L 14 R 295/06

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 18 R 218/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 14 R 295/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5a R 66/08 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 14.08.2006 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Regelaltersrente aus der deutschen Rentenversicherung. Dabei macht der Kläger Beitragszeiten für eine Beschäftigung im Ghetto Tomaszow Mazowiecki von Mai 1940 bis November 1942 nach den Vorschriften des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) geltend.

Der 1929 in U geborene Kläger ist jüdischen Glaubens und war Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung. Er ist Verfolgter im Sinne des § 1 Bundesentschädigungsgesetz (BEG). Seit 1945 lebt er in Israel und besitzt die israelische Staatsbürgerschaft.

Ausweislich der Entschädigungsakten des Amtes für Wiedergutmachung in Saarburg ist dem Kläger eine Entschädigung für Schaden an Freiheit u.a. für die Zeit im Ghetto Tomaszow Mazowiecki von 1940 bis 1943 gewährt worden. Im Rahmen dieses Entschädigungsverfahrens hatte der Kläger von Zeugen bestätigt angegeben, sich von Anfang 1940 bis Frühjahr 1943 im Ghetto Tomaszow Mazowiecki aufgehalten zu haben. In seiner eidlichen Erklärung vom 27.07.1955 hatte er angegeben, das Ghetto sei ab Sommer 1940 geschlossen, durch Stacheldraht gesichert und von der SS bewacht worden. Er habe anfangs im Ghetto Säuberungsarbeiten verrichten müssen und später habe er sich dann außerhalb des Ghettos in einer Sammelstelle von Büchern beschäftigen müssen. Er sei zu diesem Zwecke täglich unter Bewachung von SS sowohl zur als auch von der Arbeitsstelle geführt worden. Der Zeuge C S hatte am 08.07.1955 erklärt, er sei schon Anfang 1940 mit dem Kläger zusammen in das Ghetto eingewiesen worden. Im Sommer 1940 sei das Ghetto geschlossen worden. Er habe zusammen mit dem Kläger anfangs Säuberungsarbeiten verrichten müssen. Ab Sommer 1940 hätten sie an Räumungsarbeiten teilgenommen, indem sie die im großen Ghetto zurückgebliebenen Habseligkeiten hätten sammeln und sortieren müssen. Er und der Kläger hätten in der Bücher-Abteilung arbeiten müssen. Diese habe sich außerhalb des Ghettos befunden. Sie seien zu diesem Zwecke täglich unter Bewachung von der SS zur und von der Arbeitsstelle geführt worden. Der Zeuge F I hatte am 08.07.1955 angegeben, ihm sei bekannt, dass sowohl der Kläger als auch sein Bruder K im Ghetto Tomaszow Mazowiecki zuerst Säuberungsarbeiten verrichten mussten. Später hätten sie bei der Liquidierung des großen Ghettos die zurückgebliebenen Habseligkeiten sortieren müssen. Die beiden hätten in der Bücherabteilung gearbeitet. Die Mutter des Klägers, Frau H O, hatte als Zeugin am 27.07.1955 erklärt, sie sei zusammen mit ihren Söhnen schon Anfang 1940 in das Ghetto eingewiesen worden. Sie habe dort anfangs Säuberungsarbeiten verrichtet und habe sich später in einer Sammelstelle für Eisen beschäftigt.

Im Rahmen des Entschädigungsverfahrens wegen eines Schadens an Körper oder Gesundheit hatte der Kläger am 30.01.1964 u.a. erklärt, er habe im Ghetto sehr unter der schlechten Ernährung gelitten und auch seelisch darunter, dass er mit habe ansehen müssen, wie man seine Eltern zu erniedrigender Zwangsarbeit gezwungen habe. Im Jahr 1942 sei er gezwungen worden wie ein Pferd vor einen Wagen gespannt, das Eigentum der deportierten Juden aus den Wohnungen zu einem Sammelplatz zu bringen. Die Arbeit habe seine physischen Kräfte überstiegen. Der Zeuge O1 S1 hatte am 17.02.1964 erklärt, er wisse, dass der Kläger und sein Bruder schon im Ghetto Tomaszow zur Arbeit gezwungen worden seien und im Jahr 1942 als Zugpferde benutzt worden seien, um das Eigentum der Deportierten einzusammeln.

