S 94 AS 320/07

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
94
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 94 AS 320/07
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Beklagte wird unter Abänderung des Widerspruchsbescheides vom 29. November 2007 verpflichtet, die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für notwendig zu erklä-ren. Der Beklagte wird verurteilt, die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das Widerspruchsverfahren in voller Höhe zu tragen. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin. Die Berufung wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Höhe der außergerichtlichen Kosten des Widerspruchsverfahrens sowie die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren.

Die Klägerin beantragte im April 2005 durch ihren Bevollmächtigten, der auch als gesetzli-cher Betreuer der Klägerin eingesetzt und tätig ist, Arbeitslosengeld II nach dem Auslaufen des Krankengeldbezuges ab 9. Juli 2005. Mit Bescheid vom 10. Oktober 2005 lehnte der Beklagte den Antrag vom 28. April 2005 mangels Hilfebedürftigkeit ab.

Die Klägerin erhob durch ihren Bevollmächtigten Widerspruch. Die dem Bescheid beige-fügte Tabelle weise lediglich jeweils den Gesamtbetrag der monatlichen Leistung mit 0,00 Euro aus, die rechnerischen Einzelheiten würden gänzlich fehlen.

Mit Bescheid vom 18. Oktober 2006 lehnte der Beklagte den Antrag ab 1. Juli 2005 mangels Hilfebedürftigkeit ab, mit weiterem Bescheid vom 18. Oktober 2006 bewilligte der Beklagte für April 2005 0,23 Euro und für Mai und Juni 2005 jeweils 2,24 Euro. Der Bescheid sei Gegenstand des Widerspruchsverfahrens.

Mit Widerspruchsbescheid vom 29. November 2006 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Die im Widerspruchsverfahren ggf. entstandenen notwendigen Aufwendungen würden zu einem Zehntel erstattet werden können.

Die Klage ist am 4. Januar 2007 beim Sozialgericht Berlin eingegangen. Der Bevollmäch-tigte der Klägerin macht im Wesentlichen geltend, der Bewilligungsbescheid vom 18. Oktober 2006 stelle eine Abhilfeentscheidung dar, der Widerspruch vom 29. Oktober 2005 sei somit vollumfänglich begründet gewesen, darüber hinausgehende Leistungen seien nicht Gegenstand des Widerspruchsverfahrens gewesen. Auch der weitere Ableh-nungsbescheid vom 18. Oktober 2005 kranke an einer Begründung, allerdings hätten hier aus dem gleichzeitig ergangenen Bewilligungsbescheid Rückschlüsse auf die Begründung gezogen werden können.

Der Bevollmächtigte der Klägerin beantragt schriftsätzlich, den Beklagten zu verpflichten, unter Abänderung des Bescheides vom 29. Novem-ber 2006 die gesamten Kosten des Widerspruchsverfahrens zu übernehmen und die Hinzuziehung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin für das Widerspruchsver-fahren für notwendig zu erklären.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Er wendet ein, der Widerspruch habe nicht sich ausschließlich auf Formfehler der ableh-nenden Entscheidung beschränkt, sondern sich inhaltlich gegen die Ablehnung der Leis-tungsgewährung gewandt. Die Kostenquotelung sei aufgrund des geringen teilweisen Erfolges des Widerspruchs erfolgt. Die ursprüngliche Ablehnung habe sich auf die Zeit vom 28. April 2005 bis 31. Oktober 2005 bezogen. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtig-ten sei im Übrigen nicht notwendig gewesen. Aus Sicht eines vernünftigen Bürgers sei die Beauftragung eines Rechtsanwaltes nicht nahe liegend. Zudem gehöre es zum Aufgaben-kreis des gesetzlich bestellten Betreuers, die Rechte des Betreuten im Verwaltungsverfah-ren wahrzunehmen, diese würden folglich nicht gesondert vergütet werden können.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhand-lung erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und der Leistungsakte des Beklag-ten verwiesen, die der Kammer bei ihrer Entscheidung vorgelegen haben.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht durfte mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden, § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Klage ist zulässig, insbesondere ist die Klagefrist nach § 87 SGG eingehalten. Die Klage ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides erhoben worden. Der Widerspruchsbescheid vom 29. November 2006 ist nach dem Stempelauf-druck dem Bevollmächtigten der Klägerin am 4. Dezember 2006 zugegangen. Letztlich konnte dies hier aber sogar dahinstehen, da sich zwar in der Verwaltungsakte eine Verfü-gung hinsichtlich der Absendung des Widerspruchsbescheides findet, nicht aber der Tag der Absendung desselben vermerkt ist. Die Dreitagesfiktion des § 37 Abs. 2 Sozialgesetz-buch Zehntes Buch (SGB X) gilt daher vorliegend nicht.

