L 3 U 123/05

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 8 U 4299/03
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 123/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 172/08 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 24. Mai 2005 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über das Vorliegen eines Arbeitsunfalls.

Die 1954 geborene Klägerin ist im EDV-Bereich der Z. in B-Stadt als DV-Organisatorin tätig. Am 18. Juni 2003 nahm sie aktiv an dem Laufwettbewerb JP Morgan Chase Corporate Challenge teil. An diesem Laufwettbewerb, der von dem Unternehmen JP Morgan veranstaltet wird, nehmen Mitarbeiter verschiedenster Unternehmen teil. Der Lauf führt durch die Innenstadt von B-Stadt, er fand 1993 erstmals statt, damals nahmen 527 Läufer aus 57 Firmen teil. In den folgenden Jahren wuchsen die Teilnehmerzahlen auf mehrere 10.000 an (2002 51.031 und 2003 ca. 45.000 Teilnehmer). Im Jahr 2003 nahmen von 1.890 in B-Stadt beschäftigten Mitarbeitern der Z. 329 am Lauf teil. Insgesamt nahmen von der Z. Bankengruppe 400 von rund 3.500 Beschäftigten am Lauf teil. Die Z. übernahm für die Teilnehmer des Laufs die Startgebühr (20,00 EUR) und stellte T-Shirts mit Firmenbezeichnung zur Verfügung. Mit E-Mail vom 11. Juni 2003 erhielten die Mitarbeiter der Z. "Informationen zum Chase Corperate Challenge 2003". Die am Lauf teilnehmenden Beschäftigten sollten sich zwischen 18.00 und 18.15 Uhr auf dem Gelände der Z. treffen und sich gemeinsam zum Start begeben. Im Anschluss an den Lauf wurden den Teilnehmern Duschen im Haupthaus und einem Innenhof des Z. Firmengeländes zur Verfügung gestellt und wurde eine "Läufer-Party" veranstaltet, die auch auf dem Firmengelände in einem Innenhof stattfand. Die Klägerin besuchte nach dem Lauf ebenfalls die Läuferparty. Sie verließ diese Veranstaltung um 22.10 Uhr und begab sich zum Westbahnhof, um von dort mit der Linie XX. die Heimfahrt anzutreten. Beim Einstieg in die S-Bahn geriet die Klägerin mit dem linken Bein in den Spalt zwischen Bahnsteig und S-Bahn. Dabei erlitt sie eine verschobene Unterschenkelspiralfraktur links.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 24. September 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. November 2003 die Gewährung von Entschädigungsleistungen ab. Zwischen dem Unfallereignis und der versicherten Tätigkeit der Klägerin bestehe kein ursächlicher Zusammenhang. Bei dem Lauf handele es sich nicht um eine Betriebssportveranstaltung und bei der anschließenden Läuferparty nicht um eine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung. Um versicherten Betriebssport handele es sich nur, wenn es sich um Ausgleichssport handele, die Übungen regelmäßig stattfänden, der Teilnehmerkreis im Wesentlichen auf Beschäftigten desselben Unternehmens beschränkt sei, die Zeitdauer der Übung in einem dem Ausgleichszweck entsprechenden Zusammenhang mit der Betriebsarbeit stünde und die Übungen im Rahmen einer betriebsbezogenen Organisation mit gestaltendem Einfluss durch das Unternehmen stattfänden. Eine Gemeinschaftsveranstaltung müsse der Verbundenheit zwischen Geschäftsleitung und Beschäftigten dienen, von dem Unternehmer oder der Unternehmensleitung veranstaltet oder gebilligt bzw. gefördert werden und allen Betriebsangehörigen offenstehen, außerdem müssten mindestens 20 % der Belegschaft an der Veranstaltung teilnehmen.

