Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
1
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 SB 3538/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts K. vom 13. Juni 2007 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Im Streit steht die Eigenschaft des Klägers als schwerbehinderter Mensch bzw. die Feststellung eines Grads der Behinderung (GdB) von 50.
Der 1955 geborene Kläger beantragte erstmals am 19. August 2005 die Feststellung eines GdB, den er mit Folgen eines Herzinfarkts bzw. einer Bypassoperation und Wirbelsäulenproblemen begründete. Das Landratsamt K., Amt für Gesundheit und Versorgung (LRA) zog den Entlassungsbericht aus der Rehabilitationsmaßnahme vom 26. Juli bis 16. August 2005 bei (operative 4-fach Myokardrevaskularisation 12. Juli 2005, koronare 3-Gefäßerkrankung, Zustand nach Hinterwandinfarkt, Hyperlipidämie).
Mit Bescheid vom 9. November 2006 stellte das LRA einen GdB von 30 ab 19. August 2005 fest, dem als Behinderungen zugrunde lagen ein abgelaufener Herzinfarkt, koronarer Bypass (Teil-GdB 30), Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Nervenwurzelreizerscheinungen (Teil-GdB 10).
Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 15. März 2006 zurückgewiesen wurde.
Dagegen hat der Kläger am 20. März 2006 Klage zum Sozialgericht K. (SG) erhoben mit der Begründung, der Teil-GdB von 10 sei für das Wirbelsäulenleiden nicht ausreichend. Das SG hat die behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen angehört. Der Arzt für Allgemeinmedizin und Orthopädie Dr. L. hat unter dem 13. Juni 2006 ausgeführt, beim Kläger bestehe ein Lendenwirbelsäulen(LWS)-Syndrom bei degenerativen Veränderungen, ein Halswirbelsäulensyndrom bei degenerativen Veränderungen und ein Rotatorenmanschettensyndrom links. Bei der zweiten Konsultation des Klägers im April 2006 habe dieser nicht mehr über Beschwerden im Bereich der LWS geklagt, so dass hier von einer Besserung auszugehen sei. Der GdB betrage seines Erachtens 30 auf orthopädischem Fachgebiet. Der Arzt für Allgemeinmedizin und Sportmedizin Dr. Z. hat unter dem 21. Juli 2006 über die abgelaufene Herzoperation und neu aufgetretene Angina-pectoris-Beschwerden berichtet und den GdB auf seinem Fachgebiet mit mindestens 60 bewertet. Der Facharzt für innere Medizin und Kardiologie Dr. O. führte unter dem 17. Oktober 2006 aus, bei koronarer 3-Gefäßerkrankung, mittelgradig eingeschränkter linksventrikulärer Pumpfunktion und Aortenektasie mit noch nicht operationspflichtigem Befund betrage der GdB 40.
Unter dem 13. März 2007 unterbreitete der Beklagte einen Vergleichsvorschlag, wonach der GdB 40 ab Juli 2006 betrage. Beigefügt war die versorgungsärztliche (vä) Stellungnahme vom 27. Februar 2007.
Nachdem der Kläger die Annahme des Vergleichsangebots abgelehnt hatte, hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 13. Juni 2007 die angefochtenen Bescheide abgeändert und die Beklagte verurteilt, einen GdB von 40 ab 1. Juli 2006 festzustellen. Zur Begründung ist ausgeführt, wie der Arzt Dr. O. mitgeteilt habe, sei im Juli 2006 eine Verschlechterung der kardialen Befunds eingetreten, so dass der Einzel-GdB ab diesem Zeitpunkt mit 40 anzusetzen sei. Auf orthopädischem Fachgebiet habe Dr. L. lediglich leichte funktionelle Einschränkungen mitgeteilt, die einen GdB von maximal 10 rechtfertigten.
Gegen den ihm am 19. Juni 2007 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 19. Juli 2007 Berufung eingelegt und ausgeführt, ausgehend von einem unstreitigen GdB von 40 für die kardiale Problematik sei zu berücksichtigen, dass die von Dr. L. berichteten orthopädischen Probleme einen GdB von 30 bis 40 rechtfertigten.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts K. vom 13. Juni 2007 sowie den Bescheid vom 9. November 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. März 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, einen GdB von wenigstens 50 anzuerkennen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verweist auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidungen.
