L 20 B 1756/07 AS BW

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
20
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 95 AS 7521/07 BW
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 20 B 1756/07 AS BW
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Es wird festgestellt, dass sich der Antrag des Antragstellers vom 7. März 2007 durch Rücknahme erledigt hat. Der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 23. April 2007 ist wirkungslos. Die Anhörungsrüge wird als unzulässig verworfen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt die Fortsetzung des Beschwerdeverfahrens hinsichtlich des Beschlusses des Sozialgerichts Berlin vom 23. April 2007, mit dem der Beweissicherungsantrag des Antragstellers vom 7. März 2007 an das Landgericht Berlin verwiesen worden ist.

Am 7. März 2007 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Berlin "die Beweissicherung nach Sozialgerichtsgesetz § 76" sowie die Übermittlung einzelner Unterlagen aus der Gerichtsakte S 93 AS 4126/06 beantragt. Das Sozialgericht hat den Antrag auf Beweissicherung nach Anhörung des Antragstellers mit Beschluss vom 23. April 2007 an das Landgericht Berlin verwiesen. Gegen den Beschluss hat der Antragsteller am 25. Mai 2007 Beschwerde erhoben. Im Termin zur Erörterung des Sachverhalts vom 28. September 2007 hat der Antragsteller seinen Antrag vom 7. März 2007 zurückgenommen. Mit Schreiben vom 1. Oktober 2007 hat der Antragsteller "seine mündliche Aussage bezüglich der Zurücknahme (des) Antrages vom 7. März 2007" widerrufen. Zur Begründung hat er im Wesentlichen geltend gemacht, er habe diese Aussage in einer Notwehrsituation machen müssen, in der er einen unbegründeten erpresserischen Druck empfunden habe. Ihm sei nicht in ausreichendem Maße rechtliches Gehör gewährt worden, weil ihm keine ausreichende Gelegenheit zur Verfahrensvorbereitung gegeben worden sei. Sein Antrag sei im Erörterungstermin falsch verstanden und nicht protokolliert worden. Der Richter habe nur den Zweck verfolgt, die Rücknahme seines Antrages "herauszupressen". Dieser habe hartnäckig darauf hingewiesen, "nur" wenn er seinen Antrag vom 7. März 2007 zurückziehe, werde der Beschluss des Sozialgerichts gegenstandslos. Er sei vom Richter auch nicht darauf hingewiesen worden, dass seine Erklärung eine prozessbeendende Erklärung sei. Weder er noch der Antragsgegner hätten sich mit der Erledigung des Rechtsstreits einverstanden erklärt.

Dem schriftsätzlichen Vorbringen des Antragstellers lässt sich sinngemäß der Antrag entnehmen, das Beschwerdeverfahren fortzuführen und den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 23. April 2007 aufzuheben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten verwiesen.

II.

Der Antrag hat keinen Erfolg. Der Rechtsstreit hat sich in entsprechender Anwendung des § 102 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG – in der zur Zeit der Rücknahme geltenden Fassung (nunmehr § 102 Abs. 1 Satz 2 SGG) mit der Rücknahme des Antrags vom 7. April 2007 in der Hauptsache erledigt. Der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 23. April 2007 ist gemäß § 202 SGG in Verbindung mit § 269 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 Zivilprozessordnung - ZPO - durch die Antragsrücknahme wirkungslos geworden (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage § 102 Rdnr. 9, 12 m. w. N.).

Dass der Antragsteller seinen Antrag vom 7. März 2007 in dem Erörterungstermin vom 28. September 2007 zurückgenommen hat, wird von ihm nicht in Abrede gestellt. Die Rücknahmeerklärung kann er weder anfechten noch widerrufen.

Die Grundsätze des materiellen Rechts über die Anfechtung wegen Irrtums oder anderer Willensmängel sind auf Prozesshandlungen im sozialgerichtlichen Verfahren wie hier die Rücknahme des Antrages vom 7. März 2007 nicht anwendbar (vgl. BSG, Urteil vom 6. April 1960 – 11/9 RV 214/57 -, SozR § 119 BGB Nr. 3; Urteil vom 29. März 1961 - 2 RU 204/56 -, BSGE 14, 138; zur Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - §§ 76 a. F., 92, 126, 161: BVerwG, Urteil vom 21. März 1979 - 6 C 10/78 -, E 57, 342; Beschluss vom 26. Januar 1981 - 6 C 70.80 -, Buchholz 310 § 92 VwGO Nr. 5; Urteil vom 6. Dezember 1996 - 8 C 33/95 -, Buchholz 310 § 126 VwGO Nr. 3; Beschluss vom 7. August 1998 - 4 B 75/98 -, Buchholz 310 § 161 VwGO Nr. 115).

