Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 11 KN 137/04 KR
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 4 KR 39/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 b KN 3/07 KR R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Lorenzo-Oel ist kein Lebensmittel, sondern ein nicht zugelassenes Arzneimittel. Versicherte in der GKV, die an einer Adrenomyeloneuropathie (AMN) leiden, haben bei grundrechtskonformer Auslegung des SGB V einen Sachleistungsanspruch auf Versorgung mit Lorenzos-Oel. 2. Die nach dem Beschluss des BVerfG vom 06.12.2005-1 BvR 347/98-gebotene grundrechtskonforme Auslegung des SGB V bei der Pruefung, ob ein nicht zugelassenes Arzneimittel von der Sachleistungspflicht umfasst sein kann, erstreckt sich auf "notstandsaehnliche" Sachverhalte. 3. Ein notstandsaehnlicher Fall ist unter folgenden Voraussetzungen gegeben: (a) Es liegt eine seltene, chronische und sich stetig verschlechternde Erkrankung vor, die zukuenftig mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit schwerwiegende Ausfaelle in der Koerperbeweglichkeit und den Nervenleistungen der Sinnesorgane erwarten laesst. (b) Es gibt aus dem Leistungskatalog der GKV keine Behandlungsalternative zu dem nicht zugelassenen Arzneimittel. (c) Das nicht zugelassene Arzneimittel genuegt den Mindestanforderungen an Qualitaet und Wirtschaftlichkeit i.S. der Paragr. 2 Abs. 1, 12 Abs. 1 SGB V.
Das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 22. Mai 2006 und der Bescheid vom 3. März 2004 in der Gestalt des Widerspruchs-bescheids vom 5. August 2004 werden aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger die Versorgung mit Lorenzo`s Öl nach ärztlicher Verordnung als Sachleistung zu bewilligen. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen zu tragen. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Versorgung des Klägers mit dem sogenannten Lorenzo`s Öl, einem Spezialöl in Form einer Mischung von Glycerol-Trioleat (GTO) und Glycerol-Trieruct (GTE) im Verhältnis 1:4 (GTO/GTE-Therapie) umstritten. Der am 1957 geborene Kläger leidet an einer Adrenomyeloneuropathie (AMN), einer genetisch determinierten seltenen Fettstoffwechselerkrankung, die ausschließlich bei Männern auftritt. Bei der AMN handelt es sich um die mildere Variante der Adrenoleukodystrophie (ALD). Diese Erkrankung führt zu einer Störung des Abbaus überlangkettiger Fettsäuren, was zu einer Konzentration dieser langkettigen Fettsäuren im Blutplasma und im Gehirn sowie in der Nebennierenrinde mit entsprechenden Schädigungen der Nerven führt. Sie manifestiert sich zwischen dem 15. und 30. Lebensjahr und hat einen kontinuierlichen, langfristigen Verlauf. Ihre Folgen sind eine Schädigung des Rückenmarks und der peripheren Nerven, zum Teil unter Einbeziehung des Zentralennervensystems; die hauptsächlichen Symptome bestehen in einer spastischen Lähmung der Beine, peripheren Neuropathie und Nebennierenrindeninsuffizienz. Die Erkrankung gilt derzeit als unheilbar. Seit dem 25. April 1991 war für den Kläger vom Amt für Versorgung und Soziales Halle ein Grad der Behinderung von 100 festgestellt worden. Am 19. Dezember 2003 ging bei der Beklagten eine ärztliche Verordnung des Chefarztes der Abteilung für Neurologie des Sächsischen Krankenhauses H. , W. K. , ein. Gegenstand der Verordnung waren 36 Flaschen zu je 50 ml Lorenzos`s Öl. Die Beklagte holte von der Pharmazeutischen Prüfungs- und Beratungsstelle der Bundesknappschaft eine schriftliche Stellungnahme vom 5. Januar 2004 ein, wonach es sich bei Lorenzos`s Öl um ein diätetisches Lebensmittel und nicht um ein Arzneimittel handele, so dass es nicht zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ärztlich verordnet werden dürfe. Mit Schreiben/Bescheid vom 14. Februar 2004 lehnte die Beklagte daraufhin gegenüber Chefarzt K. die Übernahme von Kosten ab und informierte den Kläger mit Schreiben/Bescheid vom 3. März 2004 darüber förmlich mit Rechtsmittelbelehrung.
Hiergegen legte der Kläger am 18. März 2004 Widerspruch ein und machte geltend: Lorenzo`s Öl verhindere bei ihm den stoffwechselbedingten Zerfall seiner Nerven-bahnen und sei in dieser Zusammensetzung nicht als diätetisches Lebensmittel anzusehen. Mit Widerspruchsbescheid vom 5. August 2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Nach Ziffer 17 i der Arzneimittelrichtlinien sei die Übernahme von Kosten bei der Verschreibung diätetischer Lebensmittel ausgeschlossen. Die Erkrankung des Klägers sei von der Ausnahmeregelung nicht erfasst. Dagegen hat der Kläger mit einem nicht unterzeichneten Schreiben vom 11. August 2004 am 13. August 2004 Klage beim Sozialgericht Halle erhoben und geltend gemacht, dass andere gesetzliche Krankenkassen ihren Versicherten Lorenzo`s Öl weiterhin gewährten. Daneben hat er ein Gutachten von Chefarzt K. , der auch Vorsitzender des medizinisch-wissenschaftlichen Beirates des Bundesvereins Leukodystrophie e.V. ist, von Februar 2005 zur Akte gereicht. In diesem Gutachten, das er für den Bundesverein Leukodystrophie e.V. erstattet hat, führte Chefarzt K. aus, er betreue mehr als 100 deutschsprachige Familien mit X-chromosomaler Adrenoleukodystrophie (X-ALD) und blicke auf einen langjährigen Erfahrungsaustausch mit Fachkollegen im In- und Ausland zu dieser Erkrankung zurück. Die genaue Häufigkeit der X-ALD sei unbekannt. Nach den umfragebasierten Daten einer epidemiologischen Studie aus dem Jahr 1994 sei für Deutschland eine Inzidenz (Anzahl der Neuerkrankungsfälle einer bestimmten Erkrankung innerhalb eines bestimmten Zeitraums) von 0,8 zu 100.000 Lebendgeburten beider Geschlechter geschätzt worden. Diese Bewertung dürfte der Minimalwert sein, so dass eher von einer Häufigkeit zwischen 1 zu 20.000 bzw. 1 zu 16.800 auszugehen sei. Es gebe zur Erkrankung an X-ALD bzw. Adrenomyeloneuropathie ca. 13 Publikationen mit Ergebnissen und 15 unkontrollierte Studien als Fallserien mit Patienten, die mit Lorenzo`s Öl behandelt worden seien. Die Therapiestudien hätten bei sachgerechter Anwendung der Therapie eine Normalisierung der überlangenkettigen Fettsäuren im Serum der Patienten gezeigt. Die monatlichen Kosten seien, abhängig von Körpergewicht und Dosierung, auf 474 EUR bis 948 EUR einzuschätzen. Lorenzo`s Öl sei formal als diätetisches Lebensmittel, genauer aber als therapeutisches Spezialöl anzusehen. Neben der Einnahme von Lorenzo`s Öl erfolge eine begleitende C 26:0-reduzierte Diät. Die Behandlung der X-ALD allein auf diätetischer Basis habe sich als unwirksam erwiesen und weder zu einer Reduktion des C 26:0 Plasmaspiegels noch zu klinischen Effekten geführt. Als häufigste Nebenwirkung der Einnahme von Lorenzo`s Öl seien reversible Thrombozytopenien ohne schwerwiegende Blutungskomplikationen aufgetreten. Weitere schwerwiegende Nebenwirkungen seien bislang in der Literatur nicht beschrieben und während seiner ärztlichen Tätigkeit nicht aufgetreten. Auf Seite 69 seines Gutachtens führt Chefarzt K. aus, dass die Annahme, Lorenzo`s Öl könne als Lebensmittel quasi zum Fettersatz verwendet werden, in Anbetracht des hohen Nebenwirkungsrisikos vollkommen abwegig sei. Die Verordnung von Lorenzo`s Öl erfolge nicht im Rahmen eines diätetischen Ernährungsplanes, sondern sei davon weitgehend unabhängig. In seiner Klinik würden die Patienten regelmäßig auf die medikamentenähnliche Wirkung des Ölsäuregemischs hingewiesen und darauf, dass es nicht von Dritten eingenommen werden dürfe sowie darauf, dass es Nebenwirkungen hervorrufen könne. Deshalb sei Lorenzo`s Öl grundsätzlich nicht geeignet, als Lebensmittel verzehrt zu werden. Vielmehr werde es gezielt bei einer definierten Indikation mit dem Ziel eingesetzt, im Körper eine spezifische Wirkung zu entfalten. Da es kein Lebensmittel sei, könne die Definition des § 2 Abs. 3 Arzneimittelgesetz (AMG) nicht herangezogen werden. In der öffentlichen Sitzung vom 19. Mai 2005 hat der Kläger angeben, wegen der hohen Kosten seit Januar 2005 Lorenzo`s Öl nicht mehr einzunehmen. Er hat drei Messergebnisse zur Bestimmung von überlangen Fettsäuren von Dr. H. (Georg- A.- Universität G. , Medizinische Fakultät, Zentrum Kinderheilkunde) vom 18. Oktober 2004, 19. Januar 2005 und 14. April 2005 vorgelegt. Danach sei der Normalwert der Fettsäure 22:0 im Bereich von 15 bis 113 nmol/mg anzusetzen. Im Zeitraum vom 4. Oktober 2004 bis 11. April 2005 habe sich der Fettsäurewert 22:0 von 29,8 nmol/mg auf 50,4 nmol/mg erhöht. Das Sozialgericht hat zur medizinischen Aufklärung des Sachverhaltes einen Befundbericht von Chefarzt K. vom 28. Juli 2005 eingeholt. Danach ist der Kläger vom 18. bis 23. April 2004 stationär behandelt worden. Chefarzt K. hat folgende Diagnosen mitgeteilt: • AMN. • Spastische Paraparese der Beine. • Sensible Ataxie (Muskelablauf und Koordinierungsstörung). • Neurogene Blasenstörung. • Rezidivierende Wundheilungsstörung nach Trümmerfraktur des linken Fußes (2000). Klinisch und neurophysiologisch sowie neuroradiologisch sei keine Verschlechterung der Erkrankung festzustellen. Die Behandlung mit Spezialölen habe der Kläger gut vertragen. Die Fettsäurewerte seien gut, so dass eine Reduktion der GTO/GTE-Dosis von 80 auf 70 ml zu empfehlen sei. Die Behandlung mit GTO/GTE habe zu einer guten Stabilisierung geführt und sei weiterhin zu empfehlen. Der Kläger hat einen weiteren Messbefund von Dr. H. vom 12. August 2005 und vom 25. November 2005 zur Gerichtsakte gereicht. Danach habe die Probe vom 8. August 2005 einen Fettsäurewert 22:0 von 53,1 nmol/mg und die Probe vom 10. Oktober 2005 einen Fettsäurewert 22:0 von 62,2 nmol/mg ergeben. Die Beklagte hat eine Stellungnahme von Dr. N. (Fachreferat Arzneimittel/Neue und unkonventionelle Heilmethoden des MDK Westfalen-Lippe) vom Mai 2005 vorgelegt. Dr. N. hat im Wesentlichen ausgeführt: Chefarzt K. sei darin zuzustimmen, dass bei der AMN nur eine unzureichende Studienlage bestehe, die keinen sicheren Nachweis auf die Wirksamkeit des Spezialöls zulasse. Es gebe in Deutschland kein Arzneimittel mit dem Namen Lorenzo`s Öl oder den Wirkstoffen GTO bzw. GTE. Aus der Gebrauchsinformation des Herstellers ergebe sich vielmehr eindeutig, dass es sich um ein diätetisches Lebensmittel (hier: Diätöl) zur besonderen Ernährung bei Adrenoleukodystrophie im Rahmen eines Diätplanes gemäß § 1 der Verordnung über diätetische Lebensmittel handele. Krankheitslindernde Eigenschaften derartiger Produkte seien nicht in der Lage, den Status als Lebensmittel und den daraus folgenden grundsätzlichen Ausschluss von der Verordnungsfähigkeit zu Lasten der GKV aufzuheben. Wegen der unzureichenden Studienergebnisse erfülle das Spezialöl nicht die Anforderungen an die erforderliche Qualität und Wirksamkeit. Das Sozialgericht hat den Leitenden Arzt und Ärztlichen Direktor sowie Facharzt für Neurologie Prof. Dr. R. von der Neurologischen Klinik H. O. mit einem Gutachten nach Aktenlage beauftragt. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 10. März 2006 darauf hingewiesen, dass sich beim Kläger als mögliche Nebenwirkung der Einnahme von Lorenzo`s Öl ein sehr niedriger Hämoglobinwert eingestellt habe. Bei AMN handele es sich um eine Erkrankung, die bei Männern ab der dritten Lebensdekade eine progressive Streifigkeit und Schwäche der Beine bewirke. Hinzu kämen Störungen der Sexualfunktion sowie der Schließmuskelkontrolle. Die Symptome seien über Jahrzehnte langsam progredient. Es werde vermutet, dass bei ca. 40 bis 45 % der Patienten mit AMN eine Hirnbeteiligung auftrete. Bei ca. 10 bis 20 % komme es zu einer ernsthaften progressiven Hirnbeteiligung mit schwerwiegenden kognitiven und Verhaltensaufälligkeiten, die bis zur schweren Behinderung und zum Tod führen könne. Das Verabreichen von Lorenzo`s Öl habe vielversprechende Hinweise auf eine positive Wirkung in der Behandlung von asymptomatischen Jungen mit Adrenoleukodystrophie ergeben. Nach kritischer Durchsicht der Literatur gebe es neben Lorenzo`s Öl keine anderen erfolgversprechenden Therapieansätze. Beim Kläger seien keine Anhaltspunkte für eine schwerwiegende Hirnbeteiligung erkennbar, was für einen eher unkomplizierten Verlauf der AMN spreche. Seine Lebenserwartung sei daher nicht wesentlich gemindert; ein eher langsam progredienter Verlauf sei zu erwarten. Nach den Veränderungen der Messwerte sei von einem Anstieg der Fettsäuren 22:0 und 24:0 auszugehen, es seien jedoch die Werte für Erucasäure und Nervonsäure abgefallen. Die Veränderungen seien nicht im Sinne einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes zu interpretieren. Gerade bei seltenen Erkrankungen wie der AMN seien kontrollierte Studien mit größeren Patientengruppen nicht möglich. Die langjährige Behandlung des Klägers mit Lorenzo`s Öl ohne schwerwiegende Progression und ohne entzündliche Gehirnaktivität sei als positiver klinischer Verlauf zu werten und spreche für eine Wirksamkeit dieser Behandlung. Zwar werde Lorenzo`s Öl als Nahrungsergänzungsmittel angeboten. Gleichwohl könne es im Hinblick auf schwerwiegenden Nebenwirkungen