S 12 KA 528/07

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 528/07
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Anrechnung von Quartalsziffern wie der Nr. 1 (vgl. auch SG Gotha, Urt. v. 26.07.2006 – S 7 KA 2343/04 – juris Rdnr. 12; LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 11.02.2004 – L 11 KA 72/03 - www.sozialgerichtsbarkeit.de = juris Rdnr. 30) und Nr. 15 EBM auf die einzelnen Tage im Rahmen von Tagesprofilen ist unzulässig. Allerdings ist es möglich, diese Leistungen beim erstmaligen Kontakt mit einer Mindestvorgabe anzusetzen, so z. B. die Nr. 1 EBM im gleichen Umfang wie die Konsultationsgebühr.
1. Der Bescheid vom 21.04.2006 und der Bescheid vom 13.06.2006, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.11.2007 werden aufgehoben.

2. Die Beklagte hat die Verfahrenkosten zu tragen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um eine Plausibilitätsprüfung in den 6 Quartalen IV/03 bis I/05 und hierbei um die Festsetzung einer Honorarrückforderung in Höhe von noch 52.791,77 EUR.

Die Klägerin ist als Ärztin für Allgemeinmedizin zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A-Stadt zugelassen. In den streitbefangenen Quartalen setzte die Beklagte das Honorar der Klägerin wie folgt fest:

Quartal IV/03 I/04 II/04 III/04 IV/04 I/05
Honorarbescheid v. 17.06.2004 05.08.2004 09.10.2004 07.03.2005 18.04.2005 24.07.2005
Nettohonorar gesamt in EUR 130.345,01 115.612,83 119.681,52 123.075,12
Bruttohonorar PK+EK in EUR 130.683,83 117.035,01 120.992,55 118.730,55 123.795,41 110.789,98
Angefordertes Honorar in EUR 165,524,15 159.707,03 154.182,83 158.748,05 171.575,55 157.270,27
Fallzahl PK + EK 2.960 2.784 2.751 2.864 2.773 2.819
Fallzahl gesamt 3.017 2.827 2.794 2.920 2.810 2.856

Aufgrund einer Plausibilitätsprüfung für die Quartale IV/03 bis II/04 lud die Bezirksstelle GD. der Beklagten die Klägerin zu einem kollegialen Gespräch am 22.02.2006. Die Klägerin bat am 20.02.2006 um Verlegung des Termins wegen seit längerem bestehender praxisinterner Schwierigkeiten, was die Beklagte ablehnte.