In einem ärztliches Attest des Dr. B vom 11.06.1963 wurde als eigene Angabe des Klägers festgehalten, dass er von 1940 bis Anfang 1943 im Ghetto Tomaszow gewesen sei. Von 1942 habe er an Stelle eines Zugpferdes gearbeitet, d.h. er sei vor einen Wagen gespannt worden und habe das Eigentum derjenigen einzusammeln gehabt, die in die Lager geschickt worden seien. Bereits im Alter von 13 Jahren habe er schwere physische Arbeit zu leisten gehabt.

Aus der Akte der Claims Conference (Zwangsarbeiterfonds) geht hervor, dass der Kläger eine Entschädigung aufgrund seines Verfolgungsschicksals im Ghetto Tomaszow Mazowiecki in den Jahren 1940 bis 1943 und in den Konzentrationslagern Auschwitz, Melk und Mauthausen in den Jahren 1944 bis 1945 erhalten hat. In seinem Antrag hatte er dort als Ort der Inhaftierung, an dem die Zwangsarbeit/körperliche Schwerstarbeit erfolgte,das Konzentrationslager Birkenau im Jahr 1944 angegeben.

Nach einem ersten Antrag im Jahr 1998, der hinsichtlich der Beschäftigungszeiten nicht konkretisiert worden war und wegen mangelnder Glaubhaftmachung abgelehnt wurde, weil der Kläger die angeforderten Unterlagen nicht vorgelegt hatte, beantragte der Kläger am 13.02.2003 jetzt unter Hinweis auf das ZRBG bei der Beklagten erneut die Gewährung einer Altersrente rückwirkend ab dem 01.07.1997 unter Berücksichtigung seiner Beschäftigung in der Zeit von Mai 1940 bis Mai 1943 im Ghetto Tomaszow Mazowiecki.

Im Antragsformular vom 10.08.2003 gab er an, er habe von ca. 5/1940 bis 5/1943 im Ghetto Tomaszow Mazowiecki als Arbeiter eine Vollzeitbeschäftigung ausgeübt. Er habe als Entgelt Rationen vom Judenrat und Lebensmittelversorgung erhalten.

In dem Fragebogen der Beklagten zur Anerkennung von Zeiten nach dem ZRBG gab er weiter an, er habe sowohl innerhalb als auch außerhalb des Ghettos gearbeitet. Er sei im Jahr 1942 gezwungen worden, "als Zugpferd den Wagen mit Eigentum zum Sammelplatz zu bringen". Der Arbeitseinsatz sei freiwillig durch Vermittlung des Judenrates zustande gekommen, "sonst hätte man uns umgebracht". Er habe trotz seines jungen Alters schwer gearbeitet bei "Räumungsarbeiten, Sammelarbeiten, Büchersammeln und Eigentum auf den Sammelplatz bringen". Die Arbeit sei mit Rationen vom Judenrat und Lebensmittelversorgung entlohnt worden. Barlohn habe er nicht erhalten.

Mit Bescheid vom 14.07.2004 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers mit der Begründung ab, die Schilderung hinsichtlich des Zustandekommens der Arbeit, die Art der Tätigkeit, die fehlende Entlohnung sowie das Fehlen eines konkreten Arbeitgebers ließen nicht darauf schließen, dass es sich um ein frei gewähltes Beschäftigungsverhältnis im Sinne des ZRBG gehandelt habe.

Mit seinem Widerspruch vom 06.07.2004 legte der Prozessbevollmächtigte des Klägers eine eidesstattliche Versicherung des Klägers vom 22.09.2004 vor. Hierin erklärte der Kläger, er sei Anfang 1940 mit seinem Bruder K in das Ghetto Tomaszow Mazowiecki eingewiesen worden. Sie hätten sich sofort an den Judenrat gewandt und um Arbeit gebeten, sie hätten schon gewusst, dass wer gearbeitet habe auch Essensrationen bekommen hätte. Es sei ihnen Arbeit bei der Säuberung und Reinigung und Schlepparbeiten aller Art im Ghetto zugeteilt worden. Sie hätten freiwillig gearbeitet, dafür Essensrationen zugeteilt bekommen sowie Lebensmittelversorgung. Nachdem das Ghetto offiziell liquidiert worden sei (im November 1942) sei es ihnen gelungen, sich zu verstecken um der Deportation zu entkommen. Ihre Hilfe sei gebraucht worden, sie hätten die zurückgebliebenen Habseligkeiten sortieren müssen und hätten auch in der Bücherabteilung gearbeitet. Bis Mai 1943 habe er mit seinem Bruder noch im Ghetto gearbeitet.

