Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 54 R 24/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 R 153/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 10.05.2006 wird zurückgewiesen. Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt Altersrente unter Berücksichtigung von Ghetto-Beitragszeiten im Ghetto Libau, Lettland im Zeitraum von Juli 1942 bis September 1943.
Die am 00.00.1930 geborene Klägerin ist jüdischen Glaubens, lebt in Israel und besitzt die israelische Staatsangehörigkeit.
Die Klägerin wurde im Sommer 1942 mit ihrer Familie zwangsweise in das Ghetto Libau gebracht. Während ihres Aufenthaltes im Ghetto Libau arbeitete sie in einer Korkenfabrik.
Der Antrag der Klägerin auf Gewährung einer Beihilfe nach dem BEG-Schlussgesetz wurde insbesondere wegen Verspätung abgelehnt (Bescheid des Regierungspräsidenten Köln vom 06.07.1971).
Am 15.11.2002 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer Altersrente unter Berücksichtigung von Ghetto-Beitragszeiten. Sie gab an, sie habe im Ghetto Libau von Juni oder Juli 1942 bis September 1943 in einer Korkenfabrik Reinigungsarbeiten an zehn bis zwölf Stunden pro Tag verrichtet. Im September 1943 sei sie in ein Zwangsarbeitslager verlegt worden und dort am 10.03.1945 befreit worden. Hinsichtlich einer gewährten Entlohnung könne sie sich nur an Coupons erinnern. Als Arbeitsnachweis habe sie eine Nummern-Karte besessen, die bei Verlassen des Ghettos ausgegeben und bei Rückkehr wieder abgegeben worden sei.
Die Beklagte zog Unterlagen der Jewish Claims Conference (JCC) bei und wertete die dortigen Angaben der Klägerin aus. Die Klägerin hatte am 29.03.1993 gegenüber der JCC angegeben, sie habe von Sommer 1942 bis September 1943 in einer Korkenfabrik arbeiten müssen, obwohl sie zu der Zeit noch sehr jung gewesen sei.
Die Beklagte wertete ebenfalls die beigezogene Akte des Amtes für Wiedergutmachung der Bezirksregierung Düsseldorf aus. In einer in der dortigen Entschädigungsakte befindlichen Erklärung vom 27.11.1967 hatte die Klägerin angegeben, sie sei im Juni 1942 in das Ghetto Libau zwangseingewiesen und bei Liquidation desselben im September 1943 in das KZ-Lager Kaiserwald, Riga, deportiert worden. In einer weiteren Erklärung vom 22.12.1969 hatte die Klägerin angegeben, dass sie von Juni oder Juli 1941 bis 10.03.1945 in Haft gewesen sei. Sie habe den Judenstern tragen müssen, sei dann ins Ghetto Libau und von dort in das Konzentrationslager Riga-Kaiserwald zwangsüberführt worden. Sie sei dann endlich nach mehreren weiteren Aufenthalten in verschiedenen Zwangsarbeitslagern und Konzentrationslagern am 10.03.1945 bei Lauenburg befreit worden. Sie sei mehrere Male während der Verfolgungszeit sehr krank gewesen, habe Bauch- und Fleckentyphus gehabt und verschiedene andere infektiöse Krankheiten. Sie habe die ganze Zeit in Todesangst gelebt und sei zum Zeitpunkt der Befreiung nur mehr ein menschliches Wrack gewesen.
Die Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 09.09.2004 ab. Es habe keine sozialversicherungspflichtige Arbeit im Fall der Klägerin gegeben, vielmehr überwögen die Merkmale, die für eine nicht-versicherte Zwangsarbeit sprechen. Da sie noch ein Kind gewesen sei, sei davon auszugehen dass der Zweck ihres Arbeitseinsatzes nicht in der Beschäftigung, sondern im Schutz vor Deportation bestanden habe. Überdies trage die Zuweisung von Arbeitskräften zu Arbeitskommandos außerhalb des Ghettos typische Züge von Zwangsarbeit. Den Widerspruch begründete die Klägerin damit, die Beklagte setze sich nur unzureichend mit ihrem Verfolgungsschicksal auseinander und berücksichtige die historischen Tatsachen nicht ausreichend. Im Übrigen sei an die erhaltenen Sachbezüge als Arbeitsentgelt zu berücksichtigen. Für die Qualifikation des Sachbezugs als Entgelt komme es nicht auf dessen Umfang an.
Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 18.10.2005 den Widerspruch der Klägerin zurück. Die Klägerin habe angegeben, durch Coupons entlohnt worden zu sein. Barlohn sei nicht gewährt worden. Bei diesem Sachverhalt sei eine über den freien Unterhalt hinaus gehende Entlohnung nicht glaubhaft.
Hiergegen hat die Klägerin fristgerecht Klage zum Sozialgericht Düsseldorf erhoben. Zur Begründung verweist sie darauf, dass sie in der Zeit im Ghetto Libau in der I-straße gewohnt habe und die Beschäftigung in der Korkenfabrik außerhalb des Ghettos ausgeübt worden sei. Die Beschäftigung sei durch die Deportation im September 1943 beendet worden. Dass sie sich an den konkreten Gegenwert der gewährten Coupons nicht erinnern könne, vermöge nichts am Austausch der Arbeitsleistung gegen die von der Beklagten selbst geforderten Bar- oder Sachleistungen zu ändern. Sie habe im Übrigen in ihrer Arbeit auch der Anordnung über die Beschäftigung und Zahlung von jüdischen Arbeitskräften des Gebietskommissars in Libau vom 05.08.1942 unterlegen. Danach habe ein Lohnanspruch wie für einheimische Arbeitskräfte bei gleicher Tätigkeit bestanden. Zwar sei der Gesamtlohn an das Gebietskommissariat abzuführen gewesen, lediglich bei Akkordarbeit von 25 % des Mehrverdienstes sei eine Summe von jedoch nicht mehr als 2,50 Reichsmark wöchentlich an den Arbeitnehmer auszuzahlen gewesen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 09.09.2004 sowie des Widerspruchsbescheides vom 18.10.2005 zu verurteilen, ihr ab 01.07.1997 eine Regelaltersrente unter Berücksichtigung von Beitragszeiten von Juni 1942 bis September 1943 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat ihre bisherige Rechtsauffassung für weiterhin zutreffend erachtet.
Mit Urteil vom 10.05.2006 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung darauf verwiesen, dass nicht von einem freiwilligen Beschäftigungsverhältnis der Klägerin ausgegangen werden könne. Es spreche vielmehr unter Berücksichtigung, auch der historischen Erkenntnisse eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein Zwangsarbeitsverhältnis bestanden habe. Im Übrigen sei auch nicht glaubhaft gemacht, dass die Klägerin entgeltlich tätig gewesen sei. Die pauschale Angabe, Coupons für die Arbeiten erhalten zu haben, lasse nicht erkennen, dass Lebensmittel in einem Umfang bezogen worden seien, der über das für die Selbstversorgung erforderliche Maß hinaus gegangen sei. Substantiiert habe die Klägerin hierzu nicht vorgetragen.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, die vorträgt, dass im Ghetto Libau die Freiwilligkeit der Arbeitsaufnahme sehr wohl gegeben gewesen sei. Zwar sei die Wahl auf das elementarste reduziert gewesen, nämlich bei Nicht-Arbeit dem sicheren Tod entgegen zu gehen oder bei Aufnahme der Beschäftigung die Chance zu besitzen, zu überleben, aber auch dieses sei ausreichend im Sinne des Gesetzes. Im Übrigen sei auch die Gewährung der Lebensmittel-Coupons ausreichend Entlohnung im Sinne des ZRBG.
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,
die Beklagte unter Aufhebung des angefochten Urteils des Sozialgerichts Düsseldorf vom 10.05.2006 sowie unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 06.09.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.10.2005 zu verurteilen, ihr unter Anerkennung von Ghetto-Beitragszeiten von Juli 1942 bis September 1943, sowie unter Berücksichtigung von Verfolgungsersatzzeiten, Regelaltersrente ab 01.07.1997 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für inhaltlich zutreffend. Ergänzend verweist sie darauf, dass die von der Klägerin angeführte Rechtsprechung des 4. Senats des Bundessozialgerichts nicht im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung der Sozialgerichtsbarkeit und der Beschlusslage der Rentenversicherungsträger stehe.
