L 5 B 1973/07 AS PKH

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 120 AS 15342/07
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 5 B 1973/07 AS PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Kläger gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 17. Oktober 2007 wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Die Kläger begehren für ein Verfahren vor dem Sozialgericht Berlin, in dem sie auf Gewährung von Mehrbedarf für eine Brille sowie einen Kindersitz für das Auto klagen, Prozesskostenhilfe.

Die 1977 geborenen Kläger sind seit August 2005 verheiratet. Am 17. Juli 2006 wurde ihre Tochter M geboren. Am 14. September 2006 beantragten sie die Gewährung von Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II), die ihnen der Beklagte nach Aktenlage zuletzt bis einschließlich 29. Februar 2008 monatlich gewährte.

Am 27. April 2007 beantragte die Klägerin, ihr Mehrbedarf in Höhe von 135,75 EUR für eine Brille zu bewilligen. Weiter beantragten sie und der Kläger die Gewährung von Mehrbedarf für einen Auto-Kindersitz (sog. "Römer") im Wert von 153,00 EUR für die Tochter M. Mit Bescheiden vom 30. April 2007 lehnte der Beklagte die Gewährung entsprechender Mehrbedarfe mit der Begründung ab, dass § 21 SGB II keine Mehrbedarfe für Brillen bzw. einen Kindersitz für das Auto vorsehe. Die hiergegen am 14. Mai 2007 erhobenen Widersprüche blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 22. Juni 2007).

Am 09. Juli 2007 haben die Kläger Klage beim Sozialgericht Berlin erhoben, mit der sie begehren, die vorgenannten Bescheide aufzuheben und den Beklagten zur Zahlung von 288,75 EUR zu verurteilen. Zugleich haben sie die Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten beantragt. Zur Begründung haben sie geltend gemacht, dass ihnen in der genannten Höhe Kosten für die Brille und den Kindersitz entstanden seien. Diese habe der Beklagte als Mehrbedarf zu tragen. Die Anschaffung eines Auto-Kindersitzes sei durch das Straßenverkehrsrecht vorgegeben und Teil einer Erstausstattung bei Geburt gemäß § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB II. Da ein Auto auch von Empfängern von Leistungen zur Grundsicherung besessen und genutzt werden dürfe, gebiete Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), dass die ganze Familie, also auch das Kleinkind, in diesen Genuss komme. Ohne den Kindersitz wäre das familiäre Zusammenleben extrem beeinträchtigt, weil das Kind nicht im Auto mitgenommen werden könne. Auch eine Brille sei als Mehrbedarf anzuerkennen. Dass dies in § 21 Abs. 2 bis 5 SGB II so nicht vorgesehen sei, stelle einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG dar. Menschen mit einer Sehschwäche würden gegenüber Personen, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, ungerechtfertigt benachteiligt. Sie müssten jedoch beide aus medizinischen Gründen im Interesse ihrer Gesundheit mehr Geld aufwenden als ein Gesunder.

Das Sozialgericht Berlin hat die Gewährung von Prozesskostenhilfe mit Beschluss vom 17. Oktober 2007 abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass zum einen die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht innerhalb der gesetzten Frist vorgelegt worden sei, zum anderen aber die Rechtsverfolgung auch keine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete. Der geltend gemachte Bedarf für die Kosten für den Erwerb eines Auto-Kindersitzes sei von der Regelleistung nach § 20 Abs. 1 SGB II umfasst. Nicht hingegen zählten diese Kosten zu den nicht von der Regelleistung umfassten Leistungen für Erstausstattung bei Schwangerschaft und Geburt im Sinne des § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB II. Dies folge aus Satz 6 der Vorschrift, wonach bei der Bemessung der Pauschalbeträge im Sinne des Satzes 5 nur die erforderlichen Aufwendungen zu berücksichtigen seien. Ein Auto-Kindersitz sei indes keine bei Schwangerschaft und Geburt erforderliche Anschaffung. Auch die Kosten für eine Brille seien von der Regelleistung umfasst. Der Auffassung der Kläger, § 21 Abs. 5 SGB II sei auf den Bedarf einer Brille zur Vermeidung eines Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG analog anzuwenden, folge die Kammer nicht. Eine etwaige Ungleichbehandlung sei gerechtfertigt. Denn anders als die Kosten für den Erwerb einer Brille, die nur einmalig anfielen, könnten die Kosten für eine kostenaufwändige Ernährung, die laufend anfielen, nicht aus der Regelleistung angespart werden.

