L 2 U 92/98

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 2 U 92/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 28. Oktober 1998 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I

Die Klägerin wendet sich gegen ihre Veranlagung zu der Gefahrklasse 4,3 ab dem 1. Januar 1995 und gegen die sich heraus ergebenden Beitragsverpflichtungen.

Die Klägerin war im Zeitpunkt des Erlasses des hier streitigen Veranlagungsbescheides ein reines Sprechtheater mit insgesamt 329 Mitarbeitern, davon 139 im künstlerischen Bereich, 66 in der Verwaltung und 124 in der Technik. Sie wurde ab 1990 zur Gefahrklasse 1,6 der Gefahrtarifstelle 5.6 des Gefahrtarifs vom 8. Dezember 1989 veranlagt. In dieser Gefahrtarifstelle waren als Unternehmensarten Institute für Wissenschaft und Forschung, Museen, Rundfunk- und Fernsehunternehmen, Theater und Unternehmen der Rundfunk- und Fernsehwerbung zusammengefasst.

Am 7. Juli 1995 beschloss die Vertreterversammlung der Beklagten den ab 1. Januar 1995 gültigen Gefahrtarif, der am 22. August 1995 durch das Bundesversicherungsamt genehmigt wurde. Die Beklagte hatte die Belastungsziffer für die Gefahrklassen errechnet, indem sie die Entschädigungslasten einer Tarifstelle im Beobachtungszeitraum von 1989 bis 1993 für die Unfälle dieses Zeitraumes mit 1000 multiplizierte und das Ergebnis durch die den Entgelten der Tarifstelle im Beobachtungszeitraum entsprechende Zahl dividierte. Die sich hieraus ergebende Be-lastungsziffer wurde umgerechnet auf die Belastungsziffer der Gefahrtarifstelle 01, die dem Wert 0,31606 entspricht und die mit der Gefahrklasse 1,0 gleichgesetzt wurde. Außerdem bildete die Beklagte neue Gefahrtarifstellen. Aus der Gefahrtarifstelle 5.6 wurden die Institute für Wissenschaft und Forschung, die Rundfunk- und Fernsehunternehmen sowie die Unternehmen der Rundfunk- und Fernsehwerbung herausgenommen. Für die beiden letztgenannten Unternehmensarten wurde unter weiterer Berücksichtigung der Unternehmen der Außenwerbung die Gefahrtarifstelle 19 gebildet, die mit einer Gefahrklasse von 2,0 bewertet wurde. Die Institute für Wissenschaft und Forschung wurden der Gefahrtarifstelle 15 mit einer Gefahrklasse von 1,3 zugeordnet. Die Gefahrtarifstelle 18 wurde durch die Theater und Museen der ursprünglichen Gefahrtarifstelle 5,6 gebildet. Zusätzlich wurden in dieser Gefahrtarifstelle Messe- und Ausstellungsunternehmen sowie Sportartisten und Stuntman berücksichtigt Für diese Unternehmensarten ergab sich die Gefahrklasse 4,3.

Mit Bescheid vom 29. September 1995 veranlagte die Beklagte die Klägerin aufgrund des neuen Gefahrtarifs zur Gefahrklasse 4,3 der Gefahrtarifstelle 18. Mit dem - im Widerspruchsverfahren - ergangenen Beitragsbescheid vom 26. April 1996 forderte die Beklagte aufgrund der neuen Veranlagung für das Jahr 1995 einen Beitrag von 247.018,86 DM, der nach Angaben der Klägerin zu einer Steigerung um 270 % führte.

Die Widersprüche gegen den Veranlagungs- und den Beitragsbescheid blieben erfolglos.

Gegen den Widerspruchsbescheid vom 11. Februar 1997 machte die Klägerin vor dem Sozialgericht u.a. geltend, der Widerspruchsbescheid sei rechtswidrig, weil der Widerspruchsstelle der Beklagten eine unabhängige Nachprüfung nicht ermöglicht worden sei. Deren Mitglieder hätten keine Gelegenheit gehabt, sich unbeeinflusst und unabhängig ihren Willen zu bilden. Für den Fall der formellen Rechtswirksamkeit wehre sie sich dagegen, u.a. mit den Unternehmensarten Sportartisten und Stuntmen in der gleichen Gefahrklasse veranlagt zu werden. Ihr sei nach wie vor nicht das Ergebnis der Nachprüfung gemäß § 731 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung - RVO - vorgelegt worden. Sie bestreite deshalb, dass ihre Gefahrklasse rechnerisch richtig ermittelt worden sei. Die rückwirkende Veranlagung durch den Bescheid vom 29. September 1995 zum 1. Januar 1995 verstoße gegen das Rückwirkungsverbot.

Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 28. Oktober 1998 abgewiesen. Der auf die Klägerin angewendete Gefahrtarif sei rechtmäßig. Gemäß des hier noch anwendbaren § 730 RVO habe die Vertreterversammlung der Beklagten zur Abstufung der Beiträge nach dem Grad der Unfallgefahr durch einen Gefahrtarif Gefahrklassen zu bilden (für die Zeit ab 1. Januar 1997 gelte Entsprechendes nach § 157 Sozialgesetzbuch - SGB - VII). Der Gefahrtarif stelle dabei eine Gruppierung der in einer Berufsgenossenschaft vereinigten Unternehmensarten nach dem Grad der Unfallgefährlichkeit dar. Die Höhe der Beiträge richte sich grundsätzlich nach dem Entgelt der Versicherten in den Unternehmen und nach dem Grad der Unfallgefahr in den Unternehmen (§§ 725 Abs. 1 RVO, 157 Abs. 2 SGB VII). Unter Berücksichtigung dieser höherrangigen Rechtsnormen sei das Sozialgericht zu der Auffassung gelangt, dass die Unfallbelastung des Betriebes im Rahmen der Gefahrklassenbildung etwa der durchschnittlichen Belastung des Unternehmenszweiges entsprechen müsse. Diese Voraussetzungen lägen vor. Das habe die Beklagte durch Vorlage des Unternehmerverzeichnisses für den hier nach ihrem beanstandungsfreien Ermessen zugrunde gelegten Beobachtungszeitraum der Jahre 1989 bis 1993 nachvollziehbar dargetan. Danach sei für die Theaterunternehmen von einer Entschädigungsneulast im Beobachtungszeitraum in Höhe von 1.535.332,34 DM und den Gesamtlohnsummen von 1.104.032.393,- DM auszugehen. Daraus errechne sich eine gesonderte Belastungsziffer für die Theaterunternehmen von 1,39066, die nach Normierung durch Teilung mit der Belastungsziffer der Gefahrtarifstelle 01 eine Gefahrklasse von 4,40001 ergebe. Die sich durch die Zusammenveranlagung mit den übrigen in der Gefahrtarifstelle 18 genannten Unternehmensarten ergebende Belastungsziffer von 4,3 liege daher unter der eigentlichen sich rechnerisch ergebenden Gefahrklasse von 4,4 und begünstige die Klägerin. Die Gefahrklasse gebe nach Normierung die Unfallgefahr der Unternehmensart „Theater“ damit annähernd wieder. Insbesondere sei auch der Einwand der Klägerin unzutreffend, bei den Theatern bestehe eine ungleich niedrigere Unfallgefahr als etwa bei den Sportartisten und Stuntmen. Das Gegenteil ergebe sich aus dem vorgelegten Unfallverzeichnis.

Der Gefahrtarif entfalte auch keine unzulässige Rückwirkung. Es liege vielmehr eine unechte Rückwirkung vor, die grundsätzlich zulässig sei. Das gelte umso mehr, als die Klägerin auf eine Unabänderbarkeit eines einmal aufgestellten Gefahrtarifs nicht habe vertrauen dürfen. Die dem Gefahrtarif zugrunde liegenden Belastungsverhältnisse erforderten gerade eine ständige Überwachung und Aktualisierung, die zur Änderung eines Gefahrtarifs führen könnten.

Keine Zustimmung fänden schließlich die Einwendungen der Klägerin gegen das Zustandekommen des Widerspruchsbescheides. Es seien keine Gründe ersichtlich, dass der angefochtene Widerspruchsbescheid vom 11. Februar 1997 nicht auf einer inhaltlich unbeeinflussten Entscheidung und Nachprüfung der Widerspruchsstelle beruhe.

Weiterhin sei der von der Klägerin erhobene Vorwurf einer Personenidentität zwischen den Mitgliedern und der Vertreterversammlung der Beklagten und der Widerspruchsstelle unzutreffend. Es lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass bei den Mitgliedern der Widerspruchsstelle, die den Bescheid vom 11. Februar 1997 unterzeichneten, deren Wählbarkeitsvoraussetzungen nicht vorgelegen hätten.

Gegen das ihr am 16. November 1998 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin vom 1. Dezember 1998, die nicht begründet worden ist.

