L 5 B 1001/08 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 96 AS 9552/08 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 5 B 1001/08 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 10. April 2008 wird zurückgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um einen Mehrbedarf wegen kostenaufwendiger Ernährung aus medizinischen Gründen (§ 21 Abs. 5 Zweites Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – SGB II), vorliegend aufgrund einer Unverträglichkeit der Antragstellerin gegenüber Milchzucker (Laktose).

Mit Bescheid vom 9. Oktober 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Februar 2008 lehnte der Antragsgegner einen diesbezüglichen Antrag der Antragstellerin mit der Begründung ab, dass zu berücksichtigende Mehrkosten durch eine Laktoseunverträglichkeit nicht entstehen würden.

Hiergegen hat die Grundsicherung für Arbeitsuchende beziehende Antragstellerin am 17. März 2008 Klage vor dem Sozialgericht Berlin erhoben (S 96 AS 9552/08). Außerdem hat sie am selben Tage einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt mit dem Begehren, den Antragsgegner zu verpflichten, umgehend einen Mehrbedarf für kostenaufwendige Ernährung ab dem 28. September 2007 fortlaufend zu gewähren.

Mit Beschluss vom 10. April 2008, der Antragstellerin zugestellt am 23. April 2008, hat das Sozialgericht den Antrag zurückgewiesen. Soweit die Antragstellerin Leistungen für Zeiträume vor Antragstellung bei Gericht begehre, sei ihr Antrag wegen Fehlens einer Notlage unzulässig. Im Übrigen sei der Antrag unbegründet. Weder nach den Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge noch nach dem Vortrag der Antragstellerin selbst sei ersichtlich, dass ernährungsbedingte Mehrkosten anfielen. 90 % der Menschen asiatischer Herkunft müssten sich wegen entsprechender Unverträglichkeit laktosefrei ernähren. Eine laktosefreie Ernährung sei ohne erheblichen finanziellen Mehraufwand möglich. Daneben habe die Antragstellerin keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.

Am 15. Mai 2008 hat die Antragstellerin hiergegen Beschwerde eingelegt. Beigefügt hat sie eine von ihr gefertigte Aufstellung, wonach sie im Monat für laktosefreie Milchprodukte 51,86 Euro ausgeben müsse, während dementsprechende normale Lebensmittel lediglich 33,44 Euro kosten würden. Außerdem hat sie eine Bescheinigung der sie behandelnden Allgemeinmedizinerin M B vom 19. Mai 2008 eingereicht, die eine Laktoseintoleranz bestätigt und einen Mehrbedarf für kostenaufwendige Ernährung befürwortet, da sonst mit einer Chronifizierung der Leiden zu rechnen sei.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 10. April 2008 aufzuheben und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr einen Mehrbedarf für kostenaufwendige Ernährung ab dem 28. September 2007 fortlaufend zu gewähren.

Der Antragsgegner hat keinen Antrag gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte verwiesen, die dem Senat vorgelegen hat und Gegenstand der Entscheidung gewesen ist.

II.

Es ist bereits fraglich, ob die Beschwerde der Antragstellerin zulässig ist. Gemäß § 172 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der ab dem 1. April 2008 geltenden Fassung des Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26. März 2008 (BGBl. I, S. 444) ist die Beschwerde in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ausgeschlossen, wenn in der Hauptsache die Berufung unzulässig wäre. Gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG neuer Fassung bedarf die Berufung der Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung betrifft, 750 Euro nicht übersteigt. Vorliegend spricht viel dafür, dass die Antragstellerin mit ihrem Begehren diesen Streitwert nicht erreicht. Zwar hat sie ihren Antrag zeitlich offen dahingehend formuliert, dass sie ab dem 28. September 2007 fortlaufend Leistungen begehre. Es spricht indes viel dafür, den Antrag in Anwendung von § 41 Abs. 1 Satz 5 SGB II dahingehend zu beschränken, dass ein Mehrbedarf höchstens für den längstmöglichen Bewilligungszeitraum von 12 Monaten geltend gemacht wird. Legt man der Ermittlung des Streitwertes den von der Antragstellerin in ihrer Beschwerdeschrift dargelegten Mehrbedarf von 18,42 Euro monatlich zugrunde und errechnet dementsprechend den Mehrbedarf für 12 Monate, so ergibt sich ein Betrag von 221,04 Euro. Offensichtlich also würde die Berufungssumme von 750 Euro nicht erreicht werden.