Mit Bescheid vom 21.04.2006 nahm die Beklagte für die Quartale IV/03 bis II/04 eine Honorarberichtung vor. Für das Quartal IV/03 setzte sie die Berichtigung auf 10.031,21 EUR, für das Quartal I/04 auf 7.434,53 EUR und für das Quartal II/04 auf 4.896,87 EUR fest. Zur Begründung führte sie aus, im Rahmen der Plausibilitätsprüfung seien tagesbezogene Leistungsprofile für die Praxis der Klägerin erstellt worden. Aus diesen Tagsprofilen habe sich ergeben, dass die Klägerin im Quartal IV/03 an 4 Behandlungstagen mehr als 16 Stunden sowie an 24 Behandlungstage mehr als 12 Stunden tätigt gewesen sei. Ein entsprechender Zeitaufwand habe sich im Quartal I/04 an einem bzw. an 26 Behandlungstagen und im Quartal II/04 an 1 bzw. 20 Behandlungstagen ergeben. Nach der Verfahrensordnung zur Durchführung von Plausibilitätsprüfungen sei ein Aufgreifkriterium gegeben, wenn Ärzte mehr als 16 Stunden durchschnittlich pro Behandlungstag im Quartal für zeitbewertete EBM-Leistungen sowie Leistungen mit Zeitannahmen benötigten. Ein weiteres Aufgreifkriterium sei gegeben, wenn Ärzte mehr als 3 Behandlungstage mit mehr als 12 Stunden bei zeitbewerteten EBM-Leistungen benötigten. Lägen diese Aufgreifkriterien vor, sei eine weiter Prüfung vorzunehmen. Bei den Mindestzeiten aus dem EBM und aus einem vom Vorstand in der Verfahrensordnung ermittelten Zeitrahmen handele es sich um Mindestzeiten. Sie würden zudem lediglich die nicht delegationsfähigen abrechenbaren vertragsärztlichen Leistungen erfassen. Darüber hinaus verlange das Gebot, Leistungen nur dann zu berechnen, wenn der Leistungsinhalt vollständig erbracht sei, die volle Konzentration des Vertragsarztes auf die jeweilige Leistung. Auffällig sei z. B. der 11.02.2004. An diesem Tag sei die Nr. 32 EBM (Zeitvorgabe 2 Min.) 93-mal in Ansatz gebracht worden, zusätzlich sei die Nr. 60 EBM (Zeitvorgabe 8 Min.) 30-mal berechnet worden. Am 05.11.2003 sei die Nr. 32 99 mal abgerechnet worden. Es sei auch zu berücksichtigen, dass andere Tätigkeiten wie tägliche Organisation des Praxisablaufes, die Auswertung von Befundunterlagen, Dokumentationen usw., persönliche Bedürfnisse wie Toilettengänge oder Nahrungsaufnahme nicht berücksichtigt würden. Die Berechnung des Honorarberichtigungsbetrages ergebe sich aus Anlage C der Verfahrensordnung. Danach sei die 12 Stunden überschreitende Stundenzahl aufzuaddieren und ins Verhältnis zur Gesamtstundenzahl im Behandlungsquartal zu stellen. Hieraus ergebe sich ein Überschreitungsprozentsatz. Um den so festgestellten Überschreitungsprozentsatz sei die Honoraranforderung (vor Anwendung von Praxisbudget und HVM-Regelung) anteilig zu reduzieren. Bei der Feststellung der Honorarforderung seien Wegegebühren und Kostenerstattungen gem. LG 13 und LG 14 unberücksichtigt zu lassen. Wegen der Vielzahl an Tagen im IV Quartal 2003 mit einer Überschreitung von mehr als 16 Stunden am Behandlungstag werde dem Vorstand die Einleitung eines Disziplinarverfahrens vorgeschlagen.