Sie beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 28. Oktober 1998 sowie den Veranlagungsbescheid vom 29. September 1995 und den Beitragsbescheid vom 26. April 1996, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Februar 1997, den Beitragsbescheid vom 25. April 1997 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 3. Juni 1997 und den Beitragsbescheid vom 27. April 1998 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Außerdem stützt sie sich zur Begründung ihrer Auffassung auf das Urteil des erkennenden Senats vom 3. November 1998 zur Az. L 2 U 63/97, das der Klägerin laut Schriftsatz vom 20. Juli 1999 bekannt ist.

Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Verwiesen wird außerdem auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die vorlagen und Gegenstand dieses Beschlussverfahrens waren.

II

Das Landessozialgericht hat von der Möglichkeit, durch Beschluss zu entscheiden (§ 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) Gebrauch gemacht, weil es die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten hat. Die auf diese Verfahrensweise hingewiesenen Beteiligten haben hiergegen keine Einwendungen erhoben.

Die Berufung der Klägerin ist nicht begründet.

Maßstab für die Überprüfung der angefochtenen Bescheide sind die Vorschriften der RVO, soweit es um die Veranlagung der Klägerin ab dem 1. Januar 1995 mit den daraus folgenden Beitragsforderungen für 1995 und 1996 geht (vgl. Art. 35 des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes - UVEG - vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254, 1317). Der Beitragsbescheid für 1997 hat seine rechtliche Grundlage in § 168 SGB VII.

Die die Beiträge für die Jahre 1996 und 1997 feststellenden Bescheide vom 3. Juni 1997 und 27. April 1998 sind gemäß § 96 SGG Gegenstand dieses Rechtsstreits geworden.

Das Sozialgericht hat im angefochtenen Urteil zutreffend herausgearbeitet, dass der zur Grundlage der Veranlagung der Klägerin ab 1. Januar 1995 gemachte und von der Vertreterversammlung der Beklagten am 7. Juli 1995 beschlossene Gefahrtarif und die hierauf beruhenden Verwaltungsakte keinen rechtlichen Bedenken unterliegen, insbesondere den Rahmen des den Berufsgenossenschaften bei der Beitragsgestaltung eingeräumten weiten Ermessensspielraums (vgl. u.a. Bundessozialgericht - BSGE 68 S. 123, 124 und Bundesverfassungsgericht - BVerfG - SozR 2200 § 543 Nr. 6) nicht überschreiten.

Der Senat sieht gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und nimmt auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung Bezug. Dem Urteil des Sozialgerichts ist nichts Wesentliches hinzuzufügen, zumal die Klägerin in der Berufung keinen neuen Vortrag abgegeben und keine neuen Tatsachen benannt hat, die weitere Erwägungen in dieser Instanz erfordern. Diese Verfahrensweise der verkürzten Begründung rechtfertigt sich hier umso mehr, als der rechtskundig vertretenen Klägerin das Urteil des erkennenden Senats in einem gleichgelagerten Rechtsstreit vom 3. November 1998 zum Aktenzeichen L 2 U 63/97 bekannt ist. Er hat sich in diesem Urteil unter Wiedergabe der einschlägigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ausführlich mit allen auch hier relevanten Fragen, insbesondere der Aufstellung der Gefahrtarife, der Gefahrklassenberechnung und der Zusammenlegung unterschiedlicher Unternehmensarten in der Gefahrtarifstelle 18 auseinandergesetzt und keinen Anlass für Beanstandungen der Rechtspraxis der Beklagten gefunden. An der dort vertretenen Auffassung hält der Senat nach erneuter Überprüfung fest.

Soweit die Klägerin der Beklagten darüber hinaus formelle Fehler bei dem Zustandekommen des Widerspruchsbescheides vom 11. Februar 1997 vorgeworfen hat, die sie im Berufungsverfahren nicht wiederholt, ist ihr mit der Beklagten in deren Schriftsätzen vom 28. April 1997 und 16. Juni 1998 und den Ausführungen des Sozialgerichts im angefochtenen Urteil hierzu (vgl. Bl. 9 und 10 ebendort) entgegenzuhalten, dass die gesetzlich vorgeschriebenen Erfordernisse der Schriftform, des Begründungszwangs, der Unterschrift der Mitglieder der Widerspruchsstelle und ihrer richtigen Besetzung (vgl. §§ 85 Abs. 3 SGG, 36 a SGB IV) offensichtlich eingehalten worden sind und dass es an ernstzunehmenden konkreten Tatsachenbehauptungen fehlt, die Einhaltung der genannten Formvorschriften in Zweifel zu ziehen.

Die Kostenfolge der hiernach erfolglosen Berufung der Klägerin ergibt sich aus § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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