L 16 B 923/06 LW

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 2 LW 28/04
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 B 923/06 LW
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 10. November 2006 wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

In dem beim Sozialgericht Würzburg anhängig gewesenen Verfahren war die Aufhebung des Bescheides vom 02.08.2001 über die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung wegen voller (arbeitsmarktbedingter) Erwerbsminderung auf Grund eines Leistungsfalls der teilweisen Erwerbsminderung vom 31.01.2001 durch den Bescheid vom 12.05.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.10.2004 mit Wirkung ab 01.06.2004 streitig. Zur Aufklärung des Sachverhalts hatte das Sozialgericht Befundberichte der behandelnden Ärzte beigezogen und von Amts wegen ein Gutachten von Dr. F., Facharzt für Psychiatrie, Neurologie, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Sozialmedizin, Leitender Arzt des Rehabilitationszentrums K. der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte eingeholt. Dr. F. stellte in seinem Gutachten vom 19.09.2005 auf der Grundlage einer Untersuchung des Beschwerdeführers sowie in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 14.12.2005 fest, dass sozialmedizinisch die Alkoholkrankheit des Beschwerdeführers im Vordergrund stehe. Die im Jahr 2001 noch ganz erheblichen funktionellen Auswirkungen der Alkoholkrankheit hätten sich in der Zwischenzeit erheblich verbessert. Es bestehe kein unterdurchschnittlicher Pflegezustand mehr. Hirnorganische Defizite seien jetzt in allenfalls diskreter Form auffällig, wobei die aktuell beobachtete leichte Umständlichkeit und Verlangsamung sozialmedizinisch nur insoweit relevant sei, als dem Beschwerdeführer deshalb keine Tätigkeiten mit besonderen Anforderungen an die Konzentrationsfähigkeit und an das Arbeitstempo zumutbar seien. Hinsichtlich der 2001 noch beschriebenen Nivellierung der Wesensart und seiner Entdifferenzierung sei eine Besserung feststellbar. Die Besserung bestehe in einer psychischen Stabilisierung bei bekannter Alkoholkrankheit; der Beschwerdeführer habe die Trinkmenge reduziert und sein Verhalten angepasst. Unter Berücksichtigung seiner chronischen Alkoholkrankheit mit aktuell reduziertem Suchtmittelkonsum ohne wesentliche Funktionsdefizite, mittelgradigen Funktionseinschränkung im rechten Kniegelenk bei Defektheilung eines Schienbeinkopftrümmerbruchs, mittelgradigen Funktionseinschränkung im rechten Schultergelenk bei Gelenksverletzung mit Defektheilung und seines Polyneuropathiesyndroms ohne relevantes Funktionsdefizit seien dem Kläger zumindest seit der Untersuchung durch Dr. S. am 12.02.2004 noch leichte Tätigkeiten im Sitzen, zeitweilig im Stehen und in wechselnder Stellung mindestens 6 h täglich möglich. Auszuschließen seien Tätigkeiten mit besonderer nervlicher Belastung und mit besonderen Anforderungen an die Konzentration, das Arbeitstempo und die Ausdauer (wegen der Alkoholkrankheit mit leichtgradiger Verlangsamung und Umständlichkeit sowie der Gefahr einer Dekompensation mit erneuten Trinkexzessen unter besonderer Belastung), an unfallgefährdeten Arbeitsplätzen, mit besonderer Belastung des Bewegungs- und Stützsystems und Arbeiten, die einen Umgang mit alkoholischen Getränken erforderten.

