L 12 AL 3624/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 8 AL 4180/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AL 3624/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 28.06.2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist das Ruhen des Anspruchs der Klägerin auf Arbeitslosengeld (Alg) wegen einer Abfindung.

Die 1972 geborene Klägerin war von 1992 bis 1995 als Auszubildende und anschließend bis 11.11.2005 als Bankkauffrau bei der Volksbank D.-N. in S. beschäftigt. In der Zeit vom 10.10.2002 bis 11.11.2005 befand sich die Klägerin im Mutterschutz/Elternzeit. Das Arbeitsverhältnis wurde am 29.10.2005 durch Aufhebungsvertrag zum 11.11.2005 beendet, die für den Arbeitgeber maßgebende Kündigungsfrist betrug drei Monate zum Ende des Vierteljahres. Für die Dauer der Betriebszugehörigkeit erhielt die Klägerin eine Abfindung in Höhe von 15.000 EUR.

Am 31.10.2005 meldete sich die Klägerin bei der Beklagten arbeitslos und beantragte mit Wirkung zum 12.11.2005 Alg. Die Beklagte teilte der Klägerin mit Bescheid vom 8.11.2005 mit, ihr Arbeitsverhältnis sei ohne Einhaltung einer der ordentlichen Kündigungsfrist des Arbeitgebers entsprechenden Frist beendet worden, deshalb ruhe ihr Anspruch auf Alg wegen des Erhalts der Abfindung in Höhe von 15.000 EUR so lange, wie 50% der gezahlten bzw. zu beanspruchenden Beträge dem kalendertäglichen Arbeitsentgelt entsprächen, konkret bis zum 11.1.2006.

Mit dem dagegen erhobenen Widerspruch machte die Klägerin geltend, sie sei nach Ablauf der Elternzeit nicht in der Lage gewesen, den Vollzeitarbeitsplatz bei der Volksbank weiter einzunehmen, ihrem Antrag auf Teilzeit habe von der Volksbank aus betrieblichen Gründen nicht stattgegeben werden können. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 25.11.2005 zurück. Bei Einhaltung der Kündigungsfrist von drei Monaten zum Ende des Vierteljahres hätte das Arbeitsverhältnis am 31.3.2006 geendet. Der Anspruch auf Alg ruhe deshalb von dem Ende des Arbeitsverhältnisses an grundsätzlich bis zu dem Tag, an dem das Arbeitsverhältnis eine Einhaltung der maßgeblichen Kündigungsfrist geendet hätte. Weil die Klägerin am Ende des Arbeitsverhältnisses 33 Jahre alt und 13 Jahre im Betrieb beschäftigt gewesen sei, werde die Entlassungsentschädigung nur zu 50% berücksichtigt, das seien 7.500 EUR. Dieser Anteil der Entlassungsentschädigung entspreche bei einem von der Klägerin kalendertäglich erzielten Entgelt von 122,61 EUR dem Entgelt für 61 Tage. Der Anspruch auf Alg ruhe daher wegen der Entlassungsentschädigung bis 11.1.2006. Auf die Gründe, aus denen das Arbeitsverhältnis beendet worden sei, komme es nach dem Willen des Gesetzgebers nicht an.

Dagegen hat die Klägerin am 6.12.2005 beim Sozialgericht Reutlingen (SG) Klage erhoben. Sie hat sich gegen die Versagung von Alg bis 31.12.2005 gewandt, weil sie sich seit dem 1.1.2006 wieder in einem Beschäftigungsverhältnis befindet. Sie hat unter Wiederholung ihres Vorbringens aus dem Vorverfahren weiterhin vorgebracht, das Arbeitsverhältnis sei zwar ohne Einhaltung der Kündigungsfrist des Arbeitgebers beendet worden. Allerdings ruhe der Alg-Anspruch dann nicht, wenn der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grunde hätte kündigen können. Dies habe hier zugetroffen, weil bei der Volksbank keine Möglichkeit bestanden habe, die Klägerin im gewünschten Umfang als Teilzeitkraft zu beschäftigen. Unabhängig davon erweise sich die Regelung des § 143a SGB III im Hinblick auf Art. 6 GG als verfassungswidrig, weil durch die Festsetzung des Ruhenszeitraums in ihr Grundrecht der Lebens- bzw. Erziehungsgemeinschaft zwischen ihr und ihrem Sohn in nicht gerechtfertigter Weise eingegriffen werde. Auch im Hinblick auf Art. 14 GG erweise sich der Bescheid als verfassungswidrig, weil hier in unverhältnismäßiger Art und Weise auf ihr Eigentum zugegriffen werde.

