Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 8 U 130/04
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 2 U 130/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 27. Februar 2007 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über eine Anerkennung des Wirbelsäulenleidens des Klägers als Berufskrankheit (BK) Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV).
Der 1942 geborene Kläger war beruflich als Bauhelfer im Hoch-, Straßen-, Tief- und Asphaltbau sowie kurzzeitig als Kohlenträger mit einer insgesamt ca. 30 jährigen Beschäftigungszeit tätig. Der Technische Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten errechnete aufgrund dessen zunächst eine Gesamtdosis für die arbeitstechnischen Belastungen nach dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell von 21,54 MNh, die zuletzt am 13. Februar 2006 in 17,3 MNh korrigiert wurde.
Auf Anmeldung eines Erstattungsanspruches der Krankenkasse des Klägers, der AOK Berlin, holte die Beklagte einen Befundbericht des behandelnden Arztes d sowie ein Vorerkrankungsverzeichnis der Krankenkasse ein und zog Röntgenbefunde sowie Unterlagen der Landesversicherungsanstalt (LVA) Brandenburg, u. a. mit einem Gutachten der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dipl. Med. R, bei und befragte den Arbeitsmediziner Dr. R, der eine direkte Bandscheibenbeteiligung als nicht gesichert ansah, aber weitere Untersuchungen empfahl, sofern die arbeitstechnischen Voraussetzungen erfüllt seien.
Mit Bescheid vom 22. Mai 2002 lehnte die Beklagte dennoch die Feststellung der Voraussetzungen der BK Nr. 2108 sowie die Gewährung von Entschädigungen ab, da die medizinischen Voraussetzungen für die Berufskrankheit nicht erfüllt seien. Der Kläger erhob hiergegen Widerspruch, mit dem er ausführte, sich seine Wirbelsäulenschäden beruflich zugezogen zu haben. Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 26. Juli 2002 zurück.
Hiergegen erhob der Kläger Klage, die beim Sozialgericht Neuruppin zum Az. S 8 U 100/02 geführt wurde. Das Sozialgericht ermittelte durch Einholung von Befundberichten, Beiziehung von Unterlagen der Krankenkasse des Klägers, sowie der LVA Brandenburg und holte sodann ein Gutachten des Facharztes für Chirurgie und Traumatologie Dr. M vom 22. Januar 2003 ein. Dieser führte aus, dass für die Anerkennung eines bandscheibenbedingten Leidens als Berufskrankheit die komplette Erfüllung der folgenden vier Kriterien Voraussetzung sei:
1. Es müsse eine zehnjährige Tätigkeit mit Heben und Tragen schwerer Lasten oder Arbeiten in extremer Rumpfbeugehaltung bzw. unter vertikaler Einwirkung von Ganzkörperschwingungen verrichtet worden sein, 2. chronisch-rezidivierender Charakter der Beschwerden, 3. klinische Zeichen einer Segmentstörung, 4. röntgenologische Zeichen.
Diese Voraussetzungen seien erfüllt, so dass von einer Berufskrankheit im Sinne der BK 2108/2110 auszugehen sei. Es liege ein bandscheibenbedingtes Wirbelsäulenleiden im Segment L4/5 vor. Auch konzentriere sich der Schwerpunkt der Schädigung eindeutig im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule (LWS). Der Gutachter blieb in einer Rückäußerung vom 31. Oktober 2003 zu Einwänden der Beklagten bei seiner Einschätzung.
Durch Beschluss vom 20. November 2003 hat das Sozialgericht Neuruppin dieses Verfahren gemäß § 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i. V. m. § 251 Zivilprozessordnung (ZPO) zum Ruhen gebracht. Auf Antrag des Klägers wurde das Verfahren im Dezember 2004 unter dem Az. S 8 U 130/04 fortgeführt.