und sein Einsatzgebiet nicht den Lebensmitteln zugeordnet werden. Es erfülle nicht die Eigenschaft eines bloßen Nahrungsmittels. Der Hauptzweck von Lorenzo`s Öl sei vielmehr im kurativen und palliativen Nutzen zu sehen. Unter einer bilanzierten Diät seien dagegen diätetische Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke zu verstehen, die auf besondere Weise verarbeitet oder für eine diätetische Behandlung von Patienten bestimmt seien. Sie dienten nach der Diätverordnung der ausschließlichen oder teilweisen Ernährung von Patienten mit eingeschränkter, behinderter oder gestörter Fähigkeit zur Aufnahme, Verdauung, Resorption, Verstoffwechselung oder Ausscheidung gewöhnlicher Lebensmittel oder bestimmter darin enthaltener Nährstoffe. Bei der vom Kläger neben der Einnahme von Lorenzo´s Öl durchgeführten ernährungsmedizinischen Intervention einer Ernährung mit Lebensmitteln, die arm an überlangkettigen Fettsäuren sind, handele es sich eher als bei Lorenzo´s Öl um eine bilanzierte Diät. Bei Lorenzo´s Öl, das von der Firma SHS in H. vertrieben werde, handele es sich um eine fertige Mischung von Trioleat (GTO) und Glyceroltrierucat (GTE) in einem Mischungsverhältnis von vier zu eins. In der medizinischen Praxis habe sich die Gabe von Lorenzo`s Öl in Kombination mit einer Diät zur Reduktion überlanger Fettsäuren als Therapie durchgesetzt. Der Sachverständige hat ferner ausgeführt, das Spezialöl im Fall einer Erkrankung an AMN selbst einnehmen zu wollen. Das Sozialgericht hat den auf Kostenübernahme für seine Behandlung mit den ärztlichen Spezialölen ab dem 1. Juni 2006 gerichteten Antrag des Klägers mit Urteil vom 22. Mai 2006 abgewiesen und dazu im Wesentlichen ausgeführt: Die Spezialölmischung sei als Fertigarzneimittel anzusehen. Damit scheide ein Kostenerstattungsanspruch des Klägers aus, da es bereits an der erforderlichen Zulassung des Spezialöls fehle. Auch unter Beachtung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2005 (Az.: 1 BvR 347/98) bestehe aus verfassungsrechtlicher Sicht kein entsprechender Anspruch. Der Kläger leide nicht an einer lebensbedrohenden oder regelmäßig tödlich verlaufenden Krankheit. Gegen das ihm am 19. Juni 2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 27. Juni 2006 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt und vorgetragen: Seit Anfang 2005 habe sich sein Zustand deutlich verschlechtert, da er nicht mehr selbstständig laufen könne. Dies stehe mit der Nichteinnahme von Lorenzo`s Öl in Zusammenhang. Die Vorinstanz habe das Gutachten von Prof. Dr. R. fehlerhaft gewertet, da es auch nach Auffassung des Sachverständigen zu dieser Therapie keine Alternative gebe. Der Kläger hat u.a. eine Stellungnahme des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) vom 26. Januar 2006 und eine Stellungnahme des Gemeinsamen Bundesausschlusses vom 27. April 2006 jeweils an das Sozialgericht Dortmund im Verfahren S 40 KR 195/05 zur Akte gereicht. Das BfArM vertritt unter Hinweis auf seine fehlende Zuständigkeit die Auffassung, dass das Präparat Lorenzo`s Öl den Tatbestand des § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG erfülle. Ein arzneimittelrechtliches Zulassungsverfahren laufe nicht; es sei auch kein Zulassungsantrag anhängig. Nach Auffassung des Gemeinsamen Bundesausschlusses handele es sich bei "GTO/GTE Spezialölen" um ein diätetisches Lebensmittel. Es sei unter den Begriff der ergänzenden bilanzierten Diäten im Sinne der Diätverordnung zu fassen. Bei der AMN handele es sich um eine genetisch bedingte Störung des Fettsäurestoffwechsels, so dass der Ausnahmetatbestand der 15.2.5 der AMLR erfüllt und eine Verordnungsfähigkeit grundsätzlich gegeben sei.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 22. Mai 2006 sowie den Bescheid vom 3. März 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. August 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Lorenzo`s Öl nach ärztlicher Verordnung als Sachleistung zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Das Urteil des Landessozialgerichts Thüringen vom 27. September 2004 (Az.: L 6 KR 883/02), wonach es sich bei dem Spezialöl um ein zulassungspflichtiges Fertigarzneimittel handele, sei überzeugend. Dies habe das Bundessozialgericht (BSG) durch den Beschluss vom 4. Juli 2005 (Az.: B 1 KR 101/04 B) gegen die Nichtzulassungsbeschwerde auch bekräftigt.
Der Senat hat einen Befundbericht von Chefarzt K. vom 15. August 2006 über eine stationäre Behandlung vom 31. Juli 2006 bis 4. August 2006 und eine ergänzende Stellungnahme vom 28. November 2006 eingeholt. Hiernach bestünden beim Kläger sichere Hinweise auf eine deutliche Verschlechterung wegen einer massiven Paraspastik der Beine. Der nachweisliche Anstieg der VLCFA-Werte gehe mit einer signifikanten Verschlechterung der Symptomatik einher, so dass die Wiederaufnahme der Behandlung mit Lorenzo`s Öl zu empfehlen sei. Beim Kläger liege klinisch eine AMN-Variante vor. Aufgrund der Ergebnisse bei etwa 50 ähnlich gelagerten Fällen sei der gute Verlauf auf die jahrelang gewissenhaft durchgeführte Therapie mit Lorenzo` s Öl zurückzuführen. Durch das Absetzen der Therapie habe sich die Gefahr einer zerebralen Konversion erhöht. Aktuell leide der Kläger an einer spastischen Querschnittslähmung mit Lähmungserscheinungen in den Beinen. Im weiteren Verlauf seien Lähmungen in den Armen, später der Hirnnerven mit entsprechenden Störungen, wie Sprachstörungen, Schluckbeschwerden sowie zunehmende Taubheit und Blindheit zu erwarten. Bei ca. 20 bis 30 % aller Patienten sei mit einer krankheitsbedingten Demenz zu rechnen.
Der Senat hat unter www.bvlev.de/thml/body arztberichte.htlm einen Aufsatz von Chefarzt K. beigezogen. Dort wird u. a. ausgeführt, dass für die X-ALD von einer Häufigkeit von 1 zu 15.000 Lebendgeburten ausgegangen werden könne. Ferner hat der Senat das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 25. Januar 2007 (Az.: L 8 KR 18/05) den Beteiligten übersandt und Prof. Dr. R. eine Gutachterliche Stellungnahme vom 26. April 2007 verfassen lassen. Nach dessen Erkenntnissen seien nach der Studie von van Geel (1999) bei der Behandlung mit Lorenzo`s Öl Blutbildveränderungen (Anämie, Leukopenie, Thrombozytopenie) beobachtet worden. Daneben seien Transaminaseanstiege und Nierenfunktionsstörungen berichtet worden. Der Einsatz des Spezialöls sei daher wie bei jeder anderen ärztlich indizierten Therapie unter Abwägung von Risiko und Nutzen zu bewerten. Unter Vorlage des Wortlauts von 15.2.5. ARML vertritt der Sachverständige nunmehr die Auffassung, dass das Spezialöl auch als diätetisches Lebensmittel angesehen werden könne.
In der öffentlichen Sitzung vom 20. Juni 2007 hat die Beklagte eine Stellungnahme des Sozialmedizinischen Dienstes von der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dipl.-Med. K. und dem Leitenden Medizindirektor A. vom 18. Juni 2007 zur Akte gereicht. Hiernach sei beim Kläger in den Jahren 1990/1991 die Erstdiagnose einer AMN gestellt worden. Er sei bis Januar 2005 mit Lorenzo`s Öl behandelt worden. Im Vergleich der Nervenleitungsmessungen der Untersuchungen von 2001 und 2004 sei es auch unter der Gabe von Lorenzo`s Öl zu einer Verschlechterung gekommen. Dieser Befund sei auch nach der Untersuchung von 2006 noch unverändert, so dass nicht nachvollziehbar sei, warum sich nunmehr die Gehleistung verschlechtert haben solle. Im Befundbericht von 2006 seien bis auf magnetisch evozierte Potentiale und einer Erhöhung der überlangkettigen Fettsäuren mit dem pathologischen Wert der C 26:0 keine Veränderungen zur Untersuchung von 2004 festzustellen. Damit sei es sowohl unter der Einnahme von Lorenzo`s Öl als auch nach seiner Absetzung zu einem Fortschreiten der Erkrankung gekommen. Ein Therapieeffekt des Spezialöls sei daher nicht belegt.
Der Kläger hat hierzu erklärt, sein Zustand habe sich seit der letzten Einnahme von Lorenzo`s Öl spürbar verschlechtert. Er könne sich das Spezialöl wegen der anfallenden Kosten nicht leisten und habe es Ende des Jahres 2004 letztmals eingenommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen. Die Akten haben bei der mündlichen Verhandlung und der anschließenden Beratung vorgelegen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig und begründet. Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage wegen fehlender Unterschrift bestehen nicht. Bei der Klageerhebung ist eine Unterschrift nicht zwingend erforderlich, solange sich aus dem Schriftstück ergibt, wer Klage erhoben hat und solange keine Anhaltspunkte dafür sprechen, dass die Klage ohne den Willen des Klägers in den Verkehr gelangt ist (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8.Auflage 2005, § 90 Rdn. 5a m.w.N.). Der Kläger hat einen Sachleistungsanspruch auf Versorgung mit Lorenzo`s Öl gegen die Beklagte ab dem 20. Juni 2007 gemäß § 27 Abs. 1 Nr. 3 in Verbindung mit § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V). Nach § 27 Abs. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn diese notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst nach § 27 Abs. 1 Nr. 3 SGB V die Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln. Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit Arzneimittel nicht nach § 34 SGB V oder durch Richtlinien nach § 92 Abs.1 Satz 2 Nr. 6 SGB V ausgeschlossen sind.
Eine vertragsärztliche Verordnung für die Versorgung mit Lorenzo`s Öl liegt vor. Lorenzo`s Öl ist auch als Arzneimittel im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V anzusehen. Zu den Arzneimitteln gehören Substanzen, deren bestimmungsgemäße Wirkung darin liegt, Krankheitszustände zu heilen oder zu bessern. Sie dienen nicht dem allgemeinen Lebensbedarf, sondern finden ihre eigentliche Zweckbestimmung in der jeweiligen Einwirkung auf eine Krankheit (Höfler in Kassler Kommentar, Stand November 2006, § 31 SGB V Rdn. 6). Zwar sind die Begriffe des Arzneimittels in § 31 SGB V und im AMG nicht völlig deckungsgleich. Dennoch sind die Begriffsbestimmungen des AMG im Krankenversicherungsrecht unter Berücksichtigung der Besonderheiten zumindest verwertbar (Höfler, a. a. O., Rdn. 9). Gemäß § 2 Abs. 1 AMG sind Arzneimittel Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die dazu bestimmt sind, durch Anwendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper (1.) Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden zu heilen, zu lindern, zu verhüten oder zu erkennen.
Lorenzo`s Öl ist eine Mischung von Glycerol-Trioleat (GTO) und Glycerol-Trieruct (GTE) im Mischverhältnis 1:4 und daher als Substanz bzw. Stoff im Sinne des Arzneimittelbegriffs nach § 31 Abs. 1 SGB V bzw. § 2 Abs. 1 Ziffer 1. AMG anzusehen. Es wird auch zielgerichtet therapeutisch eingesetzt, um die durch die AMN verursachte Konzentrationssteigerung von langkettigen Fettsäuren im Blutplasma und im Gehirn sowie in der Nebennierenrinde zu verringern. Auf diese therapeutisch beabsichtigte Wirkung von Lorenzo`s Öl hat Prof. Dr. R. überzeugend hingewiesen. Dieser Bewertung stimmt auch K. in seinem Gutachten von Februar 2005 zu, in dem er Lorenzo`s Öl begrifflich als ein therapeutisches Spezialöl bezeichnet. Für die Einordnung dieses Spezialöls als Arzneimittel sprechen auch die von Prof. Dr. R. und K. beschriebenen Nebenwirkungen auf das Blutbild der behandelten Patienten. Allein die strengen Regelungen des Arzneimittelrechts bieten wegen dieser Nebenwirkungsrisiken hinreichend Gewähr dafür, beim Einsatz von Lorenzo`s Öl eine intensive ärztliche Kontrolle sicherzustellen. Entgegen der Auffassung des Hessischen Landessozialgerichts vom 25.01.2007 - L 8 KR 18/05 kann Lorenzo`s Öl in der vorzunehmenden Abgrenzung zum Arznei-mittelbegriff nicht als diätetisches Lebensmittel angesehen werden. Der 8. Senat des Hessischen Landessozialgerichts geht in seinem Urteil davon aus, dass das Spezialöl einen wesentlichen Bestandteil der täglichen Ernährung im Rahmen eines Diätplans darstellt und mit der krankheitsbezogenen Diät in einem untrennbaren Zusammenhang steht. Zur Begründung verweist er auf das auch im vorliegenden Verfahren vorgelegte Gutachten von K. von Februar 2005. In diesem Gutachten lehnt es Köhler auf Seite 69 ab, Lorenzo`s Öl als diätetisches Lebensmittel anzusehen. Wegen der hohen Nebenwirkungsrisiken hält es der Wissenschaftler sogar für "vollkommen abwegig", dieses Öl als Lebensmittel zum bloßen Fettersatz zu verwenden. Die Patienten würden in seiner Klinik über das Gefährdungspotential gerade in Bezug auf den Gebrauch durch Dritte ausdrücklich aufgeklärt. Die Verordnung erfolgt daher nicht im Rahmen eines einfachen Diätplanes, sondern im Wesentlichen medizinisch-therapeutisch. Deshalb ist es auch folgerichtig, wenn Köhler den Einsatz von Lorenzo `s Öl als "medikamentenähnlich" bezeichnet. Die Einnahme des Spezialöls dient damit einem eigenständigen therapeutischen Ziel und nicht der bloßen Ernährung des Patienten. Der Rechtsansicht des 8. Senats des Hessischen Landessozialgerichts ist daher nicht zu folgen.