Gegen diesen ihnen am 20. Oktober 2007 zugestellten Beschluss richtet sich die am 08. November 2007 eingelegte Beschwerde der Kläger, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgen. Zur Begründung hat ihr Prozessbevollmächtigter dargelegt, dass es sich laut telefonischer Auskunft des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales bei der Gewährung von Mehrbedarf für einen Auto-Kindersitz und eine Brille um eine höchst individuelle Entscheidung handele. Weder gebe es eine eindeutige Rechtsgrundlage für die Gewährung der geltend gemachten Kosten noch sei die Erstattung aufgrund einer Rechtsnorm ausgeschlossen. Bei korrekter Ermessensausübung könnten die Bedarfe anerkannt werden. Indes habe er erhebliche Bedenken, ob insoweit überhaupt Ermessen eröffnet sei. Soweit das Sozialgericht meine, Leistungen für die Erstausstattung bei Schwangerschaft und Geburt seien nur zu gewähren, wenn die Aufwendung erforderlich sei, folge daraus lediglich, dass z.B. kein Kindersitz aus Titan für 1.000,00 EUR nötig sei. Grundsätzlich sei die Erforderlichkeit, die sich nach gesellschaftlich (soziokulturell) anerkannten Mindeststandards richte, jedoch sehr wohl anzunehmen. Bezüglich der Brille gehe das Argument des Sozialgerichts, auf deren Anschaffung könnten Betroffene hinsparen, fehl. Andernfalls wäre § 23 SGB II überflüssig.

II.

Die Beschwerde der Kläger ist gemäß §§ 172 Abs. 1 und 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig. Dabei ist irrelevant, dass der Streitwert in der Hauptsache den für eine statthafte Berufung erforderlichen Beschwerdewert nicht erreicht. Denn die Regelung der §§ 127 Abs. 2 Satz 2, 511 der Zivilprozessordnung (ZPO), nach der eine Beschwerde gegen die Ablehnung der Gewährung von Prozesskostenhilfe, die nicht allein auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers gestützt wurde, ausgeschlossen ist, wenn der Streitwert in der Hauptsache nicht 600,00 EUR übersteigt, ist zur Überzeugung des Senats nicht über § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG dahingehend auf das sozialgerichtliche Verfahren zu übertragen, dass eine Beschwerde gegen eine ablehnende Prozesskostenhilfeentscheidung nur im Falle eines (bis zum 31. März 2008) 500,00 EUR übersteigenden Beschwerdewerts (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) statthaft ist (so aber LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 06.09.2005 – L 8 AL 1862/05 PKH-B -; LSG Niedersachen, Beschluss vom 06.12.2005 – L 8 B 147/05 AS – beide dokumentiert unter sozialgerichtsbarkeit.de; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23.02.2007 – L 25 B 109/07 AS PKH). Der Senat geht vielmehr im Hinblick darauf, dass die vorgenannte Auffassung im maßgeblichen Zeitraum zu einer über die in der ZPO vorgesehene Einschränkung hinausgehenden geführt hätte, und unter Berücksichtigung der Gesetzgebungshistorie des 6. SGG-Änderungsgesetzes davon aus, dass keine ausreichende Rechtsgrundlage für einen derartigen Beschwerdeausschluss besteht (so mit ausführlicherer Begründung: LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 02.01.2007 – L 13 AS 4100/06 PKH-B – und LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14.05.2007 – L 10 B 217/07 AS PKH -, beide dokumentiert unter sozialgerichtsbarkeit.de; vgl. auch Keller/Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl., § 73a Rn. 12b). Bestärkt sieht er sich in dieser Auffassung durch die seit dem 01. April 2008 geltende Neufassung des § 172 SGG. Zwar sind in Absatz 3 der Norm nunmehr ausdrücklich Fallkonstellationen aufgenommen, in denen die Beschwerde ausgeschlossen ist. Der Gesetzgeber hat aber auch jetzt davon abgesehen, die Statthaftigkeit einer Beschwerde gegen eine ablehnende Entscheidung über ein Prozesskostenhilfegesuch an den Streit- bzw. Beschwerdewert in der Hauptsache zu koppeln.

Allerdings ist die Beschwerde nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht Berlin die beantragte Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. W mangels hinreichender Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung abgelehnt.

Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG gelten für die Gewährung von Prozesskostenhilfe im sozialgerichtlichen Verfahren die Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) entsprechend. Danach ist einem Beteiligten, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder in Raten aufbringen kann, auf seinen Antrag Prozesskostenhilfe zu gewähren, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (vgl. § 114 ZPO). Das angerufene Gericht beurteilt die Erfolgsaussicht im Sinne des § 114 ZPO regelmäßig ohne abschließende tatsächliche und rechtliche Würdigung des Streitstoffes. Die Prüfung der Erfolgsaussicht soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Für die Annahme hinreichender Erfolgsaussicht reicht die "reale Chance zum Obsiegen" aus, nicht hingegen eine "nur entfernte Erfolgschance".

Gemessen an diesen Maßstäben hat die am 09. Juli 2007 beim Sozialgericht Berlin erhobene Klage keine hinreichenden Erfolgsaussichten. Mit seiner Beschwerdebegründung beantwortet der Prozessbevollmächtigte der Kläger diese Frage bereits selbst: Es gibt keine Rechtsgrundlage für die Gewährung zusätzlicher Leistungen zur Anschaffung eines Auto-Kindersitzes und einer Brille. Dass die Erstattung entsprechender Kosten durch keine Rechtsnorm ausdrücklich ausgeschlossen ist, ist in der Tat wahr. Daraus lässt sich jedoch kein Leistungsanspruch begründen.

Soweit die Kläger Kosten für einen Auto-Kindersitz gestützt auf § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB II geltend machen, gehört ein solcher Sitz nicht zur Erstausstattung bei Geburt. Völlig zu Recht hat das Sozialgericht Berlin insoweit gefragt, ob ein Auto-Kindersitz zu dem notwendigen Erstausstattungsbedarf für Säuglinge gehört, und dies verneint. Ein Kindersitz für das Auto ist für einen Säugling grundsätzlich nicht erforderlich, auch wenn er im Falle des Transports eines Kindes im Auto gesetzlich vorgeschrieben ist. Dass Leistungsempfänger berechtigt sind, ein angemessenes Auto zu haben, ändert daran nichts. Aus diesem Recht folgt nicht, dass ihnen auch die mit der Haltung und Nutzung einhergehenden Kosten gewährt werden müssen. Selbst für die – ebenfalls gesetzlich vorgeschriebene – Haftpflichtversicherung sind nicht zusätzliche Leistungen zu gewähren. Vielmehr sind anfallende Kosten allenfalls über § 11 Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 SGB II einkommensmindernd zu berücksichtigen, dies zur Überzeugung des Senats jedoch auch nur dann, wenn tatsächlich eine Notwendigkeit besteht, ein Kraftfahrzeug zu halten (vgl. Urteil vom 31.08.2007 – L 5 AS 1301/05 -). Einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 GG vermag der Senat nicht zu erkennen.

Auch hat die Klägerin keinen Anspruch auf Gewährung eines Mehrbedarfs für eine Brille. In welchem Umfang Leistungen für Mehrbedarfe zu gewähren sind, ist abschließend in § 21 Abs. 2 bis 5 SGB II geregelt. Insoweit sieht Absatz 5 einen Mehrbedarf für eine kostenaufwändige Ernährung aus medizinischen Gründen vor. Sonstiger aus medizinischen Gründen notwendiger Bedarf ist in § 21 SGB II nicht genannt und daher auch kein Mehrbedarf in diesem Sinne. Eine im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG ungerechtfertigte Ungleichbehandlung der Klägerin mit Hilfebedürftigen, die aus gesundheitlichen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, vermag der Senat nicht zu erkennen. § 21 SGB II gibt die Möglichkeit, in Fällen, in denen ein den Regelbedarf über einen längeren Zeitraum hinweg andauernder, übersteigender Mehrbedarf besteht, diesen auszugleichen. Dementsprechend handelt es sich bei den Leistungen für Mehrbedarfe auch um laufende Leistungen. Im Falle des Kaufs einer Brille besteht jedoch kein dauernder Mehrbedarf, auch wenn die Brille regelmäßig getragen und in gewissen Abständen eine Neuanschaffung nötig sein wird. Insofern besteht von vornherein keine Vergleichbarkeit zu den in § 21 SGB II geregelten Tatbeständen. Bzgl. der Brille wäre allenfalls an eine darlehensweise Leistungsgewährung gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu denken. Abgesehen davon jedoch, dass bereits nicht ersichtlich ist, dass die Klägerin, der angeblich für die Anschaffung der Brille eine zweckgebundene Schenkung zugeflossen ist, daran überhaupt irgendein Interesse hat, liegen auch die erforderlichen Voraussetzungen nicht vor. Mangels Vorlage einer ärztlichen Verordnung ist nicht zu erkennen, dass bei ihr ein unabweisbarer, d.h. nicht aufschiebbarer Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts besteht.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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