Der Senat hat Unterlagen der JCC über Entschädigungsleistungen an die Klägerin ebenso beigezogen, wie eine schriftliche Anhörung der Klägerin durch Fragebogen durchgeführt. In diesem Fragebogen hat die Klägerin erneut auf die verrichtete Arbeit in der Korkenfabrik verwiesen. Sie habe dort Reinigungsarbeiten wie z. B. Fegen, Wischen, Waschen und Toiletteputzen verrichtet. Die Arbeitsstätte habe außerhalb des Ghettos in Neu-Libau gelegen. Es habe sich um eine deutsche Dienststelle gehandelt. Es habe keine Pflicht zur Verrichtung von Arbeit bestanden. Um die Arbeit zu erhalten, habe sie sich an den Judenrat gewandt. Sie sei auf dem Weg von und zur Arbeit bewacht worden. Auf der Arbeit sei sie nicht misshandelt worden, ein Vorgesetzter, ein Friedrich Knoll, sei ein anständiger Mensch gewesen.
Dem Senat haben darüber hinaus eine Auskunft des israelischen Sozialversicherungsträgers über zurückgelegte Beitragszeiten der Klägerin in der israelischen Sozialversicherung, eine Auskunft der JCC und des internationalen Suchdienstes (ITS) vorgelegen.
Der Senat hat das für das Sozialgericht Hammburg erstattete historische Gutachten der Sachverständigen S zur Lage der jüdischen Bevölkerung im deutsch besetzten Lettland 1941 bis 1945 unter dem Aspekt der Ghettoisierung und der Zwangsarbeit der Opfer sowie die Verwaltungsakte der Klägerin und ihre Entschädigungsakte beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig aber unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind nicht rechtswidrig und beschweren die Klägerin nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Altersrente.
Der Anspruch auf Altersrente folgt nach ständiger Rechtsprechung des Senats, allein aus dem 6. Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI), ohne dass das Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) eine eigenständige Anspruchsgrundlage darstellen würde (vgl. hierzu mit weiteren Nachweisen Urteil des 8. Senats vom 28.01.2008, Az.: L 8 RJ 139/04). Anspruchsgrundlage ist daher auch im Falle der Klägerin § 35 SGB VI. Trotz Auslandswohnsitzes der Klägerin ist diese Vorschrift anwendbar (vgl. BSG Urteil vom 14.07.1999, B 13 RJ 75/98 R; BSG, Urteil vom 13.08.2001, B 13 RJ 59/00 R).
Nach § 35 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Altersrente, wenn sie das 65. Lebensjahr vollendet und die allgemeine Wartezeit von 5 Jahren erfüllt haben. Als auf die Wartezeit anrechenbare Versicherungszeiten kommen hier nur Beitrags- und Ersatzzeiten im Sinne der §§ 50 Abs. 1 Nr. 1, 51 Abs. 1 und 4 SGB VI in Betracht. Dabei finden nach § 250 Abs 1 SGB VI Ersatzzeiten allerdings nur dann Berücksichtigung, wenn vor Beginn der Rente zumindest ein Betrag wirksam entrichtet worden ist oder als wirksam errichtet gilt; denn Ersatzzeiten sollen nach dem Gesetzeswortlaut nur "Versicherten", das heißt Personen zugute kommen, die bereits Beitragsleistungen erbracht haben (BSG Urteil vom 07.10.2004, B 13 RJ 59/03 R mit weiteren Nachweisen).
Da anderweitige Beitragszeiten nicht ersichtlich und auch nicht behauptet worden sind, hätte die Klägerin nur einen Rentenanspruch inne, wenn die Tätigkeit in der Korkenfabrik im Ghetto Libau/Neu-Libau eine Beitragszeit begründet hätte. Dies ist nicht der Fall.
Beitragszeiten sind Zeiten, für die nach dem Bundesrecht oder den Reichsversicherungsgesetzen Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind (§ 55 Abs. 1 Satz 1, 247 Abs. 3 Satz 1 SGB VI) oder als gezahlt gelten (§ 55 Abs. 1 Satz 2 SGB VI).
Für die Tätigkeit der Klägerin in Libau sind weder wirksam Beiträge nach den Reichsversicherungsgesetzen gezahlt worden, noch gelten sie kraft anderweitiger Bestimmungen als gezahlt.
1. Nach § 2 Abs. 1 ZRBG gelten Beiträge als gezahlt für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto. Voraussetzung ist gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG, dass die Verfolgten sich zwangsweise in einem Ghetto aufgehalten haben, das in einem vom Deutschen Reich besetzten oder ihm eingegliederten Gebiet gelegen hat (siehe unter a)) und dort eine Beschäftigung aus eigenen Willensentschluss gegen Entgelt ausgeübt haben (siehe hierzu unter b)). Ferner darf für die betreffenden Zeiten nicht bereits eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit erbracht werden. Die Anspruchsvoraussetzungen für einen Anspruch nach dem ZRBG müssen glaubhaft gemacht werden (§ 1 Abs. 2 ZRBG in Verbindung mit § 3 Gesetz zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung [WGSVG]). Glaubhaft gemacht ist eine Tatsache, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche verfügbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist, dass heißt mehr für als gegen sie spricht, wobei gewisse noch verbleibende Zweifel unschädlich sind (vgl. BSG, Beschluss vom 08.08.2001, B 9 V 23/01 B SozR - 3900 § 15 Nr. 4).
Für den Senat ist glaubhaft, dass die Klägerin als Verfolgte des Nationalsozialismus im Sinne von §§ 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG, 1 Abs. 1 Bundesentschädigungsgesetz anzusehen ist, weil sie aus Gründen des Glaubens durch nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen verfolgt worden ist und hierdurch zumindest einen Freiheitsschaden erlitten hat. Dass sie diesen nicht für eine Entschädigung nach dem BEG rechtzeitig angemeldet hat, ist unerheblich. Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 BEG stehen aufgrund der glaubhaften Schilderung des durch Verfolgung erlittenen Unrechts fest. Ebenso steht fest, dass die Klägerin für die geltend gemachten Zeiträume nicht anderweitig eine Leistung aus einem System der soziale Sicherheit erhält. Weder erhält sie entsprechende Leistungen aus der deutschen Rentenversicherung noch werden in der israelischen Sozialversicherung Zeiten vor dem 01.01.1954 berücksichtigt, wie dem Senat aus einer Vielzahl von Verfahren bekannt ist. Anderweitige soziale Sicherungssysteme aus denen Klägerin Leistungen für die hier geltend gemachten Zeiträume beanspruchen könnte, sind nicht ersichtlich.
a) Die Klägerin hat im streitigen Zeitraum in Libau gelebt, das in Lettland und damit in einem vom deutschen Reich besetzten Gebiet (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 2 ZRBG) gelegen hat. Der Senat geht davon aus, dass erst ab dem 01.07.1942 bis zum 08.10.1943 in Libau ein Ghetto bestanden hat.
Zur Auslegung des Begriffs "Ghetto" schließt sich der Senat Inhalt und Begründung des Urteils des 13. Senats des LSG Nordrhein-Westfalen vom 15.12.2006 (L 13 RJ 112/04; Sozialgerichtsbarkeit.de) an. Danach ist ein Ghetto eine Stadt, ein Stadtteil oder ein Viertel, in dem die jüdische Bevölkerung untergebracht wurde, und zwar im Wege der Absonderung, Konzentration und Internierung. Eine Schließung des Ghettos im Sinne einer Umzäunung oder bewaffneten Bewachung nach dem Vorbild z. B. des Ghettos Lodz ist dabei nicht erforderlich. Der Beginn der Absonderung ist regelmäßig mit der Verpflichtung der jüdischen Bevölkerung anzunehmen, ein Kennzeichen zu tragen, dass sie als Juden von der anderen Bevölkerung unterscheidet. Weiteres charakteristisches Kennzeichen ist die Verhängung eines Judenbanns für einzelne Stadtbereiche und die Verhängung strenger Wirtschafts- und Verkehrsbeschränkungen. Das Merkmal der Konzentration der jüdischen Bevölkerung ist insbesondere gekennzeichnet durch eine Beschränkung der Freizügigkeit im Verhältnis zu anderen Städten und (zusätzlich) innerhalb des Stadtgebiets, die Zuweisung des Wohngebietes, wobei eine bloße Zwangsumsiedlung aus einzelnen Stadtgebieten noch nicht zur Konzentration führt, die Einrichtung einer speziellen jüdischen Verwaltung ("Judenrat") und eines jüdischen Ordnungsdienstes ("Ghetto-Polizei") sowie die Bildung einer spezifischen jüdischen Arbeitsorganisation ("jüdisches Arbeitsamt"). Nicht notwendig ist dagegen, dass in den Konzentrationsbezirken ausschließlich jüdische Bevölkerung gelebt hat. Die internierungsähnlichen Umstände ergeben sich im Regelfall aus den jeweiligen Wohn- und Lebensumständen. Für eine Internierung der jüdischen Bevölkerung kann insbesondere sprechen, dass ihr nur ein deutlich geringerer Wohnraum als vor der Ghettoisierung zugestanden wird.