Die Klägerin fand den Widerspruchsbescheid am Abend des 14. November 2003, einem Freitag, in ihrem Briefkasten vor. Am nächsten Morgen trat sie eine bis zum 17. Dezember 2003 dauernde Reise nach Mexiko an. Mit E-Mail vom 14. November 2003 teilte die Klägerin diesen Sachverhalt der Beklagten mit und bat um Verlängerung der "Einspruchsfrist". Die Beklagte und die Klägerin korrespondierten daraufhin per E-Mail am 17. und 18. November 2003. Die Klägerin wurde darauf hingewiesen, dass die Klagefrist nicht durch die Beklagte verlängert werden könne. Es reiche jedoch aus, wenn die Klägerin in einer E-Mail schriftlich bestätige, dass sie Klage einreichen möchte. Das Schreiben werde dann an das Sozialgericht weitergeleitet. Die Klägerin führte daraufhin in einer E-Mail vom 18. November 2003 aus: "Hiermit teile ich Ihnen mit, dass ich nach meinem Urlaub eine Klage einreichen möchte. Die Begründung werde ich nach meinem Urlaub über einen Anwalt liefern." Die Beklagte leitete diese E-Mail am 25. November 2003 an das Sozialgericht Frankfurt am Main (SG) weiter (Eingang beim SG 27. November 2003) und teilte mit, das Schreiben der Klägerin werde ihrerseits als Klage gewertet. Der Eingang der Klageschrift wurde der Klägerin mit Schreiben des SG vom 9. Dezember 2003 bestätigt. Mit einem am 30. Dezember 2003 eingegangenen Schriftsatz vom 29. Dezember 2003 zeigte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin unter Vorlage einer am 18. Dezember 2003 ausgestellten Prozessvollmacht an, dass er die Vertretung der Klägerin übernommen habe.

Zur Begründung ihrer Klage hat die Klägerin vorgetragen, sie habe am 18. Juni 2003 an einer betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung teilgenommen. Die Veranstaltung habe dazu gedient, die Betriebsgemeinschaft zu fördern. Im Rahmen der Laufveranstaltung würden Teams einzelner Unternehmen gebildet, die im Regelfall gekennzeichnet durch entsprechende Bekleidung ihr Unternehmen auch nach außen hin präsentierten. Gefördert werden solle insbesondere die Motivation, Leistung und der Teamgeist der Mitarbeiter der einzelnen Unternehmen. Der Arbeitgeber der Klägerin habe alle Mitarbeiter nachdrücklich aufgefordert, an dem Lauf mit der anschließenden Feier teilzunehmen. Der Arbeitgeber habe auch die Bewirtungskosten für die anschließende Feier übernommen. Die Veranstaltung sei folglich von der Unternehmensleitung selbst getragen worden. Vor dem Lauf bzw. im Rahmen der anschließenden Läuferparty habe es regelmäßig Ansprachen seitens der Vorstandsmitglieder der Z. gegeben. Auch während des weiteren Verlaufs der Läuferparty seien Personen aus der Unternehmensleitung weiter anwesend gewesen. Die Teilnahme an der Veranstaltung sei ausnahmslos allen Mitgliedern der Z. angeboten worden. Allen Beschäftigten des Unternehmens sei eine Teilnahmemöglichkeit geboten worden. Es habe auch ein wesentlicher Teil der Beschäftigten an der Veranstaltung teilgenommen. Im Übrigen sei die Strecke mit etwas mehr als 5 km so bemessen, dass sie auch von völlig Untrainierten bewältigt werden könne. Gelaufen werde in Gruppen aus den jeweiligen Unternehmen. Ein sportlicher Wettkampf stehe nicht im Vordergrund, sondern die demonstrierte Verbundenheit mit dem Unternehmen.

Das SG hat durch Urteil vom 24. Mai 2005 die angefochtenen Bescheide der Beklagten aufgehoben und die Beklagte verurteilt, "das Ereignis vom 18. Juni 2003 als Arbeitsunfall anzuerkennen und der Klägerin Leistungen nach den gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren." In den Gründen hat es ausgeführt, die Veranstaltung des Chase-Laufs beruhe auf der Idee, mit Kolleginnen und Kollegen außerhalb des gewohnten Arbeitsumfeldes sportlich zu trainieren und gemeinsam zu feiern. Der Teamgedanke spiele dabei eine zentrale Rolle. Nach den Angaben der Veranstalter sei der Chase-Lauf zu einem Symbol geworden, das Motivation, Leistung und Teamgeist vereine. Die Teilnahme am Chase-Lauf und der anschließenden Party sei von Seiten der Betriebsleitung ausdrücklich entsprechend einer mehrjährigen Firmentradition gewünscht worden. Die Unternehmensleitung habe die Kosten der Veranstaltung getragen und an der im Anschluss an den Lauf stattfindenden Läuferparty teilgenommen. Es seien alle Betriebsangehörigen zu der Veranstaltung geladen worden. Der Einwand, die Einladung habe sich nur einen beschränkten Kreis von Firmenangehörigen gewandt, nämlich an die Sportinteressierten, gehe fehl. Denn sportliche Gemeinschaftsveranstaltungen interessierten naturgemäß immer nur einen begrenzten Personenkreis. Deshalb eine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung zu verneinen, bedeute, dass sämtliche sportliche Gemeinschaftsveranstaltungen nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stehen würden. Hierfür bestehe jedoch kein Anlass. Denn gerade sportliche Veranstaltungen seien dazu geeignet, den Gemeinschaftsgeist zu fördern, besonders dann, wenn sich hieran ein geselliges Beisammensein anschließe, bei dem man zuvor gewonnene Eindrücke besprechen und vertiefen könne. Darüber hinaus sei der Chase-Lauf keineswegs nur für sehr sportliche Personen bewältigbar. Aufgrund der kurzen Strecke und der geringen Laufgeschwindigkeit könne fast jeder an dem Lauf teilnehmen. Letztlich sei auch eine Werbewirkung des Unternehmens zu beachten. Eine solche Werbewirkung sei vorliegend bereits aufgrund der einheitlichen Bekleidung der Läufer mit T-Shirts, welche eine Firmenaufschrift tragen, gegeben. Die Veranstaltung sei auch von einem ausreichenden Teil der Betriebsangehörigen besucht worden.