Hiergegen legt die Klägerin am 28.04.2006 Widerspruch ein. Hinsichtlich der telefonischen Absage zu der mündlichen Verhandlung wies sie darauf hin, dass sie an jenem Tag einen Banktermin gehabt habe, um einen Weg zu finden, ihr gesperrtes Konto soweit zu entlasten, damit die Gehälter sowie andere zwingend notwendige Zahlungen von ihr hätten getätigt werden können. Dies habe sie für vorrangig gehalten. Der § 106a SGB V sei zum 01.01.2004 in Kraft getreten, die Richtlinien zur Plausibilitätsprüfung aber erst zum 01.04.2005, weshalb in den vorliegenden Verfahren für die Quartale IV/03 bis I/05 die Prüfungen nach altem materiellen Recht zu erfolgen hätten. Maßgebend sei die Verfahrensordnung der Beklagten zum Stand 01.12.2001 unter Berücksichtigung der Empfehlungen der KBV. Ausweislich der "Zeitprofile der KBV zur Plausibilitätsprüfung" liege eine implausible Abrechnung erst vor, wenn die Tagesarbeitszeiten 16 Stunden übersteigen würden. In die Tagesprofile würde Zeiten von Leistungen eingerechnet werden, die hierfür ungeeignet seien. Bei der Ziffer 1 EBM handele es sich um eine Quartalsziffer, die für ein Tagesprofil nicht berücksichtigt werden könne. Die Ziffer 1 dürfe auch nicht im Zusammenhang mit einer Gesprächsleistungsziffer an einem Tag abgerechnet werden. Ebenfalls handele es sich bei den Ziffern 15 und 19 um Quartalsziffern. Bei der Ziffer 419 handele es sich um eine teilweise delegierbare Leistung, weshalb diese Ziffer ebenfalls nicht berücksichtigt werden könne. Für die Ziffer 603 würden 2 Min. angesetzt werden, obwohl gem. der Liste der Beklagten nur 1 Min. vorgesehen sei. Entsprechend würden sich geringere Tagezeiten ergeben, was sie im Einzelnen darlegte. Sie könne im Übrigen auch Arbeitstage aufweisen, an denen sie nachweislich mehr als 16 Stunden tatsächlich für ihre Patienten da gewesen sei. Sie beginne ihre vertragsärztliche Versorgung bereits morgens ab 07.00 Uhr. In dieser Zeit mache sie zwischen 3 und 10 Hausbesuche, bei denen sie unter anderem auch ambulante Blutabnahmen, Infusionen etc. durchführe. Gegen 09.00 Uhr sei sie dann in der Praxis und beginne die Morgensprechstunde, welche in der Regel bis 12.30 Uhr dauere. Im Anschluss daran erledige sie angefallene telefonische Patientenrückrufe, sofern diese nicht während der laufenden Sprechstunde erledigt werden könnten. Im unmittelbaren Anschluss daran führe sie weitere Hausbesuche durch (in der Anzahl zwischen 5 und 15), wobei sie sich während der Fahrt mit Brötchen und Getränken versorge. Zwischen 15.30 Uhr und 16.00 Uhr beginne die Abendsprechstunde, die offiziell montags bis 18.00 Uhr, dienstags und donnerstags bis 19.00 Uhr und freitags bis 17.00 Uhr abgehalten werde. Mittwochnachmittags sei sie nach der Morgensprechstunde den ganzen Nachmittag im Altenheim zur Visite, in der Regel bis 19.30 Uhr. Etwa eine halbe Stunde vorm offiziellen Sprechstundenende werde die Praxistür geschlossen, sodass die Patienten, die dann noch kämen, klingeln müssten. Eine Helferin sei immer schon eine Stunde vor Beginn in der Praxis und verlasse diese in der Regel eine Stunde nach dem Ende der offiziellen Sprechstundezeit. Sie arbeite dagegen nahezu jeden Tag länger, allerdings ohne dabei die EDV zu benutzen, da die zuletzt bleibende Helferin vor dem nach Hause gehen noch die "Tagessicherung" durchlaufen lasse. Sie schreibe in den späten Abendstunden die Leistungen auf einen Zettel oder diktiere diese auf Band. Diese würden tags darauf bei den jeweiligen Patienten eingetragen werden. Zusätzlich vergebe sie noch sog. Spezialtermine ab 21.00 Uhr für Patienten mit besonders aufwendigen Problemen. Zumeist handele es sich dabei um depressive Patienten, die zeitaufwendig seien und ansonsten den normalen Praxisablauf völlig durcheinander bringen würden. Die Unzeitziffer setzte hierfür nicht an. An den Wochenenden sei sie prinzipiell entweder über Handy oder die Privatnummer erreichbar. Sie weise eine extrem überdurchschnittliche Fallzahl auf. Sie habe stets eine Fallzahl über 3.000, die Vergleichsgruppe rechne jeweils "nur" knapp über 1.000 Fälle ab. Die Anzahl der von ihr behandelten Rentner entsprächen nahezu der durchschnittlichen Fallzahl der Vergleichsgruppe. Hierbei handele es sich überwiegend um mulitmobide Patienten, die naturgemäß einer intensiveren Behandlung bedürften. Sie betreue ferner ca. 200 Patienten, die entweder in Altenheimen oder in sonstigen sozialen Gemeinschaften wohnten. Allein diese 200 Patienten entsprächen 60 % des gesamten Rentneranteils ihrer Vergleichsgruppe. Sie habe alle Leistungen tatsächlich erbracht und somit rechtmäßig gehandelt. Sie sei in den streitgegenständlichen Quartalen keiner Wirtschaftlichkeitsprüfung unterzogen worden, bei denen die von der Beklagten hervorgehobenen Ziffern 10, 32 und 60 des EBM moniert worden seien. Sie überschreite die Leistungen nach den Ziffern 32 und 60 erheblich. Dass dennoch keine Wirtschaftlichkeitsprüfung erfolgt sei, zeige ihr rechtmäßiges Vorgehen. Im Übrigen seien die Kürzungen aufgrund von Budgetierungsmaßnahmen zu berücksichtigten. Sie habe nahezu in allen streitgegenständlichen Quartalen das ihr zugestandene Punktebudget doch erheblich überschritten, so in den Quartalen I und II/04 mit 97.278,6 Punkten. Bei einem Punktwert von 4 Cent bedeute dies eine Nichtvergütung von 3.891,14 EUR. Eine Kürzung könne nur vor Budgetierung, nicht, wie von der Beklagten vorgenommen, nach Budgetierung erfolgen. Der neu eingeführte § 106a SGB V bestätige dies.