Nach diesen Kriterien ist davon auszugehen, dass in Libau am 01.07.1942 ein Ghetto errichtet worden ist. Das ergibt sich aus dem in das Verfahren eingeführten historischen Gutachten der Sachverständigen S, das vorliegend im Wege des Urkundsbeweises verwertet worden ist. Danach ist durch Befehl des SS- und Polizei-Standortführers Dr. G E vom 01.07.1942 die Einrichtung eines abgetrennten Wohnbezirks für Juden angeordnet worden. Das Ghettogebiet war umzäunt. Die Juden hatten sich dort zwischen 07:00 Uhr abends und 05:00 Uhr morgens aufzuhalten. Es bestand ein Judenrat. Frau S hat ihre Feststellungen nach Auswertung der verfügbaren historischen Unterlagen und Informationen sorgfältig und überzeugend getroffen. Inhaltlich sind ihren Feststellungen die Beteiligten nicht entgegen getreten.
Der Ghetto-Aufenthalt der Klägerin ist nicht dadurch aufgehoben worden, dass sie täglich das Ghetto zur Verrichtung der Arbeit verlassen und erst abends zurückgekehrt ist. Denn das hat an ihrem zwangsweisen Aufenthalt im Ghetto vor allem in den vorgeschriebenen nächtlichen Zeiträumen nichts geändert. Der Senat hält es dabei für glaubhaft, dass die Klägerin jeweils abends in das Ghetto Libau zurückgekehrt ist.
b) Es ist jedoch nicht glaubhaft gemacht, dass die Klägerin in der angegebenen Korkenfabrik eine Beschäftigung ausgeübt hat, die beide in § 1 Abs. 1 Nr. 1 ZRBG genannten Voraussetzungen erfüllt hat, nämlich das Zustandekommen der Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 a) ZRBG) und die Ausübung der Beschäftigung gegen Entgelt (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 b) ZRBG).
aa) Der erkennende Senat hält es weiterhin für erforderlich, den in § 1 Abs. 1 Nr. 1 ZRBG beschriebenen Typus der Beschäftigung von der Zwangsarbeit nach dem Vorbild des sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses abzugrenzen (vgl. hierzu Urteil des Senats vom 28.01.2008, Az. L 8 RJ 139/04, mit weiteren Nachweisen). Maßgebend hierfür sind die Kriterien, die das BSG in der so genannten Ghetto-Rechtsprechung (vgl. BSG, Urteil vom 18.06.1997, 5 RJ 66/95; vom 21.04.1999, B 5 RJ 48/98 R; vom 14.07.1999, aaO) entwickelt hat. Danach ist neben der freiwilligen Aufnahme und Ausübung der Arbeit auch die Gewährung eines Entgelts erforderlich, das nach Art und Höhe eine versicherungspflichtige Beschäftigung begründen kann.
bb) Der Senat hält es für glaubhaft gemacht, dass die Klägerin in der Zeit von Juli 1942 bis September 1943 in der Korkenfabrik in Neu-Libau gearbeitet hat.
Dass die Klägerin in der benannten Korkenfabrik eine Beschäftigung ausgeübt hat, in dem sie verschiedene Reinigungsarbeiten durchgeführt hat, ergibt sich aus ihren durchgängigen Erklärungen in Verwaltungs- und Klageverfahren. Soweit Unsicherheiten hinsichtlich des zeitlichen Beginns der Aufnahme der Beschäftigung bestehen, hat die Klägerin durch die Beschränkung des Klageantrags auf den Zeitraum ab Juli 1942 diesen Unsicherheiten Rechnung getragen. Die Einholung eines historischen Gutachtens zur Existenz der benannten Korkenfabrik hat der Senat für entbehrlich erachtet, da die insoweit glaubhafte Bekundungen der Klägerin als ausreichend anzusehen sind. Gegen eine durchgängige Beschäftigung der Klägerin bis zu ihrer Deportation ergeben sich keine durchgreifenden Bedenken.
cc) Es ist auch glaubhaft, dass es sich bei der von der Klägerin in der Korkenfabrik ausgeübten Beschäftigung um eine Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss (1) im Ghetto Libau (2) gehandelt hat.
(1) Die Klägerin hat bei ihrer Tätigkeit in der Korkenfabrik eine Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss ausgeübt. Der Senat folgt dabei den Kriterien, die vom BSG zur Abgrenzung eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses von Zwangsarbeit entwickelt worden sind (vgl. BSG, Urteile vom 14.07.1999 und vom 23.08.2001, aaO). Danach lässt sich zunächst feststellen, dass nach den eigenen glaubhaften Bekundungen die Klägerin ersichtlich Weisungen hinsichtlich des Ortes, der Zeit und der Arbeit unterlegen hat und insoweit in die Arbeitsorganisation der Korkenfabrik eingebunden gewesen ist. Die Beweggründe, die zur Aufnahme der Beschäftigung veranlasst haben, sowie allgemeine Lebensumstände, die nicht Arbeit oder Arbeitsentgelt, sondern das häusliche, familiäre wohnungs- und aufenthaltsmäßige Umfeld betreffen, müssen demgegenüber außer Betracht bleiben. Dabei ist es unerheblich, ob die Klägerin möglicherweise gearbeitet hat, um ihrer Familie zu helfen oder ihre eigene Deportation zu vermeiden. Dass sie zum Zeitpunkt der Arbeitsaufnahme erst 12 Jahre alt, war ist gleichfalls unschädlich, zumal der Gesetzgeber beschränkt Geschäftsfähige ab Vollendung des 7. Lebensjahres auch schon seinerzeit für grundsätzlich in der Lage gehalten hat, die Entscheidung zur Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses zu treffen (vgl. § 113 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch). Demgegenüber ist die Tätigkeit der Klägerin nicht so weitgehend von hoheitlichen Eingriffen überlagert worden, denen sie sich nicht entziehen konnte, dass dies der Annahme einer Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss entgegen stünde. Keine der in den Akten befindlichen Erklärungen zu den Arbeitsumständen lässt erkennen, dass die Arbeit der Klägerin dort konkret hoheitlich angeordnet worden ist bzw. dass auf der Arbeitsstelle eine Bewachung oder z. B. hoheitlich veranlasste Misshandlungen stattgefunden hätten. Allein, dass die Klägerin die Arbeit als schwer empfunden hat, rechtfertigt für sich genommen noch keine abweichende Beurteilung. Denn ausdrücklich verweist die Klägerin auch darauf, dass es nicht nur keine Misshandlungen während der Arbeit gab, sondern dass sie während der Arbeit anständig behandelt worden sei. Glaubhaft ist für den Senat diese Aussage auch daher, da die Klägerin in diesem Zusammenhang ausdrücklich einen deutschen Vorgesetzten, einen Herrn Friedrich Knoll, als anständigen Menschen bezeichnet.
(2) Ihre Beschäftigung hat die Klägerin auch im Ghetto Libau verrichtet, obwohl die Korkenfabrik sich außerhalb des eigentlichen Ghettos in Neu-Libau befunden hat. Denn auch Arbeiten außerhalb des räumlichen Bereichs des Ghettos werden von § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG erfasst, wenn sie Ausfluss einer im Ghetto aufgenommenen Beschäftigung sind. Hierfür reicht es, dass die Arbeit dem Verfolgten von einem Unternehmer oder einer Ghetto-Autorität, hier dem örtlichen Judenrat, im Ghetto angeboten worden ist. Dies ist der Fall bei der Klägerin, die glaubhaft dargelegt hat, dass der Judenrat des Ghettos Libau ihr die Arbeit in der Korkenfabrik in Neu-Libau vermittelt hat.
dd) Demgegenüber ist nicht glaubhaft, dass die Klägerin die Beschäftigung in der Korkenfabrik gegen Entgelt im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 b) ZRBG verrichtet hat.