Das Gericht hat Dr. L. als sachverständigen Zeugen befragt (Auskunft vom 27. November 2007; GdB von 20 vorgeschlagen); der Kläger hat das Gutachten von PD Dr. K., Internist und Kardiologe, vom 17. Dezember 2007 vorgelegt, eingeholt im Rechtsstreit um die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente vor dem SG (Az.: S 4 R 3230/06). Auf die Auskunft bzw. das Gutachten wird inhaltlich verwiesen. Der Beklagte hat die versorgungsärztliche Stellungnahme vom 4. April 2008 vorgelegt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten und der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 SGG auch im Übrigen zulässige Berufung ist unbegründet. Der GdB ist mit 40 zutreffend festgestellt.
Maßgebliche Rechtsgrundlagen sind insoweit seit 01.07.2001 die Vorschriften des 9. Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB IX), die an die Stelle der durch dieses Gesetz aufgehobenen Vorschriften des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) getreten sind (Artikel 63, 68 des SGB IX vom 19.06.2001, BGBl. I S. 1046).
Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen auf Antrag des behinderten Menschen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Sind neben dem Vorliegen der Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen, so treffen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden ebenfalls die erforderlichen Feststellungen (§ 69 Abs. 4 SGB IX). Auf Antrag stellen die Behörden einen Ausweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch, den Grad der Behinderung sowie über weitere gesundheitliche Merkmale aus.
Diese Vorschriften sind weitgehend inhaltsgleich mit den bis zum 30.06.2001 geltenden Vorschriften der §§ 3 und 4 SchwbG, weshalb die bisherigen Grundsätze zur GdB-Bewertung weiter angewandt werden können. Inwieweit in Einzelfällen Gesundheitsstörungen über die damit verbundenen Funktionseinschränkungen hinaus Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft haben und auch diese Auswirkungen insoweit bei der GdB-Einschätzung zu berücksichtigten sind (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2001 - B 9 SB 1/01 R), kann dahinstehen, denn solche Umstände sind vorliegend nicht ersichtlich. Die Feststellung des GdB ist eine rechtliche Wertung von Tatsachen, die mit Hilfe von medizinischen Sachverständigen festzustellen sind. Dabei orientiert sich der Senat im Interesse der Gleichbehandlung aller Behinderten an den Bewertungsmaßstäben, wie sie in den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht", Ausgabe 2004 (AP) niedergelegt sind (vgl. BSG SozR 3870 § 3 SchwbG Nr. 4; SozR 3 - 3870 § 4 SchwbG Nr. 19 und Urteil vom 07.11.2001 aaO). Die AP besitzen zwar keine Normqualität, weil sie weder auf einem Gesetz noch auf einer Verordnung oder auch nur auf Verwaltungsvorschriften beruhen. Sie sind vielmehr als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen, die in der Praxis wie Richtlinien für die ärztliche Gutachtertätigkeit wirken, und haben deshalb normähnliche Auswirkungen. Auch sind sie im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung wie untergesetzliche Normen von den Gerichten anzuwenden (vgl. BSGE 72, 285, 286; BSG SozR 3 - 3870 aaO; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R).
Bei der Bildung des Gesamt-GdB ist nach den Grundsätzen zu verfahren, wie sie in den AP (Abschnitt 19) ihren Niederschlag gefunden haben. Danach sind bei der Festsetzung des Gesamt-GdB die Auswirkungen aller Beeinträchtigungen unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander maßgebend (§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX). Leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, führen nicht zu einer Zunahme der Gesamtbeeinträchtigung, auch wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Gesundheitsstörungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Bei der Bildung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Behinderung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB verursacht. Dann ist im Hinblick auf weitere Behinderungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung insgesamt größer wird und deshalb dem höchsten Einzel-GdB ein Behinderungsgrad von 10 oder 20 oder mehr hinzuzufügen ist, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Mathematische Methoden, insbesondere eine Addition der einzelnen GdB-Werte, sind hierbei ausgeschlossen (BSG SozR 3870 § 3 SchwbG Nr. 4).
Unter Berücksichtigung der in den Anhaltspunkten niedergelegten Grundsätze ist im Fall des Klägers ein GdB von 40 festzustellen.