Nach Ermittlungen zu den so genannten arbeitstechnischen Voraussetzungen, also zur Arbeitsbelastung, hat das Sozialgericht sodann ein Gutachten des Chirurgen Dr. B vom 24. Oktober 2006 eingeholt. Dieser kam zu dem Ergebnis, dass beim Kläger erhebliche degenerative Veränderungen und eine Fehlhaltung der Wirbelsäule in sämtlichen Wirbelsäulenabschnitten bei Ausschluss einer Nervenwurzelreizsymptomatik sowie degenerative Veränderungen in den Hüftgelenken und in den Ileosakralgelenken mit Neigung zu lokalisierten Reizerscheinungen bestünden. Die Gesundheitsschäden seien nicht mit Wahrscheinlichkeit auf die berufliche Tätigkeit des Klägers zurückzuführen. Die gleichmäßig über sämtliche Wirbelsäulenabschnitte verteilten und radiologisch zu sichernden Verschleißerscheinungen, die bestehende Osteoporose und die auch schon von Dr. M nachgewiesene und beschriebene Wirbelkörperverformung im Sinne von Keilwirbelbildungen seien eindeutig und ausschließlich durch schicksalhafte Prozesse zustande gekommen und nicht einer eigentlichen, isolierten Erkrankung der LWS zuzuordnen.
Mit Urteil vom 27. Februar 2007 hat das Sozialgericht Neuruppin die Klage unter Bezugnahme auf das Gutachten des Dr. B abgewiesen, da der ursächliche Zusammenhang zwischen der Arbeitsbelastung und der bandscheibenbedingten Erkrankung zu verneinen sei.
Gegen dieses am 03. Mai 2007 zugegangene Urteil richtet sich die am 31. Mai 2007 eingegangene Berufung des Klägers. Der Kläger verweist zur Begründung auf das Gutachten des Dr. M, der schließlich vom Gericht selbst als Gutachter benannt worden sei. Dieser habe ihn umfassend untersucht, während Dr. B sich gerade mal 30 Minuten Zeit genommen hätte. Im Übrigen habe er zu keiner Zeit sein Einverständnis für ein Ruhen des Verfahrens gegeben.
Aus dem Vorbringen des Klägers folgt sein Antrag,
das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 27. Februar 2007 und den Bescheid der Beklagten vom 22. Mai 2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26. Juli 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen der Folgen einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung eine Verletztenteilrente zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verweist auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil und den Inhalt ihrer Verwaltungsakte.
Das Gericht hat zur Aufklärung des Sachverhaltes ein Gutachten des Facharztes für Orthopädie Dr. W vom 20. Februar 2008 eingeholt. Dieser führte aus, dass eine chronisch-degenerative Segmentschädigung der Etage L4/5 vorliege, wobei nicht nachgewiesen werden könne, dass hierfür eine Bandscheibenveränderung ursächlich gewesen sei. Es handele sich somit um ein allgemeines degeneratives knöchernes Wirbelsäulenleiden. Als Gesundheitsstörungen im Bereich des Achsenorgans lägen eine Osteochondrose auf dem Segment L4/5 bei linkskonvexer Torsionsskoliose der unteren LWS, eine multisegmentale Osteochondrose/Spondylose der mittleren und unteren Brustwirbelsäule (BWS), eine Wirbelkörperdeformierung (Fischwirbel) der unteren BWS, eine hochgradige Osteochondrose der Segmente HWK 5 7 und eine Wirbelsäulenfehlstatik mit linkskonvexer Torsionsskoliose der unteren LWS sowie eine Beckenverkippung nach links vor. Die beschriebenen Abnutzungserscheinungen der LWS, BWS und Halswirbelsäule (HWS) seien nicht ursächlich oder teilursächlich auf die Tätigkeit des Klägers als Stahlbetonbauer zurückzuführen. Ein belastungskonformes, bandscheibenbezogenes Beschwerdebild lasse sich nicht unstrittig rekonstruieren. An der LWS finde sich lediglich auf der Höhe L4/5 eine altersüberschreitende Osteochondrose. Aus der Befundkonstellation könne nicht abgeleitet werden, ob tatsächlich eine beruflich induzierte Überlastung der Bandscheibe eingeleitet worden sei. Es sei untypisch für die berufliche Belastung, dass die vorletzte Etage unter Ausschluss der Hauptbelastungszone L5/S1 betroffen sei. Die aktuellen Konsensusempfehlungen (Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der