(1) Entgelt in diesem Sinn ist als ein die Versicherungspflicht in der deutschen Rentenversicherung begründendes Entgelt anzusehen (BSG, Urteil vom 07.10.2004, aaO). Maßgebend sind hierbei die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der im Streitzeitraum geltenden Fassung (aF). Zum Entgelt gehören dabei nach § 160 aF neben Gehalt oder Lohn auch Gewinnanteile, Sach- und andere Bezüge, die der Versicherte, wenn auch nur gewohnheitsmäßig, statt des Gehalts oder Lohnes oder neben ihm von dem Arbeitgeber oder einem Dritten erhielt. Jedoch war eine Beschäftigung, für die als Entgelt nur freier Unterhalt gewährt wurde, versicherungsfrei (§ 1227 RVO aF; BSG, Urteil vom 30.11.1983, 4 RJ 87/92; vom 07.10.2004, aaO; Mentzel/Schulz/Sitzler, Kommentar zum Versicherungsgesetz für Angestellte, 1913, § 7 Anmerkung 3; RVO mit Anmerkungen, herausgegeben von Mitgliedern des Reichsversicherungsamtes, 1930, § 1227 RVO, Anmerkung 1 ff.). Als freier Unterhalt im Sinne von § 1227 RVO aF ist dabei dasjenige Maß von wirtschaftlichen Gütern anzusehen, das zur unmittelbaren Befriedigung der notwendigen Lebensbedürfnisse des Arbeitnehmers erforderlich ist, nicht aber das, was darüber hinaus geht. Zum freien Unterhalt gehören insbesondere Unterkunft, Beköstigung und Kleidung. Die betreffenden Sachbezüge müssen nach Art und Maß zur Bestreitung des freien Unterhalts geeignet und bestimmt sein. Bei Gewährung von Lebensmitteln ist zu prüfen, ob sie nach Umfang und Art des Bedarfs unmittelbar zum Verbrauch oder Gebrauch gegeben werden (dann freier Unterhalt) oder aber zur beliebigen Verfügung, wie es z. B. bei Deputaten der Fall ist. Die Grenze des freien Unterhalts ist insbesondere dann überschritten, wenn die gewährte Menge erheblich das Maß des persönlichen Bedarfs übersteigt. Das ist insbesondere dann anzunehmen, wenn die gewährten Sachbezüge ausreichen, nicht nur den freien Unterhalt des Beschäftigten selbst, sondern auch eines nicht bei demselben Arbeitgebers beschäftigten Familienangehörigen sicherzustellen (vgl. VDR, Kommentar zur RVO, 5. Auflage 1954, § 1228 Rn 5). Stehen Art und Umfang gewährter Lebensmittel bzw. Sachbezüge nach Ausschöpfung aller sonstigen Beweismittel, z. B. der glaubhaften Angaben der Klägerin bzw. des Klägers, vernommener Zeugen, Angaben in einem Sachverständigengutachten oder aufgrund eindeutiger historischer Quellen nicht fest, so kann ein entsprechender Umfang im Einzelfall als glaubhaft gemacht angesehen werden, wenn die gute Möglichkeit besteht, dass ein Dritter, insbesondere ein Familienangehöriger, hiervon über einen erheblichen Zeitraum zumindest entscheidend mitversorgt worden ist (so genanntes Hilfskriterium bei Beweisnot; vgl. Senat, Urteil vom 06.06.2007 aaO). Da andererseits unter den freien Unterhalt im Sinne des § 1227 RVO aF nur Sachleistungen fallen, erfüllen Geldleistungen seine Voraussetzungen nicht, auch wenn sie den unbedingt zum Lebensunterhalt erforderlichen Betrag nicht erreichen.
Die Ausgabe von Lebensmittelkarten oder -coupons unter Ghettobedingungen ist dabei als Gewährung von Sachbezügen, nicht als Geldleistung anzusehen. Ebenso wie die im Reichsgebiet während des Zweiten Weltkrieges an die dortige Bevölkerung ausgegebene Lebensmittelkarten stellten sie eine Urkunde zur Bescheinigung dar, dass der Inhaber das auf der Karte bescheinigte Lebensmittel in der dort genannten Menge erhalten durfte (vgl. Reichsgericht, Urteil vom 13.11.1917, V 523/17). Insoweit dienten sie insbesondere der Verwaltung zur Verteilung rationierter Verbrauchsgüter. Während die Inhaber von Lebensmittelkarten im Reichsgebiet jedoch neben der Abgabe der Karte die hierauf bescheinigten Lebensmittel noch bezahlen mussten, fand in den Ghettos regelmäßig keine zusätzliche Barzahlung statt. Allein die Abgabe des Lebensmittelcoupons begründete daher den Anspruch auf Übereignung der entsprechenden Lebensmittel nach Art und Menge, freilich ggf. nach Maßgabe des vorhandenen Vorrats. Dieser Unterschied rechtfertigt es jedoch nicht, die den Verfolgten in Ghettos ausgehändigten Lebensmittelcoupons als Geldleistungen und Ersatz hierfür anzusehen. Vielmehr beschränkte sich ihre Funktion darauf, die Zuteilung von Lebensmitteln an die Inhaber der Coupons zu organisieren. Es macht daher wertungsmäßig keinen Unterschied, ob die Betreffenden die Lebensmittel unmittelbar in Naturalien oder auf dem Umweg des Eintausches eines entsprechenden Coupons im Ghetto in einem Geschäft oder beim Judenrat erhielten, zumal für die jeweilige Organisation der Lebensmittelversorgung auch rein praktische, an den örtlichen Bedingungen orientierte Erwägungen maßgebend gewesen sein mögen. In diesem Zusammenhang bedarf es auch keiner Untersuchung, ob im Einzelfall Tauschgeschäfte mit Lebensmittelcoupons möglich waren, zumal derartige Geschäfte grundsätzlich auch mit bereits in Natur gewährten Lebensmitteln vorstellbar erscheinen. Die Gewährung von Lebensmittelcoupons überschreitet danach den - versicherungsfreien - Unterhalt im Sinne des § 1227 RVO aF nur dann, wenn die auf den Coupons bezeichneten Lebensmitteln nach Art und Umfang das Maß des persönlichen Bedarfs übersteigen und somit als zur freien Verfügung gewährt angesehen werden können.
(2) Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist nicht glaubhaft, dass die Klägerin für ihre Arbeit in der Korkenfabrik mehr als Lebensmittelcoupons im Umfang lediglich freien Unterhalts erhalten hat. Sie hat selbst wiederholt erklärt, zur Entlohnung seien nur Lebensmittelcoupons gewährt worden. Für den Senat bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gegenwert dieser Coupons über die Gewährung freien Unterhalts hinausgegangen ist. So hat die Klägerin ausdrücklich erklärt, dass ihr die Höhe bzw. der Umfang dieser Lebensmittelcoupons nicht erinnerlich sei. Letztmalig hat sie dies mit dem im Berufungsverfahren eingeholten Anhörungsbogen erneut bestätigt. Für den Senat ist eine Mitverpflegung der Familienangehörigen der Klägerin gleichfalls nicht glaubhaft. Denn zum einen war eine Mitversorgung der Anverwandten bereits daher nicht notwendig, da diese sämtlich selbst arbeiteten und dadurch eigene, wenn auch geringe, Versorgungsansprüche erwarben. Zudem hat die Klägerin ausdrücklich angegeben, meistens während der Arbeit nicht verpflegt worden zu sein und sich hierfür eigene Verpflegung aus dem Ghetto mitgenommen zu haben. Für den Senat ist es daher nicht glaubhaft, dass bei fehlender Erinnerung an die Höhe der Coupons der Umfang dieses Coupons ausgereicht haben soll, weitere Personen mit zu versorgen.
Weitergehende Zahlungen an die Klägerin oder Dritte sind nicht glaubhaft. So hat insbesondere die Sachverständige S ausgeführt, dass Firmen in Lettland, die ab dem 01.11.1941 Juden beschäftigten, den Tariflohn hierfür zu mindestens 80 % an die Stadtverwaltung bzw. die dortigen Finanzämter abzuführen hatten. Zahlungen weitergehender Beträge insbesondere an die Arbeitskräfte selbst seien nicht belegt.
2. Die von der Klägerin im Ghetto Libau verrichteten Arbeiten können auch nicht nach den §§ 15, 16 Fremdrentengesetz (FRG) in Verbindung mit § 20 WGSVG bzw. § 17 a FRG als Versicherungszeiten angerechnet werden.
Die Arbeit der Klägerin im Ghetto Libau unterfiel nicht den Reichsversicherungsgesetzen, da sie bereits nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besaß. Eine Anrechnung als Versicherungszeit nach dem § 15, 16 FRG in Verbindung mit § 20 WGSVG bzw. § 17a FRG scheidet aus, da ein nach deutschem Recht dem Grunde nach rentenversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis nicht im Sinne einer guten Möglichkeit festgestellt werden kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen. Grundsätzliche Bedeutung hat insbesondere die höchst richterlich noch nicht abschließend behandelte Frage der Beurteilung von Lebensmittelcoupons als Arbeitsentgelt.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt Altersrente unter Berücksichtigung von Ghetto-Beitragszeiten im Ghetto Libau, Lettland im Zeitraum von Juli 1942 bis September 1943.
