L 8 SB 439/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 9 SB 1711/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 439/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 8. Dezember 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die 1961 geborene Klägerin begehrt die Neufeststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX).

Mit Bescheid vom 22.04.2002 stellte das Versorgungsamt Heilbronn (VA) auf Antrag der Klägerin wegen einer Alkoholkrankheit, Leberschaden (Teil-GdB 50) sowie degenerativer Veränderungen der Wirbelsäule, Nervenwurzelreizerscheinungen (Teil-GdB 10) den GdB mit 50 fest.

Auf den Neufeststellungsantrag der Klägerin auf Erhöhung des GdB sowie die Feststellung gesundheitlicher Merkmale für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen (Merkzeichen) vom 29.08.2002 stellte das VA mit Bescheid vom 24.02.2003 wegen einer Abhängigkeitserkrankung (in Heilungsbewährung), Leberschaden (Teil-GdB 50), degenerativer Veränderungen der Wirbelsäule, Nervenwurzelreizerscheinungen, Bandscheibenschaden (Teil-GdB 20), seelische Störung, chronisches Schmerzsyndrom (Teil-GdB 30) und Bluthochdruck (Teil-GdB 10) den GdB mit 70 seit 29.08.2002 neu fest. Im Übrigen wurde dem Antrag auf Feststellung der Merkzeichen "G" und "RF" nicht entsprochen.

Am 02.02.2004 stellte die Klägerin durch Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten unter Bezugnahme auf einen Rentenrechtsstreit einen weiteren Neufeststellungsantrag auf Erhöhung des GdB und auf Feststellung des Merkzeichens "G". Sie legte medizinische Befundunterlagen vor. Das VA holte die ärztlichen Befundscheine der Dr. J. vom 16.03.2004 und des Dr. B. vom 19.05.2004 ein und zog weitere medizinische Befundunterlagen bei (Berichte des Klinikum L. vom 26.01.2004, 09.02.2004, 24.09.2003, 24.05.2003 und 25.10.2002; Arztbrief Dr. L. vom 05.12.2003, Befundbericht Dr. Sch. vom 20.06.2002, radiologische Befundberichte vom 03.09.2003 und 27.08.2003, Laborbericht vom 10.02.2004). Nach versorgungsärztlicher Auswertung (Ärztin K. vom 09.09.2004) stellte das VA bei der Klägerin wegen einer Abhängigkeitserkrankung, Alkoholkrankheit, Leberschaden (Teil-GdB 60), degenerativer Veränderungen der Wirbelsäule, Nervenwurzelreizerscheinungen, Bandscheibenschaden (Teil-GdB 20), seelische Störung, chronisches Schmerzsyndrom, Schwindel (Teil-GdB 30) und Bluthochdruck (Teil-GdB 10) mit Bescheid vom 21.10.2004 nunmehr den GdB mit 80 seit 02.02.2004 neu fest. Im Übrigen entsprach es dem Antrag auf Feststellung des Merkzeichens "G" nicht.

Hiergegen legte die Klägerin am 28.10.2004 Widerspruch ein. Sie legte eine Auskunft des Klinikum L. vom 19.10.2004 an das Sozialgericht Heilbronn (SG) im Rentenrechtsstreit (S 4 RJ 1344/03) vor. Nach Einholung der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. H. vom 13.04.2005 wurde der Widerspruch der Klägerin durch das Regierungspräsidium Stuttgart - Landesversorgungsamt - mit Widerspruchsbescheid vom 02.05.2005 zurückgewiesen.

Hiergegen erhob die Klägerin am 03.06.2005 beim SG Klage, mit dem Ziel, den GdB auf 100 festzustellen. Sie führte zur Begründung aus, allein ihre Abhängigkeitserkrankung sei mit einem GdB von weit über 60 zu bewerten. Das Wirbelsäulenleiden sowie die seelische Störung, das chronische Schmerzsyndrom seien mit einem GdB von 30 zu bewerten. Zusätzlich seien eine Leberzirrhose sowie die Hepatitis C, die als dekompensiert bezeichnet werden müsse, zu berücksichtigen. Allein die dekompensierte Leberzirrhose sei mit einem GdB zwischen 60 und 100 zu bewerten. Die Klägerin legte medizinische Befundunterlagen vor (Stellungnahme Klinikum L. vom 19.10.2004 an das SG, Entlassungsmitteilung/-bericht der Rehabilitationsklinik B. vom 14.02.2005 und 10.02.2005) und teilte durch ihren Prozessbevollmächtigten weiter mit, seit 21.06.2005 sei Frau Voth vom Bezirksnotariat Ludwigsburg als ihre Betreuerin verpflichtet worden.

