L 10 U 5930/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 5930/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Es wird festgestellt, das die Berufung der Klägerin L 10 U 3797/07 durch den gerichtlichen Vergleich vom 27.11.2007 erledigt ist.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin erstrebt die Weitergewährung von Verletztengeld über den 10.01.2005 hinaus. Sie wendet sich zu diesem Zweck gegen die verfahrensbeendigende Wirkung eines gerichtlichen Vergleichs und begehrt die Fortsetzung des Verfahrens.

Die im Jahre 1949 geborene Klägerin ist griechische Staatsangehörige. Am 15.07.2003 wurde sie bei ihrer selbständigen Tätigkeit in einem Grill-Imbiss überfallen, körperlich verletzt und beraubt.

Mit Bescheid vom 01.12.2003 gewährte die Beklagte der wegen psychischer Beschwerden weiterhin arbeitsunfähigen Klägerin rückwirkend ab dem Unfalltage Verletztengeld. Unter dem 15.12.2004 teilte sie der Klägerin mit, das Verletztengeld ende mit Ablauf der 78. Woche, gerechnet vom Tag des Beginns der Arbeitsfähigkeit an, wenn mit dem Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit nicht zu rechnen sei; die Verletztengeldzahlung werde daher mit Ablauf der 78. Woche (10.01.2005) enden. Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29.06.2006 zurück. Die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Stuttgart mit Urteil vom 30.05.2007 - S 1 U 5508/06 - abgewiesen.

Im nachfolgenden Berufungsverfahren L 10 U 3797/07 hat die Klägerin die Sozialrechts-referenten der VdK Sozialrechtsschutz gGmbH zu ihrer Vertretung bevollmächtigt. In der nichtöffentlichen Sitzung des erkennenden Senats vom 27.11.2007 hat die in Begleitung eines der bevollmächtigten Sozialrechtsreferenten erschienene Klägerin vor der Berichterstatterin angegeben, sie wünsche eine Arbeitstherapie. Im Anschluss an eine Unterbrechung der Sitzung haben die Beteiligten sodann auf Vorschlag der Berichterstatterin folgenden Vergleich geschlossen:

"1. Die Klägerin stellt einen Antrag auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. 2. Die Beklagte verpflichtet sich, diesen Antrag der Klägerin zu überprüfen und ihr einen rechtsmittelfähigen Bescheid zu erteilen. 3. Die Klägerin nimmt die Berufung im Hinblick auf das Verletztengeld zurück. 4. Die Beteiligten erklären den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt. 5. Die Kosten werden gegeneinander aufgehoben."

Darunter findet sich im Anschluss an die Ruhens Anträge der Beteiligten in einem zugleich erörterten Berufungsverfahren der Klägerin wegen Verletztenrente - L 10 U 3802/07 - der Protokollvermerk "Vorgespielt und genehmigt".

Am 14.12.2007 hat die Klägerin den Vergleich angefochten und sodann die Fortsetzung des Berufungsverfahrens begehrt. Sie trägt vor, ihr sei nicht bewusst gewesen, dass ein Vergleich abgeschlossen worden sei. Sie habe einen solchen auch nicht abschließen wollen. Darüber hinaus sei deutlich gewesen, dass sie eine ihr von der Beklagten bereits bewilligte Arbeitstherapie, also eine Maßnahme der medizinischen Rehabilitation und nicht medizinisch sinnlose Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gewünscht habe. Ferner sei nicht klar, ob das Berufungsverfahren - L 10 U 3797/07 - durch den Vergleich insgesamt abgeschlossen worden sei, zumal die Beklagte aufgrund des bereits im Jahre 2003 gestellten Globalantrages über alle möglichen Ansprüche entscheiden müsse. Auch müsse das Gericht selbst Beweis erheben und dürfe es diese Aufgabe nicht an die Verwaltung zurückverweisen. Darüber hinaus sei ein Nachgeben der Beklagten nicht ersichtlich, werde ein Dritter, das Land Baden-Württemberg, durch den Vergleich verpflichtet und verstoße der Vergleich gegen Zuständigkeitsregelungen sowie materielles Recht. Schließlich habe die Beklagte den Vergleich dadurch gekündigt, dass sie in einem zwischenzeitlich erlassene Bescheid ausgeführt habe, sie betrachtete die Angelegenheit bezüglich der Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben als erledigt.