Für die Quartale III/04 bis I/05 lud die Bezirksstelle GD. der Beklagten die Klägerin erneut für ein kollegiales Gespräch am 17.05.2006. Die Klägerin kündigte zunächst mit Telefax vom 03.04.2006 ihre Teilnahme an. Am 15.05.2006 teilte sie dann mit Telefax mit, dass sie aus familiären Gründen den Termin nicht wahrnehmen könne.

Mit Bescheid vom 13.06.2006 setzte die Beklagte für das Quartal III/04 eine Honorarberichtigung in Höhe von 4.812,95 EUR, für das Quartal IV/04 von 11.960,52 EUR und für das Quartal I/05 von 14.846,30 EUR fest. Zur Begründung wies sie darauf hin, aus den Tagesprofilen ergebe sich, dass die Klägerin im Quartal III/04 an einem Behandlungstag mehr als 16 Stunden sowie an 24 Behandlungstagen mehr als 12 Stunden tätig gewesen sei, im Quartal IV/04 an 4 bzw. 34 Behandlungstagen und im Quartal I/04 an 11 bzw. an 21 Behandlungstagen entsprechend. Auffällig sei z. B. der 21.04.2004. An diesem Tag sei die Nr. 32 EBM 71-mal in Ansatz gebracht worden. Ungewöhnlich sei auch der 04.08.2004. Die Nr. 32 sei 85-mal angesetzt worden. Im Folgequartal sei am 29.11.2004 die Nr. 60 EBM 34-mal und zusätzlich noch die Nr. 10 22-mal angesetzt worden. Ähnliche Auffälligkeiten fänden sich auch im Quartal I/05.

Hiergegen legt die Klägerin am 05.07.2006 unter weitgehender Widerholung ihrer Begründung zur Prüfung der Vorquartale Widerspruch ein. Sie legte wiederum eine Liste mit den Tagesprofilen aufgrund ihrer eigenen Rechungen vor und wies hinsichtlich der Budgetüberschreitung auf ein Punktevolumen von 216.670,6 Punkte für alle 3 Quartale hin, was einem Wert von 8.666,82 EUR entspreche.