Die am 00.00.1930 geborene Klägerin ist jüdischen Glaubens, lebt in Israel und besitzt die israelische Staatsangehörigkeit.
Die Klägerin wurde im Sommer 1942 mit ihrer Familie zwangsweise in das Ghetto Libau gebracht. Während ihres Aufenthaltes im Ghetto Libau arbeitete sie in einer Korkenfabrik.
Der Antrag der Klägerin auf Gewährung einer Beihilfe nach dem BEG-Schlussgesetz wurde insbesondere wegen Verspätung abgelehnt (Bescheid des Regierungspräsidenten Köln vom 06.07.1971).
Am 15.11.2002 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer Altersrente unter Berücksichtigung von Ghetto-Beitragszeiten. Sie gab an, sie habe im Ghetto Libau von Juni oder Juli 1942 bis September 1943 in einer Korkenfabrik Reinigungsarbeiten an zehn bis zwölf Stunden pro Tag verrichtet. Im September 1943 sei sie in ein Zwangsarbeitslager verlegt worden und dort am 10.03.1945 befreit worden. Hinsichtlich einer gewährten Entlohnung könne sie sich nur an Coupons erinnern. Als Arbeitsnachweis habe sie eine Nummern-Karte besessen, die bei Verlassen des Ghettos ausgegeben und bei Rückkehr wieder abgegeben worden sei.
Die Beklagte zog Unterlagen der Jewish Claims Conference (JCC) bei und wertete die dortigen Angaben der Klägerin aus. Die Klägerin hatte am 29.03.1993 gegenüber der JCC angegeben, sie habe von Sommer 1942 bis September 1943 in einer Korkenfabrik arbeiten müssen, obwohl sie zu der Zeit noch sehr jung gewesen sei.
Die Beklagte wertete ebenfalls die beigezogene Akte des Amtes für Wiedergutmachung der Bezirksregierung Düsseldorf aus. In einer in der dortigen Entschädigungsakte befindlichen Erklärung vom 27.11.1967 hatte die Klägerin angegeben, sie sei im Juni 1942 in das Ghetto Libau zwangseingewiesen und bei Liquidation desselben im September 1943 in das KZ-Lager Kaiserwald, Riga, deportiert worden. In einer weiteren Erklärung vom 22.12.1969 hatte die Klägerin angegeben, dass sie von Juni oder Juli 1941 bis 10.03.1945 in Haft gewesen sei. Sie habe den Judenstern tragen müssen, sei dann ins Ghetto Libau und von dort in das Konzentrationslager Riga-Kaiserwald zwangsüberführt worden. Sie sei dann endlich nach mehreren weiteren Aufenthalten in verschiedenen Zwangsarbeitslagern und Konzentrationslagern am 10.03.1945 bei Lauenburg befreit worden. Sie sei mehrere Male während der Verfolgungszeit sehr krank gewesen, habe Bauch- und Fleckentyphus gehabt und verschiedene andere infektiöse Krankheiten. Sie habe die ganze Zeit in Todesangst gelebt und sei zum Zeitpunkt der Befreiung nur mehr ein menschliches Wrack gewesen.
Die Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 09.09.2004 ab. Es habe keine sozialversicherungspflichtige Arbeit im Fall der Klägerin gegeben, vielmehr überwögen die Merkmale, die für eine nicht-versicherte Zwangsarbeit sprechen. Da sie noch ein Kind gewesen sei, sei davon auszugehen dass der Zweck ihres Arbeitseinsatzes nicht in der Beschäftigung, sondern im Schutz vor Deportation bestanden habe. Überdies trage die Zuweisung von Arbeitskräften zu Arbeitskommandos außerhalb des Ghettos typische Züge von Zwangsarbeit. Den Widerspruch begründete die Klägerin damit, die Beklagte setze sich nur unzureichend mit ihrem Verfolgungsschicksal auseinander und berücksichtige die historischen Tatsachen nicht ausreichend. Im Übrigen sei an die erhaltenen Sachbezüge als Arbeitsentgelt zu berücksichtigen. Für die Qualifikation des Sachbezugs als Entgelt komme es nicht auf dessen Umfang an.
Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 18.10.2005 den Widerspruch der Klägerin zurück. Die Klägerin habe angegeben, durch Coupons entlohnt worden zu sein. Barlohn sei nicht gewährt worden. Bei diesem Sachverhalt sei eine über den freien Unterhalt hinaus gehende Entlohnung nicht glaubhaft.
Hiergegen hat die Klägerin fristgerecht Klage zum Sozialgericht Düsseldorf erhoben. Zur Begründung verweist sie darauf, dass sie in der Zeit im Ghetto Libau in der I-straße gewohnt habe und die Beschäftigung in der Korkenfabrik außerhalb des Ghettos ausgeübt worden sei. Die Beschäftigung sei durch die Deportation im September 1943 beendet worden. Dass sie sich an den konkreten Gegenwert der gewährten Coupons nicht erinnern könne, vermöge nichts am Austausch der Arbeitsleistung gegen die von der Beklagten selbst geforderten Bar- oder Sachleistungen zu ändern. Sie habe im Übrigen in ihrer Arbeit auch der Anordnung über die Beschäftigung und Zahlung von jüdischen Arbeitskräften des Gebietskommissars in Libau vom 05.08.1942 unterlegen. Danach habe ein Lohnanspruch wie für einheimische Arbeitskräfte bei gleicher Tätigkeit bestanden. Zwar sei der Gesamtlohn an das Gebietskommissariat abzuführen gewesen, lediglich bei Akkordarbeit von 25 % des Mehrverdienstes sei eine Summe von jedoch nicht mehr als 2,50 Reichsmark wöchentlich an den Arbeitnehmer auszuzahlen gewesen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 09.09.2004 sowie des Widerspruchsbescheides vom 18.10.2005 zu verurteilen, ihr ab 01.07.1997 eine Regelaltersrente unter Berücksichtigung von Beitragszeiten von Juni 1942 bis September 1943 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat ihre bisherige Rechtsauffassung für weiterhin zutreffend erachtet.
Mit Urteil vom 10.05.2006 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung darauf verwiesen, dass nicht von einem freiwilligen Beschäftigungsverhältnis der Klägerin ausgegangen werden könne. Es spreche vielmehr unter Berücksichtigung, auch der historischen Erkenntnisse eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein Zwangsarbeitsverhältnis bestanden habe. Im Übrigen sei auch nicht glaubhaft gemacht, dass die Klägerin entgeltlich tätig gewesen sei. Die pauschale Angabe, Coupons für die Arbeiten erhalten zu haben, lasse nicht erkennen, dass Lebensmittel in einem Umfang bezogen worden seien, der über das für die Selbstversorgung erforderliche Maß hinaus gegangen sei. Substantiiert habe die Klägerin hierzu nicht vorgetragen.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, die vorträgt, dass im Ghetto Libau die Freiwilligkeit der Arbeitsaufnahme sehr wohl gegeben gewesen sei. Zwar sei die Wahl auf das elementarste reduziert gewesen, nämlich bei Nicht-Arbeit dem sicheren Tod entgegen zu gehen oder bei Aufnahme der Beschäftigung die Chance zu besitzen, zu überleben, aber auch dieses sei ausreichend im Sinne des Gesetzes. Im Übrigen sei auch die Gewährung der Lebensmittel-Coupons ausreichend Entlohnung im Sinne des ZRBG.
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,
die Beklagte unter Aufhebung des angefochten Urteils des Sozialgerichts Düsseldorf vom 10.05.2006 sowie unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 06.09.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.10.2005 zu verurteilen, ihr unter Anerkennung von Ghetto-Beitragszeiten von Juli 1942 bis September 1943, sowie unter Berücksichtigung von Verfolgungsersatzzeiten, Regelaltersrente ab 01.07.1997 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für inhaltlich zutreffend. Ergänzend verweist sie darauf, dass die von der Klägerin angeführte Rechtsprechung des 4. Senats des Bundessozialgerichts nicht im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung der Sozialgerichtsbarkeit und der Beschlusslage der Rentenversicherungsträger stehe.