Dieser Punkt kann indes im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes dahingestellt bleiben, denn die Antragstellerin hat jedenfalls keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.

Gemäß § 86 b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf einen Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Entscheidungserhebliche Angaben sind dabei von den Beteiligten glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung).

Für den Erlass einer einstweiligen Anordnung müssen mithin regelmäßig zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Zum einen muss es im Ergebnis einer Prüfung der materiellen Rechtslage überwiegend wahrscheinlich sein, dass der Antragsteller mit seinem Begehren im Hauptsacheverfahren erfolgreich sein wird (Anordnungsanspruch). Zum anderen muss eine gerichtliche Entscheidung deswegen dringend geboten sein, weil es dem Antragsteller wegen drohender schwerwiegender Nachteile nicht zuzumuten ist, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten (Anordnungsgrund).

Im vorliegenden Fall ist ein Anordnungsgrund nicht ersichtlich. Ausgehend von der eigenen Aufstellung der Antragstellerin benötigt sie zur Anschaffung laktosefreier Lebensmittel im Monat 18,42 Euro mehr, als sie für den Kauf vergleichbarer normaler Produkte aufwenden müsste. Selbst wenn man unterstellt, dass diese Mehrkosten für die Antragstellerin unvermeidbar sind – was das Sozialgericht mit überzeugenden Argumenten in Abrede gestellt hat – bedarf es nicht des Erlasses einer einstweiligen Anordnung. Eine dringend abzuwendende Notlage ist nicht gegeben. Es ist der Antragstellerin zuzumuten, den Ausgang des Klageverfahrens abzuwarten.

Der geltend gemachte Betrag von 18,42 Euro macht nur wenig mehr als 5 % der monatlichen Regelleistung von 347 Euro aus. Eine Mehrbelastung der Antragstellerin mit diesem Betrag führt nicht zu einer unhaltbaren Unterschreitung ihres Existenzminimums. Dies folgt bereits daraus, dass der Gesetzgeber bei Eintreten einer Sanktion gemäß § 31 Abs. 1 SGB II unter gewissen Umständen sogar eine Absenkung des Arbeitslosengeldes II um 30 % für vertretbar hält. Des weiteren ist zu berücksichtigen, dass der Regelsatz des ALG II neben den Leistungen zur Sicherung des unmittelbaren soziokulturellen Existenzminimums anders als die früheren Sozialhilfesätze auch eine Ansparpauschale in Höhe von ungefähr 16 % der Sozialhilfesätze enthält, mit der unter Geltung des SGB II der Wegfall des Anspruchs auf Einmalzahlungen ausgeglichen werden soll (vgl. Spellbrink in Eicher/Spellbrink, SGB II, Rnr. 44 zu § 20). Eine vorübergehende Minderung der Leistung um einen Betrag in dieser Größenordnung stellt mithin noch keine konkrete Gefährdung des Existenzminimums dar. Schließlich hat auch das Bundesverfassungsgericht deutlich gemacht, dass jedenfalls vorübergehend bis zum Abschluss eines Hauptsacheverfahrens eine Leistungskürzung bis zu 20 % hinnehmbar ist. Seiner Auffassung nach ist es gerechtfertigt, wenn in einem Eilverfahren zur Vermeidung der Vorwegnahme der Hauptsache statt der vollen Regelleistung zunächst nur eine Leistung mit einem Abschlag von 20 % zugesprochen wird (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05 – zu Ziffer II.1.c.aa.2).

Erst recht besteht damit kein Anordnungsgrund hinsichtlich des geltend gemachten Mehrbedarfs für den Zeitraum 28. September 2007 bis 16. März 2008 (Antragstellung bei Gericht), wie das Sozialgericht zutreffend dargelegt hat. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass sich die Antragstellerin aufgrund ihrer krankheitsbedingten Aufwendungen in der Vergangenheit auch gegenwärtig noch in einer Notlage befindet, die ein Eingreifen des Gerichts erforderlich macht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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