L 15 V 5/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
15
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 9 V 33/97
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 V 5/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 9 V 3/08 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 18. Februar 2006 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der 1943 geborene Kläger ist schwerkriegsbeschädigt im Sinne von § 31 Abs.3 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Der Kläger begehrt mit Wirkung ab 01.08.1996 höhere Rentenleistungen nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um mindestens 90 v.H. gemäß § 30 Abs.1 und 2 BVG.

Mit Bescheid über die Neufeststellung der Versorgungsbezüge nach dem BVG des Versorgungsamtes L. vom 26.09.1978 sind u.a. die bei dem Kläger bestehenden Schädigungsfolgen wie folgt neu festgestellt worden: "Mehrfache Narbenbildung am Oberschenkel und Kniegelenksbereich links nach knöchern fest unter Deformierung verheiltem Bombensplitterschussbruch des Oberschenkels bzw. operativer Stellungskorrektur mit Versteifung des Kniegelenkes in leichter Beugestellung und o-förmiger Verbiegung mit leichter Innendrehung des Unterschenkels; versteifte Spitzfußstellung mit Gefühlsstörungen des Fußes, praktische Unbeweglichkeit der Zehen nach hochgradiger Wadenbeinnervenschädigung, Beinverkürzung von 24 cm und erheblichem Muskelschwund des Beines." Die MdE ist mit Wirkung ab 01.02.1972 gemäß § 30 Abs.1 BVG mit 70 v.H. bewertet worden. Die mit dem vorstehend bezeichneten Bescheid ausgesprochene Herabsetzung der MdE von 80 v.H. auf 70 v.H. wegen Wegfalls der Voraussetzungen nach § 30 Abs.2 BVG ist nach Maßgabe des vor der 9. Kammer des Sozialgerichts Landshut geschlossenen Vergleichs vom 25.11.1981 wieder korrigiert worden (vgl. Ausführungs-Bescheid des Versorgungsamtes L. vom 17.12.1981).

Der Kläger hat mit Neufeststellungsantrag vom 07.08.1996 geltend gemacht, dass sich die Schädigungsfolgen im Bereich des linken Beines verschlechtert hätten. Darüber hinaus habe sich eine Schädigung der LWS und der HWS als sogenannter Folgeschaden eingestellt. Dr.M. hat mit versorgungsärztlich-chirurgischer Stellungnahme vom 03.02.1997 darauf hingewiesen, dass zwar die Beweglickeit des linken Hüftgelenkes im Vergleich zu dem Vorgutachten schädigungsbedingt abgenommen habe. Hierdurch ändere sich jedoch nichts an der MdE-Bewertung. Die Funktionsstörung im Bereich des linken Beines könne den vollständigen Verlust eines Beines oder auch der völligen Gebrauchsunfähigkeit nicht gleichgesetzt werden. Der Kläger sei mit einer Spezialprothese gut mobiisiert, sodass die nach § 30 Abs.1 BVG maximale MdE für ein Bein von 80 v.H. nicht erreicht werde. Die Bewegungseinschränkung des linken Hüftgelenkes sei als weitere Schädigungsfolge anzuerkennen. Mittelbare Schädigungsfolgen im Bereich der LWS und der HWS seien jedoch nicht anzuerkennen. Die "medizinische" MdE betrage unverändert 70 v.H.

Dementsprechend hat der Beklagte mit dem streitgegenständlichen Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung L. vom 04.03.1997 die Schädigungsfolgen ergänzt ("Bewegungseinschränkung des linken Hüftgelenkes"). Folgeschäden an der Wirbelsäule sind jedoch nicht anerkannt worden. Die MdE ist wie bisher gemäß § 30 Abs.1 und 2 BVG mit 80 v.H. festgestellt worden.

Der Widerspruch vom 25.03.1997 ist mit Widerspruchsbescheid des Bayerischen Landesamtes für Versorgung und Familienförderung vom 01.07.1997 zurückgewiesen worden. Eine völlige Gebrauchsunfähigkeit des linken Beines, welche eine (medizinische) MdE von 80 v.H. bedingen würde, liege nicht vor. Die Verschleißerscheinungen der Wirbelsäule könnten nicht auf die Schädigungsfolgen zurückgeführt werden, da eine fixierte Fehlhaltung der Wirbelsäule nicht vorliege.