Nach den AP 26.9 sind Krankheiten des Herzens (Herzklappenfehler, koronare Herzkrankheit, Kardiomyopathien, angeborene Herzfehler u.a.) ohne wesentliche Leistungsbeeinträchtigung (keine Insuffizienzerscheinungen wie Atemnot, anginöse Schmerzen) selbst bei gewohnter stärkerer Belastung (z. B. sehr schnelles Gehen [7-8 km/h], schwere körperliche Arbeit), keine Einschränkung der Solleistung bei Ergometerbelastung; bei Kindern und Säuglingen (je nach Alter) beim Strampeln, Krabbeln, Laufen, Treppensteigen keine wesentliche Leistungsbeeinträchtigung, keine Tachypnoe, kein Schwitzen mit einem GdB von 0 zu bewerten. Eine Leistungsbeeinträchtigung bei mittelschwerer Belastung (z. B. forsches Gehen [5-6 km/h], mittelschwere körperliche Arbeit), Beschwerden und Auftreten pathologischer Messdaten bei Ergometerbelastung mit 75 Watt (wenigstens 2 Minuten); bei Kindern und Säuglingen Trinkschwierigkeiten, leichtes Schwitzen, leichte Tachy- und Dyspnoe, leichte Zyanose, keine Stauungsorgane, Beschwerden und Auftreten pathologischer Messdaten bei Ergometerbelastung mit 1 Watt/kg Körpergewicht ist ein GdB von 20 bis 40, erst bei einer Leistungsbeeinträchtigung bereits bei alltäglicher leichter Belastung (z. B. Spazierengehen [3-4 km/h], Treppensteigen bis zu einem Stockwerk, leichte körperliche Arbeit), Beschwerden und Auftreten pathologischer Messdaten bei Ergometerbelastung mit 50 Watt (wenigstens 2 Minuten) ist ein höherer GdB zwischen 50 und 70 festzustellen.
Unter Berücksichtigung des Inhalts des von PD Dr. K. erstellten Gutachtens für das Rentenverfahren sowie den aktenkundigen ärztlichen Stellungnahmen, insbesondere des Dr. O. im erstinstanzlichen Klageverfahren, ist der GdB mit 40 für die kardialen Beschwerden zutreffend bewertet.
Eine Leistungsbeeinträchtigung des Klägers wurde bei schnellerem Gehen und beim Bergaufgehen beschrieben; Spaziergänge und Fahrradfahren in der Ebene hat der Kläger während des Dauer-EKG ohne relevante Einschränkungen verrichten können. Echokardiographisch war die Aorta ascendens nur geringfügig erweitert und die globale Funktion der linken Herzkammer leicht- bis mittelgradig eingeschränkt. Die durchgeführte Stressechokardiographie, Spirometrie wie auch das Belastungs-EKG haben erst ab der 75 Watt-Stufe Einschränkungen der kardiopulmonalen Leistungsfähigkeit ergeben (Belastungsatemnot und Belastungsangina). Auch zitiert Dr. K. die Stellungnahme des Dr. O. vom 26. Juni 2007 gegenüber dem SG, wonach beim Kläger im Rahmen der am 17. April 2007 durchgeführten Spiroergometrie eine mittelgradig eingeschränkte linksventrikuläre Pumpfunktion als Leistungsbeeinträchtigung beschrieben worden sei, also ein dem von Dr. K. selbst erhobenen Befund vergleichbarer Leistungszustand. Eine Leistungsbeeinträchtigung bereits bei alltäglicher leichter Belastung, z.B. beim Spazierengehen oder dem Verrichten leichter Hausarbeiten, ist nicht nachgewiesen, so dass ein Teil-GdB von mehr als 40 insoweit nicht festgestellt werden kann.
Aber auch unter Berücksichtigung eines weiteren Teil-GdB für die orthopädischen Beschwerden ist ein höherer Gesamt-GdB als 40 nicht zu rechtfertigen.
Nach den AP Nr. 26.18 sind Wirbelsäulenschäden ohne Bewegungseinschränkung oder Instabilität mit einem GdB von 0, mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurzdauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) mit einem GdB von 10, mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) mit einem GdB von 20 und erst mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrom) mit einem GdB von 30 zu bewerten. Mittelgradige bis schwere funktionelle Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten rechtfertigen einen GdB zwischen 30 – 40.