Die Zulässigkeit der Klage scheitert auch nicht an der Durchführung eines (weiteren) Vorverfahrens. Ein Widerspruchsbescheid kann alleiniger Gegenstand der Klage sein, wenn und soweit er gegenüber dem ursprünglichen Verwaltungsakt eine zusätzliche selbständige Beschwer enthält (vergl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leithere, SGG, 8. Aufl., § 78 Rdz 8). Dies ist hier der Fall, weil erstmals im angefochtenen Widerspruchsbescheid vom 29. November 2006 über die Kosten des Vorverfahrens durch den Beklagten entschieden worden ist (zur Entbehrlichkeit eines gesonderten Widerspruchsverfahrens in derartigen Fällen vgl. auch Roos in von Wulffen, SGB X, 5. Aufl., § 63 Rdnr. 37, LSG Niedersach-sen-Bremen, Urteil vom 31. März 2004, Az. L 3 KA 89/01).

Auch die Frage der Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten ist zulässiger Gegenstand dieser Klage. Auch wenn der Beklagte entgegen § 63 Abs. 2 SGB X im Widerspruchsbescheid überhaupt nicht über die Frage der Hinzuziehungsnotwendigkeit entschieden hat, bedarf es insoweit keines (erneuten) Verwaltungsverfahrens. Die unterlas-sene Kostenentscheidung kann im Wege der Verpflichtungsklage erstritten werden (vergl. Bundessozialgericht, BSG Urteil vom 17.10.2006, Az. B 5 RJ 66/04 R, Fundstelle juris).

Die sonstigen Zulässigkeitsvoraussetzungen liegen vor.

Die Klage ist auch begründet.

Der Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 29. November 2006 ist rechtswidrig hin-sichtlich der Ablehnung der Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten. Zur Überzeugung der Kammer war die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten vorliegend notwendig. Nach der Rechtsprechung des BSG (SozR 1300 § 163 Nr. 12) ist die Hinzuzie-hung notwendig, wenn es den Beteiligten nach den jeweils gegebenen Verhältnissen nicht zuzumuten ist, das Verfahren selbst zu führen. Die Notwendigkeit kann sich aus der objektiv schwierigen Sach- oder Rechtslage, der Schwere eines Eingriffs in Rechte des Betroffenen oder Gründen in der Person des Betroffenen ergeben (so Krasney in von Wullfen, SGB X, 5. Aufl, § 63 Rdz. 17).

Vorliegend begründet sich die Notwendigkeit aus der Schwierigkeit der Sach- und Rechts-lage. In der Person der Klägerin liegende Gründe sind hingegen nicht gegeben. Zwar war die Klägerin zu einer sachgerechten Wahrnehmung ihrer Interessen gegenüber Behörden nicht in der Lage, wie sich aus dem Erfordernis der Einrichtung der Betreuung ersehen lässt. Diese Einschränkungen werden jedoch durch die rechtliche Betreuung ausgeglichen. Maßstab für die Beurteilung der Notwendigkeit der Hinzuziehung des zugleich als Rechts-anwalt tätigen Betreuers kann daher nur sein, ob ein vernünftiger Bürger ohne spezielle Kenntnisse, insbesondere Rechtskenntnisse einen Bevollmächtigten hinzugezogen hätte (vergl. BSG, Urteil vom 18. Dezember 2001, B 12 KR 42/00 R, Fundstelle juris - für den Fall, der Selbstvertretung eines Rechtsanwalts).

Die Klägerin bzw. ihr Betreuer durfte unter diesen Voraussetzungen einen Rechtsanwalt hinzuziehen. Ohne vertiefte rechtliche Kenntnis sind weder die Bewilligungsbescheide noch die Versagungsbescheide betreffend die Leistungen zur Sicherung des Lebensunter-haltes durch den Bürger verständlich.

Entgegen der Auffassung des Beklagten unterfällt die Wahrnehmung der Rechte des Betreuten in einem (sozial)gerichtlichen Verfahren auch nicht zwingend dem normalen Aufgabenkreis des gesetzlich bestellten Betreuers. Insbesondere sind die (verfahrensrecht-lich und materiell-rechtlich regelmäßig schwierigen) Fragen zum Leistungsrecht nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches nicht von einem Betreuer im Rahmen des Betreu-ungsverhältnisses "mitzuerledigen". Dass eine behördliche Amtsermittlungspflicht besteht, hindert die Notwendigkeit nicht, immerhin hat der Gesetzgeber für das gerichtliche Verfah-ren in § 193 Abs. 3 SGG die Erstattungsfähigkeit der Anwaltskosten zum Regelfall für zwingend erklärt, obgleich auch im gerichtlichen Verfahren Amtsermittlungspflicht besteht.