Gegen das ihr am 6. Juni 2005 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 24. Juni 2005 am 27. Juni 2005 beim Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt und vorgetragen, nicht die Z. Bankengruppe, sondern die Firma JP Morgan sei eigenständiger Veranstalter des Laufs gewesen. Der Veranstalter JP Morgan habe den Chase-Lauf nicht nur für die Belegschaftsmitglieder der Z. durchgeführt, sondern für eine Vielzahl von Personen innerhalb derer die Klägerin und ihre Kollegen nur eine verschwindend geringe Zahl ausgemacht hätten (weniger als 1 %). Die Einladung zum Chase-Lauf der Z. habe sich zwar an alle "Kolleginnen und Kollegen" gerichtet, allerdings sei die Einladung zur anschließenden Läuferparty dem Wortlaut nach eindeutig auf die Teilnehmer am Chase-Lauf beschränkt gewesen. An dem Lauf und der anschließenden Läuferparty hätten 17,4 % der in B-Stadt beschäftigten Mitarbeiter der Z. teilgenommen. Von der Z. Bankengruppe hätten nur 11 % sich an dem Lauf und der Läuferparty beteiligt.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 24. Mai 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
unter Wiederaufnahme in den vorherigen Stand wegen Versäumung der Klagefrist die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt vor, die Teilnahme an dem Chase-Lauf sei sicherlich eine neue Form der betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung, bei der ein organisatorischer Rahmen, hier durch das Unternehmen JP Morgan, genutzt werde. Dies ändere allerdings nichts daran, dass der Lauf und die anschließende Läuferparty im Weiteren von jedem Unternehmen im Einzelnen organisiert und durchgeführt würden. Gerade die Konzeption des Laufs mit anschließender Feier habe hier wegen ihrer für das Unternehmen identitätsstiftenden Wirkung außerordentlich an Popularität gewonnen. Eine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung könne auch die sportliche Betätigung zum Inhalt haben. Es sei hier zu berücksichtigen, dass die Laufveranstaltung und die anschließende Läuferparty miteinander in Verbindung stünden.

Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die zum Verfahren beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Auf die zulässige Berufung der Beklagten war das erstinstanzliche Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Obwohl die von der Klägerin erhobene Klage nach Ablauf der Klagefrist beim SG eingegangen ist und folglich unzulässig war, war in der Sache zu entscheiden, weil der Klägerin Wiedereinsetzung in den vorrigen Stand nach § 67 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu gewähren ist. Mit der bei der Beklagten eingegangenen E-Mail vom 18. November 2003 konnte die Klägerin nicht wirksam gemäß §§ 90, 91, 92 SGG Klage erheben, weil eine einfache E Mail nicht das Schriftformerfordernis erfüllt (vgl. OVG Niedersachsen, Beschluss vom 17. Januar 2005 – 2 PA 108/05NVwZ 2005, 470; Hessisches LSG, Beschluss vom 11. Juli 2007 – L 9 AS 161/07 ER zur Widerspruchseinlegung). Zwar bestimmt der mit Wirkung vom 1. August 2001 durch Art. 7 des Gesetzes zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an den modernen Rechtsverkehr vom 13. Juli 2001 (BGBl. I, S. 1542) in das SGG eingeführte § 108a SGG (abgelöst durch die §§ 65a ff. SGG mit Wirkung ab 1. April 2005), dass der Schriftform, soweit sie u.a. für vorbereitende Schriftsätze, Anträge und Erklärungen der Parteien vorgesehen ist, auch die Aufzeichnung als elektronisches Dokument genügt, wenn dieses für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet ist (§ 108a Abs. 1 Satz 1 SGG). Jedoch soll die verantwortende Person das Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz (vom 16. Mai 2001, BGBl. S. 876) versehen (§ 108a Abs. 1 Satz 2 SGG). Zudem ist erforderlich, dass die Bundesregierung und die Landesregierung für ihren Bereich durch Rechtsverordnung den Zeitpunkt bestimmt haben, von dem an elektronische Dokumente bei den Gerichten eingereicht werden können, sowie die für die Bearbeitung der Dokumente geeignete Form. Die von der Klägerin versandte E-Mail vom 18. November 2003 trägt keine qualifizierte elektronische Signatur i.S. des § 2 Nr. 3 Signaturgesetz – SigG-. Außerdem war die in § 108a Abs. 2 SGG vorgesehene Umsetzung durch Rechtsverordnung der jeweiligen Bundesländer für Hessen im Jahr 2003 noch nicht erfolgt. Eine hessische Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr, die die Einreichung elektronischer Dokumente bei in B-Stadt ansässigen Gerichten und Staatsanwaltschaften zulässt, wurde erst am 22. November 2006 mit Wirkung ab dem 30. November 2006 erlassen. Da folglich die E Mail der Klägerin vom 18. November 2003 schon mangels Schriftform nicht die Formerfordernis einer Klage erfüllt, bedurfte es keiner Erörterung, ob wegen der von der Klägerin gewählten Formulierung, "teile ich Ihnen mit, dass ich nach meinem Urlaub eine Klage einreichen möchte", nur eine Ankündigung einer späteren Klageerhebung, aber noch keine Klage vorgelegen hat (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig, SGG, 8. Auflage, § 90 Rdnr. 4). Formgerecht Klage erhoben hat die Klägerin mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 29. Dezember 2003. Jedoch ist dieser Schriftsatz erst am 30. Dezember 2003, nach Ablauf der Klagefrist, beim SG eingegangen. Der Klägerin ist wegen der versäumten Klagefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 67 Abs. 1 SGG zu gewähren. Denn in Anbetracht der von der Beklagten gegebenen Auskunft durfte die nicht rechtskundige Klägerin darauf vertrauen, dass sie mit Versendung ihrer E-Mail vom 18. November 2003 das Notwendige veranlasst hatte, um form- und fristgerecht Klage zu erheben. Die unrichtige Auskunft der Beklagten und ein insoweit evtl. vorliegendes Verschulden seitens der Beklagten muss sich die Klägerin nicht zurechnen lassen (Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 8. Auflage, § 67 Rdnr. 8a). Ein Verschulden der Klägerin, die am ersten Tag nach ihrer Rückkehr aus dem Urlaub ihren Prozessbevollmächtigten aufgesucht und mit der Prozessführung beauftragt hat, kann nicht festgestellt werden.

Die Berufung der Beklagten ist begründet. Denn die Klägerin stand nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung als sie sich am 18. Juni 2003 beim Einstieg in die S-Bahn eine Unterschenkelspiralfraktur links zugezogen hat.

Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3, 6 begründenden Tätigkeit (§ 8 Abs. 1 Satz 1 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung SGB VII). Ein Arbeitsunfall liegt demnach vor, wenn das Verhalten des Versicherten, bei dem sich der Unfall ereignete, der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist. Dieser innere bzw. sachliche Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der Verrichtung zur Zeit des Unfalls ist wertend zu ermitteln, indem untersucht wird, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenzen liegt, bis zu welchen der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht (vgl. BSGE 58, 76, 77; BSGE 61, 127, 128). Zur versicherten Tätigkeit gehört auch das Zurücklegen des direkten Weges von und zu der Arbeitsstätte, sofern der Weg mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängt (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII).