In seiner sachverständigen Zeugenaussage hat Dr. L. im November 2007 ausgeführt, dass er den Kläger zuletzt im Februar 2007 untersucht und dabei eine Ileosakralgelenksfunktionsstörung beidseits festgestellt habe. Bei der Rumpfbeugung haben die Finger die Mitte des Oberschenkels erreicht, die Reflexe waren nur abgeschwächt auslösbar, eine Epicondylitis humeroradialis links ist des Weiteren mitgeteilt worden. Er hat als nicht nur vorübergehende Gesundheitsstörungen ein Lendenwirbelsäulensyndrom mittleren Schweregrads beschrieben, das aus seiner Sicht einen GdB von 20 rechtfertigt.
Legt man die von ihm mitgeteilten funktionellen Einschränkungen der Leistungsbeurteilung zugrunde, ist fraglich, ob tatsächlich der von Dr. L. vorgeschlagene GdB von 20 angemessen ist. Denn faktisch ist schon durch die geringe Behandlungsfrequenz (im Jahr 2006 am 30. März, 6. April, 24. Juli und 1. September, im Jahr 2007 bis November nur am 8. Februar) davon auszugehen, dass lediglich rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkungen oder eine Instabilität geringen Grades sowie seltene und kurzdauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome vorliegen, die einen GdB von nur 10 v.H. rechtfertigen. Häufig rezidivierende und Tage anhaltende Wirbelsäulensyndrome sind nicht belegt.
Aber selbst wenn man der Beurteilung durch Dr. L. folgen und die Einschränkungen mit einem GdB von 20 bewerten wollte, käme eine Höherbewertung des Gesamt-GdB von 40 nicht in Betracht, da sich eine bloße Addition der Werte verbietet, sondern in einer Gesamtschau, ausgehend vom Schwerpunkt der Erkrankungen, hier auf internistischem Fachgebiet, der Gesamt-GdB wertend zu ermitteln ist. Im Rahmen dieser wertenden Gesamtanalyse kommt den Leistungseinschränkungen des Klägers auf orthopädischem Fachgebiet kein solches Gewicht zu, dass sie die Höherbewertung des Gesamt-GdB rechtfertigen könnten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Im Streit steht die Eigenschaft des Klägers als schwerbehinderter Mensch bzw. die Feststellung eines Grads der Behinderung (GdB) von 50.
Der 1955 geborene Kläger beantragte erstmals am 19. August 2005 die Feststellung eines GdB, den er mit Folgen eines Herzinfarkts bzw. einer Bypassoperation und Wirbelsäulenproblemen begründete. Das Landratsamt K., Amt für Gesundheit und Versorgung (LRA) zog den Entlassungsbericht aus der Rehabilitationsmaßnahme vom 26. Juli bis 16. August 2005 bei (operative 4-fach Myokardrevaskularisation 12. Juli 2005, koronare 3-Gefäßerkrankung, Zustand nach Hinterwandinfarkt, Hyperlipidämie).
Mit Bescheid vom 9. November 2006 stellte das LRA einen GdB von 30 ab 19. August 2005 fest, dem als Behinderungen zugrunde lagen ein abgelaufener Herzinfarkt, koronarer Bypass (Teil-GdB 30), Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Nervenwurzelreizerscheinungen (Teil-GdB 10).
Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 15. März 2006 zurückgewiesen wurde.
Dagegen hat der Kläger am 20. März 2006 Klage zum Sozialgericht K. (SG) erhoben mit der Begründung, der Teil-GdB von 10 sei für das Wirbelsäulenleiden nicht ausreichend. Das SG hat die behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen angehört. Der Arzt für Allgemeinmedizin und Orthopädie Dr. L. hat unter dem 13. Juni 2006 ausgeführt, beim Kläger bestehe ein Lendenwirbelsäulen(LWS)-Syndrom bei degenerativen Veränderungen, ein Halswirbelsäulensyndrom bei degenerativen Veränderungen und ein Rotatorenmanschettensyndrom links. Bei der zweiten Konsultation des Klägers im April 2006 habe dieser nicht mehr über Beschwerden im Bereich der LWS geklagt, so dass hier von einer Besserung auszugehen sei. Der GdB betrage seines Erachtens 30 auf orthopädischem Fachgebiet. Der Arzt für Allgemeinmedizin und Sportmedizin Dr. Z. hat unter dem 21. Juli 2006 über die abgelaufene Herzoperation und neu aufgetretene Angina-pectoris-Beschwerden berichtet und den GdB auf seinem Fachgebiet mit mindestens 60 bewertet. Der Facharzt für innere Medizin und Kardiologie Dr. O. führte unter dem 17. Oktober 2006 aus, bei koronarer 3-Gefäßerkrankung, mittelgradig eingeschränkter linksventrikulärer Pumpfunktion und Aortenektasie mit noch nicht operationspflichtigem Befund betrage der GdB 40.
