S 8 KR 190/07

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 8 KR 190/07
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 30.10.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.06.2007 verurteilt, die bereits aufgewandten Kosten in Höhe von 11.605,52 Euro zuzüglich Zinsen nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu erstatten und die Kosten der künftig ärztlich verordneten Rheopherese-Behandlungen zu übernehmen. Der Beklagten werden die außergerichtlichen Kosten des Klägers auferlegt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Kostenerstattung und Kostenübernahme für Rheopherese-Behandlungen.

Der 1927 geborene Kläger leidet an einer altersbedingten trockenen Makuladegeneration bei funktioneller Einäugigkeit. Im rechten Auge trägt er eine Prothese. Der Visus des linken Auges beträgt 0,8 mit Tagesschwankungen.

Im Oktober 2006 beantragte der Kläger unter Vorlage eines Berichtes des Rheopherese-Zentrums L1 die Übernahme der Kosten für Rheopherese-Behandlungen zum Erhalt der Sehfähigkeit seines linken Auges. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 30.10.2006 ab. Für diese neue unkonventionelle Behandlungsmethode läge nicht die erforderliche Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses vor.

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Widerspruch, mit dem er auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hinwies und zur Frage der Wirksamkeit der begehrten Behandlungsmethode verschiedene medizinische Unterlagen vorlegte. Nachdem die Beklagte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) angehört und den Bericht des Gemeinsamen Bundesausschusses zu therapeutischen Hämapheresen vom 25.07.2003 beigezogenen hatte, wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 20.06.2007 zurück. Bezüglich der begehrten Behandlungsmethode sei nicht der erforderliche Wirksamkeitsnachweis gegeben. Es liege auch nicht die vom Bundesverfassungsgericht für Ausnahmefälle geforderte lebensbedrohliche oder entsprechende Erkrankung vor, da keine akute Erblindungsgefahr bestehe.

Zwischenzeitlich hatte der Kläger insgesamt 8 Rheopherese-Behandlungen auf eigene Kosten durchführen lassen (06./09.11.2006, 04./07.12.2006, 09./12.01.2007, 12./15.02.2007; Kosten: 4 x 2.901,38 Euro = 11.605,52 Euro).

Der Kläger hat gegen die ablehnenden Bescheide der Beklagten Klage erhoben, mit der er die Erstattung der bereits aufgewandten Kosten sowie die Übernahme der Kosten für zukünftig erforderliche Behandlungen geltend macht.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 30.10.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.06.2007 zu verurteilen, die bereits aufgewandten Kosten in Höhe von 11.605,52 Euro zuzüglich Zinsen nach Maß- gabe der gesetzlichen Vorschriften zu erstatten und die Kosten der künftig ärztlich verordnete Rheopherese-Behandlungen zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Sie hält auch nach der Durchführung der Ermittlungen von Gerichts wegen den erforderlichen Wirksamkeitsnachweis nicht für erbracht.

Das Gericht hat zur weiteren Ermittlung Befundberichte der behandelnden Augenärzte L2 und S sowie des C, Oberarzt der Universitäts-Augenklinik L1 eingeholt. Zur weiteren Sachdarstellung wird auf diese Unterlagen sowie auf die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze und Unterlagen der Beteiligten sowie die beigezogene Verwaltungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet.

Die angefochtenen Bescheide der Beklagten haben sich als rechtswidrig erwiesen. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Versorgung mit Rheopherese-Behandlungen als medizinisch notwendiger Behandlung zu, § 27 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V) und dementsprechend auf Erstattung der in der Vergangenheit aufgewandten Kosten, § 13 Abs. 3 SGB V sowie der Übernahme der in Zukunft medizinisch notwendigen Behandlungen.

Der Behandlungsanspruch des Klägers mit dieser neuen, unkonventionellen Behandlungsmethode, die weder in EBM-Katalog als vertragsärztliche Leistung aufgeführt ist noch eine entsprechende positive Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses erfahren hat, ist dem Kläger dennoch unter Berücksichtigung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 06.12.2005 - 1 BvR 347/98 - als Sachleistung zur Verfügung zu stellen. Denn die Augenerkrankung des Klägers stellt eine einer lebensbedrohlichen Erkrankung vergleichbare Gesundheitsstörung dar, für deren Behandlung im vertragsärztlichen Bereich keine alternative Therapie zur Verfügung steht und für deren Behandlung mittels der geltend gemachten Rheopherese ein ausreichender Wirksamkeitsnachweis im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gegeben ist.