In einem sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit und damit unter Versicherungsschutz stehen auch die Teilnahme am Betriebssport und die Teilnahme an betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltungen. Der am 18. Juni 2003 veranstaltete Laufwettbewerb und die sich anschließende "Läufer-Party" können jedoch weder als Ausübung von Betriebssport noch als betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung angesehen werden, so dass der Heimweg der Klägerin am Abend des 18. Juni 2003 nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stand.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteile vom 2. Juli 1996 – 2 RU 32/95 -, SozR 3-2200 § 548 Nr. 29; 26. Oktober 2004 – B 2 U 38/03 R und 13. Dezember 2005 – B 2 U 29/04 R -) steht eine sportliche Betätigung dann als Ausübung von Betriebssport unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, wenn der Sport einen Ausgleichs- und nicht einen Wettkampfcharakter hat, er regelmäßig stattfindet, der Teilnehmerkreis sich im Wesentlichen auf Angehörige des Unternehmens bzw. der Unternehmen beschränkt, die sich zu einer Betriebssportgemeinschaft zusammengeschlossen haben, die Übungszeit und Übungsdauer in einem dem Ausgleichszweck entsprechenden Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit stehen und die Übungen im Rahmen einer unternehmensbezogenen Organisation stattfinden. Die aktive Teilnahme der Klägerin an dem jährlich stattfindenden Stadtlauf durch die B Stadt Innenstadt stellte keine Ausübung von Betriebssport dar. Denn es fehlt diesbezüglich schon an der erforderlichen Regelmäßigkeit der sportlichen Aktivitäten und folglich auch an einem dem Ausgleichszweck entsprechenden Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit.

Eine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung muss im Interesse des Unternehmens liegen und wie die eigentliche Arbeitstätigkeit selbst betrieblichen Zwecken dienen. Veranstaltungen zur Freizeitgestaltung oder zur Befriedigung sportlicher oder kultureller Interessen der Beschäftigten stehen auch dann nicht unter Versicherungsschutz, wenn sie im räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Betriebstätigkeit erfolgen und von dem Unternehmen gebilligt oder unterstützt werden. Voraussetzung für die Annahme einer betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung ist, dass die Zusammenkunft der Pflege der Verbundenheit zwischen der Unternehmensleitung und den Beschäftigten sowie den Beschäftigten untereinander dient. Die Veranstaltung muss deshalb allen Beschäftigten des Unternehmens offenstehen und von der Unternehmensleitung selbst veranstaltet oder zumindest gebilligt oder gefördert und von ihrer Autorität als betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung getragen werden. Eine Veranstaltung ist dann von der Autorität der Unternehmensleitung getragen, wenn der Veranstalter dabei nicht nur aus eigenem Antrieb oder freier Entschließung, sondern im Einvernehmen mit der Unternehmensleitung oder für diese handelt. Um die für den Unfallversicherungsschutz bei betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltungen wesentliche "betriebliche Zielsetzung" Verbundenheit zwischen Unternehmensleitung und Beschäftigten sowie der Beschäftigten untereinander – zu erreichen, muss die Veranstaltung grundsätzlich allen Beschäftigten des Unternehmens offenstehen; von besonderen Fallgestaltungen in Großbetrieben, Versorgungsunternehmen etc. abgesehen. Es reicht nicht aus, dass allen Beschäftigten einer ausgewählten Gruppe die Teilnahme an einer für sie und nicht für alle Beschäftigten des Unternehmens von der Unternehmensleitung ausgerichteten Veranstaltung offensteht. Die Veranstaltung muss insgesamt von ihrer Programmgestaltung her geeignet sein, zur Förderung des Gemeinschaftsgedankens beizutragen, indem sie die Gesamtheit der Belegschaft und nicht nur einen begrenzten Kreis der Beschäftigten anspricht. Die Teilnahme an Freizeit- und Erholungsveranstaltungen ist nicht deshalb versichert, weil diese vom Unternehmen organisiert und finanziert werden. Stehen Freizeit, Unterhaltung und Erholung im Vordergrund, fehlt es an einem wesentlichen betrieblichen Zusammenhang (so die Aufführungen des Bundessozialgerichts im Urteil vom 17. Dezember 2004 – B 2 U 47/03 R, NZS 2005, 657 m.w.N.).