Die Klägerin beantragt,

das Verfahren fortzusetzen und das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 30.05.2007 sowie den Bescheid der Beklagten vom 15.12.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.06.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Verletztengeld über den 10.01.2005 (hinaus) bis zum Ende der Durchführung der Arbeitstherapie oder einer Entscheidung über Maßnahmen zur Teilhabe, zu gewähren, hilfsweise eine Begutachtung, wie sie von Prof. Stevens vorgeschlagen wurde, durchzuführen.

Die Beklagte beantragt,

festzustellen, dass das Verfahren erledigt ist, hilfsweise die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt vor, der Vergleich sei wirksam zu Stande gekommen und ist der Auffassung, Anfechtungsgründe lägen nicht vor.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten des Senats und des Sozialgerichts Stuttgart sowie auf die beigezogenen Unfallakten der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Über den von der Klägerin gestellten Sachantrag vermag der Senat nicht zu entscheiden. Denn das Berufungsverfahren der Klägerin L 10 U 3797/07 betreffend die Gewährung von Verletztengeld ist in Folge des gerichtlichen Vergleichs vom 27.11.2007 erledigt. Dies ist vom Senat durch Urteil festzustellen, da die Klägerin unter Anfechtung des Vergleichs die Fortführung des Berufungsverfahrens begehrt.

Ein Vergleich ist ein Vertrag, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Beteiligten über ein Rechtsverhältnis im Wege gegenseitigen Nachgebens beseitigt wird. Er hat eine Doppelnatur. So ist er einerseits ein materiell-rechtlicher Vertrag und andererseits Prozesshandlung (vgl. BSG, Urteil vom 17.05.1989, 10 RKg 16/88 in SozR 1500 § 101 Nr. 8), die gemäß § 101 Abs. 1 SGG Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Beendigung des Rechtsstreits bewirkt.

Die Unwirksamkeit eines gerichtlichen Vergleichs kann daher darauf beruhen, dass entweder der materiell-rechtliche Vertrag nach den Bestimmungen des BGB nichtig oder wirksam angefochten ist oder die zum Abschluss des Vergleichs notwendigen Prozesshandlungen nicht wirksam vorgenommen sind, insbesondere die Beteiligten nicht wirksam zugestimmt haben (BSG, a. a. O.). Gleiches gilt nach § 779 Abs. 1 BGB, wenn der nach dem Inhalt des Vergleichs als feststehend zu Grunde gelegte Sachverhalt der Wirklichkeit nicht entspricht oder der Streit oder die Ungewissheit bei Kenntnis der Sachlage nicht entstanden sein würde.

Formelle Gründe für eine Unwirksamkeit des Prozessvergleichs sind weder vorgetragen noch erkennbar. Auf Grund des im Erörterungstermin angefertigten Protokolls steht fest (§ 122 SGG i. V. m. § 165 Zivilprozessordnung [ZPO]), dass die Beteiligten die im Tatbestand wiedergegebenen Erklärungen sowohl abgegeben als auch nach nochmaligem Vorspielen genehmigt (vgl. hierzu § 122 i. V. m. § 160 Abs. 3 Nr. 1, § 162 Abs. 1 ZPO) haben.

Unabhängig von der Frage, ob der Mangel eines gegenseitigen Nachgebens der Rechtswirksamkeit eines Vergleichs und dessen verfahrensbeendigender Wirkung entgegen steht, liegt ein solcher - anders als die Klägerin meint - nicht vor. Denn vorliegend ist der zuvor allein auf Gewährung von Verletztengeld gerichtete Streit unter zulässiger Einbeziehung prozessfremder Gegenstände (hier: der Eröffnung eines auf Leistungen zur Wiederein-gliederung der Klägerin in das Arbeitsleben gerichteten Verwaltungsverfahrens) durch tatsächliches Entgegenkommen auch der Beklagten beigelegt worden. Darauf, ob die Klägerin die ihr im Vergleich zugesagte Entscheidung ohnehin hätte beanspruchen können, kommt es insoweit nicht an.

Ebenso fehlen Anhaltspunkte für eine Nichtigkeit des Prozessvergleichs nach den §§ 116 ff. BGB oder für seine Unwirksamkeit nach § 779 Abs. 1 BGB.