Lorenzo`s Öl kann auch nicht gleichzeitig als Arzneimittel und als diätetisches Lebensmittel bewertet werden. Nach der gesetzlich vorgegebenen Abgrenzung von Arzneimitteln und Lebensmitteln gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 1 AMG ist es ausgeschlossen, bei einem Erzeugnis nebeneinander arzneimittel- und lebensmittelrechtliche Vorschriften anzuwenden. Dies würde auch dem besonderen Schutzzweck des AMG zuwiderlaufen, nämlich dem Interesse der Bevölkerung an einer ordnungsgemäßen Versorgung zu dienen und deshalb die Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit eines Arzneimittels sicherzustellen (vgl. § 1 AMG). Auf die Änderungen der Arzneimittelrichtlinien (AMRL) durch Bekanntmachung vom 25. August 2005 (BAnz. Nr. 165 vom 1. September 2005 S. 13241) kommt es daher nicht an. Die davon abweichenden Beurteilungen von Dr. N. und des Gemeinsamen Bundesausschusses (Im Folgenden: Bundesausschluss) im Schreiben vom 27. April 2006, die übereinstimmend Lorenzo`s Öl als diätetisches Lebensmittel einordnen, stehen im Widerspruch zu der gesetzlich eindeutigen Begriffsbestimmung eines Arzneimittels und sind daher ebenfalls abzulehnen. Lorenzo`s Öl wird jeweils in Abhängigkeit von Gewicht und den anschließenden Blutwerten des Patienten verordnet und dosiert. Das Spezialöl wird vom Patienten direkt bei der Firma SHS bestellt und von ihr an ihn abgegeben. Es handelt sich damit um ein Fertigarzneimittel, das im Voraus hergestellt und in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Packung in den Verkehr gebracht wird (§ 4 Abs. 1 AMG). Lorenzo`s Öl erfüllt damit die Voraussetzungen eines Arzneimittels nach § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V in Verbindung mit § 2 Abs. 1 AMG.
Bei der Prüfung des Anspruchs des Versicherten auf Versorgung mit Arzneimitteln sind darüber hinaus die einschränkenden Voraussetzungen der §§ 2 Abs. 1 Satz 3, 12 Abs. 1 SGB V zu beachten. Hiernach unterliegt jede Arzneimitteltherapie dem Gebot der Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit. Das Arzneimittel muss in seiner Qualität und Wirksamkeit jeweils dem anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG dürfen nicht in der Bundesrepublik Deutschland zugelassene Arzneimittel nicht zu Lasten der GKV verordnet werden. Gemäß §§ 2 Abs. 1, 12 Abs. 1 SGB V kann erst nach erfolgreichem Durchlaufen eines arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens von einem zweckmäßigen und wirtschaftlichen Arzneimittel im Sinne des SGB V ausgegangen werden (Höfler in Kassler Kommentar zu § 31 Rdn. 12 b). Diese Rechtslage stimmt mit den Regelungen des Arzneimittelrechts überein. Danach bedürfen Arzneimittel gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 AMG der arzneimittelrechtlichen Zulassung. Gemäß § 73 AMG darf ein in Deutschland nicht zugelassenes Arzneimittel, auch wenn es in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union zugelassen ist, nicht in Umlauf gebracht werden, wenn es weder das zentrale noch das dezentrale europarechtliche Anerkennungsverfahren durchlaufen hat (vgl. BSG, Beschluss vom 4. 07.2005 - B 1 KR 101/04 B zitiert nach Juris).
Nach der Auskunft des BfArM vom 26. Januar 2006 verfügen weder das Präparat Lorenzo s Öl noch andere Präparate mit der geläufigen Kombination der Bestandteile GTO/GTE über eine Zulassung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte oder eine Genehmigung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften oder eine Genehmigung für das Inverkehrbringen gemäß Art. 3 Abs. 1 oder 2 der Verordnung (EWG) Nr. 2309/93. Auch die Voraussetzungen für eine Ausnahme von der Zulassungspflicht nach § 21 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2 AMG liegen nicht vor. Das Spezialöl wird weder in einer Apotheke hergestellt noch ist es im Sinne des § 21 Abs. 2 Nr. 2 AMG zur klinischen Prüfung bei Menschen bestimmt. Auch die vom BSG eingeführten Grundsätze des sog. "Off-Label-Use" für bereits zugelassene Arzneimittel, die in einem von der Zulassung abweichenden Anwendungsbereich eingesetzt werden sollen, finden im vorliegenden Fall keine Anwendung, da Lorenzo`s Öl nicht als Arzneimittel zugelassen ist.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat die Rechtssprechung des BSG, nicht in der Bundesrepublik Deutschland zugelassene Arzneimittel generell aus dem Leistungskatalog der GKV auszuschließen, im Wege einer verfassungskonformen Auslegung der Leistungsvorschriften korrigiert und Ausnahmefälle zugelassen. Nach dem Beschluss des BVerfG vom 6. Dezember 2005 (1 BvR 347/98 - BVerfGE 115, 25 ff) ist das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit betroffen, wenn der Gesetzgeber Personen einer Pflichtversicherung unterwirft und sie gleichzeitig im Rahmen dieser Zwangsgemeinschaft nicht unerheblich einengt, ohne dass der Versicherte unmittelbaren Einfluss auf die Gestaltung der Rechte und Pflichten des Versicherungsverhältnisses nehmen kann (BVerfGE 115, S. 25, 42 f). Das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) schützt den Versicherten daher vor einer Unverhältnismäßigkeit von Beitrag und Leistung. Zwar ergibt sich daraus noch kein verfassungsrechtlicher Anspruch auf bestimmte Leistungen der Krankenbehandlung. Vielmehr können Leistungseinschränkungen nur darauf hin geprüft werden, ob sie noch mit Art. 2 Abs. 1 GG in Einklang stehen. In diesem Zusammenhang kommt auch dem Sozialstaatsprinzip eine wesentliche Bedeutung zu, da es Aufgabe des Staates ist, dem Einzelnen in Fällen von Krankheit beizustehen. Daher hat sich die Gestaltung des Leistungsrechts der GKV an der objektiv-rechtlichen Pflicht des Staates zu orientieren, sich schützend und fördernd vor die Rechtsgüter des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zu stellen (BVerfGE 115, S. 25, 44 f). Insbesondere in Fällen einer lebensbedrohlichen und regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung bedarf es daher des staatlichen Schutzes des Lebens als Höchstwert der grundgesetzlichen Ordnung.
Das BSG hat diese Vorgaben des BVerfG wiederum einschränkend interpretiert und die verfassungskonforme Auslegung der Leistungspflicht der GKV bei nicht zugelassenen Arzneimitteln ausschließlich auf notstandsähnliche Fälle beschränkt, in denen eine gegenwärtige lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende (vgl. BSG SozR 4-2500 § 31 Nr. 4 RdNr. 21 und 30 mwN - Tomudex) oder eine zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung vorliegt (vgl. BSG SozR 4-2500 § 27 Nr. 7 RdNr. 31 - D-Ribose). Nach der Rechtsprechung des 1. Senats des BSG ist mit dem Kriterium einer Krankheit, die zumindest mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung in der Bewertung vergleichbar ist, sogar eine strengere Voraussetzung umschrieben, als sie etwa mit dem Erfordernis einer "schwerwiegenden" Erkrankung (vgl. dazu BSGE 89, 184 ff.) für die Eröffnung der Fälle des "Off-Label-Use" bei generell bereits zugelassenen Arzneimitteln festgelegt ist. Schließlich knüpfen sich hieran deutlich weitergehende Rechtsfolgen an. Ohne diese einschränkende Auslegung der Rechtsprechung des BVerfG ließen sich fast beliebig die vom Gesetzgeber bewusst gezogenen Grenzen überschreiten. Die vom BVerfG herangezogenen Kriterien würden ohne diese Einschränkung weitgehend sinnentleert werden, weil nahezu jede schwere Krankheit ohne therapeutische Einwirkung irgendwann auch einmal lebensbedrohende Konsequenzen nach sich ziehen kann. Dies kann aber ersichtlich nicht ausreichen, um sich über die gesetzlichen Leistungsrechte des SGB V durch eine sehr weitgehende verfassungskonforme Auslegung hinwegzusetzen (vgl. BSG, Urteil vom 26. September 2006 - B 1 KR 3/06 R). Nach Auffassung des 1. Senats des BSG scheiden nicht in Deutschland zugelassene Arzneimittel nach § 73 AMG aus dem Leistungskatalog des SGB V aus, wenn sich hieraus für den Versicherten keine Gefahr eines tödlichen Krankheitsverlaufs schon in näherer Zukunft, sondern erst in ganz ferner, noch nicht genau absehbarer Zeit zu konkretisieren droht (vgl. BSG Urteil vom 14. Dezember 2006 - B 1 KR 12/06 R). Das Erfordernis einer verfassungskonformen Auslegung der Leistungsvorschriften des SGB V kann daher erst bei notstandsähnlichen Situationen vorliegen, die auch in zeitlicher Hinsicht akute und existenzielle Gefährdungen des Versicherten begründen können. Dies gilt auch für vergleichbare Fälle eines nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion (vgl. BSG, Urteil vom 27. März 2007 - B 1 KR 30/06 R; Urteil vom 14. Dezember 2006 - B 1 KR 12/06 R).
Nach dieser einschränkenden verfassungsrechtlichen Interpretation der Recht-sprechung des BVerfG durch das BSG wäre ein Leistungsanspruch des Klägers ausgeschlossen. So hat der Sachverständige Prof. Dr. R. in seinem Gutachten vom 10. März 2003 ausgeführt, die Lebenserwartung des Klägers sei nicht wesentlich gemindert und eher eine langsam zunehmende Verschlechterung des Gesundheits-zustandes über Jahrzehnte zu erwarten. Von der schwerwiegenden Verlaufsform dieser Erkrankung mit schwerwiegender Hirnbeteiligung kann nach seiner Stellungnahme vom 26. April 2007 unter Berücksichtigung der neueren Befunde nicht ausgegangen werden. Hinweise auf einen akut entzündlichen Prozess im Gehirn des Klägers liegen nicht vor. Gegen einen akut lebensbedrohlichen Krankheitsverlauf sprechen auch die Befundberichte von K. vom 15. August 2006 und vom 28. November 2006. Zwar lässt sich hieraus die Zunahme der Auswirkungen der spastischen Querschnittslähmung beim Kläger ableiten. Hinweise auf eine gegenwärtige Gefährdung des Lebens oder lebenswichtiger Organe des Klägers sind jedoch nicht erkennbar. In diesem Sinne argumentieren in vergleichbaren Fällen auch das LSG Thüringen (Urteil vom 27. September 2004 - L 6 KR 883/02), das Landessozialgericht Baden-Württemberg (Urteil vom 8. August 2006 - L 11 KR 1438/06) und das SG Dresden (Urteil vom 8. März 2007 - S 18 KR 637/04) jeweils zitiert nach Juris. Sie haben übereinstimmend unter Verweis auf die Rechtsprechung des BSG einen notstandsähnlichen Fall abgelehnt.
Der Senat hält die Rechtsansicht des BSG, Leistungsansprüche bei Fallgestaltungen der vorliegenden Art ausschließlich auf akut lebensbedrohliche Erkrankungen zu beschränken für nicht ausreichend, um den Vorgaben des BVerfG im Beschluss vom 6. Dezember 2005 gerecht zu werden. Das BVerfG hat dort ausdrücklich ausgeführt, dass sich das Erfordernis einer verfassungskonformen Auslegung "insbesondere" für Fälle einer Behandlung einer lebensbedrohlichen und regelmäßig tödlichen Erkrankung ergeben kann. Im Umkehrschluss eröffnet das BVerfG damit auch eine entsprechende verfassungskonforme Auslegung zu Gunsten von Pflichtversicherten für zumindest annähernd vergleichbare Fallkonstellationen, die einem notstandsähnlichen Fall zumindest nahe kommen.
Es erscheint aus verfassungsrechtlicher Sicht geboten, die Rechtsprechung des BVerfG im Beschluss vom 6. Dezember 2005 (a. a. O) erweiternd auf andere notstandsähnliche Fallkonstellationen auszudehnen, in denen zwar kein akut existenzbedrohliches Krankheitsbild vorliegt, jedoch aus anderen Gründen eine zumindest vergleichbare, "notstandsähnliche" Lage des Versicherten zu bejahen ist. Unter Beachtung grundrechtlich geschützter Rechtspositionen und des darauf beruhenden besonderen Schutzauftrages des Staates in einer staatlich organisierten Zwangsgemeinschaft kann es unabhängig von einer akuten lebensbedrohlichen Gefährdungslage eines Pflichtversicherten ausnahmsweise einen Leistungsanspruch auch für nicht zugelassene Arzneimittel geben. Ein Anspruch kann bestehen, wenn zwar nicht das Leben oder lebenswichtige Organe des Versicherten gegenwärtig bedroht sind, aber im Einzelfall besondere Umstände hinzutreten, die es im Wege einer verfassungskonformen Auslegung ausnahmsweise erfordern, auf das obligatorische arzneimittelrechtliche Zulassungsverfahren zu verzichten. Dies kann anzunehmen sein, wenn nur auf diese Weise eine nicht hinnehmbare Versorgungslücke zu Lasten des Versicherten geschlossen werden kann. Ein derartiger "notstandsähnlicher" Fall liegt hier vor. Lorenzo`s Öl ist – trotz eines fehlenden arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens – ausnahmsweise als Sachleistungsanspruch zu Lasten der Beklagten anzuerkennen.
Für die Annahme eines "notstandsähnlichen" Falles auf der Grundlage der Rechtsprechung des BVerfG bestehen folgende Voraussetzungen: Der Versicherte muss von einer seltenen, chronischen und sich stetig verschlechternden Erkrankung betroffen sein, die zukünftig mit Sicherheit schwerwiegende Ausfälle in der Beweglichkeit und den Nervenleistungen der Sinnesorgane erwarten lässt (a). Es darf mit Ausnahme des nicht zugelassenen Arzneimittels keine andere Behandlungsalternative geben (b). Das nicht zugelassene Arzneimittel entspricht den Grundsätzen der Qualität und der Wirtschaftlichkeit im Sinne von §§ 2 Abs. 1, 12 Abs. 1 SGB V. (c).
(a) Nach Auffassung des Senats kommt der Seltenheit der Erkrankung des Klägers im Rahmen der vorzunehmenden verfassungskonformen Auslegung eine ganz erhebliche Bedeutung zu. Der Kläger leidet an einem angeborenen seltenen Defekt im Fettstoffwechselbereich mit langsamer stetiger Verschlechterung und gravierenden Spätfolgen in Form von neurologischen Ausfallserscheinungen. Nach den Bewertungen von K. ist bei der X-ALD von einer Häufigkeit von ca. 1: 20.000/15.000 Lebendgeburten auszugehen. Für die AMN, einer Untergruppe dieser Erkrankung, liegt die Häufigkeit noch deutlich darunter. Dies führt bei den Betroffenen zu der ungünstigen Situation, dass statistisch aussagefähige Studien nicht durchgeführt werden können. Sowohl Köhler als auch Prof. Dr. R. haben daher nur auf Einzelstudien verweisen, aber eine generelle Aussage zur Therapiewirksamkeit von Lorenzo` Öl nicht treffen können. Allein bei Jungen mit der vorliegenden Erkrankung ist nach Prof. Dr. R. von einer nachgewiesenen Behandlungswirkung auszugehen. Damit führt eine so seltene Erkrankung für den Betroffenen zwangsläufig zu einer ungünstigen Datenlage, die die Durchführung eines arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens erheblich erschwert oder nahezu ausschließt. Wegen der geringen Fallzahlen dürfte auch das wirtschaftliche Interesse der jeweiligen Herstellerfirmen gering sein, kostenintensive Forschungsprojekte zur Therapiewirksamkeit in Auftrag zu geben.
Selbst das BSG hat die Seltenheit von Erkrankungen für gesetzlich Versicherte für so entscheidend angesehen – worauf auch das BVerfG hingewiesen hat (BVerfGE 115, S.25, 50 f.) –, dass es einen spezifischen Ausnahmefall vom strengen arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahren eingeräumt und einen Leistungsanspruch eines Versicherten nicht bereits wegen einer fehlenden Empfehlung des Bundesausschusses versagt hat (vgl. BSGE 93, 236, 244 ff, sog. Seltenheitsfall in einem Off-Label-Use-Fall). Damit hat das BSG auch seinerseits (konkludent) eine verfassungskonforme Auslegung für derartige Seltenheitsfälle vorgenommen und eine Fallkonstellation anerkannt, die einer notstandsähnlichen Situation im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG nahe kommt.
(b) Neben der Seltenheit der Erkrankung spricht auch die derzeit perspektivlose Behandlungssituation des Klägers dafür, eine Ausnahmeregelung für Lorenzo`s Öl zuzulassen und das Spezialöl als Sachleistung bei einer Erkrankung von AMN auch ohne arzneimittelrechtliches Zulassungsverfahren zu bewilligen.
Die Erkrankung der AMN des Klägers ist unheilbar und kann medizinisch nur im Sinne einer Linderung der Symptome, nicht jedoch hinsichtlich der Krankheitsursache behandelt werden. Unbehandelt führt diese Erkrankung zu schweren geistigen oder körperlichen Beeinträchtigungen in Gestalt von spastischen Lähmungen der Beine, peripherer Neuropathie und Nebennierenrindeninsuffizienz. Nach der überzeugend begründeten Auffassung des Sachverständigen Prof. Dr. R. , der sich der Senat anschließt, hat sich die Behandlung mit Lorenzo`s Öl in Fällen der AMN in der Praxis allgemein durchgesetzt. Zu dem Mittel gibt es auch keine Alternative, was auch von der Beklagten festgestellt wurde. Nach dem ausführlichen Gutachten von K. vom Februar 2005 und seinen weiteren Befundberichten und Stellungnahmen ist mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Einsatz von Lorenzo`s Öl die Auswirkungen der AMN reduzieren oder doch zumindest zeitlich verzögern kann. K. ist auch mit Blick auf die Anzahl der von ihm behandelten Patienten als ausreichend fachkundig bei der Einschätzung der Behandlungsmöglichkeiten dieser seltenen Erkrankung anzusehen und besitzt unter Fachkollegen ein hohes Ansehen wegen seiner wissenschaftlichen Qualitäten. Nach seiner Auffassung kann unter Berücksichtigung seiner praktischen Erfahrungswerte bei der Behandlung mit Lorenzo`s Öl von einem guten Wirkungsgrad ohne wesentliche Nebenwirkungen ausgegangen werden. Dies zeigt auch der Krankheitsverlauf des Klägers. Nach Auffassung von K. vermochte allein die Gabe von Lorenzo`s Öl den Gesundheitszustand des Klägers zu stabilisieren. Demgegenüber hat sich der Zustand des Klägers nach dem Absetzen der Fertigöltherapie im Januar 2005 im Hinblick auf das Auftreten der spastischen Lähmungen offenbar verschlechtert. Auch der Sachverständige Prof. Dr. R. spricht sich uneingeschränkt für den Einsatz von Lorenzo`s Öl bei AMN als einzig mögliche und hinreichend wirksame Therapieform aus. Zwar hält auch er den Nutzbarkeitsnachweis des Spezialöls bei dieser Erkrankung für wissenschaftlich nicht erwiesen. Gleichwohl geht er – wie auch K. – mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit von einem therapeutischen Nutzen der Gabe von Lorenzo`s Öl bei der Behandlung einer AMN aus. Dies muss gerade auch vor dem Hintergrund der Besonderheiten eines sog. Seltenheitsfalls genügen, da eine fundierte wissenschaftliche Erforschung der Therapiewirksamkeit gerade nicht erwartet werden kann.
Die gegenteilige Stellungnahme des sozialmedizinischen Dienstes vom 18. Juni 2007 vermag diese Wahrscheinlichkeitsvermutung der Therapiewirksamkeit von Lorenzo`s Öl gegen die Auswirkungen einer AMN nicht erschüttern. Sie beschränkt sich im Wesentlichen auf die Vermutung, dass es auch unter Gabe von Lorenzo`s Öl zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Klägers gekommen sei. Hierbei darf jedoch nicht übersehen werden, dass die Gabe des Spezialöls den sich weiter fortschreitenden Krankheitsverlauf der AMN nicht sicher aufhalten, sondern allenfalls verzögernde Wirkungen entfalten kann. Wie die Auswirkungen der AMN des Klägers ohne Einsatz des Spezialöls gewesen wären, bleibt eine bloße Vermutung ohne jede Tatsachengrundlage. Nach derzeitigem Erkenntnisstand sprechen jedoch die überwiegenden Gründe für eine hinreichende Therapiewirksamkeit von Lorenzo`s Öl, wobei nicht übersehen werden darf, dass die Beklagte dem Kläger keine andere erfolgswahrscheinlichere Ersatztherapie aus dem Katalog der GKV anzubieten vermag.
Ein Leistungsausschluss würde für den weitgehend mittellosen Kläger mit hoher Wahrscheinlichkeit eine weitere spürbare allmähliche Verschlechterung seines Gesundheitszustandes bedeuten, indem er den weiteren Verlauf der fortschreitenden Erkrankung einfach abwarten und sich mit den verschlimmernden Nervenstörungen der Beine, der Arme und ggf. in den Sinnesorganen abfinden müsste. Dies begründet gerade vor dem Hintergrund eines Seltenheitsfalls und der Alternativlosigkeit einer anderen Behandlung eine schwerwiegende Versorgungslücke, die vor dem Hintergrund einer Pflichtversicherung und des Schutzauftrages des Staates grundrechtlich nicht hingenommen werden kann.
(c) Die Beweggründe des BSG, sich für ein strenges Zulassungsverfahren von Arzneimitteln im Bereich der GKV auszusprechen, treffen auf Lorenzo´s Öl nicht zu. Gerade unter Beachtung der Qualitätsanforderungen an Arzneimittel und des Wirtschaftlichkeitsgebots unterliegt ein Leistungsanspruch auf Lorenzo`s`Öl bei der AMN im Bereich der GKV keinen grundlegenden Bedenken.
Die Rechtsprechung des BSG, nur arzneimittelrechtlich zugelassene Medikamente in den Leistungskatalog der GKV aufzunehmen, erklärt sich vor dem Hintergrund zweier zentraler Argumente, denen auch der Senat uneingeschränkt zustimmt: Es sollen nur Arzneimittel verschrieben werden, die in einem umfassenden Prüfungsverfahren ihre Wirksamkeit, Zweckmäßigkeit und Qualität hinreichend unter Beweis gestellt haben. Die Behandlung ohne jede Qualitätskontrolle steht unter dem unkalkulierbaren Risiko etwaiger Gesundheitsschäden, die nicht der Versichertengemeinschaft aufgebürdet werden dürfen (BSG, Urteil vom 18. Mai 2004 - B 1 KR 21/02). Schließlich ist der Einsatz eines nicht zugelassenen Arzneimittels unter Strafe gestellt (vgl. §§ 95, 96 AMG), so dass ein verbotswidriges Handeln grundsätzlich keine Leistungspflicht der Krankenkasse begründen kann. Der Einsatz von Lorenzo`s Öl begründet für den Kläger keine unkalkulierbaren Gesundheitsrisiken und genügt qualitativen Grundvoraussetzungen. Die Gabe dieses nach K. "therapeutischen Spezialöls", das nach den rechtlichen Bestimmungen zwar als Arzneimittel angesehen werden muss, jedoch unverkennbar auch deutliche Bezüge zum Lebensmittelbereich aufweist, ist langjährig erprobt und unterliegt keinen qualitativen Mängeln. Die (möglichen) Nebenwirkungen von Lorenzo`Öl erlauben zwar keine unkontrollierte Abgabe an Dritte, sind jedoch in einer Abwägung von Nutzen und Risiken als beherrschbar anzusehen. Die auftretenden Blutbildveränderungen (Anämie, Leukopenie, Thrombozytopenie) und Transaminaseanstiege sowie Nieren-funktionsstörungen sind gerade wegen der Alternativlosigkeit der Behandlung bei AMN und den schwerwiegenden Folgen der Erkrankung im weiteren Verlauf hinzunehmen und zudem bei ärztlicher Kontrolle als sicher beherrschbar anzusehen.
Die Bewilligung dieses Spezialöls ist auch unter Beachtung des Wirtschaftlichkeits-gebots vertretbar. Diesem Gebot kommt aus verfassungsrechtlicher Sicht eine erhebliche Bedeutung zu, da der Kostenaspekt in den gesetzgeberischen Entscheidungen zum SGB V eine zunehmende Beachtung gefunden hat (BVerfG 103, 172, 184). Die unkontrollierte Zulassung von ungeprüften und ggf. sogar unwirtschaftlichen ärztlichen Verordnungen darf nicht hingenommen werden. Dies würde die Ausgabensituation der GKV unzumutbar belasten. Diesen Aspekt hält auch das BVerfG in dem oben genannten Beschluss für verfassungsrechtlich nach wie vor zutreffend und für rechtlich nicht zu beanstanden (BVerfGE 115 S. 25, 46). Im vorliegenden Fall ergeben sich aber auch aus Gründen der Wirtschaftlichkeit keine durchgreifenden Bedenken, die gegen eine Zulassung von Lorenzo`s Öl als Arzneimittel für den konkreten Fall sprechen könnten. Angesichts des Vorliegens eines sog. Seltenheitsfalls und den damit verbundenen geringen Fallzahlungen der betroffenen Patientengruppen mit AMN ist die wirtschaftliche Belastung der Versichertengemeinschaft als begrenzt anzusehen. Hinzu kommen die eher geringen Kosten einer Therapie mit Lorenzo`s Öl für den einzelnen Versicherten, die mit deutlich unter 1.000 EUR monatlich angesetzt werden können.
Noch zu beachten ist eine Besonderheit des vorliegenden Falls: Selbst der Bundesausschuss als das entscheidende Kontrollorgan für ggf. neue therapeutische Behandlungen geht zumindest auf Referentenebene in seinem Schreiben vom 27. April 2006 davon aus, dass es sich bei Lorenzo`s Öl nur um ein diätetisches Lebensmittel handele. Wäre dies - entgegen der oben dargestellten Rechtsansicht - der Fall, müsste - wie bereits das Landessozialgericht Hessen im Urteil vom 25. Januar 2007 - L 8 KR 18/05 (zitiert nach www.Sozialgerichtsbarkeit.de) zutreffend ausgeführt hat - eine Verschreibung nach 15.2.5 der AMRL in Fällen der seltenen AMN möglich sein und sich der Streit der Beteiligten "an sich" erübrigen. Diese Fehldeutung des Bundesausschusses begründet zwar noch kein wertungserhebliches Systemversagen, bedeutet aber, dass der Kläger unabhängig von den ohnehin bestehenden Forschungsproblemen bei dieser Erkrankung in absehbarer Zeit mit keiner Zulassungsprüfung rechnen kann, da das Kontrollorgan zumindest im Jahr 2006 keinen entsprechenden Handlungsbedarf gesehen hat. Mit dieser Einschätzung folgt der Bundesausschuss im Übrigen den vom Gesundheitsministerium für Gesundheit und Soziales selbst vorgenommenen Richtlinienänderungen für das Arzneimittelrecht ab dem 1. Oktober 2005. Diese Neuregelung führte gerade in den sog. Seltenheitsfällen zu Vereinfachungen der Verordnungsfähigkeit von diätetischen Lebensmitteln und unterstreicht nochmals, dass aus Sicht des Verordnungsgebers keine qualitativen und wirtschaftlichen Bedenken gegen einen Leistungsanspruch auf Lorenzo`s Öl bestehen würden, wenn es als diätetisches Lebensmittel zu qualifizieren wäre. Entgegen der Ansicht der Beklagten hat das BSG in seinem Beschluss vom 4. Juli 2005 - B 1 KR 101/04 B den Leistungsanspruch auf dieses Spezialöl nicht in der Sache entschieden, sondern die Nichtzulassungsbeschwerde aus formalen Gründen zurückgewiesen.
Dem Kläger ist damit auf der Grundlage der gebotenen verfassungskonformen Auslegung ein Sachleistungsanspruch auf Lorenzos`Öl zu bewilligen. Die von K. vorgenommene Verordnung erfüllt auch die weiteren Voraussetzungen des § 12 SGB V der medizinischen Notwendigkeit und des Wirtschaftlichkeitsgebots. Es kann insoweit auf die obigen Ausführungen verwiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Der Senat hat hierbei berücksichtigt, dass die Vorinstanz auf einen Kostenerstattungsanspruch im Sinne des § 13 Abs. 3 SGB V hingewirkt hat, obwohl sich der Kläger ab dem Jahr 2005 mit eigenen Mitteln Lorenzo`s Öl nicht verschaffen konnte und damit allein ein Sachleistungsanspruch geprüft werden musste. Die Revision war gemäß § 160 Abs. 2 Ziffer 1 SGG zuzulassen. Die Sache hat grundsätzliche Bedeutung. Der Senat weicht mit seiner Entscheidung in der Begründung vom Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 25. Januar 2007 und im Ergebnis von den Urteilen des Thüringer Landessozialgerichts vom 27. September 2004 - L 6 883/02 und Landessozialgericht Baden-Württemberg vom 8. August 2006 - L 11 KR 1438/06 ab. Zudem befürwortet der Senat wegen der besonderen Umstände des Einzelfalls in seiner grundrechtskonformen Auslegung einen "notstandsähnlichen" Fall, der teilweise von der eher einschränkenden Rechtsprechung des BSG im Anschluss an den Beschluss des BVerfG vom 6. Dezember 2005 abweicht. Im Übrigen hat das BSG zu einem Anspruch auf Versorgung mit einem nicht zugelassenen Arzneimittel im Grenzbereich zum Lebensmittelrecht noch nicht abschließend entschieden.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Versorgung des Klägers mit dem sogenannten Lorenzo`s Öl, einem Spezialöl in Form einer Mischung von Glycerol-Trioleat (GTO) und Glycerol-Trieruct (GTE) im Verhältnis 1:4 (GTO/GTE-Therapie) umstritten. Der am 1957 geborene Kläger leidet an einer Adrenomyeloneuropathie (AMN), einer genetisch determinierten seltenen Fettstoffwechselerkrankung, die ausschließlich bei Männern auftritt. Bei der AMN handelt es sich um die mildere Variante der Adrenoleukodystrophie (ALD). Diese Erkrankung führt zu einer Störung des Abbaus überlangkettiger Fettsäuren, was zu einer Konzentration dieser langkettigen Fettsäuren im Blutplasma und im Gehirn sowie in der Nebennierenrinde mit entsprechenden Schädigungen der Nerven führt. Sie manifestiert sich zwischen dem 15. und 30. Lebensjahr und hat einen kontinuierlichen, langfristigen Verlauf. Ihre Folgen sind eine Schädigung des Rückenmarks und der peripheren Nerven, zum Teil unter Einbeziehung des Zentralennervensystems; die hauptsächlichen Symptome bestehen in einer spastischen Lähmung der Beine, peripheren Neuropathie und Nebennierenrindeninsuffizienz. Die Erkrankung gilt derzeit als unheilbar. Seit dem 25. April 1991 war für den Kläger vom Amt für Versorgung und Soziales Halle ein Grad der Behinderung von 100 festgestellt worden. Am 19. Dezember 2003 ging bei der Beklagten eine ärztliche Verordnung des Chefarztes der Abteilung für Neurologie des Sächsischen Krankenhauses H. , W. K. , ein. Gegenstand der Verordnung waren 36 Flaschen zu je 50 ml Lorenzos`s Öl. Die Beklagte holte von der Pharmazeutischen Prüfungs- und Beratungsstelle der Bundesknappschaft eine schriftliche Stellungnahme vom 5. Januar 2004 ein, wonach es sich bei Lorenzos`s Öl um ein diätetisches Lebensmittel und nicht um ein Arzneimittel handele, so dass es nicht zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ärztlich verordnet werden dürfe. Mit Schreiben/Bescheid vom 14. Februar 2004 lehnte die Beklagte daraufhin gegenüber Chefarzt K. die Übernahme von Kosten ab und informierte den Kläger mit Schreiben/Bescheid vom 3. März 2004 darüber förmlich mit Rechtsmittelbelehrung.
Hiergegen legte der Kläger am 18. März 2004 Widerspruch ein und machte geltend: Lorenzo`s Öl verhindere bei ihm den stoffwechselbedingten Zerfall seiner Nerven-bahnen und sei in dieser Zusammensetzung nicht als diätetisches Lebensmittel anzusehen. Mit Widerspruchsbescheid vom 5. August 2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Nach Ziffer 17 i der Arzneimittelrichtlinien sei die Übernahme von Kosten bei der Verschreibung diätetischer Lebensmittel ausgeschlossen. Die Erkrankung des Klägers sei von der Ausnahmeregelung nicht erfasst. Dagegen hat der Kläger mit einem nicht unterzeichneten Schreiben vom 11. August 2004 am 13. August 2004 Klage beim Sozialgericht Halle erhoben und geltend gemacht, dass andere gesetzliche Krankenkassen ihren Versicherten Lorenzo`s Öl weiterhin gewährten. Daneben hat er ein Gutachten von Chefarzt K. , der auch Vorsitzender des medizinisch-wissenschaftlichen Beirates des Bundesvereins Leukodystrophie e.V. ist, von Februar 2005 zur Akte gereicht. In diesem Gutachten, das er für den Bundesverein Leukodystrophie e.V. erstattet hat, führte Chefarzt K. aus, er betreue mehr als 100 deutschsprachige Familien mit X-chromosomaler Adrenoleukodystrophie (X-ALD) und blicke auf einen langjährigen Erfahrungsaustausch mit Fachkollegen im In- und Ausland zu dieser Erkrankung zurück. Die genaue Häufigkeit der X-ALD sei unbekannt. Nach den umfragebasierten Daten einer epidemiologischen Studie aus dem Jahr 1994 sei für Deutschland eine Inzidenz (Anzahl der Neuerkrankungsfälle einer bestimmten Erkrankung innerhalb eines bestimmten Zeitraums) von 0,8 zu 100.000 Lebendgeburten beider Geschlechter geschätzt worden. Diese Bewertung dürfte der Minimalwert sein, so dass eher von einer Häufigkeit zwischen 1 zu 20.000 bzw. 1 zu 16.800 auszugehen sei. Es gebe zur Erkrankung an X-ALD bzw. Adrenomyeloneuropathie ca. 13 Publikationen mit Ergebnissen und 15 unkontrollierte Studien als Fallserien mit Patienten, die mit Lorenzo`s Öl behandelt worden seien. Die Therapiestudien hätten bei sachgerechter Anwendung der Therapie eine Normalisierung der überlangenkettigen Fettsäuren im Serum der Patienten gezeigt. Die monatlichen Kosten seien, abhängig von Körpergewicht und Dosierung, auf 474 EUR bis 948 EUR einzuschätzen. Lorenzo`s Öl sei formal als diätetisches Lebensmittel, genauer aber als therapeutisches Spezialöl anzusehen. Neben der Einnahme von Lorenzo`s Öl erfolge eine begleitende C 26:0-reduzierte Diät. Die Behandlung der X-ALD allein auf diätetischer Basis habe sich als unwirksam erwiesen und weder zu einer Reduktion des C 26:0 Plasmaspiegels noch zu klinischen Effekten geführt. Als häufigste Nebenwirkung der Einnahme von Lorenzo`s Öl seien reversible Thrombozytopenien ohne schwerwiegende Blutungskomplikationen aufgetreten. Weitere schwerwiegende Nebenwirkungen seien bislang in der Literatur nicht beschrieben und während seiner ärztlichen Tätigkeit nicht aufgetreten. Auf Seite 69 seines Gutachtens führt Chefarzt K. aus, dass die Annahme, Lorenzo`s Öl könne als Lebensmittel quasi zum Fettersatz verwendet werden, in Anbetracht des hohen Nebenwirkungsrisikos vollkommen abwegig sei. Die Verordnung von Lorenzo`s Öl erfolge nicht im Rahmen eines diätetischen Ernährungsplanes, sondern sei davon weitgehend unabhängig. In seiner Klinik würden die Patienten regelmäßig auf die medikamentenähnliche Wirkung des Ölsäuregemischs hingewiesen und darauf, dass es nicht von Dritten eingenommen werden dürfe sowie darauf, dass es Nebenwirkungen hervorrufen könne. Deshalb sei Lorenzo`s Öl grundsätzlich nicht geeignet, als Lebensmittel verzehrt zu werden. Vielmehr werde es gezielt bei einer definierten Indikation mit dem Ziel eingesetzt, im Körper eine spezifische Wirkung zu entfalten. Da es kein Lebensmittel sei, könne die Definition des § 2 Abs. 3 Arzneimittelgesetz (AMG) nicht herangezogen werden. In der öffentlichen Sitzung vom 19. Mai 2005 hat der Kläger angeben, wegen der hohen Kosten seit Januar 2005 Lorenzo`s Öl nicht mehr einzunehmen. Er hat drei Messergebnisse zur Bestimmung von überlangen Fettsäuren von Dr. H. (Georg- A.- Universität G. , Medizinische Fakultät, Zentrum Kinderheilkunde) vom 18. Oktober 2004, 19. Januar 2005 und 14. April 2005 vorgelegt. Danach sei der Normalwert der Fettsäure 22:0 im Bereich von 15 bis 113 nmol/mg anzusetzen. Im Zeitraum vom 4. Oktober 2004 bis 11. April 2005 habe sich der Fettsäurewert 22:0 von 29,8 nmol/mg auf 50,4 nmol/mg erhöht. Das Sozialgericht hat zur medizinischen Aufklärung des Sachverhaltes einen Befundbericht von Chefarzt K. vom 28. Juli 2005 eingeholt. Danach ist der Kläger vom 18. bis 23. April 2004 stationär behandelt worden. Chefarzt K. hat folgende Diagnosen mitgeteilt: • AMN. • Spastische Paraparese der Beine. • Sensible Ataxie (Muskelablauf und Koordinierungsstörung). • Neurogene Blasenstörung. • Rezidivierende Wundheilungsstörung nach Trümmerfraktur des linken Fußes (2000). Klinisch und neurophysiologisch sowie neuroradiologisch sei keine Verschlechterung der Erkrankung festzustellen. Die Behandlung mit Spezialölen habe der Kläger gut vertragen. Die Fettsäurewerte seien gut, so dass eine Reduktion der GTO/GTE-Dosis von 80 auf 70 ml zu empfehlen sei. Die Behandlung mit GTO/GTE habe zu einer guten Stabilisierung geführt und sei weiterhin zu empfehlen. Der Kläger hat einen weiteren Messbefund von Dr. H. vom 12. August 2005 und vom 25. November 2005 zur Gerichtsakte gereicht. Danach habe die Probe vom 8. August 2005 einen Fettsäurewert 22:0 von 53,1 nmol/mg und die Probe vom 10. Oktober 2005 einen Fettsäurewert 22:0 von 62,2 nmol/mg ergeben. Die Beklagte hat eine Stellungnahme von Dr. N. (Fachreferat Arzneimittel/Neue und unkonventionelle Heilmethoden des MDK Westfalen-Lippe) vom Mai 2005 vorgelegt. Dr. N. hat im Wesentlichen ausgeführt: Chefarzt K. sei darin zuzustimmen, dass bei der AMN nur eine unzureichende Studienlage bestehe, die keinen sicheren Nachweis auf die Wirksamkeit des Spezialöls zulasse. Es gebe in Deutschland kein Arzneimittel mit dem Namen Lorenzo`s Öl oder den Wirkstoffen GTO bzw. GTE. Aus der Gebrauchsinformation des Herstellers ergebe sich vielmehr eindeutig, dass es sich um ein diätetisches Lebensmittel (hier: Diätöl) zur besonderen Ernährung bei Adrenoleukodystrophie im Rahmen eines Diätplanes gemäß § 1 der Verordnung über diätetische Lebensmittel handele. Krankheitslindernde Eigenschaften derartiger Produkte seien nicht in der Lage, den Status als Lebensmittel und den daraus folgenden grundsätzlichen Ausschluss von der Verordnungsfähigkeit zu Lasten der GKV aufzuheben. Wegen der unzureichenden Studienergebnisse erfülle das Spezialöl nicht die Anforderungen an die erforderliche Qualität und Wirksamkeit. Das Sozialgericht hat den Leitenden Arzt und Ärztlichen Direktor sowie Facharzt für Neurologie Prof. Dr. R. von der Neurologischen Klinik H. O. mit einem Gutachten nach Aktenlage beauftragt. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 10. März 2006 darauf hingewiesen, dass sich beim Kläger als mögliche Nebenwirkung der Einnahme von Lorenzo`s Öl ein sehr niedriger Hämoglobinwert eingestellt habe. Bei AMN handele es sich um eine Erkrankung, die bei Männern ab der dritten Lebensdekade eine progressive Streifigkeit und Schwäche der Beine bewirke. Hinzu kämen Störungen der Sexualfunktion sowie der Schließmuskelkontrolle. Die Symptome seien über Jahrzehnte langsam progredient. Es werde vermutet, dass bei ca. 40 bis 45 % der Patienten mit AMN eine Hirnbeteiligung auftrete. Bei ca. 10 bis 20 % komme es zu einer ernsthaften progressiven Hirnbeteiligung mit schwerwiegenden kognitiven und Verhaltensaufälligkeiten, die bis zur schweren Behinderung und zum Tod führen könne. Das Verabreichen von Lorenzo`s Öl habe vielversprechende Hinweise auf eine positive Wirkung in der Behandlung von asymptomatischen Jungen mit Adrenoleukodystrophie ergeben. Nach kritischer Durchsicht der Literatur gebe es neben Lorenzo`s Öl keine anderen erfolgversprechenden Therapieansätze. Beim Kläger seien keine Anhaltspunkte für eine schwerwiegende Hirnbeteiligung erkennbar, was für einen eher unkomplizierten Verlauf der AMN spreche. Seine Lebenserwartung sei daher nicht wesentlich gemindert; ein eher langsam progredienter Verlauf sei zu erwarten. Nach den Veränderungen der Messwerte sei von einem Anstieg der Fettsäuren 22:0 und 24:0 auszugehen, es seien jedoch die Werte für Erucasäure und Nervonsäure abgefallen. Die Veränderungen seien nicht im Sinne einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes zu interpretieren. Gerade bei seltenen Erkrankungen wie der AMN seien kontrollierte Studien mit größeren Patientengruppen nicht möglich. Die langjährige Behandlung des Klägers mit Lorenzo`s Öl ohne schwerwiegende Progression und ohne entzündliche Gehirnaktivität sei als positiver klinischer Verlauf zu werten und spreche für eine Wirksamkeit dieser Behandlung. Zwar werde Lorenzo`s Öl als Nahrungsergänzungsmittel angeboten. Gleichwohl könne es im Hinblick auf schwerwiegenden Nebenwirkungen und sein Einsatzgebiet nicht den Lebensmitteln zugeordnet werden. Es erfülle nicht die Eigenschaft eines bloßen Nahrungsmittels. Der Hauptzweck von Lorenzo`s Öl sei vielmehr im kurativen und palliativen Nutzen zu sehen. Unter einer bilanzierten Diät seien dagegen diätetische Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke zu verstehen, die auf besondere Weise verarbeitet oder für eine diätetische Behandlung von Patienten bestimmt seien. Sie dienten nach der Diätverordnung der ausschließlichen oder teilweisen Ernährung von Patienten mit eingeschränkter, behinderter oder gestörter Fähigkeit zur Aufnahme, Verdauung, Resorption, Verstoffwechselung oder Ausscheidung gewöhnlicher Lebensmittel oder bestimmter darin enthaltener Nährstoffe. Bei der vom Kläger neben der Einnahme von Lorenzo´s Öl durchgeführten ernährungsmedizinischen Intervention einer Ernährung mit Lebensmitteln, die arm an überlangkettigen Fettsäuren sind, handele es sich eher als bei Lorenzo´s Öl um eine bilanzierte Diät. Bei Lorenzo´s Öl, das von der Firma SHS in H. vertrieben werde, handele es sich um eine fertige Mischung von Trioleat (GTO) und Glyceroltrierucat (GTE) in einem Mischungsverhältnis von vier zu eins. In der medizinischen Praxis habe sich die Gabe von Lorenzo`s Öl in Kombination mit einer Diät zur Reduktion überlanger Fettsäuren als Therapie durchgesetzt. Der Sachverständige hat ferner ausgeführt, das Spezialöl im Fall einer Erkrankung an AMN selbst einnehmen zu wollen. Das Sozialgericht hat den auf Kostenübernahme für seine Behandlung mit den ärztlichen Spezialölen ab dem 1. Juni 2006 gerichteten Antrag des Klägers mit Urteil vom 22. Mai 2006 abgewiesen und dazu im Wesentlichen ausgeführt: Die Spezialölmischung sei als Fertigarzneimittel anzusehen. Damit scheide ein Kostenerstattungsanspruch des Klägers aus, da es bereits an der erforderlichen Zulassung des Spezialöls fehle. Auch unter Beachtung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2005 (Az.: 1 BvR 347/98) bestehe aus verfassungsrechtlicher Sicht kein entsprechender Anspruch. Der Kläger leide nicht an einer lebensbedrohenden oder regelmäßig tödlich verlaufenden Krankheit. Gegen das ihm am 19. Juni 2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 27. Juni 2006 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt und vorgetragen: Seit Anfang 2005 habe sich sein Zustand deutlich verschlechtert, da er nicht mehr selbstständig laufen könne. Dies stehe mit der Nichteinnahme von Lorenzo`s Öl in Zusammenhang. Die Vorinstanz habe das Gutachten von Prof. Dr. R. fehlerhaft gewertet, da es auch nach Auffassung des Sachverständigen zu dieser Therapie keine Alternative gebe. Der Kläger hat u.a. eine Stellungnahme des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) vom 26. Januar 2006 und eine Stellungnahme des Gemeinsamen Bundesausschlusses vom 27. April 2006 jeweils an das Sozialgericht Dortmund im Verfahren S 40 KR 195/05 zur Akte gereicht. Das BfArM vertritt unter Hinweis auf seine fehlende Zuständigkeit die Auffassung, dass das Präparat Lorenzo`s Öl den Tatbestand des § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG erfülle. Ein arzneimittelrechtliches Zulassungsverfahren laufe nicht; es sei auch kein Zulassungsantrag anhängig. Nach Auffassung des Gemeinsamen Bundesausschlusses handele es sich bei "GTO/GTE Spezialölen" um ein diätetisches Lebensmittel. Es sei unter den Begriff der ergänzenden bilanzierten Diäten im Sinne der Diätverordnung zu fassen. Bei der AMN handele es sich um eine genetisch bedingte Störung des Fettsäurestoffwechsels, so dass der Ausnahmetatbestand der 15.2.5 der AMLR erfüllt und eine Verordnungsfähigkeit grundsätzlich gegeben sei.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 22. Mai 2006 sowie den Bescheid vom 3. März 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. August 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Lorenzo`s Öl nach ärztlicher Verordnung als Sachleistung zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Das Urteil des Landessozialgerichts Thüringen vom 27. September 2004 (Az.: L 6 KR 883/02), wonach es sich bei dem Spezialöl um ein zulassungspflichtiges Fertigarzneimittel handele, sei überzeugend. Dies habe das Bundessozialgericht (BSG) durch den Beschluss vom 4. Juli 2005 (Az.: B 1 KR 101/04 B) gegen die Nichtzulassungsbeschwerde auch bekräftigt.
Der Senat hat einen Befundbericht von Chefarzt K. vom 15. August 2006 über eine stationäre Behandlung vom 31. Juli 2006 bis 4. August 2006 und eine ergänzende Stellungnahme vom 28. November 2006 eingeholt. Hiernach bestünden beim Kläger sichere Hinweise auf eine deutliche Verschlechterung wegen einer massiven Paraspastik der Beine. Der nachweisliche Anstieg der VLCFA-Werte gehe mit einer signifikanten Verschlechterung der Symptomatik einher, so dass die Wiederaufnahme der Behandlung mit Lorenzo`s Öl zu empfehlen sei. Beim Kläger liege klinisch eine AMN-Variante vor. Aufgrund der Ergebnisse bei etwa 50 ähnlich gelagerten Fällen sei der gute Verlauf auf die jahrelang gewissenhaft durchgeführte Therapie mit Lorenzo` s Öl zurückzuführen. Durch das Absetzen der Therapie habe sich die Gefahr einer zerebralen Konversion erhöht. Aktuell leide der Kläger an einer spastischen Querschnittslähmung mit Lähmungserscheinungen in den Beinen. Im weiteren Verlauf seien Lähmungen in den Armen, später der Hirnnerven mit entsprechenden Störungen, wie Sprachstörungen, Schluckbeschwerden sowie zunehmende Taubheit und Blindheit zu erwarten. Bei ca. 20 bis 30 % aller Patienten sei mit einer krankheitsbedingten Demenz zu rechnen.
Der Senat hat unter www.bvlev.de/thml/body arztberichte.htlm einen Aufsatz von Chefarzt K. beigezogen. Dort wird u. a. ausgeführt, dass für die X-ALD von einer Häufigkeit von 1 zu 15.000 Lebendgeburten ausgegangen werden könne. Ferner hat der Senat das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 25. Januar 2007 (Az.: L 8 KR 18/05) den Beteiligten übersandt und Prof. Dr. R. eine Gutachterliche Stellungnahme vom 26. April 2007 verfassen lassen. Nach dessen Erkenntnissen seien nach der Studie von van Geel (1999) bei der Behandlung mit Lorenzo`s Öl Blutbildveränderungen (Anämie, Leukopenie, Thrombozytopenie) beobachtet worden. Daneben seien Transaminaseanstiege und Nierenfunktionsstörungen berichtet worden. Der Einsatz des Spezialöls sei daher wie bei jeder anderen ärztlich indizierten Therapie unter Abwägung von Risiko und Nutzen zu bewerten. Unter Vorlage des Wortlauts von 15.2.5. ARML vertritt der Sachverständige nunmehr die Auffassung, dass das Spezialöl auch als diätetisches Lebensmittel angesehen werden könne.
In der öffentlichen Sitzung vom 20. Juni 2007 hat die Beklagte eine Stellungnahme des Sozialmedizinischen Dienstes von der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dipl.-Med. K. und dem Leitenden Medizindirektor A. vom 18. Juni 2007 zur Akte gereicht. Hiernach sei beim Kläger in den Jahren 1990/1991 die Erstdiagnose einer AMN gestellt worden. Er sei bis Januar 2005 mit Lorenzo`s Öl behandelt worden. Im Vergleich der Nervenleitungsmessungen der Untersuchungen von 2001 und 2004 sei es auch unter der Gabe von Lorenzo`s Öl zu einer Verschlechterung gekommen. Dieser Befund sei auch nach der Untersuchung von 2006 noch unverändert, so dass nicht nachvollziehbar sei, warum sich nunmehr die Gehleistung verschlechtert haben solle. Im Befundbericht von 2006 seien bis auf magnetisch evozierte Potentiale und einer Erhöhung der überlangkettigen Fettsäuren mit dem pathologischen Wert der C 26:0 keine Veränderungen zur Untersuchung von 2004 festzustellen. Damit sei es sowohl unter der Einnahme von Lorenzo`s Öl als auch nach seiner Absetzung zu einem Fortschreiten der Erkrankung gekommen. Ein Therapieeffekt des Spezialöls sei daher nicht belegt.
Der Kläger hat hierzu erklärt, sein Zustand habe sich seit der letzten Einnahme von Lorenzo`s Öl spürbar verschlechtert. Er könne sich das Spezialöl wegen der anfallenden Kosten nicht leisten und habe es Ende des Jahres 2004 letztmals eingenommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen. Die Akten haben bei der mündlichen Verhandlung und der anschließenden Beratung vorgelegen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig und begründet. Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage wegen fehlender Unterschrift bestehen nicht. Bei der Klageerhebung ist eine Unterschrift nicht zwingend erforderlich, solange sich aus dem Schriftstück ergibt, wer Klage erhoben hat und solange keine Anhaltspunkte dafür sprechen, dass die Klage ohne den Willen des Klägers in den Verkehr gelangt ist (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8.Auflage 2005, § 90 Rdn. 5a m.w.N.). Der Kläger hat einen Sachleistungsanspruch auf Versorgung mit Lorenzo`s Öl gegen die Beklagte ab dem 20. Juni 2007 gemäß § 27 Abs. 1 Nr. 3 in Verbindung mit § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V). Nach § 27 Abs. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn diese notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst nach § 27 Abs. 1 Nr. 3 SGB V die Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln. Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit Arzneimittel nicht nach § 34 SGB V oder durch Richtlinien nach § 92 Abs.1 Satz 2 Nr. 6 SGB V ausgeschlossen sind.
Eine vertragsärztliche Verordnung für die Versorgung mit Lorenzo`s Öl liegt vor. Lorenzo`s Öl ist auch als Arzneimittel im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V anzusehen. Zu den Arzneimitteln gehören Substanzen, deren bestimmungsgemäße Wirkung darin liegt, Krankheitszustände zu heilen oder zu bessern. Sie dienen nicht dem allgemeinen Lebensbedarf, sondern finden ihre eigentliche Zweckbestimmung in der jeweiligen Einwirkung auf eine Krankheit (Höfler in Kassler Kommentar, Stand November 2006, § 31 SGB V Rdn. 6). Zwar sind die Begriffe des Arzneimittels in § 31 SGB V und im AMG nicht völlig deckungsgleich. Dennoch sind die Begriffsbestimmungen des AMG im Krankenversicherungsrecht unter Berücksichtigung der Besonderheiten zumindest verwertbar (Höfler, a. a. O., Rdn. 9). Gemäß § 2 Abs. 1 AMG sind Arzneimittel Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die dazu bestimmt sind, durch Anwendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper (1.) Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden zu heilen, zu lindern, zu verhüten oder zu erkennen.
Lorenzo`s Öl ist eine Mischung von Glycerol-Trioleat (GTO) und Glycerol-Trieruct (GTE) im Mischverhältnis 1:4 und daher als Substanz bzw. Stoff im Sinne des Arzneimittelbegriffs nach § 31 Abs. 1 SGB V bzw. § 2 Abs. 1 Ziffer 1. AMG anzusehen. Es wird auch zielgerichtet therapeutisch eingesetzt, um die durch die AMN verursachte Konzentrationssteigerung von langkettigen Fettsäuren im Blutplasma und im Gehirn sowie in der Nebennierenrinde zu verringern. Auf diese therapeutisch beabsichtigte Wirkung von Lorenzo`s Öl hat Prof. Dr. R. überzeugend hingewiesen. Dieser Bewertung stimmt auch K. in seinem Gutachten von Februar 2005 zu, in dem er Lorenzo`s Öl begrifflich als ein therapeutisches Spezialöl bezeichnet. Für die Einordnung dieses Spezialöls als Arzneimittel sprechen auch die von Prof. Dr. R. und K. beschriebenen Nebenwirkungen auf das Blutbild der behandelten Patienten. Allein die strengen Regelungen des Arzneimittelrechts bieten wegen dieser Nebenwirkungsrisiken hinreichend Gewähr dafür, beim Einsatz von Lorenzo`s Öl eine intensive ärztliche Kontrolle sicherzustellen. Entgegen der Auffassung des Hessischen Landessozialgerichts vom 25.01.2007 - L 8 KR 18/05 kann Lorenzo`s Öl in der vorzunehmenden Abgrenzung zum Arznei-mittelbegriff nicht als diätetisches Lebensmittel angesehen werden. Der 8. Senat des Hessischen Landessozialgerichts geht in seinem Urteil davon aus, dass das Spezialöl einen wesentlichen Bestandteil der täglichen Ernährung im Rahmen eines Diätplans darstellt und mit der krankheitsbezogenen Diät in einem untrennbaren Zusammenhang steht. Zur Begründung verweist er auf das auch im vorliegenden Verfahren vorgelegte Gutachten von K. von Februar 2005. In diesem Gutachten lehnt es Köhler auf Seite 69 ab, Lorenzo`s Öl als diätetisches Lebensmittel anzusehen. Wegen der hohen Nebenwirkungsrisiken hält es der Wissenschaftler sogar für "vollkommen abwegig", dieses Öl als Lebensmittel zum bloßen Fettersatz zu verwenden. Die Patienten würden in seiner Klinik über das Gefährdungspotential gerade in Bezug auf den Gebrauch durch Dritte ausdrücklich aufgeklärt. Die Verordnung erfolgt daher nicht im Rahmen eines einfachen Diätplanes, sondern im Wesentlichen medizinisch-therapeutisch. Deshalb ist es auch folgerichtig, wenn Köhler den Einsatz von Lorenzo `s Öl als "medikamentenähnlich" bezeichnet. Die Einnahme des Spezialöls dient damit einem eigenständigen therapeutischen Ziel und nicht der bloßen Ernährung des Patienten. Der Rechtsansicht des 8. Senats des Hessischen Landessozialgerichts ist daher nicht zu folgen.
Lorenzo`s Öl kann auch nicht gleichzeitig als Arzneimittel und als diätetisches Lebensmittel bewertet werden. Nach der gesetzlich vorgegebenen Abgrenzung von Arzneimitteln und Lebensmitteln gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 1 AMG ist es ausgeschlossen, bei einem Erzeugnis nebeneinander arzneimittel- und lebensmittelrechtliche Vorschriften anzuwenden. Dies würde auch dem besonderen Schutzzweck des AMG zuwiderlaufen, nämlich dem Interesse der Bevölkerung an einer ordnungsgemäßen Versorgung zu dienen und deshalb die Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit eines Arzneimittels sicherzustellen (vgl. § 1 AMG). Auf die Änderungen der Arzneimittelrichtlinien (AMRL) durch Bekanntmachung vom 25. August 2005 (BAnz. Nr. 165 vom 1. September 2005 S. 13241) kommt es daher nicht an. Die davon abweichenden Beurteilungen von Dr. N. und des Gemeinsamen Bundesausschusses (Im Folgenden: Bundesausschluss) im Schreiben vom 27. April 2006, die übereinstimmend Lorenzo`s Öl als diätetisches Lebensmittel einordnen, stehen im Widerspruch zu der gesetzlich eindeutigen Begriffsbestimmung eines Arzneimittels und sind daher ebenfalls abzulehnen. Lorenzo`s Öl wird jeweils in Abhängigkeit von Gewicht und den anschließenden Blutwerten des Patienten verordnet und dosiert. Das Spezialöl wird vom Patienten direkt bei der Firma SHS bestellt und von ihr an ihn abgegeben. Es handelt sich damit um ein Fertigarzneimittel, das im Voraus hergestellt und in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Packung in den Verkehr gebracht wird (§ 4 Abs. 1 AMG). Lorenzo`s Öl erfüllt damit die Voraussetzungen eines Arzneimittels nach § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V in Verbindung mit § 2 Abs. 1 AMG.
Bei der Prüfung des Anspruchs des Versicherten auf Versorgung mit Arzneimitteln sind darüber hinaus die einschränkenden Voraussetzungen der §§ 2 Abs. 1 Satz 3, 12 Abs. 1 SGB V zu beachten. Hiernach unterliegt jede Arzneimitteltherapie dem Gebot der Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit. Das Arzneimittel muss in seiner Qualität und Wirksamkeit jeweils dem anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG dürfen nicht in der Bundesrepublik Deutschland zugelassene Arzneimittel nicht zu Lasten der GKV verordnet werden. Gemäß §§ 2 Abs. 1, 12 Abs. 1 SGB V kann erst nach erfolgreichem Durchlaufen eines arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens von einem zweckmäßigen und wirtschaftlichen Arzneimittel im Sinne des SGB V ausgegangen werden (Höfler in Kassler Kommentar zu § 31 Rdn. 12 b). Diese Rechtslage stimmt mit den Regelungen des Arzneimittelrechts überein. Danach bedürfen Arzneimittel gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 AMG der arzneimittelrechtlichen Zulassung. Gemäß § 73 AMG darf ein in Deutschland nicht zugelassenes Arzneimittel, auch wenn es in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union zugelassen ist, nicht in Umlauf gebracht werden, wenn es weder das zentrale noch das dezentrale europarechtliche Anerkennungsverfahren durchlaufen hat (vgl. BSG, Beschluss vom 4. 07.2005 - B 1 KR 101/04 B zitiert nach Juris).
Nach der Auskunft des BfArM vom 26. Januar 2006 verfügen weder das Präparat Lorenzo s Öl noch andere Präparate mit der geläufigen Kombination der Bestandteile GTO/GTE über eine Zulassung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte oder eine Genehmigung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften oder eine Genehmigung für das Inverkehrbringen gemäß Art. 3 Abs. 1 oder 2 der Verordnung (EWG) Nr. 2309/93. Auch die Voraussetzungen für eine Ausnahme von der Zulassungspflicht nach § 21 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2 AMG liegen nicht vor. Das Spezialöl wird weder in einer Apotheke hergestellt noch ist es im Sinne des § 21 Abs. 2 Nr. 2 AMG zur klinischen Prüfung bei Menschen bestimmt. Auch die vom BSG eingeführten Grundsätze des sog. "Off-Label-Use" für bereits zugelassene Arzneimittel, die in einem von der Zulassung abweichenden Anwendungsbereich eingesetzt werden sollen, finden im vorliegenden Fall keine Anwendung, da Lorenzo`s Öl nicht als Arzneimittel zugelassen ist.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat die Rechtssprechung des BSG, nicht in der Bundesrepublik Deutschland zugelassene Arzneimittel generell aus dem Leistungskatalog der GKV auszuschließen, im Wege einer verfassungskonformen Auslegung der Leistungsvorschriften korrigiert und Ausnahmefälle zugelassen. Nach dem Beschluss des BVerfG vom 6. Dezember 2005 (1 BvR 347/98 - BVerfGE 115, 25 ff) ist das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit betroffen, wenn der Gesetzgeber Personen einer Pflichtversicherung unterwirft und sie gleichzeitig im Rahmen dieser Zwangsgemeinschaft nicht unerheblich einengt, ohne dass der Versicherte unmittelbaren Einfluss auf die Gestaltung der Rechte und Pflichten des Versicherungsverhältnisses nehmen kann (BVerfGE 115, S. 25, 42 f). Das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) schützt den Versicherten daher vor einer Unverhältnismäßigkeit von Beitrag und Leistung. Zwar ergibt sich daraus noch kein verfassungsrechtlicher Anspruch auf bestimmte Leistungen der Krankenbehandlung. Vielmehr können Leistungseinschränkungen nur darauf hin geprüft werden, ob sie noch mit Art. 2 Abs. 1 GG in Einklang stehen. In diesem Zusammenhang kommt auch dem Sozialstaatsprinzip eine wesentliche Bedeutung zu, da es Aufgabe des Staates ist, dem Einzelnen in Fällen von Krankheit beizustehen. Daher hat sich die Gestaltung des Leistungsrechts der GKV an der objektiv-rechtlichen Pflicht des Staates zu orientieren, sich schützend und fördernd vor die Rechtsgüter des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zu stellen (BVerfGE 115, S. 25, 44 f). Insbesondere in Fällen einer lebensbedrohlichen und regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung bedarf es daher des staatlichen Schutzes des Lebens als Höchstwert der grundgesetzlichen Ordnung.
Das BSG hat diese Vorgaben des BVerfG wiederum einschränkend interpretiert und die verfassungskonforme Auslegung der Leistungspflicht der GKV bei nicht zugelassenen Arzneimitteln ausschließlich auf notstandsähnliche Fälle beschränkt, in denen eine gegenwärtige lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende (vgl. BSG SozR 4-2500 § 31 Nr. 4 RdNr. 21 und 30 mwN - Tomudex) oder eine zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung vorliegt (vgl. BSG SozR 4-2500 § 27 Nr. 7 RdNr. 31 - D-Ribose). Nach der Rechtsprechung des 1. Senats des BSG ist mit dem Kriterium einer Krankheit, die zumindest mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung in der Bewertung vergleichbar ist, sogar eine strengere Voraussetzung umschrieben, als sie etwa mit dem Erfordernis einer "schwerwiegenden" Erkrankung (vgl. dazu BSGE 89, 184 ff.) für die Eröffnung der Fälle des "Off-Label-Use" bei generell bereits zugelassenen Arzneimitteln festgelegt ist. Schließlich knüpfen sich hieran deutlich weitergehende Rechtsfolgen an. Ohne diese einschränkende Auslegung der Rechtsprechung des BVerfG ließen sich fast beliebig die vom Gesetzgeber bewusst gezogenen Grenzen überschreiten. Die vom BVerfG herangezogenen Kriterien würden ohne diese Einschränkung weitgehend sinnentleert werden, weil nahezu jede schwere Krankheit ohne therapeutische Einwirkung irgendwann auch einmal lebensbedrohende Konsequenzen nach sich ziehen kann. Dies kann aber ersichtlich nicht ausreichen, um sich über die gesetzlichen Leistungsrechte des SGB V durch eine sehr weitgehende verfassungskonforme Auslegung hinwegzusetzen (vgl. BSG, Urteil vom 26. September 2006 - B 1 KR 3/06 R). Nach Auffassung des 1. Senats des BSG scheiden nicht in Deutschland zugelassene Arzneimittel nach § 73 AMG aus dem Leistungskatalog des SGB V aus, wenn sich hieraus für den Versicherten keine Gefahr eines tödlichen Krankheitsverlaufs schon in näherer Zukunft, sondern erst in ganz ferner, noch nicht genau absehbarer Zeit zu konkretisieren droht (vgl. BSG Urteil vom 14. Dezember 2006 - B 1 KR 12/06 R). Das Erfordernis einer verfassungskonformen Auslegung der Leistungsvorschriften des SGB V kann daher erst bei notstandsähnlichen Situationen vorliegen, die auch in zeitlicher Hinsicht akute und existenzielle Gefährdungen des Versicherten begründen können. Dies gilt auch für vergleichbare Fälle eines nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion (vgl. BSG, Urteil vom 27. März 2007 - B 1 KR 30/06 R; Urteil vom 14. Dezember 2006 - B 1 KR 12/06 R).
Nach dieser einschränkenden verfassungsrechtlichen Interpretation der Recht-sprechung des BVerfG durch das BSG wäre ein Leistungsanspruch des Klägers ausgeschlossen. So hat der Sachverständige Prof. Dr. R. in seinem Gutachten vom 10. März 2003 ausgeführt, die Lebenserwartung des Klägers sei nicht wesentlich gemindert und eher eine langsam zunehmende Verschlechterung des Gesundheits-zustandes über Jahrzehnte zu erwarten. Von der schwerwiegenden Verlaufsform dieser Erkrankung mit schwerwiegender Hirnbeteiligung kann nach seiner Stellungnahme vom 26. April 2007 unter Berücksichtigung der neueren Befunde nicht ausgegangen werden. Hinweise auf einen akut entzündlichen Prozess im Gehirn des Klägers liegen nicht vor. Gegen einen akut lebensbedrohlichen Krankheitsverlauf sprechen auch die Befundberichte von K. vom 15. August 2006 und vom 28. November 2006. Zwar lässt sich hieraus die Zunahme der Auswirkungen der spastischen Querschnittslähmung beim Kläger ableiten. Hinweise auf eine gegenwärtige Gefährdung des Lebens oder lebenswichtiger Organe des Klägers sind jedoch nicht erkennbar. In diesem Sinne argumentieren in vergleichbaren Fällen auch das LSG Thüringen (Urteil vom 27. September 2004 - L 6 KR 883/02), das Landessozialgericht Baden-Württemberg (Urteil vom 8. August 2006 - L 11 KR 1438/06) und das SG Dresden (Urteil vom 8. März 2007 - S 18 KR 637/04) jeweils zitiert nach Juris. Sie haben übereinstimmend unter Verweis auf die Rechtsprechung des BSG einen notstandsähnlichen Fall abgelehnt.
Der Senat hält die Rechtsansicht des BSG, Leistungsansprüche bei Fallgestaltungen der vorliegenden Art ausschließlich auf akut lebensbedrohliche Erkrankungen zu beschränken für nicht ausreichend, um den Vorgaben des BVerfG im Beschluss vom 6. Dezember 2005 gerecht zu werden. Das BVerfG hat dort ausdrücklich ausgeführt, dass sich das Erfordernis einer verfassungskonformen Auslegung "insbesondere" für Fälle einer Behandlung einer lebensbedrohlichen und regelmäßig tödlichen Erkrankung ergeben kann. Im Umkehrschluss eröffnet das BVerfG damit auch eine entsprechende verfassungskonforme Auslegung zu Gunsten von Pflichtversicherten für zumindest annähernd vergleichbare Fallkonstellationen, die einem notstandsähnlichen Fall zumindest nahe kommen.
Es erscheint aus verfassungsrechtlicher Sicht geboten, die Rechtsprechung des BVerfG im Beschluss vom 6. Dezember 2005 (a. a. O) erweiternd auf andere notstandsähnliche Fallkonstellationen auszudehnen, in denen zwar kein akut existenzbedrohliches Krankheitsbild vorliegt, jedoch aus anderen Gründen eine zumindest vergleichbare, "notstandsähnliche" Lage des Versicherten zu bejahen ist. Unter Beachtung grundrechtlich geschützter Rechtspositionen und des darauf beruhenden besonderen Schutzauftrages des Staates in einer staatlich organisierten Zwangsgemeinschaft kann es unabhängig von einer akuten lebensbedrohlichen Gefährdungslage eines Pflichtversicherten ausnahmsweise einen Leistungsanspruch auch für nicht zugelassene Arzneimittel geben. Ein Anspruch kann bestehen, wenn zwar nicht das Leben oder lebenswichtige Organe des Versicherten gegenwärtig bedroht sind, aber im Einzelfall besondere Umstände hinzutreten, die es im Wege einer verfassungskonformen Auslegung ausnahmsweise erfordern, auf das obligatorische arzneimittelrechtliche Zulassungsverfahren zu verzichten. Dies kann anzunehmen sein, wenn nur auf diese Weise eine nicht hinnehmbare Versorgungslücke zu Lasten des Versicherten geschlossen werden kann. Ein derartiger "notstandsähnlicher" Fall liegt hier vor. Lorenzo`s Öl ist – trotz eines fehlenden arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens – ausnahmsweise als Sachleistungsanspruch zu Lasten der Beklagten anzuerkennen.
Für die Annahme eines "notstandsähnlichen" Falles auf der Grundlage der Rechtsprechung des BVerfG bestehen folgende Voraussetzungen: Der Versicherte muss von einer seltenen, chronischen und sich stetig verschlechternden Erkrankung betroffen sein, die zukünftig mit Sicherheit schwerwiegende Ausfälle in der Beweglichkeit und den Nervenleistungen der Sinnesorgane erwarten lässt (a). Es darf mit Ausnahme des nicht zugelassenen Arzneimittels keine andere Behandlungsalternative geben (b). Das nicht zugelassene Arzneimittel entspricht den Grundsätzen der Qualität und der Wirtschaftlichkeit im Sinne von §§ 2 Abs. 1, 12 Abs. 1 SGB V. (c).
(a) Nach Auffassung des Senats kommt der Seltenheit der Erkrankung des Klägers im Rahmen der vorzunehmenden verfassungskonformen Auslegung eine ganz erhebliche Bedeutung zu. Der Kläger leidet an einem angeborenen seltenen Defekt im Fettstoffwechselbereich mit langsamer stetiger Verschlechterung und gravierenden Spätfolgen in Form von neurologischen Ausfallserscheinungen. Nach den Bewertungen von K. ist bei der X-ALD von einer Häufigkeit von ca. 1: 20.000/15.000 Lebendgeburten auszugehen. Für die AMN, einer Untergruppe dieser Erkrankung, liegt die Häufigkeit noch deutlich darunter. Dies führt bei den Betroffenen zu der ungünstigen Situation, dass statistisch aussagefähige Studien nicht durchgeführt werden können. Sowohl Köhler als auch Prof. Dr. R. haben daher nur auf Einzelstudien verweisen, aber eine generelle Aussage zur Therapiewirksamkeit von Lorenzo` Öl nicht treffen können. Allein bei Jungen mit der vorliegenden Erkrankung ist nach Prof. Dr. R. von einer nachgewiesenen Behandlungswirkung auszugehen. Damit führt eine so seltene Erkrankung für den Betroffenen zwangsläufig zu einer ungünstigen Datenlage, die die Durchführung eines arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens erheblich erschwert oder nahezu ausschließt. Wegen der geringen Fallzahlen dürfte auch das wirtschaftliche Interesse der jeweiligen Herstellerfirmen gering sein, kostenintensive Forschungsprojekte zur Therapiewirksamkeit in Auftrag zu geben.