Im vorliegenden Fall erfüllt keine der am 18. Juni 2003 durchgeführten Veranstaltungen diese Voraussetzungen. Weder der Laufwettbewerb noch die anschließend stattfindende "Läufer-Party" waren geeignet, die für eine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung wesentliche "betriebliche Zielsetzung" – Verbundenheit zwischen Unternehmensleitung und Beschäftigten, sowie der Beschäftigten untereinander – zu erreichen. Denn beide Veranstaltungen standen nicht allen Betriebsangehörigen offen. Bei dem Stadtlauf durch die B-Stadt Innenstadt hatten die Teilnehmer eine 5,6 km lange Strecke zurückzulegen. Auch wenn von den einzelnen Teilnehmern keine sportlichen Höchstleistungen erwartet wurden und der sportliche Wettkampf nicht im Vordergrund der Veranstaltung stand, kann nicht unterstellt werden, dass alle 1.890 in B-Stadt bei der Z. beschäftigten Mitarbeiter aufgrund ihrer konditionellen Fähigkeiten in der Lage gewesen wären, an einem solchen Laufwettbewerb teilzunehmen. Vielmehr kann davon ausgegangen werden, dass gesundheits- oder altersbedingte Einschränkungen schon einen Teil der Beschäftigten daran gehindert haben, am Stadtlauf teilzunehmen. Zudem war der Stadtlauf als rein sportliche Veranstaltung nicht geeignet, zur Förderung des Gemeinschaftsgedankens beizutragen, weil eine solche Veranstaltung von ihrer Programmgestaltung her nicht die Gesamtheit der Belegschaft, sondern nur die sportinteressierten und sportlich aktiven Beschäftigten einbezieht. Auch die im Anschluss an den Laufwettbewerb veranstaltete "Läufer-Party" erfüllt nicht die Kriterien einer betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung, weil zu dieser Party nicht alle Betriebsangehörigen eingeladen worden waren. Dies folgt aus der E-Mail vom 11. Juni 2003. Die Formulierung, es finde "wieder eine Läufer-Party" statt, lässt nur den Schluss zu, dass sich die Einladung nur auf die aktiv am Lauf teilnehmenden Betriebsangehörigen bezogen hat. Die für eine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung erforderliche "betriebliche Zielsetzung", nämlich die Förderung des Gemeinschaftsgedankens, konnte mit dieser Veranstaltung ebenfalls nicht erreicht werden, weil nicht die Gesamtheit der Belegschaft, sondern nur ein auf die aktiven Teilnehmer des Laufwettbewerbs begrenzter Kreis der Beschäftigten angesprochen wurde. Dieser Umstand ist entscheidend. Denn es reicht nicht aus, dass der Arbeitgeber, die Z., zur Teilnahme am Laufwettbewerb aufgefordert und die damit verbundenen Kosten getragen sowie die sich anschließende "Läufer-Party" organisiert und finanziert hat und die Veranstaltungen unter Umständen die persönliche Verbundenheit einer Gruppe von Beschäftigten mit dem Unternehmen gestärkt haben. Das Interesse der Unternehmensleitung, das sich aus solchen Veranstaltungen wie Laufwettbewerb und anschließender Läuferparty wahrscheinlich auch einer Motivation zur Leistungssteigerung ergibt, reicht nicht aus, den rechtlich wesentlichen Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit herzustellen. Die Pflege der persönlichen Beziehungen zur Unternehmensleitung steht trotz günstiger Auswirkungen auf die Arbeit im Unternehmen nicht unter Versicherungsschutz, wenn sie außerhalb der in den Versicherungsschutz einbezogenen Teilnahme an betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltungen stattfindet. Solche Tätigkeiten sind dem unversicherten persönlichen Lebensbereich zuzurechnen (so Bundessozialgericht, Urteile vom 7. Dezember 2004 – B 2 U 47/03 R -, NZS 2005, 657, 659 m.w.N. aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts). Die Vorstellung des Unternehmers oder des Verletzten, eine bestimmte Veranstaltung stehe unter Versicherungsschutz, kann nicht zum Versicherungsschutz führen, wenn eine Veranstaltung nicht die für eine Gemeinschaftsveranstaltung erforderlichen Kriterien erfüllt. Ein Vertrauensschutz kann unter Umständen nur dann in Betracht kommen, wenn der Gemeinschaftscharakter einer Veranstaltung fraglich wird, weil eine zu geringe Anzahl von Teilnehmern sich zu der Veranstaltung eingefunden hat.

Da die Teilnahme der Klägerin am Laufwettbewerb und der sich anschließenden Läuferparty unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden hat, ist der am Abend des 18. Juni 2003 auf dem Heimweg erlittene Unfall der Klägerin von der Beklagten nicht als Arbeitsunfall (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII) zu entschädigen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG, die über die Nichtzulassung der Revision aus § 160 SGG.
Rechtskraft
Aus
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