Auf Antrag des Beschwerdeführer gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bestellte das Sozialgericht mit Beschluss vom 18.01.2006 Prof. Dr. G., Chefarzt der Neurologischen Klinik GmbH N., zum gerichtlichen Sachverständigen. Dieser bestätigte in seinem Gutachten vom 27.05.2006, basierend auf einer Untersuchung des Beschwerdeführers, im Wesentlichen die von Dr. F. festgestellten Gesundheitsstörungen - bisher noch nicht bekannte oder nicht beachtete Befunde lägen nach seiner Ansicht nicht vor - , schätzte aber auf Grund des Ergebnisses des von ihm veranlassten neuropsychologischen Zusatzgutachtens von der Diplom-Psychologin G1. vom 17.05.2006 das Leistungsvermögen des Beschwerdeführers weiterhin mit 3 bis unter 6 h täglich ein. Der Beschwerdeführer habe zwar gegenwärtig gepflegter und psychisch stabiler gewirkt als im Jahr 2001, Frau G1. habe aber bei ihrer neuropsychologischen Untersuchung eine Verschlechterung der kognitiven Defizite festgestellt. Denn unter komplexen Anforderungsbedingungen trete eine verlangsamte kognitive Verarbeitungsgeschwindigkeit auf, die sich seit 2001 teilweise verstärkt habe. Nach Ansicht der Psychologin G1. liege daher unter weiterer Berücksichtigung der reduzierten Leistungen in den Bereichen Merkfähigkeit, divergentes Denken, Umstell- und Problemlösefähigkeit unter abstrakten Bedingungen eine leichte Leistungsbeeinträchtigung der kognitiven Fähigkeiten zum aktuellen Zeitpunkt vor.

Die Beklagte wandte dagegen unter Vorlage einer Stellungnahme von Dr. S., Psychiaterin, Neurologin sowie Sozialmedizinerin der zentralen ärztlichen Gutachterstelle der Deutschen Rentenversicherung Unter F. n ein, dass der Beschwerdeführer selbst keine Beeinträchtigungen von Gedächtnis, Konzentration und Stimmung beklagt habe. In dem neuropsychologischen Zusatzgutachten würde die Exploration der Alltagsaktivitäten völlig fehlen. Nach dem erhobenen psychopathologischen Befund hätten die Aufmerksamkeit und das Konzentrationsvermögen des Beschwerdeführers normal gewirkt, Anzeichen für eine Merkfähigkeitsstörung hätten sich nicht ergeben und der Beschwerdeführer sei im Antrieb leicht reduziert gewesen. Aufgrund der subjektiven Beschwerden des Beschwerdeführers, bei fehlender Exploration der Alltagsaktivitäten und bei Ausschluss wesentlicher kognitiver Störungen im psychopathologischen Befund sei eine quantitative Leistungsminderung unverständlich. Allein testpsychologische Ergebnisse würden nicht automatisch eine Objektivierung von Leistungsstörungen darstellen. Geeignete Tests zur Erkennung suboptimalen Leistungsverhaltens unter Berücksichtigung der Leistungsmotivation des Beschwerdeführers seien nicht durchgeführt worden. Auch seien keine gravierenden kognitiven Defizite festgestellt worden.

Das Sozialgericht Würzburg wies die Klage mit Urteil vom 11. September 2006 ab, weil sich die Leistungsfähigkeit des Beschwerdeführers seit Rentengewährung mit Bescheid vom 02.08.2001 nach dem schlüssigen Gutachten von Dr. F. wesentlich gebessert habe und er spätestens ab 01.06.2004 mindestens 6 h täglich leichte Tätigkeiten verrichten könne. Den Gutachten von Professor Dr. G. und Diplompsychologin G1. könne dagegen nicht gefolgt werden. Denn der im Januar 2001 festgestellte Verwahrlosungszustand des Beschwerdeführers in Verbindung mit der Notwendigkeit einer Betreuung während des 8-monatigen stationären Aufenthalts im Krankenhaus für Psychiatrie und Psychotherapie, W., habe sich eindeutig gebessert. Dies ergebe sich bereits aus dem vom Beschwerdeführer bei Dr. F. geschilderten Tagesablauf. Den Ausführungen von Frau G1. sei nicht zu entnehmen, weshalb der Beschwerdeführer nicht leichte Tätigkeiten mindestens 6 h täglich verrichten könne. Außerdem zeige die von Prof. Dr. G. und Frau G1. vorgenommene Verknüpfung von Arbeitsdauer und Minderung der Erwerbsfähigkeit sowie Grad der Behinderung, dass der Unterschied zwischen diesen Begriffen verkannt und von falschen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ausgegangen werde.