Unter dem 13. März 2007 unterbreitete der Beklagte einen Vergleichsvorschlag, wonach der GdB 40 ab Juli 2006 betrage. Beigefügt war die versorgungsärztliche (vä) Stellungnahme vom 27. Februar 2007.
Nachdem der Kläger die Annahme des Vergleichsangebots abgelehnt hatte, hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 13. Juni 2007 die angefochtenen Bescheide abgeändert und die Beklagte verurteilt, einen GdB von 40 ab 1. Juli 2006 festzustellen. Zur Begründung ist ausgeführt, wie der Arzt Dr. O. mitgeteilt habe, sei im Juli 2006 eine Verschlechterung der kardialen Befunds eingetreten, so dass der Einzel-GdB ab diesem Zeitpunkt mit 40 anzusetzen sei. Auf orthopädischem Fachgebiet habe Dr. L. lediglich leichte funktionelle Einschränkungen mitgeteilt, die einen GdB von maximal 10 rechtfertigten.
Gegen den ihm am 19. Juni 2007 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 19. Juli 2007 Berufung eingelegt und ausgeführt, ausgehend von einem unstreitigen GdB von 40 für die kardiale Problematik sei zu berücksichtigen, dass die von Dr. L. berichteten orthopädischen Probleme einen GdB von 30 bis 40 rechtfertigten.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts K. vom 13. Juni 2007 sowie den Bescheid vom 9. November 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. März 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, einen GdB von wenigstens 50 anzuerkennen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verweist auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidungen.
Das Gericht hat Dr. L. als sachverständigen Zeugen befragt (Auskunft vom 27. November 2007; GdB von 20 vorgeschlagen); der Kläger hat das Gutachten von PD Dr. K., Internist und Kardiologe, vom 17. Dezember 2007 vorgelegt, eingeholt im Rechtsstreit um die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente vor dem SG (Az.: S 4 R 3230/06). Auf die Auskunft bzw. das Gutachten wird inhaltlich verwiesen. Der Beklagte hat die versorgungsärztliche Stellungnahme vom 4. April 2008 vorgelegt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten und der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 SGG auch im Übrigen zulässige Berufung ist unbegründet. Der GdB ist mit 40 zutreffend festgestellt.
Maßgebliche Rechtsgrundlagen sind insoweit seit 01.07.2001 die Vorschriften des 9. Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB IX), die an die Stelle der durch dieses Gesetz aufgehobenen Vorschriften des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) getreten sind (Artikel 63, 68 des SGB IX vom 19.06.2001, BGBl. I S. 1046).
Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen auf Antrag des behinderten Menschen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Sind neben dem Vorliegen der Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen, so treffen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden ebenfalls die erforderlichen Feststellungen (§ 69 Abs. 4 SGB IX). Auf Antrag stellen die Behörden einen Ausweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch, den Grad der Behinderung sowie über weitere gesundheitliche Merkmale aus.
