L 9 R 5369/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 6 R 4973/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 5369/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 29. Oktober 2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 1962 geborene Klägerin war von 1981 bis 2002 - mit Unterbrechungen durch Arbeitslosigkeit - als Bürokraft beschäftigt, danach war sie arbeitslos und bezieht derzeit Arbeitslosengeld II. Am 10.5.2006 beantragte die Klägerin wegen einer seit ca. vier Jahren bestehenden Soziophobie und Leukopenie die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte holte einen Befundbericht bei Dr. R., Arzt für Psychotherapeutische Medizin und Psychotherapie, vom 16.6.2006 ein und ließ die Klägerin von dem Neurologen und Psychiater Dr. G. gutachterlich untersuchen. Dieser stellte im Gutachten vom 19.7.2006 bei der Klägerin eine kombinierte Persönlichkeitsakzentuierung mit asthenisch-schizoiden Anteilen und Somatisierungsneigung fest und gelangte zum Ergebnis, die Klägerin könne sowohl ihre zuletzt ausgeübte Bürotätigkeit als auch leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes sechs Stunden und mehr täglich verrichten.

Mit Bescheid vom 27.7.2006 lehnte die Beklagte den Rentenantrag der Klägerin ab, weil weder eine teilweise noch eine volle Erwerbsminderung vorliege. Den Widerspruch der Klägerin wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 27.9. 2006 zurück.

Hiergegen erhob die Klägerin am 24.10.2006 Klage beim Sozialgericht (SG) Karlsruhe, mit der sie die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung weiterverfolgte. Das SG hörte die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen und holte ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten ein.

Der Psychiater Dr. F. erklärte unter dem 20.11.2006, er habe die Klägerin vom 23.9. bis 20.10.2005 insgesamt dreimal behandelt. Zum Untersuchungszeitpunkt hätten Symptome einer Panikstörung sowie einer sozialen Phobie bestanden. Darüber hinaus müsse differenzialdiagnostisch auch an eine paranoide Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis gedacht werden. Da nur drei Sitzungen stattgefunden hätten, sei eine Klärung des Sachverhalts nicht möglich gewesen. Die Klägerin habe eine von ihm für sinnvoll erachtete medikamentöse Behandlung abgelehnt und die Behandlung abgebrochen. Bereits zum damaligen Zeitpunkt habe ihr Rentenbegehren im Vordergrund gestanden. Ohne Behandlung sei die Klägerin mit großer Wahrscheinlichkeit nicht in der Lage, mindestens sechs Stunden täglich zu arbeiten.

Der Arzt für Allgemeinmedizin Dr. K. gab am 20.11.2006 an, die Klägerin stehe seit August 1991 in seiner Behandlung, die letzte Behandlung habe im Juli 2006 stattgefunden. Seit 2001 hätten die psychischen Störungen im Vordergrund gestanden. Nach seinem Dafürhalten sei die Klägerin in der Lage, einer körperlich leichten, nervlich wenig belastenden Tätigkeit sechs Stunden täglich nachzugehen.

Der Arzt für Psychotherapeutische Medizin Dr. R. teilte am 28.11.2006 mit, er habe die Klägerin vom 4.4. bis 9.8.2006 behandelt. Es bestehe eine deutliche Einschränkung der Arbeitsfähigkeit der Klägerin auf Grund ihres stressgeschädigten Nervensystems mit deutlicher Reizüberempfindlichkeit und auf Grund psychischer Defizite. Von ausschlaggebender Bedeutung seien die Atmosphäre am Arbeitsplatz und die Kontaktpersonen, und nicht die formale Stundenzahl.

Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. W. stellte im Gutachten vom 13.4.2007 bei der Klägerin eine schizoide Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F 60.1) fest und führte aus, die Klägerin könne noch leichte und teilweise mittelschwere Arbeiten bzw. Bürotätigkeiten sechs Stunden und mehr verrichten. Nicht mehr zumutbar seien Arbeiten mit überwiegendem Publikumsverkehr und mit Leitungsfunktion sowie unter Schicht-, Akkord- und Nachtarbeitsbedingungen.

Mit Gerichtsbescheid vom 29. Oktober 2007 hat das SG die Klage abgewiesen, da die Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr bei einer Fünf-Tage-Woche arbeiten könne. Hierbei stützte sich das SG auf die Aussagen der behandelnden Ärzte der Klägerin sowie das Gutachten von Dr. W ... Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.

Gegen den am 31.10.2007 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 6.11.2007 Berufung eingelegt und vorgetragen, sie sei nicht mehr belastbar. Sie leide an einer Soziophobie, was dazu führe, dass sie sich nicht mehr konzentrieren könne. Sie würde deswegen für einen Arbeitgeber keine nützliche Kraft sein, egal um wieviele Stunden es sich handeln würde, da sie sich am Arbeitsplatz nicht wohl fühlen würde und nicht leistungsfähig und produktiv wäre.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 29. Oktober 2007 sowie den Bescheid der Beklagten vom 27. Juli 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. September 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab 1. Mai 2006 Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erwidert, aus der Berufungsbegründung ergäben sich keine neuen Gesichtspunkte, die eine Änderung ihres bisherigen Standpunktes zuließen.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.