LWS, Trauma und Berufskrankheit 2005, 211 ff. und 320 ff., U. Bolm Audorff u. a.) schlössen eine derartige Konstellation zwar nicht grundsätzlich aus, erforderten für diesen Fall jedoch bestimmte belastungsadaptive Reaktionen wie eine dorsale Spondylose. Dies sei durchgehend bezogen auf die LWS nicht der Fall. Folglich fehle ein wichtiges radiologisches Positivkriterium. Ferner fänden sich im Bereich der mittleren und unteren BWS ausgeprägte Veränderungen, hier zeige sich ein weitaus stärkerer Degenerationsprozess mit multisegmentalem Befall als im Bereich der unteren LWS. Eine ähnliche Befundkonstellation finde sich im Bereich der HWS. Ausgehend von den Konsensusempfehlungen läge am ehesten die Konstellation B5 vor, wobei der deutlich stärkere Befall der unteren HWS als auch der BWS eine kausale Beziehung unwahrscheinlich machten. Ferner beständen eindeutig konkurrierende Ursachen, zu denen neben der inneren Disposition, auf welche die höheren Verschleißerscheinungen auf belastungsfernen Abschnitten der BWS und HWS hinwiesen, die deutliche Fehlstatik zu nennen sei. Dr. M beschreibe die gleichen radiologischen Phänomene, ziehe hieraus jedoch die falschen Schlüsse. Die Vorgaben in der allgemeinen Gutachtenliteratur und auch in der Aktualisierung durch die Konsensusempfehlungen seien diesbezüglich eindeutig. Der auch von Dr. M beschriebene Befund L4/5 mache selbst eine berufliche Verursachung unwahrscheinlich. Der Nachweis von ventralen Spondylosen besitze entgegen Dr. M keine Indizwirkung. Dorsale Spondylosen seien von ihm nicht beschrieben worden. Nicht nachvollziehbar seien auch seine Ausführungen hinsichtlich der Begründung, wenn er einerseits darstelle, dass keine konkurrierenden Erkrankungen der Wirbelsäule erkennbar seien, gleichzeitig jedoch im Bereich der HWS anhand der ihm vorliegenden Bilder eine deutliche Osteochondrose und im Bereich der LWS die bereits genannte Fehlstatik beschreibe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie den der Verwaltungsakte der Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Über die Berufung konnte mit Zustimmung der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden werden.
Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten und das erstinstanzliche Urteil sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Anerkennung seines Wirbelsäulenleidens als Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV.
Anspruch auf Rente haben gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebentes Buch Sozialgesetzbuch, Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII), Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit in Folge eines Versicherungsfalles – eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit – um wenigstens 20 vom Hundert gemindert ist. Berufskrankheiten sind gemäß § 9 Abs. 1 SGB VII Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als solche bezeichnet und die Versicherte in Folge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Zu den vom Verordnungsgeber bezeichneten Berufskrankheiten gehören nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV bandscheibenbedingte Erkrankungen der LWS durch langjähriges Heben und Tragen schwerer Lasten oder langjährige Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können. Die Feststellung dieser Berufskrankheit setzt voraus, dass zum einen die arbeitstechnischen Voraussetzungen in der Person des Klägers gegeben sind und dass zum anderen das typische Krankheitsbild dieser Berufskrankheit vorliegt und dieses im Sinne der unfallrechtlichen Kausalitätslehre wesentlich ursächlich auf die berufliche Tätigkeit zurückzuführen ist. Die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß müssen im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht grundsätzlich die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit, nicht jedoch die bloße Möglichkeit ausreicht (Bundessozialgericht, BSG, SozR 3-2200, § 551 Nr. 18 m. w. N.).