Diese Vorschriften sind weitgehend inhaltsgleich mit den bis zum 30.06.2001 geltenden Vorschriften der §§ 3 und 4 SchwbG, weshalb die bisherigen Grundsätze zur GdB-Bewertung weiter angewandt werden können. Inwieweit in Einzelfällen Gesundheitsstörungen über die damit verbundenen Funktionseinschränkungen hinaus Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft haben und auch diese Auswirkungen insoweit bei der GdB-Einschätzung zu berücksichtigten sind (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2001 - B 9 SB 1/01 R), kann dahinstehen, denn solche Umstände sind vorliegend nicht ersichtlich. Die Feststellung des GdB ist eine rechtliche Wertung von Tatsachen, die mit Hilfe von medizinischen Sachverständigen festzustellen sind. Dabei orientiert sich der Senat im Interesse der Gleichbehandlung aller Behinderten an den Bewertungsmaßstäben, wie sie in den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht", Ausgabe 2004 (AP) niedergelegt sind (vgl. BSG SozR 3870 § 3 SchwbG Nr. 4; SozR 3 - 3870 § 4 SchwbG Nr. 19 und Urteil vom 07.11.2001 aaO). Die AP besitzen zwar keine Normqualität, weil sie weder auf einem Gesetz noch auf einer Verordnung oder auch nur auf Verwaltungsvorschriften beruhen. Sie sind vielmehr als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen, die in der Praxis wie Richtlinien für die ärztliche Gutachtertätigkeit wirken, und haben deshalb normähnliche Auswirkungen. Auch sind sie im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung wie untergesetzliche Normen von den Gerichten anzuwenden (vgl. BSGE 72, 285, 286; BSG SozR 3 - 3870 aaO; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R).
Bei der Bildung des Gesamt-GdB ist nach den Grundsätzen zu verfahren, wie sie in den AP (Abschnitt 19) ihren Niederschlag gefunden haben. Danach sind bei der Festsetzung des Gesamt-GdB die Auswirkungen aller Beeinträchtigungen unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander maßgebend (§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX). Leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, führen nicht zu einer Zunahme der Gesamtbeeinträchtigung, auch wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Gesundheitsstörungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Bei der Bildung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Behinderung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB verursacht. Dann ist im Hinblick auf weitere Behinderungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung insgesamt größer wird und deshalb dem höchsten Einzel-GdB ein Behinderungsgrad von 10 oder 20 oder mehr hinzuzufügen ist, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Mathematische Methoden, insbesondere eine Addition der einzelnen GdB-Werte, sind hierbei ausgeschlossen (BSG SozR 3870 § 3 SchwbG Nr. 4).
Unter Berücksichtigung der in den Anhaltspunkten niedergelegten Grundsätze ist im Fall des Klägers ein GdB von 40 festzustellen.
Nach den AP 26.9 sind Krankheiten des Herzens (Herzklappenfehler, koronare Herzkrankheit, Kardiomyopathien, angeborene Herzfehler u.a.) ohne wesentliche Leistungsbeeinträchtigung (keine Insuffizienzerscheinungen wie Atemnot, anginöse Schmerzen) selbst bei gewohnter stärkerer Belastung (z. B. sehr schnelles Gehen [7-8 km/h], schwere körperliche Arbeit), keine Einschränkung der Solleistung bei Ergometerbelastung; bei Kindern und Säuglingen (je nach Alter) beim Strampeln, Krabbeln, Laufen, Treppensteigen keine wesentliche Leistungsbeeinträchtigung, keine Tachypnoe, kein Schwitzen mit einem GdB von 0 zu bewerten. Eine Leistungsbeeinträchtigung bei mittelschwerer Belastung (z. B. forsches Gehen [5-6 km/h], mittelschwere körperliche Arbeit), Beschwerden und Auftreten pathologischer Messdaten bei Ergometerbelastung mit 75 Watt (wenigstens 2 Minuten); bei Kindern und Säuglingen Trinkschwierigkeiten, leichtes Schwitzen, leichte Tachy- und Dyspnoe, leichte Zyanose, keine Stauungsorgane, Beschwerden und Auftreten pathologischer Messdaten bei Ergometerbelastung mit 1 Watt/kg Körpergewicht ist ein GdB von 20 bis 40, erst bei einer Leistungsbeeinträchtigung bereits bei alltäglicher leichter Belastung (z. B. Spazierengehen [3-4 km/h], Treppensteigen bis zu einem Stockwerk, leichte körperliche Arbeit), Beschwerden und Auftreten pathologischer Messdaten bei Ergometerbelastung mit 50 Watt (wenigstens 2 Minuten) ist ein höherer GdB zwischen 50 und 70 festzustellen.
Unter Berücksichtigung des Inhalts des von PD Dr. K. erstellten Gutachtens für das Rentenverfahren sowie den aktenkundigen ärztlichen Stellungnahmen, insbesondere des Dr. O. im erstinstanzlichen Klageverfahren, ist der GdB mit 40 für die kardialen Beschwerden zutreffend bewertet.