In dem sich anschließenden sozialgerichtlichen Verfahren hat das Sozialgericht Landshut nach Beiziehung weiterer ärztlicher Unterlagen mit Beweisanordnung vom 17.02.2003 Dr.D. gemäß § 106 Abs.3 Nr.5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zum ärztlichen Sachverständigen bestellt. Dr.D. hat mit fachorthopädischem Gutachten vom 12.03.2003 zusammenfassend festgestellt, dass sowohl die Beschwerden an der linken Hüfte als auch die Beschwerden von Seiten der Wirbelsäule mit den Schädigungsfolgen nicht in Zusammenhang zu bringen seien, weder im Sinne der Entstehung noch im Sinne der Verschlimmerung. Der nach § 109 SGG benannte und beauftragte ärztliche Sachverständige Dr.H. hat mit orthopädischem Sachverständigengutachten vom 13.07.2004 dagegen die Auffassung verteten, dass die schädigungsbedingte medizinische MdE unter Berücksichtigung der Funktionsstörungen im Bereich der linken Hüfte und der Wirbelsäule ab August 1996 mit 80 v.H. zu bewerten sei. Zu bemerken sei, dass durch das neurogene Symptom am linken Bein mit der völligen Gebrauchsunfähigkeit des Kniegelenkes und der erheblichen schmerzhaften Bewegungseinschränkung des Hüftgelenkes sowie der Verkrümmung der Wirbelsäule der Kläger schlechter gestellt sei als ein Hüftexartikulierter mit einer gut funktionierenden Prothesenversorgung.

Dr.H. hat im Hinblick auf die divergierenden Sachverständigenvoten mit versorgungsärztlich-chirurgischer Stellungnahme vom 15.11.2004 auf die Notwendigkeit der Beiziehung weiterer Röntgenbilder hingewiesen. Dr.S. hat nach § 109 SGG ein weiteres fachorthopädisches Gutachten am 25.05.2005 erstellt und ausgeführt, dass auch unter Berücksichtigung von schädigungsbedingten Lendenwirbelsäulenveränderungen und Bewegungseinschränkungen des linken Hüftgelenkes mit Degeneration die Gesamt-MdE weiterhin 70 v.H. betrage. Zwar sei gerade das Hüftgelenk abgenutzt, es bestehe jedoch eine relativ gute Beweglichkeit im Hüftgelenk. Der Kläger benutze das linke Bein noch problemlos, mittlerweile auch durch die jahrzehntelange Gewöhnung. Er könne damit Treppen steigen, er benötige keine Benutzung von Unterarmgehstützen oder eine Stockbenutzung. Dies unterscheide den Kläger deutlich von einem Patienten, der oberschenkelamputiert sei mit hohem Stumpf oder von einem Hüftexartikulierten. Eine völlige Gebrauchsunfähigkeit des linken Beines könne daher bei dem Kläger mit Sicherheit nicht festgestellt werden.

Demgegenüber befürtwortete Dr.R. mit ärztlichem Attest vom 18.09.2005 eine MdE von 80 v.H. im Hinblick auf die völlige Gebrauchsunfähigkeit des linken Beines. Dr.S. bekräftigte mit ergänzender Stellungnahme vom 08.12.2005 sein gutachterliches Votum vom 25.05.2005.

Im Folgenden hat das Sozialgericht Landshut den Beklagten mit Gerichtsbescheid vom 18.02.2006 - S 9 V 33/97 - verurteilt, bei dem Kläger unter Abänderung des Bescheides vom 04.03.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.07.1997 "Wirbelsäulenveränderungen mit Fehlstatik und geringen Funktionsstörungen" als weitere Schädigungsfolge im Sinne der Entstehung anzuerkennen. Im Übrigen ist die Klage abgewiesen worden. Hierbei hat sich das Sozialgericht Landshut im Wesentlichen auf die Gutachten der gerichtlich bestellten Sachverständigen Dr.D. vom 12.03.2003 und Dr.S. vom 25.05.2005 gestützt.