Vorliegend sind die medizinischen Voraussetzungen für die BK Nr. 2108 nicht erfüllt, da das typische Krankheitsbild dieser Berufskrankheit nicht gegeben ist. Zu diesem Ergebnis sind übereinstimmend die Gutachter Dr. B und Dr. W gekommen. Das Gericht folgt vorliegend insbesondere den Feststellungen des von ihm gehörten Dr. W in dessen Gutachten vom 20. Februar 2008, der sorgfältig unter Auswertung sämtlicher Befunde und bei nachvollziehbarer Würdigung des Gesamtschadensbildes das von ihm gefundene Ergebnis begründet, wonach die Voraussetzungen für eine BK Nr. 2108 nicht gegeben sind.
Den Ausführungen des Dr. M konnte hingegen nicht gefolgt werden. Entgegen der vom Kläger geäußerten Auffassung kam es hierbei nicht darauf an, dass Dr. M auf die Untersuchung des Klägers mehr Zeit verwandt haben mag als die übrigen gehörten Gutachter. Denn maßgebend kann nur sein, ob ein Gutachter für die Beurteilung des Zusammenhanges zwischen dem festgestellten Schadensbild und der beruflichen Verursachung von allgemein anerkannten wissenschaftlichen Erkenntnissen ausgegangen ist. Dies war bei Dr. M eindeutig nicht der Fall. Die von ihm genannten und oben wiedergegebenen Voraussetzungen entsprachen zu keinem Zeitpunkt den Vorgaben der unfallversicherungsrechtlichen Literatur, wie sie etwa in dem Standardwerk Arbeitsunfall und Berufskrankheit (Schönberger/Mehrtens/Valentin, 7. Aufl., 2003, Seite 577 ff. m. w. N.) wiedergegeben sind. Auf derartige medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse ist auch nach der ständigen Rechtsprechung bei der Urteilsfindung abzustellen. Seit Veröffentlichung der so genannten Konsensusempfehlungen (a. a. O.) ergibt sich aus diesen der für das Gericht seiner Beurteilung zugrunde zu legende aktuelle Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse, der grundsätzlich durch einschlägige Publikationen wie beispielsweise die Merkblätter des zuständigen Bundesministeriums oder Konsensusempfehlungen der mit der Fragestellung befassten Fachmediziner festgestellt werden kann, sofern sie zeitnah erstellt oder aktualisiert worden sind und sich auf dem neuesten Stand befinden (Bundessozialgericht BSG , Urteil vom 27. Juni 2006, B 2 U 20/04 R, SozR 4 2700 § 9 Nr. 7). Diese Voraussetzungen sind für die erst 2005 veröffentlichten Konsensusempfehlungen zu bejahen. Vorliegend ist Dr. W bei Anwendung der hier genannten Kriterien zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Verursachung des Wirbelsäulenleidens durch die berufliche Tätigkeit des Klägers nicht wahrscheinlich ist. Unter anderem maßgebend für diese Entscheidung war, dass beim Kläger unter Ausschluss der Hauptbelastungszone L5/S1 die gesamte Wirbelsäule schwer beeinträchtigt ist, so dass es an dem von Dr. M mit keinem Wort erwähnten, nach allgemein wissenschaftlichen Erkenntnissen jedoch unbedingt erforderlichen so genannten belastungskonformen Schädigungsmuster fehlt.
Unerheblich war nach allem auch entgegen der vom Kläger im Erörterungstermin genannten Auffassung, wie andere Sozialleistungsträger in anderen Verfahren entschieden haben mögen, da z. B. der Rentenversicherungsträger seinen Entscheidungen gänzlich andere Kriterien zugrunde zu legen hat als der Unfallversicherungsträger; insbesondere kommt es im Rentenverfahren auf die vorliegend entscheidende Frage, wodurch bestimmte Erkrankungen verursacht wurden, überhaupt nicht an.