Eine Leistungsbeeinträchtigung des Klägers wurde bei schnellerem Gehen und beim Bergaufgehen beschrieben; Spaziergänge und Fahrradfahren in der Ebene hat der Kläger während des Dauer-EKG ohne relevante Einschränkungen verrichten können. Echokardiographisch war die Aorta ascendens nur geringfügig erweitert und die globale Funktion der linken Herzkammer leicht- bis mittelgradig eingeschränkt. Die durchgeführte Stressechokardiographie, Spirometrie wie auch das Belastungs-EKG haben erst ab der 75 Watt-Stufe Einschränkungen der kardiopulmonalen Leistungsfähigkeit ergeben (Belastungsatemnot und Belastungsangina). Auch zitiert Dr. K. die Stellungnahme des Dr. O. vom 26. Juni 2007 gegenüber dem SG, wonach beim Kläger im Rahmen der am 17. April 2007 durchgeführten Spiroergometrie eine mittelgradig eingeschränkte linksventrikuläre Pumpfunktion als Leistungsbeeinträchtigung beschrieben worden sei, also ein dem von Dr. K. selbst erhobenen Befund vergleichbarer Leistungszustand. Eine Leistungsbeeinträchtigung bereits bei alltäglicher leichter Belastung, z.B. beim Spazierengehen oder dem Verrichten leichter Hausarbeiten, ist nicht nachgewiesen, so dass ein Teil-GdB von mehr als 40 insoweit nicht festgestellt werden kann.
Aber auch unter Berücksichtigung eines weiteren Teil-GdB für die orthopädischen Beschwerden ist ein höherer Gesamt-GdB als 40 nicht zu rechtfertigen.
Nach den AP Nr. 26.18 sind Wirbelsäulenschäden ohne Bewegungseinschränkung oder Instabilität mit einem GdB von 0, mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurzdauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) mit einem GdB von 10, mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) mit einem GdB von 20 und erst mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrom) mit einem GdB von 30 zu bewerten. Mittelgradige bis schwere funktionelle Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten rechtfertigen einen GdB zwischen 30 – 40.
In seiner sachverständigen Zeugenaussage hat Dr. L. im November 2007 ausgeführt, dass er den Kläger zuletzt im Februar 2007 untersucht und dabei eine Ileosakralgelenksfunktionsstörung beidseits festgestellt habe. Bei der Rumpfbeugung haben die Finger die Mitte des Oberschenkels erreicht, die Reflexe waren nur abgeschwächt auslösbar, eine Epicondylitis humeroradialis links ist des Weiteren mitgeteilt worden. Er hat als nicht nur vorübergehende Gesundheitsstörungen ein Lendenwirbelsäulensyndrom mittleren Schweregrads beschrieben, das aus seiner Sicht einen GdB von 20 rechtfertigt.
Legt man die von ihm mitgeteilten funktionellen Einschränkungen der Leistungsbeurteilung zugrunde, ist fraglich, ob tatsächlich der von Dr. L. vorgeschlagene GdB von 20 angemessen ist. Denn faktisch ist schon durch die geringe Behandlungsfrequenz (im Jahr 2006 am 30. März, 6. April, 24. Juli und 1. September, im Jahr 2007 bis November nur am 8. Februar) davon auszugehen, dass lediglich rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkungen oder eine Instabilität geringen Grades sowie seltene und kurzdauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome vorliegen, die einen GdB von nur 10 v.H. rechtfertigen. Häufig rezidivierende und Tage anhaltende Wirbelsäulensyndrome sind nicht belegt.
Aber selbst wenn man der Beurteilung durch Dr. L. folgen und die Einschränkungen mit einem GdB von 20 bewerten wollte, käme eine Höherbewertung des Gesamt-GdB von 40 nicht in Betracht, da sich eine bloße Addition der Werte verbietet, sondern in einer Gesamtschau, ausgehend vom Schwerpunkt der Erkrankungen, hier auf internistischem Fachgebiet, der Gesamt-GdB wertend zu ermitteln ist. Im Rahmen dieser wertenden Gesamtanalyse kommt den Leistungseinschränkungen des Klägers auf orthopädischem Fachgebiet kein solches Gewicht zu, dass sie die Höherbewertung des Gesamt-GdB rechtfertigen könnten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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