Mit Widerspruchsbescheid vom 25.08.2005 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, eine Beschäftigung gegen Entgelt sei aufgrund der Angaben des Klägers nicht wahrscheinlich. Er habe angegeben, durch Lebensmittel und Rationen vom Judenrat entlohnt worden zu sein, Barlohn habe er keinen erhalten. Diese Tatsache erfülle nicht das Merkmal der Entgeltlichkeit. Zudem sprächen die Schilderungen im Entschädigungsverfahren gegen eine Beschäftigung aus freiem Willensentschluss. Es sei auch deswegen schon nicht von einer Beschäftigung aus freiem Willensentschluss auszugehen, weil der Kläger zum Zeitpunkt der behaupteten Tätigkeit zwischen 10 und 13 Jahre alt gewesen sei. Zudem sei das Ghetto nach den vorliegenden Unterlagen erst im Dezember 1940 eröffnet worden und am 02.11.1942 liquidiert worden. Die Zeiten vor Eröffnung und nach Liquidierung des Ghettos könnten nach dem ZRBG nicht berücksichtigt werden.

Mit seiner Klage vom 30.08.2005 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers im Wesentlichen vorgetragen, der Kläger sei von Mai 1940 bis November 1942 im Ghetto Tomaszow gewesen und habe sich über die Arbeitsverwaltung des Judenrates eine Tätigkeit als Arbeiter bei der Stadtverwaltung gesucht. Er habe für die Tätigkeit einen Lohn in Form von Sachbezügen (Essen am Arbeitsplatz und zusätzliche Lebensmittel) erhalten. Es könnten auch zusätzlich Lebensmittelcoupons und Bargeld gewesen sein. Jedenfalls sei er wie alle jüdischen Arbeiter entlohnt worden. Angaben über eine freiwillige Arbeitsaufnahme und eine Entlohnung seien für das Entschädigungsverfahren ohne Bedeutung gewesen und nicht abgefragt worden.

Das Sozialgericht hat dem schriftsätzlichen Vorbringen der Prozessbevollmächtigten des Klägers den Antrag entnommen,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 14.07.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.08.2005 zu verurteilen, die Tätigkeiten von Mai 1940 bis November 1942 als glaubhaft gemachte Beitragszeiten nach dem ZRBG anzuerkennen und die Regelaltersrente ab dem 01.07.1997 unter Berücksichtigung der weiteren Verfolgungszeit als Ersatzzeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 14.08.2006 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen wird im wesentlichen ausgeführt, sowohl der Aufenthalt als auch die Tätigkeit des Klägers im Ghetto Tomaszow seien glaubhaft gemacht. Allerdings sei nicht glaubhaft gemacht, dass der Kläger diese Tätigkeiten auch aus eigenem Willensentschluss aufgenommen habe. Dies gelte insbesondere für die Tätigkeit beim Einsammeln des Eigentums der Deportierten. Der Kläger habe diesbezüglich angegeben, er sei gezwungen worden, als "Zugpferd" das eingesammelte Eigentum zum Sammelplatz zu bringen. Bei einer solchen Beschreibung könne nicht davon ausgegangen werden, dass dies, zudem im kindlichen Alter, aus eigenem Willensentschluss getan worden sei. Auch hinsichtlich der Arbeiten, die der Kläger zuvor verrichtet habe, sei es nicht überwiegend wahrscheinlich, dass diese aus eigenem Willensentschluss ausgeübt worden seien. Der Kläger habe die Tätigkeiten auch nicht entgeltlich im Sinne des ZRBG verrichtet. Es müsse ein Entgelt gewährt worden sein, das entweder aus Sachleistungen, oder aus Barlohn bestehen könne und einen gewissen Mindestumfang im Sinne eines angemessenen Verhältnisses erreiche, wobei eine wirtschaftliche Gleichwertigkeit im Sinne einer "Äquivalenz" der Leistung nicht gegeben zu sein brauche. Daher reiche es nicht aus, wenn das Entgelt nur als "Mittel zur Erhaltung der Arbeitskraft" gedient habe. Vor diesem Hintergrund sei schon nicht im Sinne einer guten Möglichkeit festzustellen, welche Entlohnung der Kläger tatsächlich erhalten habe. Im Fragebogen der Beklagten habe der Kläger angegeben Rationen vom Judenrat und Lebensmittelversorgung erhalten zu haben; gleiches habe er auch in seiner eidestattlichen Erklärung vom 22.09.2004 wiederholt. Nunmehr trage der Prozessbevollmächtigte vor, der Kläger habe einerseits Sachbezüge, bestehend aus Essen am Arbeitsplatz und zusätzlichen Lebensmitteln für zu Hause erhalten, andererseits "könnten" es auch zusätzliche Lebensmittelcoupons und Bargeld gewesen sein. In diesem Sinne existierten aber im gesamten Entschädigungsverfahren sowie im Verwaltungsverfahren keine Anhaltspunkte. Es sei nicht ersichtlich, aus welchem Grund nunmehr der Sachvortrag hinsichtlich der Entlohnung geändert worden sei. Es könne nur davon ausgegangen werden, dass die "Entlohnung" des Klägers lediglich dazu gedient habe, seine "Arbeitskraft" aufrecht zu erhalten.