Selbst das BSG hat die Seltenheit von Erkrankungen für gesetzlich Versicherte für so entscheidend angesehen – worauf auch das BVerfG hingewiesen hat (BVerfGE 115, S.25, 50 f.) –, dass es einen spezifischen Ausnahmefall vom strengen arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahren eingeräumt und einen Leistungsanspruch eines Versicherten nicht bereits wegen einer fehlenden Empfehlung des Bundesausschusses versagt hat (vgl. BSGE 93, 236, 244 ff, sog. Seltenheitsfall in einem Off-Label-Use-Fall). Damit hat das BSG auch seinerseits (konkludent) eine verfassungskonforme Auslegung für derartige Seltenheitsfälle vorgenommen und eine Fallkonstellation anerkannt, die einer notstandsähnlichen Situation im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG nahe kommt.
(b) Neben der Seltenheit der Erkrankung spricht auch die derzeit perspektivlose Behandlungssituation des Klägers dafür, eine Ausnahmeregelung für Lorenzo`s Öl zuzulassen und das Spezialöl als Sachleistung bei einer Erkrankung von AMN auch ohne arzneimittelrechtliches Zulassungsverfahren zu bewilligen.
Die Erkrankung der AMN des Klägers ist unheilbar und kann medizinisch nur im Sinne einer Linderung der Symptome, nicht jedoch hinsichtlich der Krankheitsursache behandelt werden. Unbehandelt führt diese Erkrankung zu schweren geistigen oder körperlichen Beeinträchtigungen in Gestalt von spastischen Lähmungen der Beine, peripherer Neuropathie und Nebennierenrindeninsuffizienz. Nach der überzeugend begründeten Auffassung des Sachverständigen Prof. Dr. R. , der sich der Senat anschließt, hat sich die Behandlung mit Lorenzo`s Öl in Fällen der AMN in der Praxis allgemein durchgesetzt. Zu dem Mittel gibt es auch keine Alternative, was auch von der Beklagten festgestellt wurde. Nach dem ausführlichen Gutachten von K. vom Februar 2005 und seinen weiteren Befundberichten und Stellungnahmen ist mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Einsatz von Lorenzo`s Öl die Auswirkungen der AMN reduzieren oder doch zumindest zeitlich verzögern kann. K. ist auch mit Blick auf die Anzahl der von ihm behandelten Patienten als ausreichend fachkundig bei der Einschätzung der Behandlungsmöglichkeiten dieser seltenen Erkrankung anzusehen und besitzt unter Fachkollegen ein hohes Ansehen wegen seiner wissenschaftlichen Qualitäten. Nach seiner Auffassung kann unter Berücksichtigung seiner praktischen Erfahrungswerte bei der Behandlung mit Lorenzo`s Öl von einem guten Wirkungsgrad ohne wesentliche Nebenwirkungen ausgegangen werden. Dies zeigt auch der Krankheitsverlauf des Klägers. Nach Auffassung von K. vermochte allein die Gabe von Lorenzo`s Öl den Gesundheitszustand des Klägers zu stabilisieren. Demgegenüber hat sich der Zustand des Klägers nach dem Absetzen der Fertigöltherapie im Januar 2005 im Hinblick auf das Auftreten der spastischen Lähmungen offenbar verschlechtert. Auch der Sachverständige Prof. Dr. R. spricht sich uneingeschränkt für den Einsatz von Lorenzo`s Öl bei AMN als einzig mögliche und hinreichend wirksame Therapieform aus. Zwar hält auch er den Nutzbarkeitsnachweis des Spezialöls bei dieser Erkrankung für wissenschaftlich nicht erwiesen. Gleichwohl geht er – wie auch K. – mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit von einem therapeutischen Nutzen der Gabe von Lorenzo`s Öl bei der Behandlung einer AMN aus. Dies muss gerade auch vor dem Hintergrund der Besonderheiten eines sog. Seltenheitsfalls genügen, da eine fundierte wissenschaftliche Erforschung der Therapiewirksamkeit gerade nicht erwartet werden kann.
Die gegenteilige Stellungnahme des sozialmedizinischen Dienstes vom 18. Juni 2007 vermag diese Wahrscheinlichkeitsvermutung der Therapiewirksamkeit von Lorenzo`s Öl gegen die Auswirkungen einer AMN nicht erschüttern. Sie beschränkt sich im Wesentlichen auf die Vermutung, dass es auch unter Gabe von Lorenzo`s Öl zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Klägers gekommen sei. Hierbei darf jedoch nicht übersehen werden, dass die Gabe des Spezialöls den sich weiter fortschreitenden Krankheitsverlauf der AMN nicht sicher aufhalten, sondern allenfalls verzögernde Wirkungen entfalten kann. Wie die Auswirkungen der AMN des Klägers ohne Einsatz des Spezialöls gewesen wären, bleibt eine bloße Vermutung ohne jede Tatsachengrundlage. Nach derzeitigem Erkenntnisstand sprechen jedoch die überwiegenden Gründe für eine hinreichende Therapiewirksamkeit von Lorenzo`s Öl, wobei nicht übersehen werden darf, dass die Beklagte dem Kläger keine andere erfolgswahrscheinlichere Ersatztherapie aus dem Katalog der GKV anzubieten vermag.
Ein Leistungsausschluss würde für den weitgehend mittellosen Kläger mit hoher Wahrscheinlichkeit eine weitere spürbare allmähliche Verschlechterung seines Gesundheitszustandes bedeuten, indem er den weiteren Verlauf der fortschreitenden Erkrankung einfach abwarten und sich mit den verschlimmernden Nervenstörungen der Beine, der Arme und ggf. in den Sinnesorganen abfinden müsste. Dies begründet gerade vor dem Hintergrund eines Seltenheitsfalls und der Alternativlosigkeit einer anderen Behandlung eine schwerwiegende Versorgungslücke, die vor dem Hintergrund einer Pflichtversicherung und des Schutzauftrages des Staates grundrechtlich nicht hingenommen werden kann.
(c) Die Beweggründe des BSG, sich für ein strenges Zulassungsverfahren von Arzneimitteln im Bereich der GKV auszusprechen, treffen auf Lorenzo´s Öl nicht zu. Gerade unter Beachtung der Qualitätsanforderungen an Arzneimittel und des Wirtschaftlichkeitsgebots unterliegt ein Leistungsanspruch auf Lorenzo`s`Öl bei der AMN im Bereich der GKV keinen grundlegenden Bedenken.
Die Rechtsprechung des BSG, nur arzneimittelrechtlich zugelassene Medikamente in den Leistungskatalog der GKV aufzunehmen, erklärt sich vor dem Hintergrund zweier zentraler Argumente, denen auch der Senat uneingeschränkt zustimmt: Es sollen nur Arzneimittel verschrieben werden, die in einem umfassenden Prüfungsverfahren ihre Wirksamkeit, Zweckmäßigkeit und Qualität hinreichend unter Beweis gestellt haben. Die Behandlung ohne jede Qualitätskontrolle steht unter dem unkalkulierbaren Risiko etwaiger Gesundheitsschäden, die nicht der Versichertengemeinschaft aufgebürdet werden dürfen (BSG, Urteil vom 18. Mai 2004 - B 1 KR 21/02). Schließlich ist der Einsatz eines nicht zugelassenen Arzneimittels unter Strafe gestellt (vgl. §§ 95, 96 AMG), so dass ein verbotswidriges Handeln grundsätzlich keine Leistungspflicht der Krankenkasse begründen kann. Der Einsatz von Lorenzo`s Öl begründet für den Kläger keine unkalkulierbaren Gesundheitsrisiken und genügt qualitativen Grundvoraussetzungen. Die Gabe dieses nach K. "therapeutischen Spezialöls", das nach den rechtlichen Bestimmungen zwar als Arzneimittel angesehen werden muss, jedoch unverkennbar auch deutliche Bezüge zum Lebensmittelbereich aufweist, ist langjährig erprobt und unterliegt keinen qualitativen Mängeln. Die (möglichen) Nebenwirkungen von Lorenzo`Öl erlauben zwar keine unkontrollierte Abgabe an Dritte, sind jedoch in einer Abwägung von Nutzen und Risiken als beherrschbar anzusehen. Die auftretenden Blutbildveränderungen (Anämie, Leukopenie, Thrombozytopenie) und Transaminaseanstiege sowie Nieren-funktionsstörungen sind gerade wegen der Alternativlosigkeit der Behandlung bei AMN und den schwerwiegenden Folgen der Erkrankung im weiteren Verlauf hinzunehmen und zudem bei ärztlicher Kontrolle als sicher beherrschbar anzusehen.
Die Bewilligung dieses Spezialöls ist auch unter Beachtung des Wirtschaftlichkeits-gebots vertretbar. Diesem Gebot kommt aus verfassungsrechtlicher Sicht eine erhebliche Bedeutung zu, da der Kostenaspekt in den gesetzgeberischen Entscheidungen zum SGB V eine zunehmende Beachtung gefunden hat (BVerfG 103, 172, 184). Die unkontrollierte Zulassung von ungeprüften und ggf. sogar unwirtschaftlichen ärztlichen Verordnungen darf nicht hingenommen werden. Dies würde die Ausgabensituation der GKV unzumutbar belasten. Diesen Aspekt hält auch das BVerfG in dem oben genannten Beschluss für verfassungsrechtlich nach wie vor zutreffend und für rechtlich nicht zu beanstanden (BVerfGE 115 S. 25, 46). Im vorliegenden Fall ergeben sich aber auch aus Gründen der Wirtschaftlichkeit keine durchgreifenden Bedenken, die gegen eine Zulassung von Lorenzo`s Öl als Arzneimittel für den konkreten Fall sprechen könnten. Angesichts des Vorliegens eines sog. Seltenheitsfalls und den damit verbundenen geringen Fallzahlungen der betroffenen Patientengruppen mit AMN ist die wirtschaftliche Belastung der Versichertengemeinschaft als begrenzt anzusehen. Hinzu kommen die eher geringen Kosten einer Therapie mit Lorenzo`s Öl für den einzelnen Versicherten, die mit deutlich unter 1.000 EUR monatlich angesetzt werden können.
Noch zu beachten ist eine Besonderheit des vorliegenden Falls: Selbst der Bundesausschuss als das entscheidende Kontrollorgan für ggf. neue therapeutische Behandlungen geht zumindest auf Referentenebene in seinem Schreiben vom 27. April 2006 davon aus, dass es sich bei Lorenzo`s Öl nur um ein diätetisches Lebensmittel handele. Wäre dies - entgegen der oben dargestellten Rechtsansicht - der Fall, müsste - wie bereits das Landessozialgericht Hessen im Urteil vom 25. Januar 2007 - L 8 KR 18/05 (zitiert nach www.Sozialgerichtsbarkeit.de) zutreffend ausgeführt hat - eine Verschreibung nach 15.2.5 der AMRL in Fällen der seltenen AMN möglich sein und sich der Streit der Beteiligten "an sich" erübrigen. Diese Fehldeutung des Bundesausschusses begründet zwar noch kein wertungserhebliches Systemversagen, bedeutet aber, dass der Kläger unabhängig von den ohnehin bestehenden Forschungsproblemen bei dieser Erkrankung in absehbarer Zeit mit keiner Zulassungsprüfung rechnen kann, da das Kontrollorgan zumindest im Jahr 2006 keinen entsprechenden Handlungsbedarf gesehen hat. Mit dieser Einschätzung folgt der Bundesausschuss im Übrigen den vom Gesundheitsministerium für Gesundheit und Soziales selbst vorgenommenen Richtlinienänderungen für das Arzneimittelrecht ab dem 1. Oktober 2005. Diese Neuregelung führte gerade in den sog. Seltenheitsfällen zu Vereinfachungen der Verordnungsfähigkeit von diätetischen Lebensmitteln und unterstreicht nochmals, dass aus Sicht des Verordnungsgebers keine qualitativen und wirtschaftlichen Bedenken gegen einen Leistungsanspruch auf Lorenzo`s Öl bestehen würden, wenn es als diätetisches Lebensmittel zu qualifizieren wäre. Entgegen der Ansicht der Beklagten hat das BSG in seinem Beschluss vom 4. Juli 2005 - B 1 KR 101/04 B den Leistungsanspruch auf dieses Spezialöl nicht in der Sache entschieden, sondern die Nichtzulassungsbeschwerde aus formalen Gründen zurückgewiesen.
Dem Kläger ist damit auf der Grundlage der gebotenen verfassungskonformen Auslegung ein Sachleistungsanspruch auf Lorenzos`Öl zu bewilligen. Die von K. vorgenommene Verordnung erfüllt auch die weiteren Voraussetzungen des § 12 SGB V der medizinischen Notwendigkeit und des Wirtschaftlichkeitsgebots. Es kann insoweit auf die obigen Ausführungen verwiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Der Senat hat hierbei berücksichtigt, dass die Vorinstanz auf einen Kostenerstattungsanspruch im Sinne des § 13 Abs. 3 SGB V hingewirkt hat, obwohl sich der Kläger ab dem Jahr 2005 mit eigenen Mitteln Lorenzo`s Öl nicht verschaffen konnte und damit allein ein Sachleistungsanspruch geprüft werden musste. Die Revision war gemäß § 160 Abs. 2 Ziffer 1 SGG zuzulassen. Die Sache hat grundsätzliche Bedeutung. Der Senat weicht mit seiner Entscheidung in der Begründung vom Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 25. Januar 2007 und im Ergebnis von den Urteilen des Thüringer Landessozialgerichts vom 27. September 2004 - L 6 883/02 und Landessozialgericht Baden-Württemberg vom 8. August 2006 - L 11 KR 1438/06 ab. Zudem befürwortet der Senat wegen der besonderen Umstände des Einzelfalls in seiner grundrechtskonformen Auslegung einen "notstandsähnlichen" Fall, der teilweise von der eher einschränkenden Rechtsprechung des BSG im Anschluss an den Beschluss des BVerfG vom 6. Dezember 2005 abweicht. Im Übrigen hat das BSG zu einem Anspruch auf Versorgung mit einem nicht zugelassenen Arzneimittel im Grenzbereich zum Lebensmittelrecht noch nicht abschließend entschieden.
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