L 7 AS 1630/08 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 14 AS 489/08 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AS 1630/08 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 18. März 2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die am 28. März 2008 form- und fristgerecht beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) eingelegte Beschwerde, der das SG nicht abgeholfen hat, ist zulässig, insbesondere ist sie statthaft. Die Einschränkung der Beschwerdemöglichkeit in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gem. § 172 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der ab 1. April 2008 geltenden Fassung vom 26. März 2008 (BGBl. I S. 444) ist für die vor diesem Stichtag bereits eingelegte Beschwerde nicht anzuwenden. Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet.

Zutreffend ist das SG davon ausgegangen, dass der begehrte einstweilige Rechtsschutz nicht im Wege der aufschiebenden Wirkung erlangt werden kann. Nach § 86a Abs. 1 SGG haben Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. Ist die aufschiebende Wirkung kraft Gesetzes ausgeschlossen, kann sie gem. § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG gerichtlich angeordnet werden. Widerspruch und Anfechtungsklage, die eine solche aufschiebende Wirkung auslösen können, sind nur gegen Verwaltungsakte i.S.d. § 31 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) statthaft. Durch das Schreiben vom 19. Dezember 2007 (Bl. 5 der SG-Akte), auf das die Antragstellerin ihren Rechtsschutzantrag bezieht, hat die Antragsgegnerin keine potentiell verbindliche Rechtsfolge gesetzt. D.h. sie hat hierin nicht ohne die Notwendigkeit weiterer Umsetzungsakte Rechte begründet, geändert, aufgehoben oder festgestellt, was Merkmal eines Verwaltungsaktes i.S.d. § 31 SGB X wäre. Vielmehr handelt es sich um einen lediglich unverbindlichen Hinweis über die Einschätzung der Antragsgegnerin bezogen auf ein Element des Anspruches auf Übernahme der Kosten der Unterkunft gem. § 22 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II; einen Verwaltungsakt ausdrücklich verneinend Bundessozialgericht (BSG) SozR 4-4200 § 22 Nr. 2). Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Schreiben der Agentur für Arbeit Pforzheim vom 15. Februar 2005 (Bl. 35 der SG-Akten). Hierin hatte diese der Antragstellerin mitgeteilt, dass die Kaltmiete i.H.v. EUR 286,32 in ihrem Fall als angemessen betrachtet werden könne; ein Umzug sei nicht erforderlich. Selbst wenn dieses Schreiben als Verwaltungsakt oder Zusicherung (§ 34 SGB X) zu werten wäre, hat die Antragsgegnerin mangels verbindlicher Rechtsfolgenregelung im Schreiben vom 19. Dezember 2007 in eine solche Rechtsposition (noch) nicht eingriffen. Auch bei den im Schreiben vom 19. Dezember 2007 aufgeführten Maßnahmen (z.B. Bewerbung auf monatlich mindestens drei Wohnungsangebote etc.) handelt es sich um unverbindliche Hinweise. Die Antragstellerin wird gerade nicht verpflichtet, solche Maßnahmen tatsächlich zu unternehmen, auch wenn sie allerdings bei Untätigkeit ggf. die leistungsrechtlichen Folgen hieraus zu tragen hat. Die Obliegenheit des Hilfebedürftigen, die Kosten der Unterkunft auf die angemessene Höhe zu senken, ergibt sich bereits unmittelbar aus der gesetzlichen Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 und 3 SGB II, wonach gerade nur die angemessenen Kosten vom Leistungsträger zu übernehmen sind. Bemühungen um eine Kostensenkung oder der Nachweis, dass eine solche nicht möglich ist, sind daher vom Hilfebedürftigen im eigenen Interesse vorzunehmen. Soweit der Leistungsträger im Informationsschreiben Hinweise auf Art und Umfang solcher Nachweise gibt, handelt es sich nicht um eigenständige Regelungen, sondern lediglich um nicht gesondert anfechtbare Vorbereitungshandlungen, die der eigentlichen - anfechtbaren - Sachentscheidung vorausgehen (BSG SozR 4-4300 § 119 Nr. 3 zu Eigenbemühungen). Entgegen der Ansicht der Klägerin sind sie daher auch nicht als Nebenbestimmungen i.S.d. § 32 SGB X zu qualifizieren. Eine Bewilligung nur der als angemessen angesehenen, also geringeren Kosten der Unterkunft ab 1. Juli 2008 ist im Schreiben vom 19. Dezember 2007 ausdrücklich nicht vorgenommen worden.

Einstweiliger Rechtsschutz kann daher nur durch Erlass einer einstweiligen Anordnung gem. § 86b Abs. 2 SGG gewährt werden. Danach kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Abs. 1 S. 1; Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Abs. 2 S. 2; Regelungsanordnung).