Gegen das am 30.08.2006 zugegangene Urteil hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers am 31.08.2006 Berufung eingelegt. Er trägt vor, der Kläger habe eidesstattlich erklärt, im Ghetto freiwillig und gegen Lohn beschäftigt gewesen zu sein. Frühere Angaben zu einem Antrag auf Entschädigungsleistungen seien nicht aussagekräftig, da nur Aussagen über eine Tätigkeit unter Zwang von Bedeutung gewesen seien. Daher sei es nahe liegend, dass Angaben über eine freiwillige Tätigkeit und die Entlohnung fehlten. Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 14.08.2006 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 14.07.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25.08.2005 zu verurteilen, ihm ab dem 01.07.1997 Regelaltersrente unter Berücksichtigung einer Beitragszeit von Mai 1940 bis November 1942 im übrigen nach näherer Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung verweist sie auf ihr Vorbringen in der ersten Instanz.

Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 18.12.2007 mitgeteilt, dass vorbehaltlich der grundsätzlichen Anerkennung von Beschäftigungszeiten im Ghetto Tomaszow Mazowiecki die Wartezeit für die Regelaltersrente unter Berücksichtigung israelischer Versicherungszeiten erfüllt wäre.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Rentenakte und der Entschädigungsakten des Klägers sowie der beigezogenen Akte des Sozialgerichts München (K1 O, Az.: S 13 R 2548/05 WG) Bezug genommen. Diese Akten haben vorgelegen und sind ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 14.07.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.08.2005 ist nicht rechtswidrig und verletzt den Kläger nicht gemäß § 54 Abs. 2 SGG in seinen Rechten. Die Beklagte hat zutreffend entschieden, dass der Kläger keinen Anspruch auf Regelaltersrente hat.

Gem. § 35 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) hat ein Versicherter Anspruch auf Altersrente, wenn er das 65. Lebensjahr vollendet und die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren erfüllt hat. Der Kläger hat das 65. Lebensjahr bereits im Jahr 1994 vollendet. Die Wartezeit wäre nach der Auskunft der Beklagten erfüllt. Es fehlt jedoch an den übrigen Voraussetzungen des § 35 SGB VI, denn der Kläger hat keinen Monat zurückgelegt, der mit anrechenbaren rentenrechtlichen Zeiten belegt ist.

Als auf die Wartezeit anrechnungsfähige Zeiten kommen grundsätzlich Beitrags- und Ersatzzeiten im Sinne der §§ 50 Abs.1 Nr.1, 51 Abs.1 und Abs.4 SGB VI in Betracht. Dabei finden nach § 250 Abs.1 SGB VI Ersatzzeiten als rentenrechtliche Zeiten allerdings nur dann Berücksichtigung, wenn vor Beginn der Rente zumindest ein Beitrag wirksam entrichtet worden ist oder als wirksam entrichtet gilt; denn Ersatzzeiten sollen nur Personen zugute kommen, die bereits Beitragsleistungen erbracht haben (vgl. Niesel in Kasseler Kommentar, § 250 SGB VI RdNr. 10; Schmidt in Kreikebohm, SGB VI, 2. Aufl., § 250 RdNr. 6; BSG, Urteil vom 07.10.2004, B 13 RJ 59/03 R).

Der Kläger hat jedoch keine anrechenbaren Beitragszeiten zurückgelegt. Gemäß §§ 55 Abs.1, 247 Abs.3 S.1 SGB VI sind Beitragszeiten Zeiten, für die nach Bundesrecht oder Reichsversicherungsgesetzen Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind. Gemäß § 2 Abs.1 iVm § 1 Abs.1 S.1 ZRBG gelten für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto, die (1.)sich zwangsweise in einem Ghetto aufgehalten haben, welches sich in einem Gebiet befand, das vom Deutschen Reich besetzt oder diesem eingegliedert war, und (2.)dort eine aus eigenem Willensentschluss zustande gekommene Beschäftigung gegen Entgelt ausgeübt haben, Beiträge als gezahlt, sofern (3.)für diese Zeiten nicht bereits eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit erbracht wird.

Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Es kann im vorliegenden Fall offen bleiben, ob die Anwendung des ZRBG - wie vom Bundessozialgericht in seiner Entscheidung vom 14.12.2006 (Az: B 4 R 29/06 R) angenommen - gemäß § 1 Abs.1 S.2 ZRBG über dessen Wortlaut hinaus in persönlicher Hinsicht voraussetzt, dass dem Betroffenen für die geltend gemachte Beschäftigung in einem Ghetto keine Ansprüche nach dem Fremdrentengesetz - FRG - bzw. dem Gesetz zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung zustehen (ohne dass eine solche Leistung tatsächlich erbracht wird). Ebenso kann dahin stehen, ob die Anerkennung einer Ghetto-Beitragszeit - ebenfalls über den Wortlaut des § 1 Abs.1 S.2 ZRBG hinaus - ferner verlangt, dass der Kläger gemäß § 17 a FRG bzw. § 20 Gesetz zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung(WGSVG) in den dort genannten Zeitpunkten dem deutschen Sprach-und Kulturkreis angehörte, denn es fehlt jedenfalls an den - im Gesetz ausdrücklich genannten - sachlichen Voraussetzungen für die Anerkennung einer Ghetto-Beitragszeit nach dem ZRBG. Der Kläger hat nicht glaubhaft gemacht, in der streitgegenständlichen Zeit eine von § 1 Abs.1 ZRBG erfasste Beschäftigung in einem Ghetto ausgeübt zu haben.

Glaubhaft gemacht ist eine Tatsache, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist (vgl.§ 4 Abs. 1 FRG, § 3 Abs. 1 WGSVG). Glaubhaftmachung bedeutet danach mehr als das Vorhandensein einer bloßen Möglichkeit, aber auch weniger als die an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit. Es genügt die "gute Möglichkeit", dass der entscheidungserhebliche Vorgang sich so zugetragen hat, wie behauptet wird. Es muss also mehr für als gegen den behaupteten Sachverhalt sprechen. Dabei sind gewisse noch verbleibende Zweifel unschädlich (vgl. BSG SozR 3-3900 § 15 Nr.4)

Nach Gesamtwürdigung aller Umstände geht der Senat davon aus, dass sich der Kläger in Tomaszow Mazowiecki im geltend gemachten Zeitraum (Mai 1940 bis November 1942) zwangsweise aufgehalten hat und dort die beschriebenen Beschäftigungen (Räumungsarbeiten, Sammelarbeiten, Büchersammeln, Eigentum auf den Sammelplatz bringen) ausgeübt hat. Die Angaben im Rentenverfahren entsprechen insoweit den Angaben des Klägers und der Zeugen im Entschädigungsverfahren. Das geschlossene Ghetto in Tomaszow Mazowiecki bestand nach der von der Beklagten herangezogenen Ghettolistte in www.keom.de (Deutschland ein Denkmal - ein Forschungsauftrag) zumindest von Dezember 1940 bis November 1942. Ob in Tomaszow Mazowiecki auch noch nach November 1942 ein Ghetto bestanden hat, kann offen bleiben, da der Kläger seinen Klageantrag entgegen seinem ursprünglichen Rentenantrag auf den Zeitraum bis November 1942 beschränkt hat. Offen bleiben kann auch, ob das Ghetto in Tomaszow Mazowiecki tatsächlich schon im Mai 1940 bestand, denn der Anspruch scheitert daran, dass nach Gesamtwürdigung aller Umstände nicht glaubhaft gemacht ist, dass der Kläger in dem geltend gemachten Zeitraum eine Beschäftigung im Sinne des ZRBG ausgeübt hat.

Nach der vorzunehmenden Gesamtwürdigung aller Umstände unter Berücksichtigung des zeitnah geschilderten Verfolgungsschicksals, wie es sich aus den Entschädigungsakten ergibt, hält der Senat eine aus eigenem Willensentschluss zustande gekommene, gegen Entgelt ausgeübte Tätigkeit nicht für überwiegend wahrscheinlich.

Dabei sieht es der Senat in diesem Fall noch für glaubhaft gemacht an, dass die Beschäftigung des Klägers im Ghetto Tomaszow aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen ist, auch wenn der Kläger die Tätigkeit (zumindest für das Jahr 1942) als sehr belastend geschildert hat ("trotz meines jungen Alters schwer gearbeitet", "gezwungen worden als Zugpferd den Wagen mit Eigentum zum Sammelplatz zu bringen"). Für die Aufnahme der Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss im Jahr 1940 spricht hier jedoch, dass der Kläger in seiner Erklärung vom 22.09.2004 geschildert hat, dass er sich nach der Einweisung ins Ghetto mit seinem Bruder an den Judenrat gewandt habe und um Arbeit gebeten habe. Auch die vom Kläger gemachten Angaben zu einer Bewachung auf dem Weg von und zur Arbeit stehen der Annahme der Freiwilligkeit nicht entgegen. In einer Bewachung auf dem Weg von und zur Arbeit dürfte alleine eine den Zwangsaufenthalt im Ghetto aufrechterhaltende, also vor allem eine Flucht verhindernde Bewachung bei Beschäftigungen außerhalb des Ghettos zu sehen sein (vgl. BSG, Urteil vom 14.12.2006, B 4 R 29/06 R). Der Kläger hat insoweit angegeben sowohl innerhalb als auch außerhalb des Ghettos gearbeitet zu haben. Schließlich stehen auch die Angaben des Klägers gegenüber der Claims Conference der Annahme der Freiwilligkeit der im Ghetto Tomaszow Mazowiecki ausgeübten Tätigkeit nicht entgegen, da der Kläger dort ausschließlich Zwangsarbeiten 1944 im KZ Birkenau geltend gemacht hat.

Der Senat sieht es jedoch als nicht glaubhaft gemacht an, dass der Kläger die mit dem ZRBG-Antrag geltend gemachten Tätigkeiten entgeltlich verrichtet hat. Die maßgebenden Vorschriften des ZRBG, die das Sozialgericht zutreffend angewandt hat, knüpfen an die Rechtsprechung des BSG zu den sogenannten Ghettofällen an (vgl. u.a. BSG, Urteil vom 18.06.1997, SozR 3 - 2200, § 1248 Nr. 15; BSG, Urteil vom 21.04.1999, SozR 3 - 2200, § 1248 Nr. 16; und BSG vom 14.07.1999, SozR 3 - 5070, § 14 Nr. 3). Dem ZRBG ist nicht zu entnehmen, dass es für andere Arten von Beschäftigungen in einem Ghetto Geltung beansprucht als solchen, die nach der sogenannten Ghetto-Rechtsprechung des BSG als versicherungspflichtige Beschäftigungen anzusehen sind. Dies ergibt sich aus der hierzu vorliegenden Gesetzesbegründung (Bundestagsdrucksache 14/8583, Seite 1, 6; 14/8602, Seite 1, 5), wonach dieses Gesetz ausdrücklich in Reaktion (und Akzeptanz) der Rechtsprechung des BSG verabschiedet worden ist, um - im Hinblick auf § 272 SGB VI - in vielen Fällen die daraus resultierenden Rentenansprüche ins Ausland erst zahlbar zu machen. Eine Erweiterung des anspruchsberechtigten Personenkreises über den von der Ghetto-Rechtsprechung begünstigten hinaus ist vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt gewesen. Die in § 1 ZRBG genannten Kriterien folgen vielmehr der Rechtsprechung des BSG und verdeutlichen die Trennung zur nicht versicherten Zwangsarbeit (BSG, Urteil vom 07.10.2004, Az.: B 13 RJ 59/03 R). Zur Berücksichtigung von fiktiven Beitragszeiten im Ghetto nach Maßgabe des ZRBG ist danach neben dem Vorliegen einer aus eigenem Willensentschluss zustande gekommenen entgeltlichen Beschäftigung eine Vereinbarung zwischen einem konkreten Arbeitgeber und dem Beschäftigten über den Austausch von Arbeit und Lohn sowie das Eingebundensein des Arbeitnehmers in den organisatorischen Ablauf eines Betriebes erforderlich. In Abgrenzung hierzu ist eine unter Zwang zustande gekommene und verrichtete Arbeit nicht als versicherungspflichtige Beschäftigung einzustufen. An diesen Voraussetzungen hat die Rechtsprechung des BSG auch nach Einführung des ZRBG festgehalten und im Übrigen klargestellt, dass auch unter Berücksichtigung der allgemeinen Bedingungen nationalsozialistischer Gewaltherrschaft an der Glaubhaftmachung der Freiwilligkeit und des Bezugs eines Entgeltes, welches sich nicht in einer guten Verpflegung erschöpfen darf, festzuhalten ist (BSG, Urteil vom 07.10.2004, a.a.O.). Danach ist es hier nicht überwiegend wahrscheinlich, dass der Kläger die geltend gemachten Tätigkeiten gegen Entgelt ausgeübt hat. Wie bereits dargestellt verlangt das Vorliegen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses ein Austauschverhältnis zwischen geleisteter Arbeit und gezahltem Entgelt. Zwar ist die Höhe des Entgeltes grundsätzlich kein Merkmal für das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses und es kann auch in Form von Sachbezügen entlohnt werden. Art und Umfang der gewährten Leistungen können aber Anhaltspunkte dafür geben, ob das Entgelt als Bezahlung für die geleistete Arbeit oder zu anderen Zwecken, wie z.B. nur als Mittel zur Erhaltung der Arbeitskraft bei zur Arbeit gezwungenen Beschäftigten gedacht ist. Allzu geringfügige Leistungen außerhalb eines Verhältnisses zur erbrachten Leistung haben keinen Entgeltcharakter mehr (BSG, Urteil vom 07.10.2004, a.a.O.). Die bloße Gewährung freien Unterhaltes genügt insoweit ebenfalls nicht, um Versicherungspflicht begründen zu können, weil sie zur Versicherungsfreiheit kraft Gesetzes führte (BSG, Urteil vom 07.10.2004, a.a.O.). Soweit dem Urteil des BSG vom 14.12.2006 (Az.: B 4 R 29/06) zu entnehmen sein sollte, dass auch der Erhalt von Lebensmitteln, die kaum den notwendigen Lebensbedarf gedeckt haben können, als Entgelt im Sinne des ZRBG ausreicht, folgt der Senat dieser Rechtsprechung nicht. Der 4. Senat des BSG ist davon ausgegangen, dass es sich bei den Regelungen des ZRBG nicht um eine Weiterentwicklung bzw. Konkretisierung der Wiedergutmachungsregelungen im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung handelt, sondern um ein eigenes neues Entschädigungsrecht. Diesen Ansatz teilt der Senat nicht, da das ZRBG wie oben dargelegt an die Rechtsprechung des BSG zum Ghetto Lodz anknüpft und die entsprechenden Regelungen daher im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung zu sehen sind. Das erforderliche Entgelt, das auch in Sachbezügen bestehen kann, muss daher eine Höhe haben, die in der gesetzlichen Rentenversicherung relevant sein kann. Eine Entlohnung, die den oben genannten Kriterien erfüllt ist vom Kläger nicht glaubhaft gemacht worden. Der Kläger hat in seinen eigenen Erklärungen vorgetragen, er habe Rationen vom Judenrat sowie Lebensmittelversorgung erhalten, Barlohn habe er nicht erhalten. In der Erklärung vom 22.09.2004 hat er ausgeführt, er habe gewusst, wer gearbeitet habe, habe auch Essensrationen bekommen. Deswegen habe er sich zur Arbeit gemeldet. Er habe Essenrationen zugeteilt bekommen sowie Lebensmittelversorgung. Diese Angaben lassen keine hinreichenden Rückschlüsse auf den Umfang der erhaltenen Lebensmittel zu. Insbesondere liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass Sachbezüge in einem solchen Umfang und einer Regelmäßigkeit gewährt wurden, dass sie zum Umfang der geleisteten Arbeit noch in einem "angemessenen" Verhältnis gestanden hätten. Der Kläger selbst hat nicht dargelegt, dass die zugeteilten Essensrationen und die Lebensmittelversorgung - soweit sie überhaupt für die konkret verrichteten Tätigkeiten gewährt worden sind - über den notwendigen eigenen Bedarf hinausgingen oder etwa damit auch weitere Familienmitglieder versorgt werden konnten. Die eher spekulativen Überlegungen des Bevollmächtigten des Klägers in der Klagebegründung vom 04.02.2006 ("Es können auch zusätzlich Lebensmittelcoupons und Bargeld gewesen sein") finden in den eigenen Erklärungen des Klägers und im übrigen Akteninhalt keine Stütze. Die Mutter des Klägers und der Bruder haben nach den Angaben im Entschädigungsverfahren und den Angaben, die aus der beigezogenen Prozessakte des Sozialgerichts München betreffend den Bruder des Klägers hervorgehen, selbst gearbeitet. Auch der Vater des Klägers hat nach der Erklärung des Klägers vom 30.01.1964 selbst Zwangsarbeiten verrichten müssen. Zudem hat der Kläger im Rahmen des Entschädigungsverfahrens in der o.g. Erklärung ausgeführt, er habe schon im Ghetto unter der schlechten Ernährung gelitten. Weitere Erkenntnismöglichkeiten, aus denen der Umfang und die Wertigkeit des Lebensmittelbezugs im Einzelfall hergeleitet werden könnten, erschließen sich dem Senat nicht.

Auch die sog. "Rechtsanspruchstheorie", führt nach Auffassung des Sentas zu keinem anderen Ergebnis. Selbst wenn die Beschäftigten in einem Ghetto einen Rechtsanspruch auf die Zahlung eines Entgelts gehabt haben sollten, bleibt hier festzustellen, dass der Kläger unter Zugrundelegung seiner eigenen Angaben ein solches Entgelt nicht erhalten hat und die Erfüllung des - vom Senat unterstellten - Rechtsanspruchs von den damaligen Machthabern offensichtlich nicht beabsichtigt war. Die aus Verfolgungsgründen unterbliebene Entgeltzahlung kann auch unter Wiedergutmachungsgesichtpunkten nicht fingiert werden. Geht man - wie der Senat s.o. - davon aus, dass es sich bei den Regelungen des ZRBG nicht um ein eigenständiges, neues Entschädigungsrecht, sondern um die Weiterentwicklung bzw. Konkretisierung der Wiedergutmachungsregeln im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung handelt, so muss auch hier der Rechtsgedanke des § 12 WGSVG gelten. Danach wird nur die aus Verfolgungsgründen unterbliebene Beitragsentrichtung, nicht aber die aus Verfolgungsgründen unterbliebene Entgeltzahlung fingiert. Kann eine Beschäftigung mangels Entgeltzahlung nicht als (fingierte) Beitragszeit berücksichtigt werden ist für den Schadensausgleich innerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung die Ersatzzeit des § 250 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI vorgesehen. Im Übrigen besagt die vom Reichsversicherungsamt entwickelte und für die Beitragsbemessung auch heute noch bedeutsame Rechtsanspruchstheorie lediglich, dass für die Bemessung von Beiträgen zur Sozialversicherung nicht das dem Beschäftigten tatsächlich zugeflossene Arbeitsentgelt maßgebend ist, sondern das, auf das er einen Rechtsanspruch hat. Letzteres setzt aber voraus, dass es sich um eine sozialversicherungpflichtige Beschäftigung gehandelt hat. Ein formaler Rechtsanspruch auf ein Entgelt alleine reicht daher nach Auffassung des Senats nicht aus, um ein entgeltliches Beschäftigungsverhältnis im Sinne des FRG oder des ZRBG anzunehmen. Auch das BSG hat in seinem Beschluss vom 14.08.2006 (Az.: B 5 RJ 246/05 B) trotz der im damaligen Verfahren umfangreichen Ausführungen der dortigen Klägerbevollmächtigten keinen Anlass gesehen, der Frage der "Anspruchstheorie" im hier diskutierten Zusammenhang grundsätzliche Bedeutung beizumessen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision im Hinblick auf das Urteil des 4. Senats des BSG vom 14.12.2006 (Az.: B 4 R 29/06 R) zugelassen, da nach diesem Urteil die Anforderungen an ein ausreichendes Entgelt im Sinne des ZRBG niedriger anzusetzen sein könnten.
Rechtskraft
Aus
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