Das SG hat durch Urteil vom 28.6.2006 die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es wegen der Begründung zunächst auf die im Widerspruchsbescheid vom 25.11.2005 zutreffend dargelegten rechtlichen und tatsächlichen Gründe Bezug genommen, denen es nach eigener Prüfung der Sach- und Rechtslage folge. Zur Vermeidung von Wiederholungen werde insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen. Ergänzend sei auszuführen, dass die von der Beklagten vorgenommene Berechnung der Dauer des Ruhens des Anspruchs auf Alg keinen Bedenken begegne, da insoweit die maßgeblichen Daten zutreffend der Berechnung zu Grunde gelegt worden seien, wonach 50% der Abfindung berücksichtigt worden seien und sich unter Zugrundelegung eines kalendertäglichen Arbeitsentgelt von 122,61 EUR ein Ruhen für 61 volle Kalendertage errechne. Soweit seitens der Klägerin die Auffassung vertreten werde, ihr früherer Arbeitgeber hätte das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen können, könne dem nicht gefolgt werden. Es sei nicht ersichtlich, aus welchem Rechtsgrund der Volksbank im Oktober 2005 bzw. vor dem 1. Januar 2006 ein Recht zur fristlosen Kündigung der Klägerin zugestanden haben sollte. Allein der Umstand, dass diese sich nicht in der Lage gesehen habe, das bis dahin bestehende Arbeitsverhältnis, basierend auf einer Vollzeittätigkeit, wegen Betreuungsnotwendigkeit ihres Kindes fortzusetzen, gebe der Volksbank keinen wichtigen Grund gem. § 626 BGB zur fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses (ohne Einhaltung einer sozialen Auslauffrist). Schließlich vermöge die Kammer auch die verfassungsrechtlichen Bedenken der Klägerin nicht zu teilen. Die Klägerin sei durch die Regelung des § 143a SGB III nicht gehindert, die Lebens- bzw. Erziehungsgemeinschaft zwischen ihr und ihrem Sohn nach Ablauf der Elternzeit fortzusetzen. Insbesondere sei sie nicht gezwungen, sich auf die getroffene Aufhebungsvereinbarung zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu einem früheren Zeitpunkt als es der ordentlichen Kündigungsfrist des Arbeitgebers entsprochen hätte, einzulassen. Wäre ihr ordentlich gekündigt worden, hätte sie im Hinblick darauf, dass sie am 1. Januar 2006 ein neues Arbeitsverhältnis begonnen habe, keinerlei Nachteile hinsichtlich ihres Anspruchs auf Alg gehabt. Es bestehe daher keine Veranlassung, eine Verfassungswidrigkeit der Rechtsnorm weiter zu prüfen.

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin am 19.7.2006 Berufung eingelegt. Sie wiederholt im wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen. Der Antrag der Klägerin auf Änderung ihres Arbeitsvertrages, nämlich die wöchentliche Arbeitszeit nach dem Ende der Elternzeit auf 20 Stunden zu reduzieren, sei von der Volksbank D.-N. unter Hinweis auf betriebliche Besonderheiten abgelehnt worden. Die Volksbank habe verlangt, dass die Klägerin ab dem 14.11.2000 wieder vollschichtig ihrer Tätigkeit als Bankkauffrau nachgehen sollte. Dass diese Ankündigung durchaus ernst zu nehmen gewesen sei, sei aus einem Parallelverfahren vor dem Arbeitsgericht Freiburg durchaus bekannt. Dort sei ebenfalls einer Mutter nach Ablauf der Elternzeit wegen der fehlenden Möglichkeit, vollschichtig zu arbeiten, fristlos gekündigt worden. Damit habe durchaus ein wichtiger Grund für eine Kündigung nach § 626 BGB bestanden. Die Anordnung einer Ruhenszeit gem. § 143a SGB III sei daher nicht gerechtfertigt gewesen. Die gesetzliche Regelung stehe auch im Spannungsverhältnis zu Art. 6 GG. Die Klägerin habe auf Grund der Notwendigkeit, ihrem Sohn zu betreuen, nicht die Möglichkeit gehabt, Vollzeit zu arbeiten. Andererseits sei aus betrieblichen Gründen eine Teilzeitbeschäftigung ausgeschieden. In dieser Situation habe die Klägerin einen Aufhebungsvertrag geschlossen und als Ausgleich für ihren Besitzstand eine Sozialabfindung erhalten. Sie habe zwar wegen des Kindes den Arbeitsplatz verloren, erhalte aber als Ausgleich die Sozialabfindung, die ihr nun jedoch ohne Rücksicht auf den Grund für den Abschluss des Aufhebungsvertrages - nämlich wegen der Situation, ein Kind erziehen zu müssen - auf das Alg angerechnet werde. Deshalb könne eine Anrechnung im Hinblick auf Art. 6 GG und vor allem auch unter dem Gesichtspunkt einer ungerechtfertigten Gleichbehandlung keinen Bestand haben.