Das SG zog den Entlassungsbericht der Rehaklinik B. vom 19.07.2005 über die stationäre Behandlung der Klägerin vom 21.12.2004 bis 15.02.2005 bei und nahm die im Rentenrechtsstreit der Klägerin vorliegenden medizinischen Unterlagen (schriftliche sachverständige Zeugenaussagen der Dr. J. vom 29.07.2003, des Dr. Sch. vom 08.08.2003, der Ärztin B. vom 13.08.2003, des Orthopäden E-A vom 24.08.2003 und des Klinikum L. vom 19.10.2004, nervenärztliches Gutachten des Dr. H. vom 04.04.2004, Reha-Entlassungsbericht des Fachkrankenhauses Höchsten vom 27.04.2001, Befundbericht des Orthopäden E-A vom 30.11.2001, Bericht der Federseeklinik vom 19.06.2002, Befundberichte Dr. Sch. vom 19.02.2002 und 20.06.2002 und Bericht des Klinikum L. vom 18.11.2002) zu den Akten.

Der Beklagte trat der Klage unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. Köhler vom 12.10.2005 entgegen.

Das SG holte außerdem das neurologisch-psychiatrische Gutachten des Dr. R., O., vom 10.02.2006 ein. Er gelangte in seinem Gutachten nach einer ambulanten Untersuchung der Klägerin zusammenfassend zu der Beurteilung, auf nervenärztlichem Gebiet betrage der GdB 60 (Alkoholabhängigkeit Teil-GdB 50, chronische somatoforme Schmerzstörung Teil-GdB 20 bis 30). Unter zusätzlicher Berücksichtigung der degenerativen Wirbelsäulenveränderungen, Bandscheibenschaden, Nervenwurzelreizerscheinungen (Teil-GdB 20), des Bluthochdrucks nach Aktenlage (Teil-GdB 10) und - mit Vorbehalt - des Leberschadens (Teil-GdB 20) bewertete er den Gesamt-GdB mit 70.

Gegen die Bewertung des Sachverständigen erhob die Klägerin Einwendungen. Das SG holte daraufhin die ergänzende gutachtliche Stellungnahme des Dr. R. vom 13.04.2006 zu den Einwendungen der Klägerin ein, in der er an seiner Bewertung fest hielt.

Die Klägerin verfolgte ihr Begehren weiter und legte den Bescheid der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg vom 16.05.2006 vor, mit dem ihr die mit Bescheid vom 19.07.2005 gewährte Versicherungsrente als Dauerrente weitergewährt wurde, sowie die schriftliche sachverständige Zeugenaussage des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie R. vom 16.03.2006 an das Landessozialgericht Baden-Württemberg im Verfahren L 11 R 5110/05.

Der Beklagte nahm durch Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. W. vom 25.10.2006, in der wegen einer Abhängigkeitserkrankung, Alkoholkrankheit, seelische Störung, chronisches Schmerzsyndrom (Teil-GdB 70), Leberschaden (Teil-GdB 20), degenerativer Veränderungen der Wirbelsäule, Bandscheibenschaden, Nervenwurzelreizerscheinungen (Teil-GdB 20) Bluthochdruck, Schwindel (Teil-GdB 10) der Gesamt-GdB weiterhin mit 80 vorgeschlagen wurde, weiter Stellung.

Mit Gerichtsbescheid vom 08.12.2006 wurde die Klage der Klägerin abgewiesen. Das SG führte zur Begründung aus, der Beklagte habe bei der Klägerin den GdB mit 80 zutreffend festgestellt. Für die Alkohol- und Schmerzmittelabhängigkeit der Klägerin betrage der Teil-GdB 50, für die somatoforme Schmerzstörung betrage der Teil-GdB 30, für die Rückenbeschwerden betrage der Teil-GdB 20 und für den Bluthochdruck sei ein Teil-GdB von 0 bis 10 festzusetzen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Feststellung eines GdB von 100. Der Gerichtsbescheid wurde dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 15.12.2006 zugestellt.