Die Beklagte verband beide Widerspruchsverfahren und half mit Widerspruchsbescheid vom 23.11.2007, der Klägerin am 04.12. zugestellt, den Widersprüchen insofern ab, als sie die Honorarberichtigung von 53.982,38 EUR auf die noch strittigen 52.791,77 EUR reduzierte. Im Übrigen wies sie die Widersprüche als unbegründet zurück. Zur Begründung verwies sie auf die am 01.01.2002 in Kraft getretene Verfahrensordnung zur Durchführung von Plausibilitätsprüfung. Diese beinhalte die Vorgabe für zeitbezogene Plausibilitätsprüfungen. Grundlage hierfür seien die Mindestausführungszeiten. Es würden nur die Leistungen für Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung berücksichtigt werden. Der Vorstand sei in der Vergangenheit auch davon ausgegangen, dass neben der Arbeitszeit, die sich hierfür ergebe, in einer typischen Arztpraxis weiter 3 Stunden für sonstige Tätigkeiten anfielen. Im Quartal IV/03 habe die Klägerin an 4 Tagen mehr als 16 Stunden und an 24 Tagen mehr als 12 Stunden gebührenordnungsrelevante Tätigkeiten angerechnet. Beispielhaft sei insoweit auf den 17.11.2003 verwiesen, an dem sie mindestens von 7.00 Uhr bis gegen 23.00 Uhr durchgehend Leistungen bei Patienten hätte erbringen müssen, ohne dass hier eine einzige Pause abgehalten bzw. anderweitige Tätigkeiten hätten durchgeführt werden können. Am 08.12.2003 hätte die tatsächliche Zeit bis nach 24.00 Uhr andauern müssen. Ähnliche Beispiele ergäben sich an einer Vielzahl von Tagen in den vorliegenden Quartalen. Dies sei nicht plausibel. Die Klägerin habe nicht nachgewiesen, dass sie an diesen Tagen tatsächlich bis gegen Mitternacht Patienten behandelt habe. Der pauschale Hinweis auf Spezialtermine reiche hierfür nicht aus. Bei den Ziffern 1, 15, 19 und 419 EBM 1996 handele es sich um Leistungen, die nach der Anlage A der Verfahrensordnung bzgl. ihrer Zeit auf alle Behandlungstage des Quartals anteilig verteilt werden würden. Dies bedeute, dass die Ziffer 15 EBM 1996 beispielsweise am 01.04.2004 statt mit 30 Min. bei einem 3-maligen Ansatz an diesem Tag nur mit 7 Min. insgesamt in die Berechnung eingeflossen sei. Die entsprechende Berechnung sei auch bzgl. der Ordinationsgebühr unter Ziffer 19 EBM 1996 nicht zu beanstanden und stehe im Einklang mit der Verfahrensordnung. Allerdings habe sich hinsichtlich der Ziffer 419 ergeben, dass diese in der Anlage A als Quartalsziffer ausgewiesen sei. Eine entsprechende anteilige Verteilung der zeitlichen Bewertung für diese Leistungen sei jedoch nach den vorliegenden Tagsprofilen nicht erfolgt. Die Zeitvorgabe hierfür betrage 5 Min. Für das Quartal IV/03 ergebe sich, da eine anteilige Verteilung zu Zeiten von unter 1 Min. führe, dass eine zeitliche Berücksichtigung entfalle. Gleiches gelte hinsichtlich der übrigen Quartale. Die Ziffer 603 EBM 1996 werde mit einer Minute zugrunde gelegt. Eine entsprechende Berücksichtigung sei jedoch nur im Quartal IV/03 erfolgt. In den Übrigen Quartalen sei für diese Leistungen eine Zeit von 2 Min. berücksichtigt worden. Im Ergebnis ergebe sich die um 1.190,61 EUR verminderte Honorarrückforderung in Höhe von noch 52.791,77 EUR.

Hiergegen hat die Klägerin am 13.12.2007 die Klage erhoben. Die Kammer hat mit Verfügung vom 18.12.2007 die Verfahren quartalsweise getrennt und mit Beschluss vom 04.06.2008 die abgetrennten Verfahren wieder zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung miteinander verbunden.