Auch die Kostenquote ist zur Überzeugung der Kammer nicht rechtmäßig. Nach § 63 Abs. 1 SGB X hat der Beklagte die Kosten zu erstatten, soweit der Widerspruch erfolgreich ist. Dies gilt auch, wenn der Widerspruch nur deshalb keinen Erfolg hat, weil die Verletzung einer Verfahrens- oder Formvorschrift nach § 41 unbeachtlich ist.

Der Widerspruch gegen den Bescheid vom 10. Oktober 2005 ist bereits unter dem Ge-sichtspunkt der fehlenden Begründung in vollem Umfang erfolgreich. Deshalb ist es hier auch unerheblich, ob und in welchem Umfang der Widerspruch der Klägerin in der Sache erfolgreich gewesen ist. Die Kosten sind nach dem Gesetz vom Beklagten zu erstatten, ohne dass insoweit ein Ermessen eingeräumt wäre, selbst wenn die Versagungsentschei-dung des Beklagten sachlich richtig gewesen sein dürfte (Wofür einiges spricht, wenn die Klägerin nach Aktenlage durch Bescheid des Rentenversicherungsträgers vom 7. Septem-ber 2005 rückwirkend ab dem 1. November 2004 eine Rente wegen voller Erwerbsminde-rung zuerkannt bekommen hat und mithin ein Anspruchsausschluss nach §§ 7 Abs. 1 Nr. 2, 8 Sozialgesetzbuch Zweites Buch greift).

Der Bescheid vom 10. Oktober 2005 leidet an einem Begründungsmangel. Nach § 35 Abs. 1 Satz 2 SGB X sind in der Begründung die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben. Die Begrün-dung eines Verwaltungsaktes soll den davon Betroffenen in die Lage versetzen, die Ent-scheidung zu verstehen und die Überprüfung der dem Verwaltungsakt zugrunde liegenden tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen zu ermöglichen (so schon das BSG, Urteil vom 24. Juni 1982, Az. 4 RJ 37/81, Fundstelle juris).

Der Beklagte begründet die Versagung mit fehlender Hilfebedürftigkeit wegen überstei-genden Einkommens. Diese Begründung reicht für die Ablehnungsentscheidung nicht aus. Ohne Angaben darüber, welches Einkommen der Beklagte welchem Bedarf gegenüber-stellt, kann der Bescheidempfänger nicht im Ansatz nachvollziehen, weshalb er als nicht hilfebedürftig angesehen wird. Soweit der Beklagte weiter ausführt: "Im beigefügten Berechnungsbogen finden Sie alle rechnerischen Einzelheiten, die der Beurteilung Ihres Anspruchs zugrunde gelegt wurden", hat die Kammer gegen eine solche Bezugnahme grundsätzlich keine Bedenken. Allerdings ist im vorliegenden Fall auch der Berechnungs-bogen nicht im Ansatz geeignet, die Berechnungsgrundlagen offenzulegen. Die Anlage beschränkt sich hier auf eine Tabelle, die den Betrag der Regelsätze getrennt nach Ost und West sowie für Volljährige, Alleinstehende und Angehörige ausweist. Ein - einzelfallbezo-gener - Berechnungsbogen war dem Bescheid nicht angefügt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie folgt dem Ausgang des Verfahrens in der Hauptsache.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes erreicht 750,00 Euro nicht. Wert des Beschwerde-gegenstandes kann vorliegend nur der Betrag sein, der für die Kosten des Widerspruchsver-fahrens anfällt. Nach Ziff. 2400 VV RVG kann für das maximal eine Gebühr von 520 Euro anfallen – unabhängig von der Frage, dass vorliegend eine Höchstgebühr nicht in Betracht kommen dürfte. Auch unter Hinzurechnung von weiteren Gebühren für Post und Tele-kommunikation sowie Umsatzsteuer werden 750 Euro nicht erreicht.

Soweit die Berufung nicht von Gesetzes wegen zulässig ist gemäß § 144 Abs. 1 SGG, war sie hier auch nicht zuzulassen nach § 144 Abs. 2 SGG. Die Sache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch weicht sie von einer obergerichtlichen Entscheidung ab.
Rechtskraft
Aus
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