Der Senat hat Unterlagen der JCC über Entschädigungsleistungen an die Klägerin ebenso beigezogen, wie eine schriftliche Anhörung der Klägerin durch Fragebogen durchgeführt. In diesem Fragebogen hat die Klägerin erneut auf die verrichtete Arbeit in der Korkenfabrik verwiesen. Sie habe dort Reinigungsarbeiten wie z. B. Fegen, Wischen, Waschen und Toiletteputzen verrichtet. Die Arbeitsstätte habe außerhalb des Ghettos in Neu-Libau gelegen. Es habe sich um eine deutsche Dienststelle gehandelt. Es habe keine Pflicht zur Verrichtung von Arbeit bestanden. Um die Arbeit zu erhalten, habe sie sich an den Judenrat gewandt. Sie sei auf dem Weg von und zur Arbeit bewacht worden. Auf der Arbeit sei sie nicht misshandelt worden, ein Vorgesetzter, ein Friedrich Knoll, sei ein anständiger Mensch gewesen.
Dem Senat haben darüber hinaus eine Auskunft des israelischen Sozialversicherungsträgers über zurückgelegte Beitragszeiten der Klägerin in der israelischen Sozialversicherung, eine Auskunft der JCC und des internationalen Suchdienstes (ITS) vorgelegen.
Der Senat hat das für das Sozialgericht Hammburg erstattete historische Gutachten der Sachverständigen S zur Lage der jüdischen Bevölkerung im deutsch besetzten Lettland 1941 bis 1945 unter dem Aspekt der Ghettoisierung und der Zwangsarbeit der Opfer sowie die Verwaltungsakte der Klägerin und ihre Entschädigungsakte beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig aber unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind nicht rechtswidrig und beschweren die Klägerin nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Altersrente.
Der Anspruch auf Altersrente folgt nach ständiger Rechtsprechung des Senats, allein aus dem 6. Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI), ohne dass das Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) eine eigenständige Anspruchsgrundlage darstellen würde (vgl. hierzu mit weiteren Nachweisen Urteil des 8. Senats vom 28.01.2008, Az.: L 8 RJ 139/04). Anspruchsgrundlage ist daher auch im Falle der Klägerin § 35 SGB VI. Trotz Auslandswohnsitzes der Klägerin ist diese Vorschrift anwendbar (vgl. BSG Urteil vom 14.07.1999, B 13 RJ 75/98 R; BSG, Urteil vom 13.08.2001, B 13 RJ 59/00 R).
Nach § 35 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Altersrente, wenn sie das 65. Lebensjahr vollendet und die allgemeine Wartezeit von 5 Jahren erfüllt haben. Als auf die Wartezeit anrechenbare Versicherungszeiten kommen hier nur Beitrags- und Ersatzzeiten im Sinne der §§ 50 Abs. 1 Nr. 1, 51 Abs. 1 und 4 SGB VI in Betracht. Dabei finden nach § 250 Abs 1 SGB VI Ersatzzeiten allerdings nur dann Berücksichtigung, wenn vor Beginn der Rente zumindest ein Betrag wirksam entrichtet worden ist oder als wirksam errichtet gilt; denn Ersatzzeiten sollen nach dem Gesetzeswortlaut nur "Versicherten", das heißt Personen zugute kommen, die bereits Beitragsleistungen erbracht haben (BSG Urteil vom 07.10.2004, B 13 RJ 59/03 R mit weiteren Nachweisen).
Da anderweitige Beitragszeiten nicht ersichtlich und auch nicht behauptet worden sind, hätte die Klägerin nur einen Rentenanspruch inne, wenn die Tätigkeit in der Korkenfabrik im Ghetto Libau/Neu-Libau eine Beitragszeit begründet hätte. Dies ist nicht der Fall.
Beitragszeiten sind Zeiten, für die nach dem Bundesrecht oder den Reichsversicherungsgesetzen Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind (§ 55 Abs. 1 Satz 1, 247 Abs. 3 Satz 1 SGB VI) oder als gezahlt gelten (§ 55 Abs. 1 Satz 2 SGB VI).
Für die Tätigkeit der Klägerin in Libau sind weder wirksam Beiträge nach den Reichsversicherungsgesetzen gezahlt worden, noch gelten sie kraft anderweitiger Bestimmungen als gezahlt.
1. Nach § 2 Abs. 1 ZRBG gelten Beiträge als gezahlt für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto. Voraussetzung ist gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG, dass die Verfolgten sich zwangsweise in einem Ghetto aufgehalten haben, das in einem vom Deutschen Reich besetzten oder ihm eingegliederten Gebiet gelegen hat (siehe unter a)) und dort eine Beschäftigung aus eigenen Willensentschluss gegen Entgelt ausgeübt haben (siehe hierzu unter b)). Ferner darf für die betreffenden Zeiten nicht bereits eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit erbracht werden. Die Anspruchsvoraussetzungen für einen Anspruch nach dem ZRBG müssen glaubhaft gemacht werden (§ 1 Abs. 2 ZRBG in Verbindung mit § 3 Gesetz zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung [WGSVG]). Glaubhaft gemacht ist eine Tatsache, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche verfügbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist, dass heißt mehr für als gegen sie spricht, wobei gewisse noch verbleibende Zweifel unschädlich sind (vgl. BSG, Beschluss vom 08.08.2001, B 9 V 23/01 B SozR - 3900 § 15 Nr. 4).
Für den Senat ist glaubhaft, dass die Klägerin als Verfolgte des Nationalsozialismus im Sinne von §§ 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG, 1 Abs. 1 Bundesentschädigungsgesetz anzusehen ist, weil sie aus Gründen des Glaubens durch nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen verfolgt worden ist und hierdurch zumindest einen Freiheitsschaden erlitten hat. Dass sie diesen nicht für eine Entschädigung nach dem BEG rechtzeitig angemeldet hat, ist unerheblich. Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 BEG stehen aufgrund der glaubhaften Schilderung des durch Verfolgung erlittenen Unrechts fest. Ebenso steht fest, dass die Klägerin für die geltend gemachten Zeiträume nicht anderweitig eine Leistung aus einem System der soziale Sicherheit erhält. Weder erhält sie entsprechende Leistungen aus der deutschen Rentenversicherung noch werden in der israelischen Sozialversicherung Zeiten vor dem 01.01.1954 berücksichtigt, wie dem Senat aus einer Vielzahl von Verfahren bekannt ist. Anderweitige soziale Sicherungssysteme aus denen Klägerin Leistungen für die hier geltend gemachten Zeiträume beanspruchen könnte, sind nicht ersichtlich.
a) Die Klägerin hat im streitigen Zeitraum in Libau gelebt, das in Lettland und damit in einem vom deutschen Reich besetzten Gebiet (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 2 ZRBG) gelegen hat. Der Senat geht davon aus, dass erst ab dem 01.07.1942 bis zum 08.10.1943 in Libau ein Ghetto bestanden hat.
Zur Auslegung des Begriffs "Ghetto" schließt sich der Senat Inhalt und Begründung des Urteils des 13. Senats des LSG Nordrhein-Westfalen vom 15.12.2006 (L 13 RJ 112/04; Sozialgerichtsbarkeit.de) an. Danach ist ein Ghetto eine Stadt, ein Stadtteil oder ein Viertel, in dem die jüdische Bevölkerung untergebracht wurde, und zwar im Wege der Absonderung, Konzentration und Internierung. Eine Schließung des Ghettos im Sinne einer Umzäunung oder bewaffneten Bewachung nach dem Vorbild z. B. des Ghettos Lodz ist dabei nicht erforderlich. Der Beginn der Absonderung ist regelmäßig mit der Verpflichtung der jüdischen Bevölkerung anzunehmen, ein Kennzeichen zu tragen, dass sie als Juden von der anderen Bevölkerung unterscheidet. Weiteres charakteristisches Kennzeichen ist die Verhängung eines Judenbanns für einzelne Stadtbereiche und die Verhängung strenger Wirtschafts- und Verkehrsbeschränkungen. Das Merkmal der Konzentration der jüdischen Bevölkerung ist insbesondere gekennzeichnet durch eine Beschränkung der Freizügigkeit im Verhältnis zu anderen Städten und (zusätzlich) innerhalb des Stadtgebiets, die Zuweisung des Wohngebietes, wobei eine bloße Zwangsumsiedlung aus einzelnen Stadtgebieten noch nicht zur Konzentration führt, die Einrichtung einer speziellen jüdischen Verwaltung ("Judenrat") und eines jüdischen Ordnungsdienstes ("Ghetto-Polizei") sowie die Bildung einer spezifischen jüdischen Arbeitsorganisation ("jüdisches Arbeitsamt"). Nicht notwendig ist dagegen, dass in den Konzentrationsbezirken ausschließlich jüdische Bevölkerung gelebt hat. Die internierungsähnlichen Umstände ergeben sich im Regelfall aus den jeweiligen Wohn- und Lebensumständen. Für eine Internierung der jüdischen Bevölkerung kann insbesondere sprechen, dass ihr nur ein deutlich geringerer Wohnraum als vor der Ghettoisierung zugestanden wird.