Ein verbotswidriger Inhalt des Vergleichs liegt nicht vor. Insbesondere enthält er keinerlei (möglicherweise sittenwidrige) Regelungen mit unmittelbar drittbelastender Wirkung. Auch liegen weder Verstöße gegen gerichtliche oder behördliche Zuständigkeitsregelungen noch gegen materielle Rechtsvorschriften vor.

Soweit die Klägerin ihre Zustimmung zum Abschluss des Prozessvergleichs anficht, führt dies nicht gemäß § 142 Abs. 1 BGB zur Nichtigkeit der Erklärung und damit zur Unwirksamkeit des materiell-rechtlichen Vertrages sowie des gerichtlichen Vergleichs. Denn ein hier allein in Betracht kommender zur Anfechtung berechtigender Irrtum i. S. des § 119 BGB liegt nicht vor.

Dies gilt zunächst mit Blick auf das Vorbringen der Klägerin, ihr sei nicht bewusst gewesen, dass ein Vergleich abgeschlossen worden sei, sie habe einen solchen auch nicht abschließen wollen. Hieraus lässt sich nämlich im Ergebnis kein die Anfechtung rechtfertigender Irrtum nach § 119 Abs. 1 BGB ableiten. Denn für die Frage des Vorliegens eines Irrtums ist auf das Wissen und Wollen ihres (damaligen) Prozessbevollmächtigten, der die die Zustimmung zum Vergleich nach Angabe ihres im vorliegenden Verfahren prozessbevollmächtigten und in der nichtöffentlichen Sitzung vom 27.11.2007 gleichfalls anwesenden Sohnes, seinerzeit erklärt hat, abzustellen (§ 166 Abs. 1 BGB). In Bezug auf den genannten rechtskundigen - und ordnungsgemäß auch zum Abschluss von Vergleichen ermächtigten (vgl. §§ 81 ff. ZPO) - Prozessvertreter, ist aber ein entsprechender, i. Ü. schon nicht behaupteter Irrtum auszu-schließen. Aber auch die Klägerin selbst unterlag bei Abgabe der Zustimmungserklärung keinem hier erheblichen Irrtum:

Soweit die Klägerin mit dem in Rede stehenden Vorbringen einen Irrtum über die Erklärungshandlung an sich (§ 119 Abs. 1 2. Alternative BGB), also ein Auseinanderfallen des äußeren Erklärungstatbestandes und ihres inneren Willens (vgl. Palandt, BGB, 67. Aufl. 2008, Rdnr. 10 zu § 119), geltend macht, lag ein solcher zur Überzeugung des Gerichts nicht vor. So treffen bereits die von ihr zur Begründung des Vorbringens, ihr habe das Bewusstsein und der Wille zur Abgabe der (erklärten) Zustimmung gefehlt, gemachten Angaben in der Sache nicht zu. Denn die behaupteten Sprach- oder Verständnisschwierigkeiten sind angesichts des Umstandes, dass die Klägerin die Fragen der Berichterstatterin nach ihrem wirtschaftlichen Verhältnissen, dem Stand ihres Verfahrens auf Opferentschädigung und ihrem Rechtsschutzziel ohne weiteres (zutreffend) zu beantworten vermochte, auszuschließen. Dies gilt umso mehr, als die Klägerin - wie oben ausgeführt - mit ihrem (damaligen) rechtskundigen Prozessbevoll-mächtigten zum Termin erschienen ist, zudem ihr der deutschen Sprache ebenfalls mächtiger Sohn im Termin anwesend war und die entsprechende Erklärung nicht gleichsam unvorbereitet, sondern erst nach zwölfminütiger Unterbrechung der Sitzung abgegeben wurde. Für weitere Ermittlungen besteht daher kein Anlass. Lediglich am Rande weist der Senat darauf hin, dass die in der mündlichen Verhandlung vom Sohn der Klägerin geäußerten Defizite in der Ausdrucksfähigkeit der Klägerin, die einer psychotherapeutischen Behandlung entgegenstehen sollen, keinerlei Rückschlüsse auf allgemeine Verständigungsprobleme der Klägerin zulassen.