Die Klägerin ist unter weitgehender Wiederholung ihres Widerspruchsvorbringens weiterhin der Auffassung, dass quartalsbezogene Leistungsziffern nicht bei der Erstellung von Tagesprofilen berücksichtigt werden dürften. Es ergäben sich dann andere Tagezeiten. Aufgrund ihrer Tagesstruktur erbringe sie auch alle Leistungen vollständig. Es seien auch die Budgetierungsmaßnahmen zu berücksichtigen. Auf Bundesebene der KBV seien Zeitvorgaben verabschiedet worden, zu deren Befürwortern auch die Beklagte gehört habe. Daher sei nicht nachvollziehbar, wie sich die Beklagte auf den Standpunkt stellen könne, dass die Ziffern 1, 15 und 19 anteilig Berücksichtung finden könnten. So liege sie im Quartal II/04 nur noch an 6 Tagen oberhalb der "12-Stunden-Grenze", nicht mehr an 25 Tagen. Faktisch habe sie ein Drittel ihrer Fallzahlen nicht vergütet bekommen. Es liege auf der Hand, dass man bei einer Fallzahl von 2.750 nicht mit einer Tagarbeitszeit von lediglich 12 Stunden auskommen könne. Sie lege exemplarisch 4 elektronische Patientenkarteiauszüge vor von den Tagen mit den höchsten Tagesarbeitszeiten. Aus diesen ergebe sich, dass sie an den von der Beklagten monierten Tagen sogar Spezialtermine in den späten Arbeitsstunden (bis zu 22.50 Uhr) vergeben habe. Damit werde belegt, dass sie tatsächlich häufiger Arbeitstage von mehr als 16 Stunden auf sich genommen habe, obwohl ein Drittel ihrer Leistungen überhaupt nicht vergütet worden sei. Weiter lege sie für das Quartal III/04 5 entsprechende elektronische Patientenkarteiauszüge vor.

Die Klägerin beantragt,
die Honorarrückforderungsbescheide der Beklagten vom 21.04.2006 und 13.06.2006, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.11.2007 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, die Klägerin wiederhole im Wesentlichen ihr Widerspruchsvorbringen. Sie habe bereits im Widerspruchsbescheid Korrekturen vorgenommen. Die Leistungen nach Ziffer 1, 15 und 19 EBM 1996 könnten nach der Anlage A der Verfahrensordnung anteilig verteilt werden. Die Honorarforderung der Klägerin sei vor Anwendung von Praxisbudgets und HVM-Regelungen anteilig reduziert worden. Aus dem Fehlen einer Wirtschaftlichkeitsprüfung ließen sich keine Rückschlüsse daraus herleiten, dass sie die Vorgehensweise der Klägerin als rechtmäßig ansehen könne.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer hat in der Besetzung mit zwei ehrenamtlichen Richtern aus den Kreisen der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).

Die zulässige Klage ist begründet.

Die Honorarrückforderungsbescheide der Beklagten vom 21.04.2006 und 13.06.2006, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.11.2007 sind rechtswidrig und waren daher aufzuheben. Der Klage war stattzugeben.

Die Honorarrückforderungsbescheide der Beklagten vom 21.04.2006 und 13.06.2006, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.11.2007 sind rechtswidrig.

Die Beklagte war grundsätzlich zuständig für die sachlich-rechnerische Berichtigung.

Nach § 75 Abs. 1 SGB V haben die Kassenärztlichen Vereinigungen die vertragszahnärztliche Versorgung sicher zu stellen und den Krankenkassen und ihren Verbänden gegenüber die Gewähr dafür zu übernehmen, dass die vertragszahnärztliche Versorgung den gesetzlichen und vertraglichen Erfordernissen entspricht. Nach § 75 Abs. 2 Satz 2 1. Halbsatz haben die Kassenärztlichen Vereinigungen die Erfüllung der den Vertragsärzten obliegenden Pflichten zu überwachen. Zu den Pflichten der Vertragsärzte gehört unter anderem auch eine ordnungsgemäße Abrechnung der von ihnen erbrachten Leistungen. Die Kassenärztliche Vereinigung stellt die sachliche und rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen der Vertragsärzte fest; dazu gehört auch die Arzt bezogene Prüfung der Abrechnungen auf Plausibilität sowie die Prüfung der abgerechneten Sachkosten (§ 106a Abs. 2 Satz 1 SGB V). Es obliegt deshalb nach § 45 des Bundesmantelvertrages-Ärzte (BMV-Ä) bzw. § 34 des Ersatzkassenvertrages-Ärzte (EKV-Ä) der Beklagten, die vom Vertragsarzt eingereichten Honoraranforderungen rechnerisch und gebührenordnungsmäßig zu prüfen und ggf. zu berichtigen.