Nach diesen Kriterien ist davon auszugehen, dass in Libau am 01.07.1942 ein Ghetto errichtet worden ist. Das ergibt sich aus dem in das Verfahren eingeführten historischen Gutachten der Sachverständigen S, das vorliegend im Wege des Urkundsbeweises verwertet worden ist. Danach ist durch Befehl des SS- und Polizei-Standortführers Dr. G E vom 01.07.1942 die Einrichtung eines abgetrennten Wohnbezirks für Juden angeordnet worden. Das Ghettogebiet war umzäunt. Die Juden hatten sich dort zwischen 07:00 Uhr abends und 05:00 Uhr morgens aufzuhalten. Es bestand ein Judenrat. Frau S hat ihre Feststellungen nach Auswertung der verfügbaren historischen Unterlagen und Informationen sorgfältig und überzeugend getroffen. Inhaltlich sind ihren Feststellungen die Beteiligten nicht entgegen getreten.
Der Ghetto-Aufenthalt der Klägerin ist nicht dadurch aufgehoben worden, dass sie täglich das Ghetto zur Verrichtung der Arbeit verlassen und erst abends zurückgekehrt ist. Denn das hat an ihrem zwangsweisen Aufenthalt im Ghetto vor allem in den vorgeschriebenen nächtlichen Zeiträumen nichts geändert. Der Senat hält es dabei für glaubhaft, dass die Klägerin jeweils abends in das Ghetto Libau zurückgekehrt ist.
b) Es ist jedoch nicht glaubhaft gemacht, dass die Klägerin in der angegebenen Korkenfabrik eine Beschäftigung ausgeübt hat, die beide in § 1 Abs. 1 Nr. 1 ZRBG genannten Voraussetzungen erfüllt hat, nämlich das Zustandekommen der Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 a) ZRBG) und die Ausübung der Beschäftigung gegen Entgelt (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 b) ZRBG).
aa) Der erkennende Senat hält es weiterhin für erforderlich, den in § 1 Abs. 1 Nr. 1 ZRBG beschriebenen Typus der Beschäftigung von der Zwangsarbeit nach dem Vorbild des sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses abzugrenzen (vgl. hierzu Urteil des Senats vom 28.01.2008, Az. L 8 RJ 139/04, mit weiteren Nachweisen). Maßgebend hierfür sind die Kriterien, die das BSG in der so genannten Ghetto-Rechtsprechung (vgl. BSG, Urteil vom 18.06.1997, 5 RJ 66/95; vom 21.04.1999, B 5 RJ 48/98 R; vom 14.07.1999, aaO) entwickelt hat. Danach ist neben der freiwilligen Aufnahme und Ausübung der Arbeit auch die Gewährung eines Entgelts erforderlich, das nach Art und Höhe eine versicherungspflichtige Beschäftigung begründen kann.
bb) Der Senat hält es für glaubhaft gemacht, dass die Klägerin in der Zeit von Juli 1942 bis September 1943 in der Korkenfabrik in Neu-Libau gearbeitet hat.
Dass die Klägerin in der benannten Korkenfabrik eine Beschäftigung ausgeübt hat, in dem sie verschiedene Reinigungsarbeiten durchgeführt hat, ergibt sich aus ihren durchgängigen Erklärungen in Verwaltungs- und Klageverfahren. Soweit Unsicherheiten hinsichtlich des zeitlichen Beginns der Aufnahme der Beschäftigung bestehen, hat die Klägerin durch die Beschränkung des Klageantrags auf den Zeitraum ab Juli 1942 diesen Unsicherheiten Rechnung getragen. Die Einholung eines historischen Gutachtens zur Existenz der benannten Korkenfabrik hat der Senat für entbehrlich erachtet, da die insoweit glaubhafte Bekundungen der Klägerin als ausreichend anzusehen sind. Gegen eine durchgängige Beschäftigung der Klägerin bis zu ihrer Deportation ergeben sich keine durchgreifenden Bedenken.
cc) Es ist auch glaubhaft, dass es sich bei der von der Klägerin in der Korkenfabrik ausgeübten Beschäftigung um eine Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss (1) im Ghetto Libau (2) gehandelt hat.
(1) Die Klägerin hat bei ihrer Tätigkeit in der Korkenfabrik eine Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss ausgeübt. Der Senat folgt dabei den Kriterien, die vom BSG zur Abgrenzung eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses von Zwangsarbeit entwickelt worden sind (vgl. BSG, Urteile vom 14.07.1999 und vom 23.08.2001, aaO). Danach lässt sich zunächst feststellen, dass nach den eigenen glaubhaften Bekundungen die Klägerin ersichtlich Weisungen hinsichtlich des Ortes, der Zeit und der Arbeit unterlegen hat und insoweit in die Arbeitsorganisation der Korkenfabrik eingebunden gewesen ist. Die Beweggründe, die zur Aufnahme der Beschäftigung veranlasst haben, sowie allgemeine Lebensumstände, die nicht Arbeit oder Arbeitsentgelt, sondern das häusliche, familiäre wohnungs- und aufenthaltsmäßige Umfeld betreffen, müssen demgegenüber außer Betracht bleiben. Dabei ist es unerheblich, ob die Klägerin möglicherweise gearbeitet hat, um ihrer Familie zu helfen oder ihre eigene Deportation zu vermeiden. Dass sie zum Zeitpunkt der Arbeitsaufnahme erst 12 Jahre alt, war ist gleichfalls unschädlich, zumal der Gesetzgeber beschränkt Geschäftsfähige ab Vollendung des 7. Lebensjahres auch schon seinerzeit für grundsätzlich in der Lage gehalten hat, die Entscheidung zur Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses zu treffen (vgl. § 113 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch). Demgegenüber ist die Tätigkeit der Klägerin nicht so weitgehend von hoheitlichen Eingriffen überlagert worden, denen sie sich nicht entziehen konnte, dass dies der Annahme einer Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss entgegen stünde. Keine der in den Akten befindlichen Erklärungen zu den Arbeitsumständen lässt erkennen, dass die Arbeit der Klägerin dort konkret hoheitlich angeordnet worden ist bzw. dass auf der Arbeitsstelle eine Bewachung oder z. B. hoheitlich veranlasste Misshandlungen stattgefunden hätten. Allein, dass die Klägerin die Arbeit als schwer empfunden hat, rechtfertigt für sich genommen noch keine abweichende Beurteilung. Denn ausdrücklich verweist die Klägerin auch darauf, dass es nicht nur keine Misshandlungen während der Arbeit gab, sondern dass sie während der Arbeit anständig behandelt worden sei. Glaubhaft ist für den Senat diese Aussage auch daher, da die Klägerin in diesem Zusammenhang ausdrücklich einen deutschen Vorgesetzten, einen Herrn Friedrich Knoll, als anständigen Menschen bezeichnet.
(2) Ihre Beschäftigung hat die Klägerin auch im Ghetto Libau verrichtet, obwohl die Korkenfabrik sich außerhalb des eigentlichen Ghettos in Neu-Libau befunden hat. Denn auch Arbeiten außerhalb des räumlichen Bereichs des Ghettos werden von § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG erfasst, wenn sie Ausfluss einer im Ghetto aufgenommenen Beschäftigung sind. Hierfür reicht es, dass die Arbeit dem Verfolgten von einem Unternehmer oder einer Ghetto-Autorität, hier dem örtlichen Judenrat, im Ghetto angeboten worden ist. Dies ist der Fall bei der Klägerin, die glaubhaft dargelegt hat, dass der Judenrat des Ghettos Libau ihr die Arbeit in der Korkenfabrik in Neu-Libau vermittelt hat.
dd) Demgegenüber ist nicht glaubhaft, dass die Klägerin die Beschäftigung in der Korkenfabrik gegen Entgelt im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 b) ZRBG verrichtet hat.