Die Berufung der Klägerin ist jedoch nicht begründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, da die Klägerin keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung hat.

Das SG hat die anwendbare Rechtsvorschrift des § 43 Sozialgesetzbuch (SGB) VI zutreffend wiedergegeben. Hierauf nimmt der Senat Bezug.

Der Senat ist - ebenso wie das SG - zur Überzeugung gelangt, dass sich eine Erwerbsminderung der Klägerin, d. h. ein Absinken ihrer beruflichen und körperlichen Leistungsfähigkeit auf ein Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von weniger als sechs Stunden täglich, nicht belegen lässt. Dies ergibt sich aus der Gesamtwürdigung der vorliegenden ärztlichen Unterlagen und insbesondere der Gutachten der Neurologen und Psychiater Dr. G. vom 19.7.2006 und Dr. W. vom 13.4.2007.

Die Klägerin leidet nach den auf den oben genannten ärztlichen Unterlagen und Gutachten beruhenden Feststellung des Senats unter einer schizoiden Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F 60.1). Diese Gesundheitsstörung führt dazu, dass der Klägerin keine Tätigkeiten mit überwiegendem Publikumsverkehr und mit Leitungsfunktionen sowie mit Schicht-, Akkord- und Nachtarbeit mehr zumutbar sind. Die Klägerin ist jedoch nicht gehindert, körperlich leichte bis teilweise mittelschwere Arbeiten sechs Stunden täglich zu verrichten. Damit ist sie auch in der Lage, weiterhin sechs Stunden täglich als Bürokraft zu arbeiten. Zu dieser Überzeugung gelangt der Senat auf Grund der im wesentlichen übereinstimmenden Beurteilungen der behandelnden Ärzte der Klägerin Dr. K. und Dr. R. sowie des Gutachters Dr. G. und des Sachverständigen Dr. W ...

Der hiervon abweichenden Einschätzung von Dr. F., der - ohne Behandlung - ein mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen für nicht wahrscheinlich hält, vermag sich der Senat dagegen nicht anzuschließen. Abgesehen von Rückzugstendenzen sind gravierende psychische Störungen bei der Klägerin nicht feststellbar. Ein Verlust der Tagesstruktur liegt nicht vor, auch ist sie noch zu zahlreichen Aktivitäten in der Lage. Bei den gutachterlichen psychiatrischen Untersuchungen war die Klägerin bewusstseinsklar und in allen Qualitäten voll orientiert. Sie wirkte ausgeglichen, gut schwingungsfähig und nicht tiefergehend depressiv verstimmt. Der Gedankengang war geordnet, Sinnestäuschungen, gröbere neuropsychologische und kognitive Störungen lagen nicht vor. Konzentrations- und Merkfähigkeit erschienen - bei etwas eingeschränkter Anstrengungsbereitschaft - nicht wesentlich gestört. Die Klägerin ist zum Alltagsgeschehen interessiert, liest viel (Zeitschriften, Bücher, insbesondere Gesundheitsbücher), geht spazieren, fährt Fahrrad, treibt Sport (Fitnessstudio viermal wöchentlich), geht einmal im Monat in eine Diskothek (zum Abtanzen bzw. macht eine Tanzshow auf der Tanzfläche), kümmert sich um ihre zwei Katzen und hat einen Liebhaber.

Der Umstand, dass sich die Klägerin nicht mehr belastbar und ohne Arbeit und Kontakt zu Kollegen wohler fühlt, rechtfertigt angesichts der bei der Klägerin noch vorhandenen Fähigkeiten keine Rentengewährung. Darüber hinaus ist der Klägerin auch eine psychiatrische (medikamentöse und/oder psychotherapeutische) Behandlung zumutbar.

Da die Klägerin noch ihre früher ausgeübte Tätigkeit als Bürokraft verrichten kann und darüber hinaus bei leichten bis teilweise mittelschweren Tätigkeiten keine gravierenden Leistungseinschränkungen vorhanden sind, bedarf es auch keiner Benennung von Verweisungstätigkeiten. Die Leukopenie (verminderte Anzahl von weißen Blutkörperchen) hat keine Krankheitsrelevanz, wie Dr. K. in seiner Zeugenaussage vom 20.11.2006 zutreffend ausgeführt hat und führt zu keinen Leistungseinschränkungen.

Nach alledem war der angefochtene Gerichtsbescheid des SG nicht zu beanstanden. Die Berufung der Klägerin musste deswegen zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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