Nach alledem war die Berufung daher zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG, sie folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über eine Anerkennung des Wirbelsäulenleidens des Klägers als Berufskrankheit (BK) Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV).
Der 1942 geborene Kläger war beruflich als Bauhelfer im Hoch-, Straßen-, Tief- und Asphaltbau sowie kurzzeitig als Kohlenträger mit einer insgesamt ca. 30 jährigen Beschäftigungszeit tätig. Der Technische Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten errechnete aufgrund dessen zunächst eine Gesamtdosis für die arbeitstechnischen Belastungen nach dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell von 21,54 MNh, die zuletzt am 13. Februar 2006 in 17,3 MNh korrigiert wurde.
Auf Anmeldung eines Erstattungsanspruches der Krankenkasse des Klägers, der AOK Berlin, holte die Beklagte einen Befundbericht des behandelnden Arztes d sowie ein Vorerkrankungsverzeichnis der Krankenkasse ein und zog Röntgenbefunde sowie Unterlagen der Landesversicherungsanstalt (LVA) Brandenburg, u. a. mit einem Gutachten der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dipl. Med. R, bei und befragte den Arbeitsmediziner Dr. R, der eine direkte Bandscheibenbeteiligung als nicht gesichert ansah, aber weitere Untersuchungen empfahl, sofern die arbeitstechnischen Voraussetzungen erfüllt seien.
Mit Bescheid vom 22. Mai 2002 lehnte die Beklagte dennoch die Feststellung der Voraussetzungen der BK Nr. 2108 sowie die Gewährung von Entschädigungen ab, da die medizinischen Voraussetzungen für die Berufskrankheit nicht erfüllt seien. Der Kläger erhob hiergegen Widerspruch, mit dem er ausführte, sich seine Wirbelsäulenschäden beruflich zugezogen zu haben. Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 26. Juli 2002 zurück.
Hiergegen erhob der Kläger Klage, die beim Sozialgericht Neuruppin zum Az. S 8 U 100/02 geführt wurde. Das Sozialgericht ermittelte durch Einholung von Befundberichten, Beiziehung von Unterlagen der Krankenkasse des Klägers, sowie der LVA Brandenburg und holte sodann ein Gutachten des Facharztes für Chirurgie und Traumatologie Dr. M vom 22. Januar 2003 ein. Dieser führte aus, dass für die Anerkennung eines bandscheibenbedingten Leidens als Berufskrankheit die komplette Erfüllung der folgenden vier Kriterien Voraussetzung sei:
1. Es müsse eine zehnjährige Tätigkeit mit Heben und Tragen schwerer Lasten oder Arbeiten in extremer Rumpfbeugehaltung bzw. unter vertikaler Einwirkung von Ganzkörperschwingungen verrichtet worden sein, 2. chronisch-rezidivierender Charakter der Beschwerden, 3. klinische Zeichen einer Segmentstörung, 4. röntgenologische Zeichen.
Diese Voraussetzungen seien erfüllt, so dass von einer Berufskrankheit im Sinne der BK 2108/2110 auszugehen sei. Es liege ein bandscheibenbedingtes Wirbelsäulenleiden im Segment L4/5 vor. Auch konzentriere sich der Schwerpunkt der Schädigung eindeutig im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule (LWS). Der Gutachter blieb in einer Rückäußerung vom 31. Oktober 2003 zu Einwänden der Beklagten bei seiner Einschätzung.
Durch Beschluss vom 20. November 2003 hat das Sozialgericht Neuruppin dieses Verfahren gemäß § 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i. V. m. § 251 Zivilprozessordnung (ZPO) zum Ruhen gebracht. Auf Antrag des Klägers wurde das Verfahren im Dezember 2004 unter dem Az. S 8 U 130/04 fortgeführt.