(1) Entgelt in diesem Sinn ist als ein die Versicherungspflicht in der deutschen Rentenversicherung begründendes Entgelt anzusehen (BSG, Urteil vom 07.10.2004, aaO). Maßgebend sind hierbei die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der im Streitzeitraum geltenden Fassung (aF). Zum Entgelt gehören dabei nach § 160 aF neben Gehalt oder Lohn auch Gewinnanteile, Sach- und andere Bezüge, die der Versicherte, wenn auch nur gewohnheitsmäßig, statt des Gehalts oder Lohnes oder neben ihm von dem Arbeitgeber oder einem Dritten erhielt. Jedoch war eine Beschäftigung, für die als Entgelt nur freier Unterhalt gewährt wurde, versicherungsfrei (§ 1227 RVO aF; BSG, Urteil vom 30.11.1983, 4 RJ 87/92; vom 07.10.2004, aaO; Mentzel/Schulz/Sitzler, Kommentar zum Versicherungsgesetz für Angestellte, 1913, § 7 Anmerkung 3; RVO mit Anmerkungen, herausgegeben von Mitgliedern des Reichsversicherungsamtes, 1930, § 1227 RVO, Anmerkung 1 ff.). Als freier Unterhalt im Sinne von § 1227 RVO aF ist dabei dasjenige Maß von wirtschaftlichen Gütern anzusehen, das zur unmittelbaren Befriedigung der notwendigen Lebensbedürfnisse des Arbeitnehmers erforderlich ist, nicht aber das, was darüber hinaus geht. Zum freien Unterhalt gehören insbesondere Unterkunft, Beköstigung und Kleidung. Die betreffenden Sachbezüge müssen nach Art und Maß zur Bestreitung des freien Unterhalts geeignet und bestimmt sein. Bei Gewährung von Lebensmitteln ist zu prüfen, ob sie nach Umfang und Art des Bedarfs unmittelbar zum Verbrauch oder Gebrauch gegeben werden (dann freier Unterhalt) oder aber zur beliebigen Verfügung, wie es z. B. bei Deputaten der Fall ist. Die Grenze des freien Unterhalts ist insbesondere dann überschritten, wenn die gewährte Menge erheblich das Maß des persönlichen Bedarfs übersteigt. Das ist insbesondere dann anzunehmen, wenn die gewährten Sachbezüge ausreichen, nicht nur den freien Unterhalt des Beschäftigten selbst, sondern auch eines nicht bei demselben Arbeitgebers beschäftigten Familienangehörigen sicherzustellen (vgl. VDR, Kommentar zur RVO, 5. Auflage 1954, § 1228 Rn 5). Stehen Art und Umfang gewährter Lebensmittel bzw. Sachbezüge nach Ausschöpfung aller sonstigen Beweismittel, z. B. der glaubhaften Angaben der Klägerin bzw. des Klägers, vernommener Zeugen, Angaben in einem Sachverständigengutachten oder aufgrund eindeutiger historischer Quellen nicht fest, so kann ein entsprechender Umfang im Einzelfall als glaubhaft gemacht angesehen werden, wenn die gute Möglichkeit besteht, dass ein Dritter, insbesondere ein Familienangehöriger, hiervon über einen erheblichen Zeitraum zumindest entscheidend mitversorgt worden ist (so genanntes Hilfskriterium bei Beweisnot; vgl. Senat, Urteil vom 06.06.2007 aaO). Da andererseits unter den freien Unterhalt im Sinne des § 1227 RVO aF nur Sachleistungen fallen, erfüllen Geldleistungen seine Voraussetzungen nicht, auch wenn sie den unbedingt zum Lebensunterhalt erforderlichen Betrag nicht erreichen.
Die Ausgabe von Lebensmittelkarten oder -coupons unter Ghettobedingungen ist dabei als Gewährung von Sachbezügen, nicht als Geldleistung anzusehen. Ebenso wie die im Reichsgebiet während des Zweiten Weltkrieges an die dortige Bevölkerung ausgegebene Lebensmittelkarten stellten sie eine Urkunde zur Bescheinigung dar, dass der Inhaber das auf der Karte bescheinigte Lebensmittel in der dort genannten Menge erhalten durfte (vgl. Reichsgericht, Urteil vom 13.11.1917, V 523/17). Insoweit dienten sie insbesondere der Verwaltung zur Verteilung rationierter Verbrauchsgüter. Während die Inhaber von Lebensmittelkarten im Reichsgebiet jedoch neben der Abgabe der Karte die hierauf bescheinigten Lebensmittel noch bezahlen mussten, fand in den Ghettos regelmäßig keine zusätzliche Barzahlung statt. Allein die Abgabe des Lebensmittelcoupons begründete daher den Anspruch auf Übereignung der entsprechenden Lebensmittel nach Art und Menge, freilich ggf. nach Maßgabe des vorhandenen Vorrats. Dieser Unterschied rechtfertigt es jedoch nicht, die den Verfolgten in Ghettos ausgehändigten Lebensmittelcoupons als Geldleistungen und Ersatz hierfür anzusehen. Vielmehr beschränkte sich ihre Funktion darauf, die Zuteilung von Lebensmitteln an die Inhaber der Coupons zu organisieren. Es macht daher wertungsmäßig keinen Unterschied, ob die Betreffenden die Lebensmittel unmittelbar in Naturalien oder auf dem Umweg des Eintausches eines entsprechenden Coupons im Ghetto in einem Geschäft oder beim Judenrat erhielten, zumal für die jeweilige Organisation der Lebensmittelversorgung auch rein praktische, an den örtlichen Bedingungen orientierte Erwägungen maßgebend gewesen sein mögen. In diesem Zusammenhang bedarf es auch keiner Untersuchung, ob im Einzelfall Tauschgeschäfte mit Lebensmittelcoupons möglich waren, zumal derartige Geschäfte grundsätzlich auch mit bereits in Natur gewährten Lebensmitteln vorstellbar erscheinen. Die Gewährung von Lebensmittelcoupons überschreitet danach den - versicherungsfreien - Unterhalt im Sinne des § 1227 RVO aF nur dann, wenn die auf den Coupons bezeichneten Lebensmitteln nach Art und Umfang das Maß des persönlichen Bedarfs übersteigen und somit als zur freien Verfügung gewährt angesehen werden können.
(2) Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist nicht glaubhaft, dass die Klägerin für ihre Arbeit in der Korkenfabrik mehr als Lebensmittelcoupons im Umfang lediglich freien Unterhalts erhalten hat. Sie hat selbst wiederholt erklärt, zur Entlohnung seien nur Lebensmittelcoupons gewährt worden. Für den Senat bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gegenwert dieser Coupons über die Gewährung freien Unterhalts hinausgegangen ist. So hat die Klägerin ausdrücklich erklärt, dass ihr die Höhe bzw. der Umfang dieser Lebensmittelcoupons nicht erinnerlich sei. Letztmalig hat sie dies mit dem im Berufungsverfahren eingeholten Anhörungsbogen erneut bestätigt. Für den Senat ist eine Mitverpflegung der Familienangehörigen der Klägerin gleichfalls nicht glaubhaft. Denn zum einen war eine Mitversorgung der Anverwandten bereits daher nicht notwendig, da diese sämtlich selbst arbeiteten und dadurch eigene, wenn auch geringe, Versorgungsansprüche erwarben. Zudem hat die Klägerin ausdrücklich angegeben, meistens während der Arbeit nicht verpflegt worden zu sein und sich hierfür eigene Verpflegung aus dem Ghetto mitgenommen zu haben. Für den Senat ist es daher nicht glaubhaft, dass bei fehlender Erinnerung an die Höhe der Coupons der Umfang dieses Coupons ausgereicht haben soll, weitere Personen mit zu versorgen.
Weitergehende Zahlungen an die Klägerin oder Dritte sind nicht glaubhaft. So hat insbesondere die Sachverständige S ausgeführt, dass Firmen in Lettland, die ab dem 01.11.1941 Juden beschäftigten, den Tariflohn hierfür zu mindestens 80 % an die Stadtverwaltung bzw. die dortigen Finanzämter abzuführen hatten. Zahlungen weitergehender Beträge insbesondere an die Arbeitskräfte selbst seien nicht belegt.
2. Die von der Klägerin im Ghetto Libau verrichteten Arbeiten können auch nicht nach den §§ 15, 16 Fremdrentengesetz (FRG) in Verbindung mit § 20 WGSVG bzw. § 17 a FRG als Versicherungszeiten angerechnet werden.
Die Arbeit der Klägerin im Ghetto Libau unterfiel nicht den Reichsversicherungsgesetzen, da sie bereits nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besaß. Eine Anrechnung als Versicherungszeit nach dem § 15, 16 FRG in Verbindung mit § 20 WGSVG bzw. § 17a FRG scheidet aus, da ein nach deutschem Recht dem Grunde nach rentenversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis nicht im Sinne einer guten Möglichkeit festgestellt werden kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen. Grundsätzliche Bedeutung hat insbesondere die höchst richterlich noch nicht abschließend behandelte Frage der Beurteilung von Lebensmittelcoupons als Arbeitsentgelt.
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