Die hiergegen gerichtete Berufung vom 27.03.2006 ging am 28.03.2006 beim Bayerischen Landessozialgericht (BayLSG) ein. Der Bevollmächtigte des Klägers gab zu bedenken, dass dieser im Alter von einem Jahr und drei Monaten durch einen Fliegerangriff am 29.12.1944 die schwere Beinverletzung links erlitten habe; seine Mutter sei dabei gestorben; der Vater sei im Kieg gefallen. In der Sache sei eine weitere Sachverhaltsaufklärung insbesondere hinsichtlich des Ausmaßes der Hüft- und Wirbelsäulenschädigung im Zeitpunkt der Antragstellung erforderlich. Es werde angeregt, Dr.A. gutachtlich zu hören.

Von Seiten des BayLSG wurden die Versorgungs- und Schwerbehindertenakten des Beklagten sowie die erstinstanzlichen Unterlagen des Sozialgerichts Landshut beigezogen. Dres.R. und W. sowie Dr.H. erstellten aktuelle Befundberichte. Das linke Bein könne nicht problemlos benützt werden bzw. lasse sich nur unter erheblichen Schwierigkeiten benutzen. Dr.K. wies mit versorgungs-nervenärztlicher Stellungnahme vom 04.07.2006 darauf hin, dass es mit Lyrica zu einer Besserung des neurogenen Schmerzsyndroms gekommen sei. Dr.H. betonte mit versorgungsärztlich-chirurgischer Stellungnahme vom 20.06.2006, dass der Kläger noch täglich Spaziergänge unternehme. Von einer völligen Gebrauchsunfähigkeit des linken Beines könne weiterhin nicht ausgegangen werden.

Nachdem Prof.Dr.F. eine Begutachtung mangels ausreichender Erfahrung im sozialen Entschädigungsreccht abgelehnt hatte, bestellte das BayLSG mit Beweisanordnung vom 13.03.2007 Dr.M. gemäß § 106 Abs.3 Nr.5 SGG zum ärztlichen Sachverständigen. Dieser bestätigte mit fachchirurgischem Gutachten vom 05.04.2007 das erstinstanzlich erarbeitete Ergebnis in allen Punkten.

Der Bevollmächtigte des Klägers trat dessen Votum mit Schriftsatz vom 31.05.2007 entgegen. Die bei dem Kläger schädigungsbedingt vorliegenden Funktionsstörungen würden sich gegenseitig nachteilig auswirken. Ab 01.08.1996 sei eine Erhöhung der Gesamt-MdE von 70 v.H. auf 80 v.H. unter Berücksichtigung zunehmender Schmerzen und Begleiterscheinungen wie z.B. vermehrte Stürze, Gereiztheit und Niedergeschlagenheit geboten. Die funktionellen Auswirkungen der anerkannten Schädigungsfolgen seien durchaus mit dem Verlust eines Beines mit sehr kurzem Oberschenkelstumpf vergleichbar.

In der mündlichen Verhandlung vom 22.01.2008 beantragt der Bevollmächtigte des Klägers, unter Abänderung des Bescheides vom 04.03.1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.07.1997 und des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Landshut vom 18.02.2006 den Beklagten zu verurteilen, bei dem Kläger die MdE nach § 30 Abs.1 BVG ab 01.08.1996 von 70 v.H. auf 80 v.H. zu erhöhen.

Der Bevollmächtigte des Beklagten beantragt, die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 18.02.2006 als unbegründet zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird gemäß § 202 SGG in Verbindung mit § 540 der Zivilprozessordnung (ZPO) sowie entsprechend § 136 Abs.2 SGG auf die Unterlagen des Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 143, 144 und 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SG) zulässig, jedoch unbegründet.

Vorab wird zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 153 Abs.2 SGG auf die nach Auffassung des Senats zutreffenden Gründe des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Landshut vom 18.02.2006 Bezug genommen.