Entgegen der Ansicht der Antragstellerin ist eine Sicherungsanordnung nicht statthaft. Die Antragstellerin hat ausgeführt, sie begehre die vorläufige Aufrechterhaltung des bestehenden Zustandes, nämlich des Verbleibens in der Wohnung zu einer Kaltmiete i.H.v. EUR 286.-. Gemeint ist damit aber nicht das bloße Verbleiben, auf das die Antragsgegnerin auch keinen Einfluss hätte, vielmehr ein solches unter weiterer Bewilligung der tatsächlichen Kosten der Unterkunft durch die Antragsgegnerin. Ein solcher Zustand besteht jedoch für die Zeit ab 1. Juli 2008 noch nicht, da die Antragsgegnerin für diesen Zeitraum überhaupt noch keine Bewilligung vorgenommen hat.

Einstweiliger Rechtsschutz kommt daher, wie das SG zutreffend erkannt hat, lediglich im Wege der Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG in Betracht. Das erkennbare Rechtsschutzbegehren der Antragstellerin lässt sich rechtlich als Antrag auf Feststellung fassen, dass die tatsächlichen Kosten der Unterkunft - abstrakt - angemessen i.S.d. § 22 Abs. 1 S. 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) sind. Denn in diesem Fall hätte sie Anspruch auf deren Übernahme auch ohne Nachweis der Erfolglosigkeit von Kostensenkungsbemühungen. Des Weiteren kann das Begehren auf Verpflichtung der Antragsgegnerin verstanden werden, eine "Absenkung" der zu gewährenden Kosten der Unterkunft ab 1. Juli 2008 zu unterlassen, bzw. ab diesem Zeitpunkt weiter die tatsächlichen Kosten zu gewähren. Beide Anträge sind jedoch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zum jetzigen Zeitpunkt unzulässig.

Der Antrag auf Feststellung, dass die tatsächlichen Kosten der Unterkunft angemessen seien (in der Hauptsache als Feststellungsklage), bezieht sich lediglich auf ein Element des hier streitigen Rechtsverhältnisses. Zu entscheiden haben die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende gem. §§ 36 bis 44 SGB II über die Gewährung von Leistungen, hier die Gewährung der Kosten der Unterkunft gem. §§ 19 S. 1, 22 Abs. 1 SGB II. Nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II werden Leistungen für die Unterkunft in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Maßgeblich für diese - abstrakte - Angemessenheit sind die Wohnungsgröße, der Wohnstandard und das örtliche Mietniveau (BSG SozR 4-4200 § 22 Nr. 2 und 3). Die danach abstrakt als angemessen ermittelten Kosten sind jedoch für den tatsächlichen Leistungsanspruch solange nicht maßgeblich, wie es dem Hilfebedürftigen nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, die Aufwendungen zu senken (§ 22 Abs. 1 S. 3 SGB II), wenn also eine andere bedarfsgerechte und kostengünstigere Wohnung konkret nicht verfügbar und zugängig ist (BSG SozR 4-4200 § 22 Nr. 2: konkrete Angemessenheit). Eine - verbindlich - feststellende Entscheidung allein über die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft ist im Gesetz nicht vorgesehen. Die abstrakte Angemessenheit der Unterkunftskosten ohne Nachweis erfolgloser Kostensenkungsbemühungen i.S.d. § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II, um die es der Antragstellerin vorliegend geht, ist somit nur ein Element des Anspruches auf Gewährung der Kosten der Unterkunft. Eine nur auf ein solches einzelnes Anspruchselements gerichtete Feststellungsklage wäre nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG nicht statthaft. Allenfalls ausnahmsweise könnte sie als zulässig erachtet werden, wenn durch sie der Streit der Beteiligten im Ganzen bereinigt wird (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer SGG, 8. Aufl., § 55 Rdnr. 9a). Solches kann vorliegend nicht angenommen werden, da der Leistungsanspruch gerade von den weiteren Einzelheiten der konkreten Angemessenheit abhängt. Der Feststellungsantrag ist daher auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, in dem nicht mehr gewährt werden kann als im Hauptsacheverfahren, unzulässig.