Der Beschwerdeführer beantragte mit Schriftsatz vom 12.09.2006, die Kosten für das Gutachten von Prof. Dr. G. der Staatskasse aufzuerlegen. Denn dieses Gutachten habe wesentliche neue medizinische Aspekte aufgezeigt und sei letztendlich auch entscheidungserheblich geworden.

Das Sozialgericht Würzburg lehnte in seinem Beschluss vom 10.11.2006 die Übernahme der Kosten für das von Prof. Dr. G. erstellte Gutachten vom 27.05.2006 einschließlich des Zusatzgutachten der Diplom-Psychologin G1. vom 17.05.2006 auf die Staatskasse ab. Denn diese Gutachten hätten weder neue, bis dahin nicht berücksichtigte medizinische Gesichtspunkte zur Aufklärung des Sachverhalts beigetragen noch die Erledigung des Rechtsstreits in sonstiger Weise wesentlich gefördert noch die Beurteilung auf eine wesentlich breitere, für das Gericht überschaubarere und daher überzeugendere Grundlage gestellt. Denn im Vergleich zu Dr. F. hebe Prof. Dr. G. lediglich die subjektiven Beschwerden des Beschwerdeführers hervor. Er übernehme kritiklos die testpsychologischen Ergebnisse und unterstelle diesen eine Objektivierung von Leistungsstörungen. Da jedoch keine geeigneten Tests zur Erkennung suboptimalen Leistungsverhaltens durchgeführt worden seien, habe das Gutachten von Frau G1. keine neuen medizinischen Gesichtspunkte aufgezeigt. Im Hinblick auf die Ausführungen von Frau G1., dass sich lediglich unter komplexen Anforderungsbedingungen eine verlangsamte kognitive Verarbeitungsgeschwindigkeit zeige und sich beeinträchtigte Leistungen im Bereich der kurzfristigen verbalen Merkfähigkeit kompensieren lassen dürften, lasse sich die vom Gutachten von Dr. F. abweichende Beurteilung nicht begründen und rechtfertigen.

Dagegen hat der Beschwerdeführer Beschwerde eingelegt mit der Begründung, dass das Gutachten von Prof. Dr. G. neue medizinische Erkenntnisse gebracht habe. Das Sozialgericht hätte daher auch diesem Gutachten folgen müssen.

Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten dem Bayerischen Landessozialgericht (BayLSG) zur Entscheidung vorgelegt. II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig (§§ 172, 173 SGG). Sie hat in der Sache aber keinen Erfolg. Die Kosten für das gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingeholte Gutachten von Prof. Dr. G. vom 27.05.2006 einschließlich des neurologischen Zusatzgutachtens von Diplom-Psychologin G1. vom 17.05.2006 sind nicht der Staatskasse aufzuerlegen.

Auf Antrag des Versicherten muss ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann (und wird in der Regel auch) davon abhängig gemacht, dass der Versicherte die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt (§ 109 Abs. 1 SGG). Die Entscheidung über die endgültige Kostentragung hat - auf Antrag des Versicherten - durch Beschluss zu ergehen. Voraussetzung für die Entscheidung, ob der Beteiligte so zu stellen ist, als sei der von ihm benannte Sachverständige von Amts wegen gemäß § 106 SGG mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt worden, bzw. ob ihm wenigstens ein Teil der Kosten erstattet werden muss, ist, dass das Gutachten wesentlich zur Aufklärung des Sachverhalts beigetragen hat bzw. diese objektiv gefördert hat. Die Entscheidung über die Kostentragung ergeht unabhängig vom Ausgang des Rechtsstreits. Es ist auch die Übernahme lediglich eines Teils der Kosten möglich. Letzteres wird zum Beispiel dann zu erwägen sein, wenn das gemäß § 109 SGG erstattete Gutachten neue Gesichtspunkte aufzeigt, indem es entweder neue, bisher noch nicht ermittelte krankhafte Befunde darstellt oder neue entscheidungserhebliche Erkenntnisse vermittelt.