Nach Ermittlungen zu den so genannten arbeitstechnischen Voraussetzungen, also zur Arbeitsbelastung, hat das Sozialgericht sodann ein Gutachten des Chirurgen Dr. B vom 24. Oktober 2006 eingeholt. Dieser kam zu dem Ergebnis, dass beim Kläger erhebliche degenerative Veränderungen und eine Fehlhaltung der Wirbelsäule in sämtlichen Wirbelsäulenabschnitten bei Ausschluss einer Nervenwurzelreizsymptomatik sowie degenerative Veränderungen in den Hüftgelenken und in den Ileosakralgelenken mit Neigung zu lokalisierten Reizerscheinungen bestünden. Die Gesundheitsschäden seien nicht mit Wahrscheinlichkeit auf die berufliche Tätigkeit des Klägers zurückzuführen. Die gleichmäßig über sämtliche Wirbelsäulenabschnitte verteilten und radiologisch zu sichernden Verschleißerscheinungen, die bestehende Osteoporose und die auch schon von Dr. M nachgewiesene und beschriebene Wirbelkörperverformung im Sinne von Keilwirbelbildungen seien eindeutig und ausschließlich durch schicksalhafte Prozesse zustande gekommen und nicht einer eigentlichen, isolierten Erkrankung der LWS zuzuordnen.
Mit Urteil vom 27. Februar 2007 hat das Sozialgericht Neuruppin die Klage unter Bezugnahme auf das Gutachten des Dr. B abgewiesen, da der ursächliche Zusammenhang zwischen der Arbeitsbelastung und der bandscheibenbedingten Erkrankung zu verneinen sei.
Gegen dieses am 03. Mai 2007 zugegangene Urteil richtet sich die am 31. Mai 2007 eingegangene Berufung des Klägers. Der Kläger verweist zur Begründung auf das Gutachten des Dr. M, der schließlich vom Gericht selbst als Gutachter benannt worden sei. Dieser habe ihn umfassend untersucht, während Dr. B sich gerade mal 30 Minuten Zeit genommen hätte. Im Übrigen habe er zu keiner Zeit sein Einverständnis für ein Ruhen des Verfahrens gegeben.
Aus dem Vorbringen des Klägers folgt sein Antrag,
das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 27. Februar 2007 und den Bescheid der Beklagten vom 22. Mai 2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26. Juli 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen der Folgen einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung eine Verletztenteilrente zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verweist auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil und den Inhalt ihrer Verwaltungsakte.
Das Gericht hat zur Aufklärung des Sachverhaltes ein Gutachten des Facharztes für Orthopädie Dr. W vom 20. Februar 2008 eingeholt. Dieser führte aus, dass eine chronisch-degenerative Segmentschädigung der Etage L4/5 vorliege, wobei nicht nachgewiesen werden könne, dass hierfür eine Bandscheibenveränderung ursächlich gewesen sei. Es handele sich somit um ein allgemeines degeneratives knöchernes Wirbelsäulenleiden. Als Gesundheitsstörungen im Bereich des Achsenorgans lägen eine Osteochondrose auf dem Segment L4/5 bei linkskonvexer Torsionsskoliose der unteren LWS, eine multisegmentale Osteochondrose/Spondylose der mittleren und unteren Brustwirbelsäule (BWS), eine Wirbelkörperdeformierung (Fischwirbel) der unteren BWS, eine hochgradige Osteochondrose der Segmente HWK 5 7 und eine Wirbelsäulenfehlstatik mit linkskonvexer Torsionsskoliose der unteren LWS sowie eine Beckenverkippung nach links vor. Die beschriebenen Abnutzungserscheinungen der LWS, BWS und Halswirbelsäule (HWS) seien nicht ursächlich oder teilursächlich auf die Tätigkeit des Klägers als Stahlbetonbauer zurückzuführen. Ein belastungskonformes, bandscheibenbezogenes Beschwerdebild lasse sich nicht unstrittig rekonstruieren. An der LWS finde sich lediglich auf der Höhe L4/5 eine altersüberschreitende Osteochondrose. Aus der Befundkonstellation könne nicht abgeleitet werden, ob tatsächlich eine beruflich induzierte Überlastung der Bandscheibe eingeleitet worden sei. Es sei untypisch für die berufliche Belastung, dass die vorletzte Etage unter Ausschluss der Hauptbelastungszone L5/S1 betroffen sei. Die aktuellen Konsensusempfehlungen (Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der