Hiergegen hat die Klägerin mit einem am 05.01.2007 beim SG eingegangen Schreiben Berufung eingelegt. Sie hat zur Begründung vorgetragen, der Sachverständige Dr. R. habe den Leberschaden und den Bluthochdruck aus nervenärztlicher Sicht nicht einschätzen können. Das Gutachten des Dr. R. sei fast wertlos. Er habe eine Auswahl hinsichtlich der Diagnosen getroffen und diese auch unzutreffend eingeordnet. Dr. R. habe hinsichtlich des Leberschadens einen Teil-GdB von 20 angenommen, andererseits aber eine Überprüfung anheim gestellt. Diese Überprüfung sei nicht geschehen. Sie habe hinsichtlich ihrer Alkoholabstinenz Rückfälle erlitten. Sie sei nach wie vor schwer alkoholkrank. Wenn sie sich psychisch belastet fühle, greife sie zu dem Problemlöser Alkohol. Bei ihr habe sich eine Leberzirrhose mit einer Aszitese eingestellt, für die ein GdB von 60 bis 100 anzunehmen sei. Die Klägerin hat hierzu auf schriftliche Nachfrage des Berichterstatters Reha-Entlassungsberichte sowie Befundberichte des Klinikum L. vorgelegt. Sie hat außerdem geltend gemacht, ihr Gesundheitszustand habe sich erheblich verschlechtert.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 8. Dezember 2006 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 21. Oktober 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Mai 2005 zu verurteilen, bei ihr den Grad der Behinderung auf 100 seit dem 2. Februar 2004 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Rechtsstreites ohne mündliche Verhandlung bereit erklärt.

Wegen Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie ein Band Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 SGG), ist zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Neufeststellungsbescheid des Beklagten vom 21.10.2004 ist rechtmäßig. Der Beklagte hat mit dem angegriffenen Bescheid zu Recht den GdB auf 80 festgesetzt. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Neufeststellung eines höheren GdB als 80.

Der Beklagte wird seit 01.01.2005 wirksam durch das Regierungspräsidium Stuttgart vertreten. Nach § 71 Abs. 5 SGG wird in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts das Land durch das Landesversorgungsamt oder durch die Stelle, der dessen Aufgaben übertragen worden sind, vertreten. In Baden-Württemberg sind die Aufgaben des Landesversorgungsamts durch Art 2 Abs. 2 des Gesetzes zur Reform der Verwaltungsstruktur, zur Justizreform und zur Erweiterung des kommunalen Handlungsspielraums (Verwaltungsstruktur-Reformgesetz - VRG -) vom 01.07.2004 (GBl S. 469) mit Wirkung ab 01.01.2005 (Art 187 VRG) auf das Regierungspräsidium Stuttgart übergegangen.

Der von der Klägerin angefochtene Bescheid des Beklagten vom 21.10.2004 ist nicht Gegen-stand des vorliegenden Rechtsstreits, soweit mit diesem Bescheid die beantragte Feststellung des Nachteilsausgleichs (Merkzeichens) "G" abgelehnt wurde. Die Klägerin hat gegen diese Ablehnung beim SG nicht geklagt. Sie hat sich vielmehr mit ihrer Klage nur gegen die Höhe des GdB gewandt, wie sich aus ihrem Klageantrag und ihrer Klagebegründung zweifelsfrei ergibt. Dem entspricht auch ihr Antrag im Berufungsverfahren. Damit ist der Bescheid vom 21.10.2004 hinsichtlich der Nichtfeststellung des Merkzeichens "G" - teilweise - bestandskräftig geworden.

Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Eine wesentliche Änderung im Hinblick auf den GdB gegenüber einer vorausgegangenen Feststellung liegt nur dann vor, wenn im Vergleich zu den den GdB bestimmenden Funktionsausfällen, wie sie der letzten Feststellung des GdB tatsächlich zugrunde gelegen haben, insgesamt eine Änderung eingetreten ist, die einen um wenigstens 10 geänderten Gesamt-GdB bedingt. Dabei ist die Bewertung nicht völlig neu, wie bei der Erstentscheidung, vorzunehmen. Vielmehr ist zur Feststellung der Änderung ein Vergleich mit den für die letzte bindend gewordene Feststellung der Behinderung oder eines Nachteilsausgleichs maßgebenden Befunden und behinderungsbedingten Funktionseinbußen anzustellen. Eine ursprünglich falsche Entscheidung kann dabei grundsätzlich nicht korrigiert werden, da die Bestandskraft zu beachten ist. Sie ist lediglich in dem Maße durchbrochen, wie eine nachträgliche Veränderung eingetreten ist. Dabei kann sich ergeben, dass das Zusammenwirken der Funktionsausfälle im Ergebnis trotz einer gewissen Verschlimmerung unverändert geblieben ist. Rechtsverbindlich anerkannt bleibt nur die festgestellte Behinderung mit ihren tatsächlichen Auswirkungen, wie sie im letzten Bescheid in den Gesamt-GdB eingeflossen, aber nicht als einzelne (Teil-)GdB gesondert festgesetzt worden sind. Auch der Gesamt-GdB ist nur insofern verbindlich, als er im Sinne des § 48 Abs. 3 SGB X bestandsgeschützt ist, nicht aber in der Weise, dass beim Hinzutreten neuer Behinderungen der darauf entfallende Teil-GdB dem bisherigen Gesamt-GdB nach den Maßstäben der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" 2004 (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) hinzuzurechnen ist (vgl. BSG SozR 1300 § 48 Nr. 29). Die Verwaltung ist nach § 48 SGB X berechtigt, eine Änderung zugunsten und eine Änderung zuungunsten des Behinderten in einem Bescheid festzustellen und im Ergebnis eine Änderung zu versagen, wenn sich beide Änderungen gegenseitig aufheben (BSG SozR 3-3870 § 3 Nr. 5).

Auf Antrag des Behinderten stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den daraus resultierenden GdB fest (§ 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Nach § 2 Abs. 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als Grad der Behinderung, nach Zehnergraden abgestuft, festgestellt (§ 69 Abs. 1 Satz 3 SGB IX). Die im Rahmen des § 30 Abs. 1 BVG festgelegten Maßstäbe gelten entsprechend (§ 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX), so dass auch hier die AHP heranzuziehen sind.

Nach § 69 Abs. 3 SGB IX ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt ungeeignet (vgl. Nr. 19 Abs. 1 der AHP). In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden (Nr. 19 Abs. 3 der AHP). Ein Einzel-GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. Nr. 19 Abs. 4 der AHP). Der Gesamt-GdB ist unter Beachtung der AHP in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3-3879 § 4 Nr. 5).

Unter Anwendung dieser Grundsätze und nach dem Ergebnis der vom SG durchgeführten Ermittlungen, den zu den Akten gelangten und den von der Klägerin im Berufungsverfahren vorgelegten medizinischen Unterlagen steht zur Überzeugung des Senats fest, dass bei der Klägerin eine Verschlimmerung ihres Gesundheitszustandes eingetreten ist, die die Neufeststellung des GdB mit 80 rechtfertigt. Dem hat der Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid Rechnung getragen.

Die Klägerin wird in ihrer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft hauptsächlich durch eine bestehende Alkoholabhängigkeit und eine chronische somatoforme Schmerzstörung mit seelischen Begleiterscheinungen beeinträchtigt, wie Dr. R. in seinem Gutachten vom 10.02.2006 in Verbindung mit seiner ergänzenden Stellungnahme vom 13.04.2006 überzeugend ausgeführt hat. Seiner Ansicht schließt sich der Senat an. Diese Behinderungen der Klägerin wurden vom Beklagten - zuletzt - entsprechend der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. W. vom 25.10.2006 mit einem Teil-GdB von 70 bewertet. Dieser Bewertung schließt sich der Senat aus den in der versorgungsärztlichen Stellungnahme genannten Gründen an. Die Bewertung entspricht dem GdB-Bewertungsrahmen für eine schwere seelische Störung mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten (AHP Nr. 26.3, S. 48; GdB 50 bis 70). Gesichtspunkte, die die Feststellung eines Teil-GdB von über 70 rechtfertigen, liegen bei der Klägerin nicht vor. So hat Dr. R. in seinem Gutachten ausgeführt, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der Untersuchung einen weitgehend unauffälligen psychischen Befund geboten hat und manifeste Ausfälle auf neurologischem Gebiet nicht vorgelegen haben. Weiter hat nach den Ausführungen von Dr. R. die Alkoholabhängigkeit der Klägerin in körperlicher Hinsicht (noch) keine unmittelbaren Auswirkungen erfahren. Unter diesen Umständen hält auch der Senat einen GdB von 70 für die Alkoholabhängigkeit der Klägerin und die diese begleitende somatoforme Schmerzstörung für nicht unangemessen. Dr. R. selbst hält sogar einen Teil-GdB von 60 für ausreichend.