Die Klägerin stellt den Antrag,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 28.6.2006 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 8.11.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.11.2005 zu verpflichten, ihr für die Zeit vom 12.11.2005 bis 31.12.2005 Arbeitslosengeld I zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Sie weist ergänzend darauf hin, der Klägerin habe hinsichtlich der Ablehnung des Teilzeitwunsches durch den Arbeitgeber aus betrieblichen Gründen der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten offen gestanden. Die vorgelegte Einzelentscheidung des Arbeitsgerichts F. führe hier zu keiner anderen Beurteilung der Sach- und Rechtslage.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Rechtsstreits ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten und auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gem. § 124 Abs. 3 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig, jedoch in der Sache nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Alg für die Zeit vom 12.11. bis 31.12.2005.

Der Senat weist nach eigener Überprüfung die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück. Auch der Senat nimmt bezüglich der hier anzuwendenden Rechtsnormen und der Berechnung des Ruhenszeitraums auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid Bezug. Im übrigen nimmt der Senat auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug und verzichtet insoweit auf eine eigene Begründung (§ 153 Abs. 2 SGG).

Auch der Senat vermag nicht zu erkennen, dass ein Ruhen des Alg-Anspruchs hier deswegen nicht eingetreten wäre, weil der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grunde ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist hätte kündigen können (§ 143a Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III). Ein solcher Kündigungsgrund ist nicht ersichtlich. Die eingeschränkte Möglichkeit der Klägerin, wegen der Betreuung des Kindes nicht mehr Vollzeit arbeiten zu können, stellt einen solchen Kündigungsgrund nicht dar. Das Bundessozialgericht (BSG) hat zu der wörtlich gleich lautenden Vorgängerregelung des § 143a SGB III, § 117 AFG, ausdrücklich festgestellt (in SozR 3 - 4100 § 117 Nr. 20), dass die Rechtsfolge des Ruhens nicht dadurch ausgeschlossen werde, dass die (dortige) Klägerin nach der Erschöpfung ihres Krankengeldanspruchs aufgrund fortdauernder Arbeitsunfähigkeit keinen Anspruch auf Arbeitsentgelt gegen ihren Arbeitgeber mehr gehabt habe. Es entspreche ständiger Rechtsprechung, dass der Gesetzgeber bei der genannten Regelung in typisierender Wertung davon ausgehe, dass die Abfindung, Entschädigung oder ähnliche Leistung, die im Zusammenhang mit einer vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gewährt werde, in einem bestimmten, durch § 117 Abs. 3 AFG pauschalierten Umfang eine Entschädigung für ausgefallenes Arbeitsentgelt enthalte. Die Rechtsnorm enthalte damit die unwiderlegliche Vermutung, dass Abfindungen, die unter den Voraussetzungen dieser Regelung gewährt werden, in bestimmtem Umfang eine Entschädigung für Lohnausfall enthielten.

In der genannten Entscheidung hat das BSG keine Anhaltspunkte dafür gesehen, dass der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund fristlos hätte kündigen können. Hierbei sei auf die konkrete arbeitsrechtliche Beurteilung des Sachverhalts abzustellen, dabei sei zu beachten, dass nach der arbeitsrechtlichen Rechtsprechung hinsichtlich der Rechtmäßigkeit einer außerordentlichen Kündigung wegen Krankheit des Arbeitnehmers ein strenger Maßstab anzulegen sein. Insoweit gelte der Grundsatz, dass eine fristlose Kündigung aus wichtigem Grund nur dann in Betracht komme, wenn die Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar sei.

Im vorliegenden Fall ist keinesfalls ersichtlich, dass ein derartiger Grund für eine fristlose Kündigung vorgelegen hat. Eine Unzumutbarkeit für den Arbeitgeber, die ordentlichen Kündigungsfrist einzuhalten, ist nicht ersichtlich.

Auch der Senat vermag eine Verfassungswidrigkeit der Rechtsnormen nicht zu erkennen. Die systematisch, inhaltlich und wörtlich gleiche Regelung des § 117 Abs. 2 AFG ist vom BSG (in der oben genannten Entscheidung) ausdrücklich für verfassungsgemäß gehalten worden. Das BVerfG hat im übrigen die Typisierung des Gesetzgebers dahingehend, dass bei einer Abkürzung oder Nichteinhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist die Vermutung besteht, bei der erhaltenen Abfindung habe das Entgeltelement in der Regel eine höhere Bedeutung als bei Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist, nicht beanstandet (in SozR 4100 § 117 Nr. 1).

Im übrigen hat das SG im angefochtenen Urteil zutreffend ausgeführt, dass die Klägerin in ihrem Umgangsrecht nach Art. 6 GG jedenfalls nicht durch die Ruhensregelung des § 143a SGB III betroffen ist.

Nach alledem ist die Berufung der Klägerin als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved