L 5 B 397/08 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 94 AS 2312/08 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 5 B 397/08 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerden der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 04. Februar 2008 werden zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die 1972 geborene Antragstellerin begehrt im Wege des Eilrechtsschutzes die Verpflichtung des Antragsgegners, ihr einen Bildungsgutschein für eine 2-jährige Ausbildung zur Heilpraktikerin zu erteilen.

Die Antragstellerin erlernte von 1988 bis 1990 den Beruf der Verkäuferin, übte jedoch anschließend bis 1994 ungelernte Arbeiten im pädagogischen Bereich aus. 1994 erlangte sie die Fachhochschulreife und begann 1995 das Studium der Grundschulpädagogik, das sie 2002 abbrach. Seit Oktober 2005 steht sie im Leistungsbezug bei dem Antragsgegner, bei dem sie anfangs als gewünschte Tätigkeit eine Arbeit als Erzieherin angab. In der Zeit von Februar bis Oktober 2007 nahm die Antragstellerin an einem Vorbereitungskurs für die Heilpraktikerüberprüfung "Psychotherapie" teil, wobei es sich um einen Abendkurs mit 20 Terminen für 3 Stunden wöchentlich handelte. Die S-H-Schule, die den Kurs durchführte, bescheinigte der Antragstellerin anschließend unter dem 15. November 2007, dass sie für eine Heilpraktikerausbildung gut geeignet sei. Im gleichen Monat stellte die Antragstellerin den Antrag auf Kostenübernahme für die Heilpraktikerausbildung an der S-H-Schule als Weiterbildungsmaßnahme. Es handelt sich dabei um eine 2-jährige Maßnahme mit 3600 Unterrichtsstunden, für die eine Gesamtschulgebühr von 15040,00 Euro zu zahlen ist. Der Ausbildungsbeginn orientiert sich an den Prüfungszyklen der staatlichen Gesundheitsämter, sodass jeweils der 1. November oder 1. April aus Sicht der S-H-Schule sinnvoll ist. Grundsätzlich ist aber nach Auskunft der Schule ein Einstieg in die Maßnahme mit individueller Stundenplanerstellung und Kombination von Kursen jederzeit möglich.

Mit Bescheid vom 22. November 2007 lehnte der Antragsgegner den Antrag ab. Die Notwendigkeit einer Umschulung zur Heilpraktikerin sei vorliegend nicht gegeben, da die Antragstellerin bereits über eine abgeschlossene Ausbildung als Einzelhandelskauffrau verfüge. Auch wenn sie im erlernten Beruf keine Berufspraxis habe und dem Arbeitsmarkt aufgrund der Betreuung ihres 2002 geborenen Kindes zeitlich nur eingeschränkt zur Verfügung stehe, lasse dies keine andere Entscheidung zu. Insoweit sei sie auf Teilzeitarbeitsstellen bzw. Helfertätigkeiten zu verweisen. Im Übrigen könne die gewünschte Ausbildung zur Heilpraktikerin auch deshalb nicht gefördert werden, weil eine anschließende Integration auf dem Arbeitsmarkt nicht zu erwarten sei. Das Angebot von Fachkräften übersteige die Nachfrage um ein Vielfaches. In Berlin sei nur ein sozialversicherungspflichtiges Angebot als Heilpraktiker vorhanden; dem gegenüber seien 212 ausgebildete Heilpraktiker arbeitslos gemeldet; die Arbeitslosenquote in dem angestrebten Beruf sei in den letzten Jahren ansteigend. Soweit die Antragstellerin sich darauf berufe, dass sie eine selbstständige Tätigkeit aufnehmen wolle, könne der von der H-Schule prognostizierte große Bedarf an Heilpraktikern nicht nachvollzogen werden bzw. handele es sich hier sehr häufig um Existenzgründungen, die nicht tragfähig seien. Allein im Bereich Berlin-Nord seien 47 selbstständige Heilpraktiker gemeldet, die entsprechend tätig seien und zusätzlich Leistungen der Grundsicherung bezögen, da ihre Einkünfte nicht ausreichten, um den Lebensunterhalt selbst bestreiten zu können. Es bestehe Bereitschaft, die Antragstellerin im Bereich ihres Ausbildungsberufs Verkäuferin zur beruflichen Eingliederung zu fördern.

Nach Zurückweisung des Widerspruchs mit Widerspruchsbescheid vom 21. Dezember 2007 hat die Klägerin am 16. Januar 2008 Klage erhoben; sie hat zugleich einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt und hierfür die Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt B beantragt. Sie könne sowohl wegen fehlender Berufserfahrung als auch aus medizinischen Gründen nicht mehr als Verkäuferin arbeiten. Der Verweis auf Teilzeitarbeitsstellen und Aushilfstätigkeiten stelle eine Diskriminierung dar und sei ihr nicht zuzumuten. Die Versagung des Bildungsgutscheins zur Durchführung der 2-jährigen Heilpraktikerausbildung sei rechtswidrig. Ein Ermessensspielraum des Antragsgegners bestehe nicht, vielmehr liege eine Ermessensreduzierung auf Null vor. Die beantragte Maßnahme sei auch förderungsfähig, was daraus ersichtlich sei, dass andere Arbeitsagenturen und JobCenter entsprechende Bildungsgutscheine erteilten. Die von dem Antragsgegner vorgelegten Zahlen zum Verhältnis Arbeitsuchende/offene Stellen seien nicht geeignet, die zeitnahen und anhaltenden Bewilligungen der anderen JobCenter und die zugrunde liegenden positiven Einschätzungen zu entkräften. Darüber hinaus liege ein Anordnungsgrund vor, da die Angelegenheit dringlich sei. Die beabsichtigte Maßnahme verbessere die Eingliederungsaussichten erheblich, sodass eine weitere Verzögerung der Entscheidung eine unzumutbare Härte bedeute. Außerdem habe sie bereits einen erheblichen Zeit- und Lernaufwand betrieben, und die Verwertbarkeit des damit verbundenen Vorteils würde durch ein Abwarten der Hauptsacheentscheidung erheblich geschmälert.

Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 4. Februar 2008 den Antrag auf Erteilung eines Bildungsgutscheins für eine 2-jährige Ausbildung zur Heilpraktikerin mit Beginn am 1. April 2008 an der S-H-Schule abgelehnt. Es hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, es sei nicht ersichtlich, dass die Antragstellerin durch den Verweis auf das Hauptsacheverfahren rechtlos gestellt sei. Dies gelte umso mehr, als weder Anordnungsgrund noch Anordnungsanspruch hinreichend glaubhaft gemacht worden seien. Es bestehe bereits kein Anordnungsanspruch. Bei der begehrten Förderung der Ausbildung zur Heilpraktikerin handele es sich nicht um eine Bildungsmaßnahme im Sinne von § 77 SGB III, das heißt um eine Maßnahme der beruflichen Weiterbildung. Die berufliche Weiterbildung stelle auf eine angemessene Berufserfahrung als Grundlage ab, während eine Ausbildungsmaßnahme nicht auf bereits erworbenen beruflichen Kenntnissen und Fähigkeiten aufbaue. Nach den Angaben des Bildungsträgers würden bei der Ausbildung zur Heilpraktikerin keine Kenntnisse vorausgesetzt. Selbst wenn aber die begehrte Heilpraktikerausbildung nach § 77 SGB III grundsätzlich förderungsfähig wäre, bestehe keine Ermessenreduzierung dahingehend, dass nur die von der Antragstellerin begehrte Ausbildung sich als einzig richtige behördliche Entscheidung erweisen könne. Zumindest fehle es vorliegend an einem besonderen Eilbedarf, der die Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigen könne. Die Antragstellerin könne, ohne größere Nachteile hinnehmen zu müssen, jedenfalls auch zu einem späteren Zeitpunkt die begehrte Maßnahme beginnen. Wegen fehlender Erfolgsaussicht in der Sache sei dem Antrag auf Prozesskostenhilfe nicht stattzugeben.

Gegen den am 13. Februar 2008 zugestellten Beschluss richten sich die Beschwerden der Antragstellerin vom 21. Februar 2008. Sie ist der Auffassung, dass nicht nur Weiterbildungs-, sondern auch Umschulungsmaßnahmen nach § 77 SGB III gefördert werden könnten. Im Übrigen seien sämtliche Voraussetzungen für eine positive Ermessensentscheidung gegeben und gravierende Ermessenfehler bei der Entscheidung des Antragsgegners festzustellen. In der Sache werde der Eilbedarf verkannt; sie sei allein erziehend und im fortgeschrittenen Lebensalter, sodass sie von einer weiteren Verzögerung besonders betroffen wäre. Im Übrigen habe sie mit dem Besuch eines vorbereitenden Kurses an der S-H-Schule bereits einen erheblichen Lern- und Zeitaufwand betrieben; dieser Vorteil wäre bei einer weiteren Verzögerung gefährdet. Schließlich sei erneut darauf hinzuweisen, dass in vergleichbaren Fällen die Maßnahmekosten von anderen JobCentern übernommen werden würden.

Die Antragstellerin beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 4. Februar 2008 aufzuheben, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr einen Bildungsgutschein für eine 2-jährige Ausbildung zur Heilpraktikerin zu erteilen, der es ihr insbesondere ermögliche, an der ab 1. April 2008 laufenden Ausbildungsmaßnahme an der S-H-Schule, M. , B teilzunehmen, und ihr Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren zu gewähren

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerden zurückzuweisen.