Die Prüfung auf sachlich-rechnerische Richtigkeit einer Abrechnung erstreckt sich auf die Frage, ob die abgerechneten Leistungen ordnungsgemäß – somit ohne Verstoß gegen gesetzliche oder vertragliche Bestimmungen mit Ausnahme des Wirtschaftlichkeitsgebotes – erbracht worden sind. Solche Verstöße können z. B. darin liegen, dass die Leistungen überhaupt nicht, nicht in vollem Umfang, ohne die zur Leistungserbringung erforderliche spezielle Genehmigung oder unter Überschreitung des Fachgebietes erbracht worden sind (vgl. BSG SozR 3-2500 § 75 Nr. 10 m.w.N.). Zur Feststellung, ob abgerechnete Leistungen vollständig erbracht worden sind, ist es zulässig, Tagesprofile zu verwenden (vgl. BSG SozR 3-2500 § 95 Nr. 4; SozR 3-2500 § 83 Nr. 1). Tagesprofile sind ein geeignetes Beweismittel, um einem Arzt unkorrekte Abrechnungen nachweisen zu können. Die Beweisführung mit Tagesprofilen ist dem Indizienbeweis zuzuordnen. Für ihre Erstellung sind bestimmte Anforderungen erforderlich. Für die Ermittlung der Gesamtbehandlungszeit des Arztes an einem Tag dürfen nur solche Leistungen in die Untersuchung einbezogen werden, die ein Tätigwerden des Arztes selbst voraussetzen. Delegationsfähige Leistungen haben außer Betracht zu bleiben. Zu berücksichtigen ist weiter, dass die für die einzelnen ärztlichen Leistungen zugrunde zu legenden Durchschnittszeiten so bemessen sein müssen, dass ein erfahrener, geübter und zügig arbeitender Arzt die Leistungen im Durchschnitt in kürzerer Zeit schlechterdings nicht ordnungsgemäß und vollständig erbringen kann. Der Qualifizierung als Durchschnittszeit entspricht es, dass es sich hierbei nicht um die Festlegung absoluter Mindestzeiten handelt, sondern um eine Zeitvorgabe, die im Einzelfall durchaus unterschritten werden kann. Die Durchschnittszeit stellt sich aber bei einer ordnungsgemäßen und vollständigen Leistungserbringung als der statistische Mittelwert dar (vgl. BSG SozR 3-2500 § 95 Nr. 4; LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 10.10.2007 – L 7 KA 56/03 – www.sozialgerichtsbarkeit.de = juris Rdnr. 21). Als Nachweis für eine Falschabrechnung des Quartals genügt bereits ein beliebiger falsch abgerechneter Tag (BSG SozR 3-2500 § 83 Nr. 1).

Ausgehend hiervon war die Beklagte grundsätzlich berechtigt, Tagesprofile zu erstellen. Fehlerhaft war allerdings die durchschnittliche Anrechnung von Quartalsziffern auf die einzelnen Tage wie der Nr. 1 (vgl. auch SG Gotha, Urt. v. 26.07.2006 – S 7 KA 2343/04 – juris Rdnr. 12; LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 11.02.2004 – L 11 KA 72/03 - www.sozialgerichtsbarkeit.de = juris Rdnr. 30) und Nr. 15 EBM. Allerdings steht es der Beklagten frei, diese Leistung beim erstmaligen Kontakt mit einer Mindestvorgabe anzusetzen, so z. B. die Nr. 1 EBM im gleichen Umfang wie die Konsultationsgebühr.

Soweit Nr. 19 EBM, Erhebung der Fremdanamnese, nur einmal im Behandlungsfall abrechenbar ist, handelt es sich um eine Begrenzung der Abrechenbarkeit, wird diese Leistung jedoch nicht zu einer Quartalsziffer. Jedenfalls an dem Tag, an dem die Ziffer angesetzt wird, muss die Erhebung der Fremdanamnese erbracht worden sein und kann der Zeitumfang berücksichtigt werden. Der Ansatz von 2 Minuten hierfür ist nicht zu beanstanden.