LWS, Trauma und Berufskrankheit 2005, 211 ff. und 320 ff., U. Bolm Audorff u. a.) schlössen eine derartige Konstellation zwar nicht grundsätzlich aus, erforderten für diesen Fall jedoch bestimmte belastungsadaptive Reaktionen wie eine dorsale Spondylose. Dies sei durchgehend bezogen auf die LWS nicht der Fall. Folglich fehle ein wichtiges radiologisches Positivkriterium. Ferner fänden sich im Bereich der mittleren und unteren BWS ausgeprägte Veränderungen, hier zeige sich ein weitaus stärkerer Degenerationsprozess mit multisegmentalem Befall als im Bereich der unteren LWS. Eine ähnliche Befundkonstellation finde sich im Bereich der HWS. Ausgehend von den Konsensusempfehlungen läge am ehesten die Konstellation B5 vor, wobei der deutlich stärkere Befall der unteren HWS als auch der BWS eine kausale Beziehung unwahrscheinlich machten. Ferner beständen eindeutig konkurrierende Ursachen, zu denen neben der inneren Disposition, auf welche die höheren Verschleißerscheinungen auf belastungsfernen Abschnitten der BWS und HWS hinwiesen, die deutliche Fehlstatik zu nennen sei. Dr. M beschreibe die gleichen radiologischen Phänomene, ziehe hieraus jedoch die falschen Schlüsse. Die Vorgaben in der allgemeinen Gutachtenliteratur und auch in der Aktualisierung durch die Konsensusempfehlungen seien diesbezüglich eindeutig. Der auch von Dr. M beschriebene Befund L4/5 mache selbst eine berufliche Verursachung unwahrscheinlich. Der Nachweis von ventralen Spondylosen besitze entgegen Dr. M keine Indizwirkung. Dorsale Spondylosen seien von ihm nicht beschrieben worden. Nicht nachvollziehbar seien auch seine Ausführungen hinsichtlich der Begründung, wenn er einerseits darstelle, dass keine konkurrierenden Erkrankungen der Wirbelsäule erkennbar seien, gleichzeitig jedoch im Bereich der HWS anhand der ihm vorliegenden Bilder eine deutliche Osteochondrose und im Bereich der LWS die bereits genannte Fehlstatik beschreibe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie den der Verwaltungsakte der Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Über die Berufung konnte mit Zustimmung der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden werden.
Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten und das erstinstanzliche Urteil sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Anerkennung seines Wirbelsäulenleidens als Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV.
Anspruch auf Rente haben gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebentes Buch Sozialgesetzbuch, Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII), Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit in Folge eines Versicherungsfalles – eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit – um wenigstens 20 vom Hundert gemindert ist. Berufskrankheiten sind gemäß § 9 Abs. 1 SGB VII Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als solche bezeichnet und die Versicherte in Folge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Zu den vom Verordnungsgeber bezeichneten Berufskrankheiten gehören nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV bandscheibenbedingte Erkrankungen der LWS durch langjähriges Heben und Tragen schwerer Lasten oder langjährige Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können. Die Feststellung dieser Berufskrankheit setzt voraus, dass zum einen die arbeitstechnischen Voraussetzungen in der Person des Klägers gegeben sind und dass zum anderen das typische Krankheitsbild dieser Berufskrankheit vorliegt und dieses im Sinne der unfallrechtlichen Kausalitätslehre wesentlich ursächlich auf die berufliche Tätigkeit zurückzuführen ist. Die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß müssen im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht grundsätzlich die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit, nicht jedoch die bloße Möglichkeit ausreicht (Bundessozialgericht, BSG, SozR 3-2200, § 551 Nr. 18 m. w. N.).