Weiter liegt bei der Klägerin ein Leberschaden vor. Nach den Entlassungsbericht des Klinikum L. vom 18.11.2002 wurde bei der Klägerin anlässlich einer stationären Behandlung vom 16.08.2002 bis 28.10.2002 eine Hepatitis C-Infektion festgestellt, wobei allerdings nach den Laborwerten (HCV-RNA qualitativ und quantitativ negativ) von einer lediglich geringen Infektiosität auszugehen ist, wie in dem Entlassungsbericht ausgeführt wurde. Nach dem weiteren Bericht des Klinikum L. vom 09.02.2004 ergab eine am 26.01.2004 durchgeführte immunologische Untersuchung bei der Klägerin dann keinen Hinweis auf eine akute oder abgelaufene Infektion mit dem Hepatitis B-Virus, auf eine Infektion mit dem Hepatitis C-Virus oder auf eine akute oder abgelaufene Infektion mit dem Hepatitis A-Virus. Danach kann bei der Klägerin allenfalls von einer Hepatitis ohne (klinisch-) entzündlichen Aktivität ausgegangen werden, die nach den AHP (Nr. 26.10, S. 82) einen GdB von 20 rechtfertigt, wovon auch Dr. W. in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 25.10.2006 ausgeht. Dass die Klägerin darüber hinaus an einer Leberzirrhose mit einer Aszitese leidet, worauf sie zur Begründung ihrer Berufung abstellt, ist nicht ersichtlich. Eine solche Lebererkrankung lässt sich den von der Klägerin auf ein Hinweisschreiben des Berichterstatters vorgelegten und auch sonst zu den Akten gelangten medizinischen Befundunterlagen nicht entnehmen. Vielmehr erbrachte eine Abdomensonografie der Leber am 21.01.2004 nach dem Befundbericht des Klinikum L. vom 09.02.2004 bei der Klägerin keinen Nachweis größerer Lymphome oder einer Aszites. Bei diesen Befunden lässt sich wegen des Leberschadens der Klägerin ein Teil-GdB von 60 bis 100, wie sie meint, nicht begründen.

Bei der Klägerin bestehenden weiter degenerative Wirbelsäulenveränderungen, ein Bandscheibenschaden und Nervenwurzelreizerscheinungen, die vom Beklagten mit einem Teil-GdB von 20 berücksichtigt worden sind. Dem entspricht auch die Bewertung des Dr. R. in seinem Gutachten vom 10.02.2006. Dabei überlagern sich die Wirbelsäulenbeschwerden der Klägerin mit der bestehenden somatoformen Schmerzstörung, ohne dass eine klare Abgrenzung möglich ist, wie Dr. R. in seinem Gutachten vom 10.02.2006 weiter ausgeführt hat. Im Hinblick auf diese bestehende Überschneidung ist die Anhebung des Gesamt-GdB auf über 80 wegen des Wirbelsäulenleidens der Klägerin nicht angemessen. Entsprechendes gilt für das Bluthochdruckleiden der Klägerin, das mit einem Teil-GdB von 10 zu bewerten und damit bei der Bildung des Gesamt-GdB nicht zu berücksichtigen ist.

Dass sich der Gesundheitszustand der Klägerin zwischenzeitlich wesentlich verschlimmert hat, ist nicht ersichtlich. In der von der Klägerin vorgelegten schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie R. vom 16.03.2006 an das Landessozialgericht Baden-Württemberg im Verfahren L 11 R 5110/05 wird vielmehr prognostiziert, dass der Gesundheitszustand der Klägerin eher gleichbleibend und sich nicht verschlechternd sein wird. Bei dieser Prognose drängen sich weitere Ermittlungen allein wegen der nicht näher dargelegten Behauptung der Klägerin, in der Zwischenzeit habe sich ihr Gesundheitszustand erheblich verschlechtert, nicht auf.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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