Nr. 419 EBM kann angesetzt werden, da es sich nicht um eine vollständig delegierbare Leistung handelt. Die Kammer hält hierbei die Mindestvorgabe von 5 Minuten für vertretbar. Gleichfalls sah die Kammer keinen Anlass, die Mindestvorgabe von 2 Minuten für die Leistung nach Nr. 603 EBM zu beanstanden. Soweit die Klägerin auf eine Liste der Beklagten verweist, vermochte die Kammer hierin weder eine bindende Vorgabe noch eine Selbstbindung zu erkennen. Die Nr. 5 EBM hat die Beklagte zu Recht nicht mit einem Zeitansatz berücksichtigt. Der Kammer ist allerdings aufgefallen, dass die Klägerin diese Leistung häufig ansetzt, so z. B. im Quartal IV/03 221-mal und mit 7-mal auf 100 Behandlungsfälle wesentlich häufiger als die Fachgruppe (3-mal), obwohl sie nach ihrem Vortrag die Praxis bis weit in die Abendstunden und z. T. auch am Wochenende geöffnet hat.

Im Übrigen handelte es sich ausschließlich um zeitgebundene Leistungen bewegen sich die von der Beklagten angesetzten Zeiten im unteren Bereich und waren nicht zu beanstanden. So setzt die Beklagte z. B. für die Nr. 32 EBM 2 Minuten an, während z. B. LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 11.02.2004 – L 11 KA 30/03GesR 2004, 479 = juris Rdnr. 35 einen Ansatz von 4 Minuten nicht beanstandet hat. Insofern hat die fachkundig besetzte Kammer generell Bedenken, ob Besuche bei alten und dementen Kranken innerhalb von zwei Minuten zu bewältigen sind, da im Regelfall ein Austausch mit dem Pflegepersonal erfolgt und die Untersuchungen gerade aufgrund des Krankheitsbildes zeitaufwendiger sind. Dies konnte hier aber letztlich aufgrund des geringen Zeitansatzes dahinstehen. Nicht zu beanstanden war auch der Ansatz von 8 Minuten für die Nr. 60 EBM (Ganzkörperstatus). Die insoweit fachkundig besetzte Kammer hält es für schlichtweg ausgeschlossen, diese Leistung des Öfteren mehr als 30-mal am Tag, z. T. auch 50-mal zu erbringen. Aus dem Umstand, dass eine Wirtschaftlichkeitsprüfung nicht durchgeführt wurde, folgt jedenfalls nicht die Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung.

Nicht zu beanstanden war auch die Annahme, dass bei Tagesprofilen von über 16 Stunden bzw. bei wenigsten vier Tagesprofilen von über 12 Stunden im Quartal eine ordnungsgemäße Leistungserbringung nicht mehr vorliegt.

Soweit die Beklagte die Honoraranforderung dann vor Anwendung von Praxisbudgets und HVM-Regelungen anteilig reduziert hat, ist dies für die Klägerin die günstigste Berechnung und war von der Kammer nicht zu beanstanden. Denkbar wäre aber auch die Berechnung eines zu kürzenden Punktezahlvolumens und eines praxisindividuellen Punktwerts aus dem Verhältnis Gesamtpunktzahlanforderung und Gesamtbruttohonorar. Im Rahmen der Schätzung ist jedenfalls eine genaue Leistungsberechnung nicht notwendig.

Die Bescheide waren aber dennoch im Ergebnis zu beanstanden, da die Beklagte ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat. Soweit die Beklagte die Quartalsziffern in die Tagesprofile anteilig eingerechnet hat, ist sie von einer fehlerhaften Tatsachengrundlage ausgegangen und konnte zwangsläufig ihr Ermessen nicht mehr ausüben. Dies kann sie ggf. im Rahmen eines erneuten Berichtigungsbescheides nachholen.

Im Ergebnis war der Klage daher stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
Rechtskraft
Aus
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