Ist nach alledem für die Frage des Vorliegens eines Irrtums auf das Wissen und Wollen ihres (damaligen) Prozessbevollmächtigten abzustellen und darüber hinaus das besagte Vorbringen der Klägerin unzutreffend, so vermag ihre Angabe, ihr habe der Wille zum Vergleichsabschluss gefehlt, auch eine Anfechtung wegen Irrtums über den Erklärungsinhalt (§ 119 Abs. 1 1. Alternative BGB) nicht zu tragen. Soweit sie einen Irrtum über die verfahrensbeendigende Wirkung ihrer Zustimmung geltend macht, scheidet ein solcher aber auch mit Blick darauf aus, dass der Vergleich ausdrücklich nicht nur eine Erklärung der Klägerin über die Rücknahme der Berufung im Hinblick auf das Verletztengeld, sondern darüber hinaus übereinstimmende Erledigungserklärungen der Beteiligten enthält und daher insoweit nicht falsch zu verstehen ist.

Ein die Klägerin zur Anfechtung berechtigender Inhaltsirrtum ergibt sich aber auch nicht aus ihrem Vorbringen, im Vergleich sei ihr fälschlich die Möglichkeit eines auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gerichteten Verwaltungsverfahrens eröffnet worden, wogegen die von ihr an sich gewünschte Arbeitstherapie als Leistung zur medizinischen Rehabilitation keinen Eingang in die Vereinbarung gefunden habe.

Zwar hat die Klägerin ausweislich der gefertigten Niederschrift in der nichtöffentlichen Sitzung vom 27.11.2007 auf Frage der Berichterstatterin einen entsprechenden Wunsch geäußert. Indes deutet dies angesichts des weiteren Verlaufs des hernach um 11.25 Uhr unterbrochenen, um 11.37 Uhr fortgesetzten und erst um 12.00 Uhr beendeten Termins für sich allein schon nicht darauf hin, dass dieser Wunsch im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses aus Sicht der Klägerin noch in die Vereinbarung einfließen sollte (vgl. zur materiellen Beweislast des Anfechtenden Palandt, a. a. O., Rdnr. 32 zu § 119).

Unabhängig davon wäre ein entsprechender Irrtum der Klägerin bzw. ihres damaligen Prozessbevollmächtigten aber auch nicht geeignet, eine Irrtumsanfechtung zu rechtfertigen. Denn dies erfordert eine rechtliche Ursächlichkeit des Irrtums für die angefochtene Erklärung. Eine solche liegt aber in der Regel dann nicht vor, wenn der Erklärende durch den Irrtum wirtschaftlich keine Nachteile erleidet (vgl. Palandt, a. a. O., Rdnr. 31 zu § 119). Entsprechende Nachteile bringt aber der Umstand, dass der abgeschlossene Vergleich lediglich eine Verpflichtung der Beklagten zur Überprüfung und rechtsmittelfähigen Bescheidung eines Antrages des Klägers auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben enthält, nicht mit sich. Denn diese erst durch den Vergleich in das zuvor allein auf Gewährung von Verletztengeld gerichtete Verfahren einbezogene Verpflichtung schränkt den ohnehin bestehenden - gleichgelagerten - Anspruch der Klägerin auf Prüfung und Bescheidung auch eines von ihr gestellten Antrages auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation durch die Beklagte nicht ein. Nachdem der Klägerin die begehrte Leistung zur medizinischen Rehabilitation in Form einer Arbeitstherapie nach ihrem eigenen Vorbringen sogar bereits bewilligt wurde, ist für eine Irrtumsanfechtung mithin kein Raum.

Angesichts dessen liegt schließlich ein hier erheblicher versteckter Einigungsmangel (§ 155 BGB) nicht vor. Denn der Vergleich erfüllt die mit seinen Abschluss verfolgten wesentlichen Ziele, nämlich die Beendigung des auf Gewährung von Verletztengeld gerichteten Verfahrens sowie die Ausrichtung des klägerischen Begehrens auf eine Wiedereingliederung in das Arbeitsleben ohne weiteres.

Das Berufungsverfahren L 10 U 3797/07 ist somit erledigt. Dem entsprechend bedarf es keiner Sachaufklärung zur Frage eines fortbestehenden Verletztengeldanspruchs. Den diesbezüglichen Beweisantrag lehnt der Senat daher ab.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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