Die Zurücknahme eines Antrages ist grundsätzlich auch unwiderruflich. Eine Ausnahme kommt dann in Betracht, wenn ein Wiederaufnahmegrund im Sinne von §§ 179, 180 SGG, 578 ff. ZPO vorliegt oder wenn es mit dem Grundsatz von Treu und Glauben unvereinbar wäre, einen Antragsteller an der von ihm erklärten Antragsrücknahme festzuhalten (vgl. insbesondere BVerwG, Urteil vom 6. Dezember 1996 und Beschluss vom 7. August 1998, jeweils a. a. O.). Beides ist vorliegend nicht der Fall.

Als Wiederaufnahmegrund ist vorliegend allenfalls ein Restitutionsgrund im Sinne des § 179 Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 580 Nr. 5 ZPO in Betracht zu ziehen. In entsprechender Anwendung dieser Vorschriften liegt ein solcher Grund für den Widerruf einer Rücknahmeerklärung vor, wenn sich ein Richter in Beziehung auf den Rechtsstreit einer strafbaren Verletzung seiner Amtspflichten schuldig gemacht hat und die Rücknahmeerklärung darauf beruht. Hierfür ist nichts ersichtlich. Insbesondere liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der zuständige Richter den Antragsteller im Erörterungstermin vom 28. September 2007 durch Androhung eines empfindlichen Übels im Sinne des § 240 Strafgesetzbuch - StGB – zur Antragsrücknahme genötigt hätte. Der in der Sitzungsniederschrift protokollierte rechtliche Hinweis des Richters, dass der Beschluss des Sozialgerichts gegenstandslos werde, wenn der Antragsteller seinen Antrag vom 7. März 2007 zurückziehe, enthält keine Drohung mit einem Handeln, Tun oder Unterlassen, sondern lediglich die Feststellung der gesetzlich vorgesehenen Rechtsfolge für den Fall der Antragsrücknahme. Eine andere Beurteilung würde sich auch nicht ergeben, wenn der Richter, wie der Antragsteller behauptet, erklärt hätte, die genannte Rechtsfolge würde sich "nur" im Falle der Antragsrücknahme ergeben. Für eine Rechtsbeugung im Sinne des § 339 StGB ist ebenfalls nicht ersichtlich.

Die Zulässigkeit des Widerrufs ergibt sich ferner nicht aus dem Grundsatz von Treu und Glauben. Als Widerrufsgrund könnte insoweit allein die Möglichkeit in Betracht zu ziehen sein, dass der Antragsteller durch einen unzutreffenden rechtlichen Hinweis zur Rücknahme des Antrages bewogen worden ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. August 1998, a. a. O.). Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Der oben dargelegte rechtliche Hinweis des Richters war zutreffend. Etwas anderes würde sich auch dann nicht ergeben, wenn der Richter den Hinweis mit einem "nur" verknüpft hätte, was im Übrigen dem Sitzungsprotokoll nicht zu entnehmen ist. Denn hätte der Antragsteller seinen Antrag nicht zurückgenommen, hätte der Senat im Beschwerdeverfahren den Beschluss des Sozialgerichts vom 23. April 2007 lediglich bestätigen oder aufheben, nicht aber für gegenstands- bzw. wirkungslos erklären können.

Es mag dahinstehen, ob das Schreiben des Antragstellers vom 1. Oktober 2007 auch im Sinne einer erneuten Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 23. April 2007, verbunden mit einem Wiedereinsetzungsantrag nach § 67 SGG zu verstehen ist. Denn die Beschwerde wäre wegen Versäumung der einmonatigen Beschwerdefrist nach § 173 Satz 1 SGG unzulässig. Der Antrag auf Wiedereinsetzung müsste ohne Erfolg bleiben. Dass der Antragsteller das Rechtsmittel der Beschwerde durch Rücknahme seines Antrages vom 7. März 2007 verloren hat, rechtfertigt keine Wiedereinsetzung mit dem Ziel das Rechtsmittel erneut einzulegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Dezember 1996, a. a. O.). Im Übrigen wäre die Beschwerde auch deshalb unzulässig, weil mit der Rücknahme des Antrages vom 7. März 2007 der Beschwerdegegenstand (Beschluss des Sozialgerichts vom 23. April 2007) entfallen ist.

Die auf Fortführung des Beschwerdeverfahrens gerichtete Anhörungsrüge des Antragstellers ist unzulässig. Gemäß § 178 a Abs. 1 Satz 1 SGG setzt die Zulässigkeit der Anhörungsrüge u. a. voraus, dass sie sich gegen eine Entscheidung richtet, gegen die ein Rechtmittel oder ein anderer Rechtsbehelf nicht gegeben ist. Eine solche Entscheidung liegt hier nicht vor. Soweit sich der Antragsteller gegen die Behandlung des Rechtsstreits als erledigt wendet, war das Beschwerdeverfahren ohnehin fortzusetzen, um zu klären, ob sich das Verfahren durch die Antragsrücknahme erledigt hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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