Er ist der Auffassung, dass ein Anordnungsanspruch weiterhin nicht bestehe. Die von der Antragstellerin begehrte Förderung einer Maßnahme der beruflichen Ausbildung finde im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende keine Grundlage. Da es sich bei dem Beruf des Heilpraktikers nicht um einen nach dem Berufsbildungsgesetz geregelten Abschluss handele, fehle es insoweit bereits an einer Förderungsfähigkeit. Die Behauptung einer angeblichen Zulassung der Maßnahme durch andere JobCenter oder Arbeitsagenturen könne keinen diesbezüglichen Anspruch der Antragstellerin begründen. Im Unrecht sei eine Berufung auf den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht möglich. Im Übrigen sei auch ein Anordnungsgrund nicht ersichtlich. Zwingende Gründe dafür, dass die Teilnahme der Antragstellerin an der von ihr angestrebten Maßnahme schon ab 1. April 2008 erfolgen müsse, seien nicht erkennbar. Mangels hinreichender Erfolgsaussicht in der Sache, sei auch der Antrag der Antragstellerin, ihr für das erstinstanzliche Verfahren Prozesskostenhilfe zu gewähren, zu Recht zurückgewiesen worden.

II.

Die frist- und formgerecht eingelegten Beschwerden der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 4. Februar 2008 sind zulässig (§§ 172 Absatz 1, 173 SGG), jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht den begehrten Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Die Antragstellerin hat keinen Anspruch auf Erteilung eines Bildungsgutscheins für eine 2-jährige Ausbildung zur Heilpraktikerin, der es ihr ermöglicht, an der ab April 2008 begonnenen Ausbildungsmaßnahme an der S-H-Schule teilzunehmen.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Ein Anordnungsanspruch – die Rechtsposition, deren Durchsetzung im Hauptsacheverfahren beabsichtigt ist – sowie der Anordnungsgrund – die Eilbedürftigkeit der sofortigen Regelung – sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).

Die begehrte einstweilige Anordnung kann nicht erlassen werden, weil weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund vorliegt, wie das Sozialgericht bereits zutreffend ausgeführt hat. Auf die Begründung der erstinstanzlichen Entscheidung wird zur Vermeidung von Wiederholungen in vollem Umfang Bezug genommen (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass es an einem Anordnungsgrund, also an einer besonderen Eilbedürftigkeit der Entscheidung, insbesondere deshalb fehlt, weil ein Einstieg in die Maßnahme bei der S-H-Schule nach deren eigenen Angaben jederzeit mit individueller Stundenplanerstellung und Kombination von Kursen möglich ist, die Antragstellerin also nicht damit argumentieren kann, dass sie auf den Ausbildungsbeginn am 1. April 2008 angewiesen sei, weil sie bis zum nächsten Ausbildungsbeginn am 1. November 2008 zu viel Zeit verliere.

Im Übrigen hat das Sozialgericht auch zu Recht darauf hingewiesen, dass es sich bei der begehrten Bildungsmaßnahme für die Klägerin nicht um eine Maßnahme der beruflichen Weiterbildung, sondern der beruflichen Ausbildung handelt. Nach § 16 Absatz 1 Satz 2 SGB II i.V.m. § 77 SGB III werden aber nur Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung gefördert. Bei einer Weiterbildung wird an berufliche Kenntnisse und Fähigkeiten angeknüpft, die aus einer vorangegangenen Ausbildung oder sonstigen beruflichen Tätigkeit resultieren (vgl. Schmidt in Eicher/Schlegel, SGB III, vor §§ 77 bis 96 Rdnr. 2a und 2b). Für die Ausbildung zur Heilpraktikerin werden jedoch von der Antragstellerin auch nach ihren eigenen Angaben keine besonderen beruflichen Vorkenntnisse oder Erfahrungen verlangt.

Die Antragstellerin kann eine Förderung der von ihr begehrten Ausbildungsmaßnahme zur Heilpraktikerin auch nicht unter Berufung auf das Gleichbehandlungsgebot in Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz verlangen, und zwar selbst dann nicht, wenn man vorliegend unterstellen würde – was die Antragstellerin behauptet -, dass andere Mitbewerber unter gleichen Voraussetzungen gefördert würden. Wenn das zuträfe, würde es sich im Falle der Mitbewerber um eine rechtswidrige Förderung handeln. Im Hinblick auf den in Artikel 20 Abs. 3 Grundgesetz normierten Grundsatz der Bindung der Verwaltung an Recht und Gesetz vermag der Gleichheitssatz eine rechtswidrige Praxis nicht zu rechtfertigen. Es gibt keine "Gleichheit im Unrecht" bzw. keinen "Anspruch auf Fehlerwiederholung". Auch das Grundrecht der freien Berufs- bzw. Ausbildungsstättenwahl in Artikel 12 Abs. 1 Grundgesetz kann für die begehrte Förderung nicht in Anspruch genommen werden. Dieses Grundrecht ist ein Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe oder Zugangsbeschränkungen, nicht jedoch die Grundlage für eine Förderpflicht (vgl. BSG SozR 4100 § 36 Nr. 21).

Im Hinblick auf die fehlende Erfolgsaussicht in der Sache hat das Sozialgericht auch zutreffend den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt (§ 73 a SGG i.V.m. § 114 ZPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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