Das Gutachten von Prof. Dr. G. einschließlich des erholten neuropsychologischen Zusatzgutachtens hat hinsichtlich der Beurteilung der Erwerbsfähigkeit des Beschwerdeführers keine neuen entscheidungserheblichen Erkenntnisse erbracht und so auch nicht zur Förderung der Aufklärung des Sachverhalts beigetragen.

Prof. Dr. G. hat unter Berücksichtigung des Zusatzgutachtens von der Diplom-Psychologin G1. keine neuen entscheidungserheblichen krankhaften Befunde festgestellt. Zum einen hat er die Beweisfrage 4.b. dahingehend beantwortet, dass in den bereits eingeholten Gutachten keine bisher noch nicht bekannten oder nicht beachteten Befunde von erwerbsmindernder Bedeutung vorliegen, d.h. dass alle relevanten medizinischen Befunde bereits bekannt waren und auch beachtet worden sind. Zum anderen stellt er zwar die neue Diagnose einer leichten Beeinträchtigung der kognitiven Fähigkeiten auf der Grundlage des Alkoholabhängigkeitssyndromes, stellt aber gleichzeitig eine psychische Stabilisierung gegenüber der 8-monatigen Zwangseinweisung auf Grund eines Unterbringungsbeschlusses des Amtsgerichts Schweinfurt im Jahr 2001 und somit gegenüber den dem Rentenbescheid vom 02.08.2001 zu Grunde liegenden Gutachten fest. Seine neue Diagnose basiert jedoch ausschließlich auf der von der Diplom-Psychologin G1. allein aufgrund eines Testverfahrens festgestellten verlangsamten kognitiven Verarbeitungsgeschwindigkeit unter komplexen Anforderungsbedingungen - hinsichtlich der übrigen kognitiven Fähigkeiten lagen keine Beeinträchtigungen vor bzw. erfolgten Kompensierungen - , so dass sich diese von Prof. Dr. G. undifferenziert vorgenommene allgemeine Ausweitung auf eine leichte Beeinträchtigung der kognitiven Fähigkeiten des Beschwerdeführers nicht rechtfertigen lässt. Da für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Beschwerdeführers allein die Anforderungen des allgemeinen Arbeitsmarktes maßgeblich sind, kommt es auf die Einsatzfähigkeit des Beschwerdeführers unter komplexen Anforderungsbedingungen nicht an. Im Übrigen wurde diese Diagnose nicht an Hand objektiver Befunde, sondern allein aufgrund von Angaben des Beschwerdeführers in Testverfahren erstellt, so dass dieser Einschätzung von Frau G1. schon mangels Verifizierung der Angaben des Beschwerdeführers und so mangels Unvollständigkeit der gutachterlichen Feststellungen nicht gefolgt werden kann.

Prof. Dr. G. hat auch keine neuen entscheidungserheblichen Kenntnisse vermittelt. Er ist lediglich aufgrund der o.g. nicht nachvollziehbaren Diagnose zu einer anderen Beurteilung des Leistungsvermögens des Beschwerdeführers gelangt. Neue Gesichtspunkte hat er hierbei nicht überzeugend aufgezeigt. Die von ihm angenommene quantitative Leistungseinschränkung auf 3 bis unter 6 h täglich vermag daher aufgrund der objektiven Befundlage nicht zu überzeugen.

Das Gutachten von Prof. Dr. G. einschließlich des neuropsychologischen Zusatzgutachtens ist daher nicht beweiserheblich geworden.

Aus oben genannten Gründen war deshalb die Beschwerde zurückzuweisen.

Diese Entscheidung, die ohne mündliche Verhandlung ergehen konnte (§ 176 i.V.m. § 124 Abs.3 SGG), ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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