Zur Überzeugung der Kammer stellt die degenerative Erkrankung des linken Auges des Klägers bei funktioneller Einäugigkeit eine Erkrankung dar, die lebensbedrohlichen Erkrankungen gleichzusetzen ist. Denn bei der Gefahr einer (akuten) Erblindung richten sich auch nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) die Voraussetzungen an den erforderlichen Wirksamkeitsnachweis nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts vom 06.12.2005 (BSG, Urteile vom 04.04.2006 - B 1 KR 12/04 R - und vom 26.09.2006 - B 1 KR 14/06 R - , - B 1 KR 3/06 R -). Zur Überzeugung der Kammer hat sich die erforderliche Erblindungsgefahr aus dem zuletzt eingeholten Befundbericht des C vom 08.01.2008 ergeben. Denn bereits zum Zeitpunkt der durchgeführten Behandlungen im November 2006 habe sich beim Kläger eine Hochrisikokonstellation hinsichtlich einer Erblindung dargestellt, so dass ein weiteres Zuwarten mit der empfohlenen Behandlung nicht mehr zumutbar gewesen sei. Diese Einschätzung gründete C auf erhobene Befunde wie die deutlichen Veränderungen der Netzhaut mit trockenen Pigmentepithelverschiebungen, areoläre Atrophien, harten und weichen Drusen in unmittelbarer Nähe zum Makulazentrum mit dem damit verbundenen Risiko einer raschen Progredienz der schon bestehenden Sehverschlechterung.

Von zur Verfügung stehenden alternativen vertragsärztlichen Therapien gehen weder die behandelnden Ärzte noch die beratenden Ärzte der Beklagten aus.

Zur Überzeugung der Kammer ist auch vom Vorliegen des erforderlichen Wirksamkeitsnachweises im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auszugehen. Denn im vorliegenden Fall ist nicht ein Wirksamkeitsnachweis mittels abgeschlossener Phase-3-Studien zu fordern, die ggf. den Gemeinsamen Bundesausschuss zu einer entsprechenden Beschlussempfehlung hätten drängen müssen. Vielmehr reicht nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 06.12.2005 (a.a.O.) ein Wirksamkeitsnachweis dahingehend aus, dass eine nicht entfernt liegende Aussicht auf einem Behandlungserfolg gegeben ist. Von einem Wirksamkeitsnachweis diesen geringeren Grades ist bereits nach den eigenen Ermittlungen der Beklagten im Verwaltungsverfahren auszugehen. Denn der MDK hatte in seiner gutachtlichen Stellungnahme vom 10.01.2007 geschrieben, dass sich in einer bereits durchgeführten Studie (MIRA-I-Studie) nach dem Ausschluss von Patienten, die die Einschlusskriterien nicht erfüllten, eine signifikante Überlegenheit der Rheopherese gegenüber der Scheinbehandlung darstellte und aufgrund dessen eine weitere Studie (MIRA-II-Studie) geplant sei (Blatt 76 der Verwaltungsakte). Des Weiteren sprechen die vom Gemeinsamen Bundesausschuss bereits vor dem Jahre 2003 zum Thema `Therapeutische Hämapheresen` eingeholte Stellungnahmen verschiedener Expertenverbände und Institutionen dafür, dass eine nicht entfernt liegende Aussicht auf Erfolg gegeben war. So sprachen sich sowohl das Deutsche Hämapherese-Zentrum in L1, der Bundesverband Medizintechnologie e.V., das Zentrum für Augenheilkunde der Universität zu L1, C, und das Apherese-Forschungsinstitut, L3, L4, für die therapeutische Apherese bei AMD aus, während lediglich der Bundesverband der Augenärzte Deutschlands e.V./Deutsche Ophthamologische Gesellschaft diese Behandlungsmethode kritisch bewerteten (Blatt 102 der Verwaltungsakte).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Rechtskraft
Aus
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