Zweitinstanzlich hat der gerichtlich bestellte Sachverständige Dr.M. (Chefarzt des Krankenhauses M.) mit Gutachten vom 05.04.2007 bestätigt, dass die Schädigungsfolgen am linken Bein eine Einzel-MdE von 70 v.H. bedingen. Der Kläger ist mit einer gut dimensionierten Orthese versorgt; er benötigt beim Gehen keine Gehhilfe. Natürlich entspricht das Gangbild nicht dem eines gesunden Probanten. Dies wäre jedoch bei einem Oberschenkelamputiertem mit ausreichend langem Stumpf auch nicht der Fall. Aus den vorgenannten Gründen muss eine Einzel-MdE bei dem Kläger bezüglich der Gebrauchsminderung des linken Beines bei 70 v.H. verbleiben, was im Einklang mit den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" steht. Dies entspricht dem Zustand nach einer Oberschenkelamputation, die mit einer Oberschenkelprothese zu versorgen wäre. Vom klinischen Bild her entspricht die MdE des linken Beines bei dem Kläger diesem vorgenannten Zustandsbild. Weiterhin ist die Bewegungseinschränkung am linken Hüftgelenk mit einer Einzel-MdE von 10 v.H. zutreffend bewertet, ebenfalls mit einer Einzel-MdE von 10 v.H. die LWS-Schädigung mit Fehlstatik mit geringen funktionellen Auswirkungen. Insgesamt bedingen diese Schädigungsfolgen eine Gesamt-MdE von 70 v.H. ab 01.08.1996.

Aus der Sicht des erkennenden Senats ist dem Votum von Dr.M. mit fachchirurgischem Gutachten vom 05.04.2007 vollinhaltlich beizupflichten. Denn auch Dr.H. hat mit versorgungsärztlich-chirurgischer Stellungnahme vom 20.06.2006 darauf aufmerksam gemacht, dass der Kläger noch in der Lage ist, täglich spazieren zu gehen. Auch wenn eine hochgradige Atrophie der Muskulatur des linken Beines beschrieben ist, besteht dennnoch ein sogenanntes stabiles Gangbild. Aus nervenärztlicher Sicht hat Dr.K. mit versorgungs-nervenärztlicher Stellungnahme vom 04.07.2006 ebenfalls zutreffend darauf hingewiesen, dass es mit Lyrica zu einer Besserung des neurogenen Schmerzsyndroms gekommen ist. Auch die behandelnden Ärzte Dres.R. und W. sowie Dr.H. haben mit Befundberichten vom 06.07.2006 und 13.07.2006 letztendlich eingeräumt, dass das linke Bein nicht völlig gebrauchsunfähig ist, obwohl sich dieses nur unter erheblichen Schwierigkeiten benutzen lässt.

Nach Rz.26.18 der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht 1996, 2004 und 2005" bestehen bei dem Kläger Schädigungsfolgen mit Einzel-MdE-Werten von 70 v.H., 10 v.H. und 10 v.H ... Nach Rz.19 Abs.4 der "Anhaltspunkte" beträgt die Gesamt-MdE im Sinne von § 30 Abs.1 BVG somit 70 v.H ... Denn von hier nicht gegebenen Ausnahmefällen abgesehen, führen zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen MdE-Grad von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte, auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Ein "Summations-Effekt" wie von dem Bevollmächtigten des Klägers nochmals ausdrücklich hervorgehoben kann im Falle des Klägers auch unter dem Gesichtspunkt nicht angenommen werden, dass die bei ihm vorliegenden Schädigungsfolgen ausschließlich den Stütz- und Bewegungsapparat betreffen. - Unter Berücksichtigung einer besonderen beruflichen Betroffenheit im Sinne von § 30 Abs.2 BVG verbleibt es bei der bereits festgestellten Gesamt-MdE von 80 v.H ...

Soweit der Bevollmächtigte des Klägers mit Berufung vom 27.03.2006 befürwortet hat, Dr.A. gutachterlich zu hören, hat es sich nicht um einen Antrag nach § 109 SGG, sondern um eine Anregung im Sinne von §§ 103, 106 Abs.3 Nr.5 SGG gehandelt. Insoweit hat das BayLSG einer Begutachtung durch Dr.M. den Vorzug gegeben.

Nach alledem ist die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 18.02.2006 zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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