Vorliegend sind die medizinischen Voraussetzungen für die BK Nr. 2108 nicht erfüllt, da das typische Krankheitsbild dieser Berufskrankheit nicht gegeben ist. Zu diesem Ergebnis sind übereinstimmend die Gutachter Dr. B und Dr. W gekommen. Das Gericht folgt vorliegend insbesondere den Feststellungen des von ihm gehörten Dr. W in dessen Gutachten vom 20. Februar 2008, der sorgfältig unter Auswertung sämtlicher Befunde und bei nachvollziehbarer Würdigung des Gesamtschadensbildes das von ihm gefundene Ergebnis begründet, wonach die Voraussetzungen für eine BK Nr. 2108 nicht gegeben sind.
Den Ausführungen des Dr. M konnte hingegen nicht gefolgt werden. Entgegen der vom Kläger geäußerten Auffassung kam es hierbei nicht darauf an, dass Dr. M auf die Untersuchung des Klägers mehr Zeit verwandt haben mag als die übrigen gehörten Gutachter. Denn maßgebend kann nur sein, ob ein Gutachter für die Beurteilung des Zusammenhanges zwischen dem festgestellten Schadensbild und der beruflichen Verursachung von allgemein anerkannten wissenschaftlichen Erkenntnissen ausgegangen ist. Dies war bei Dr. M eindeutig nicht der Fall. Die von ihm genannten und oben wiedergegebenen Voraussetzungen entsprachen zu keinem Zeitpunkt den Vorgaben der unfallversicherungsrechtlichen Literatur, wie sie etwa in dem Standardwerk Arbeitsunfall und Berufskrankheit (Schönberger/Mehrtens/Valentin, 7. Aufl., 2003, Seite 577 ff. m. w. N.) wiedergegeben sind. Auf derartige medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse ist auch nach der ständigen Rechtsprechung bei der Urteilsfindung abzustellen. Seit Veröffentlichung der so genannten Konsensusempfehlungen (a. a. O.) ergibt sich aus diesen der für das Gericht seiner Beurteilung zugrunde zu legende aktuelle Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse, der grundsätzlich durch einschlägige Publikationen wie beispielsweise die Merkblätter des zuständigen Bundesministeriums oder Konsensusempfehlungen der mit der Fragestellung befassten Fachmediziner festgestellt werden kann, sofern sie zeitnah erstellt oder aktualisiert worden sind und sich auf dem neuesten Stand befinden (Bundessozialgericht BSG , Urteil vom 27. Juni 2006, B 2 U 20/04 R, SozR 4 2700 § 9 Nr. 7). Diese Voraussetzungen sind für die erst 2005 veröffentlichten Konsensusempfehlungen zu bejahen. Vorliegend ist Dr. W bei Anwendung der hier genannten Kriterien zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Verursachung des Wirbelsäulenleidens durch die berufliche Tätigkeit des Klägers nicht wahrscheinlich ist. Unter anderem maßgebend für diese Entscheidung war, dass beim Kläger unter Ausschluss der Hauptbelastungszone L5/S1 die gesamte Wirbelsäule schwer beeinträchtigt ist, so dass es an dem von Dr. M mit keinem Wort erwähnten, nach allgemein wissenschaftlichen Erkenntnissen jedoch unbedingt erforderlichen so genannten belastungskonformen Schädigungsmuster fehlt.
Unerheblich war nach allem auch entgegen der vom Kläger im Erörterungstermin genannten Auffassung, wie andere Sozialleistungsträger in anderen Verfahren entschieden haben mögen, da z. B. der Rentenversicherungsträger seinen Entscheidungen gänzlich andere Kriterien zugrunde zu legen hat als der Unfallversicherungsträger; insbesondere kommt es im Rentenverfahren auf die vorliegend entscheidende Frage, wodurch bestimmte Erkrankungen verursacht wurden, überhaupt nicht an.
Nach alledem war die Berufung daher zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG, sie folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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BRB
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