Bei dem Begehren auf - vorläufige - Gewährung der Kosten der Unterkunft in tatsächlicher Höhe, bzw. auf Unterlassung der "Absenkung" auf die als (abstrakt) angemessenen Kosten handelt es sich um ein Ersuchen um vorbeugenden Rechtsschutz, da eine Bewilligung für die Zeit ab 1. Juli 2008 noch nicht vorliegt. Das SGG gewährt grundsätzlich nachträglichen Rechtsschutz. Unter dem Gesichtspunkt der Effektivität des Rechtsschutzes ist ein vorbeugender Rechtsschutz nicht per se ausgeschlossen, jedoch an weitere Zulässigkeitsvoraussetzungen geknüpft. Gefordert wird ein sogenanntes qualifiziertes Rechtsschutzinteresse. Es setzt voraus, dass der Betroffene ein gerade auf die Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes gerichtetes Rechtsschutzinteresse darlegt, das regelmäßig nicht gegeben ist, solange er auf den nachträglichen Rechtsschutz verwiesen werden kann. Als maßgebliches Kriterium für das Bestehen eines qualifizierten Rechtsschutzinteresse wird erachtet, dass ein erneutes, als widerrechtlich beurteiltes Vorgehen der Gegenseite ernstlich zu befürchten ist (BSG, Urteil vom 15. November 1995 - 6 RKa 17/95 - (juris) m.w.N.; BSG SozR 3-2500 § 88 Nr. 1; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23. November 2005 - L 19 B 90/05 AS ER - (juris)). Der Senat kann offen lassen, ob es für die Gewährung vorbeugenden Rechtsschutzes ausreicht, dass die Obliegenheit zu aktuellen Kostensenkungsbemühungen bei abstrakt unangemessenen Kosten der Unterkunft besteht. Nimmt der Hilfebedürftige diese vor, besteht für ihn mangels später ergehender nachteiliger und damit anfechtbarer Verwaltungsentscheidung keine Möglichkeit, dies gerichtlich prüfen zu lassen. Im vorliegenden Fall fehlt es jedoch bereits an der weiteren Voraussetzung des qualifizierten Rechtsschutzbedürfnisses, da ein als widerrechtlich zu beurteilendes Verhalten der Antragsgegnerin nicht ernstlich droht.

Bei der Berechnung der abstrakt angemessenen Kosten der Unterkunft i.H.v. EUR 217,80 hat die Antragsgegnerin nach ihren Ausführungen vor dem SG eine Kaltmiete von EUR 4,84/m² zugrunde gelegt und sich hierbei am für die Stadt Pforzheim geltenden Mietspiegel orientiert. Dieser m²-Preis liegt über dem für Wohnungen mit einfacher Ausstattung (EUR 4,49) und orientiert sich an den Preisen für Wohnungen mit durchschnittlicher Ausstattung in durchschnittlicher Wohnlage. Da der Mietspiegel eine grundsätzlich zulässige Erkenntnisquelle bei der Ermittlung des örtlichen Mietpreisniveaus darstellt und im Rahmen des SGB II nur ein einfacher Wohnstandard zu berücksichtigen ist (zu beiden Punkten vgl. BSG SozR 4-4200 § 22 Nr. 3), kann ein hierauf gestütztes Verhalten der Antragsgegnerin nicht als widerrechtlich angenommen werden. Vielmehr zeigt sich hieran gerade die Bedeutung des Nachweises erfolgloser Kostensenkungsbemühungen für den Anspruch auf Übernahme der Kosten der Unterkunft in tatsächlicher Höhe gem. § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II. Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Schreiben der Agentur für Arbeit vom 15. Februar 2005. Der Senat kann offen lassen, welche Rechtsqualität diesem Schreiben zukommt. Auch wenn man es als - begünstigenden - Verwaltungsakt i.S.d. § 31 SGB X oder als Zusicherung i.S.d. § 34 SGB X ansehen wollte, bestünden rechtliche Möglichkeiten, die es der Antragsgegnerin erlauben könnten, eine solche Rechtsposition mit Wirkung für die Zukunft zu beseitigen (§ 34 Abs. 3, §§ 45, 48 SGB X), bevor sie Kosten der Unterkunft in geringerer Höhe gewährt.

Mangels Zulässigkeit des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz war die unbegründete Beschwerde zurückzuweisen.

Sollte entgegen dem bisher ersichtlichen Sachstand mittlerweile eine Bewilligung von Grundsicherungsleistungen auch für die Zeit ab 1. Juli 2008 erfolgt sein, wäre der hier gegenständliche Antrag des einstweiligen Rechtsschutzes bereits wegen anderweitiger Erledigung unzulässig. Die Antragstellerin müsste dann einstweiligen Rechtsschutz bzgl. des Bewilligungsbescheides suchen (vgl. a. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Januar 2007 - L 14 B 1068/06 AS ER - (juris)). Der Senat wäre indessen nicht befugt, über einen solchen Antrag zu entscheiden, da das SG ausweislich des mit der Beschwerde angegriffenen Beschlusses nur über einen Anspruch auf vorläufige Feststellung und vorbeugende Unterlassung entschieden hat. Bei bereits erfolgter Leistungsbewilligung ab 1. Juli 2008 wäre der Senat für ein Eilbegehren auch nicht als Gericht der Hauptsache zuständig.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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