringen, da es sich bei der Entscheidung nach § 44 SGB II um eine Ermessensentscheidung des Leistungsträgers handelt. Die Beklagte wäre mithin, bei Vorliegen der sonstigen Prozessvoraussetzungen, lediglich zur Neuverbescheidung zu verurteilen. Da der Hilfsantrag somit bereits als unzulässig abzuweisen war, konnte die Kammer auch offen lassen, inwieweit Unbilligkeit im Rechtssinne vorliegt. Dem Kläger steht es indessen frei, einen Antrag auf Erlass nach § 44 SGB II bei der Beklagten zu stellen und gegebenenfalls gegen eine ablehnende Entscheidung Widerspruch bzw. Klage einzulegen.

Danach war die Klage insgesamt abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG. Die Berufung ist kraft Gesetzes zulässig (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). -
Rechtskraft
Aus
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