Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Leipzig (FSS)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 19 AS 888/08 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Rechtsbehelfe gegen Aufhebungs- und Erstattungsbescheide von Trägern der Grundsicherung für Arbeitsuchende haben kraft Gesetzes jedenfalls aufschiebende Wirkung, soweit die zu erstattende Leistung durch Verwaltungsakt (Erstattungsbescheid) festgesetzt wurde.
hat die 19. Kammer des Sozialgerichts Leipzig durch den Richter am Sozialgericht Schiller ohne mündliche Verhandlung am 5. Mai 2008 folgenden Beschluss erlassen: I. Es wird festgestellt, daß die Klage vom 7. April 2008 gegen den Erstattungsbescheid vom 10. Oktober 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. März 2008 (Aktenzeichen des Gerichts: S 19 AS 1235/08) aufschiebende Wirkung hat. Im übrigen wird der Antrag abgelehnt. II. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller dessen notwendige außergerichtliche Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Der Antragsteller (Ast.) begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid.
Die Antragsgegnerin (Ag.) erbrachte dem Ast. und den mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen von Januar 2005 bis Januar 2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts.
Mit Bescheid vom 10. Oktober 2007 hob die Ag. "die Entscheidung" für November 2005 für den Ast. in Höhe von 312,56 EUR auf und setzte den von ihm zu erstattenden Betrag in dieser Höhe fest. Denn dagegen erhobenen Widerspruch wies die Ag. mit Bescheid vom 14. März 2008 (W 14.353/07) zurück. Dagegen richtet sich die am 7. April 2008 erhobene Klage (S 19 AS 1235/08).
Am 13. März 2008 beantragte der Ast. einstweiligen Rechtsschutz.
Der Widerspruch bzw. nunmehr die Klage gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 10. Oktober 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. März 2008 habe aufschiebende Wirkung. Dies sei festzustellen. Denn die für die Ag. tätige Bundesagentur für Arbeit (BA) sei nicht bereit, dies anzuerkennen.
Die Ag. meint, die Klage habe keine aufschiebende Wirkung. Der Ast. könne die Erstattung mit dem verfügbaren Einkommen begleichen.
Von der weiteren Darstellung des Sachverhalts wird abgesehen. Denn das Gesetz verlangt nach § 142 Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nur die Begründung des Beschlusses über die einstweilige Anordnung. Auf § 136 SGG wird nur verwiesen, falls der Beschluss nach mündlicher Verhandlung ergeht, vgl. § 142 Abs. 1 SGG. Daran fehlt es hier. Somit ist eine (weitere) gedrängte Darstellung des Tatbestandes im Sinne des § 136 Abs. 1 Nr. 5 SGG entbehrlich.
Entscheidungsgründe:
Der zulässige Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist teilweise begründet. Denn Widerspruch und Klage gegen den Bescheid vom 10. Oktober 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. März 2008 haben kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung, jedenfalls soweit die zu erstattende Leistung durch Verwaltungsakt (Erstattungsbescheid) festgesetzt wurde. Wegen des Forderungseinzuges durch die BA ist dies festzustellen (dazu unter 1.). Im übrigen (Aufhebungsbescheid betreffend) ist der Antrag mangels Rechtsschutzbedürfnisses abzulehnen (dazu unter 2.).
1. Streitentscheidend ist der Geltungsbereich des § 39 Nr. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II). Danach haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der über Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende entscheidet, keine aufschiebende Wirkung. Zur Darstellung der insoweit vertretenen "vier Grundpositionen" wird auf die Ausführungen von Berendes, SGb 2008, 215ff, verwiesen.
Die erkennende Kammer vertritt hierzu seit Jahren die im folgenden (auszugsweise wiedergegebenen) Textbaustein genannte Auffassung:
"1. Nach derzeitiger Sach- und Rechtslage haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt über die Festsetzung zu Unrecht erbrachter Leistungen nach § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG aufschiebende Wirkung. Denn Ausnahmen hiervon sind nicht gegeben. Insbesondere ist § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG iVm § 39 Nr. 1 SGB II nicht anwendbar. Die Rechtsprechung der Sozialgerichtsbarkeit und die im Schrifttum hierzu vertretenen Auffassungen sind zwar alles andere als einheitlich. Jedoch sprechen für die vorläufige Auffassung des Gerichts gewichtige Gründe:
a) § 86a Abs. 1 SGG ist Ausprägung der Rechtsschutzgarantie nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG und normiert einen fundamentalen Verfahrensgrundsatz, vgl. zB Keller in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer, SGG, Kommentar, 8. Auflage 2005, § 86a Rn 4 mwN. Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet "nicht nur das formelle Recht und die theoretische Möglichkeit ..., die Gerichte anzurufen, sondern auch die Effektivität des Rechtsschutzes". Damit soll die Schaffung vollendeter Tatsachen "durch die sofortige Vollziehung einer Maßnahme" verhindert werden, "die auch dann, wenn sich die Maßnahme bei richterlicher Prüfung als rechtswidrig erweist, nicht mehr rückgängig gemacht werden können". Vgl. zum Vorstehenden zB BVerfG, Beschluss vom 19. Oktober 1977 - 2 BvR 42/76. Daraus ergeben sich vor allem in Verfahren über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ("Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens") besondere Anforderungen, vgl. hierzu zB BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05. Des weiteren müssen die "Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit im Zusammenhang mit dem materiellen Recht der Daseinsvorsorge gesehen werden, dem es dient. Der Bedeutung dieses Rechts entsprechend ... ist auch das seiner Durchsetzung dienende Recht ... vom Gesetzgeber in seiner gesamten Anlage von vornherein als Schutzrecht gedacht und ausgestaltet.", vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 22. Januar 1959 - 1 BvR 154/55.
b) § 39 SGB II (iVm § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG) durchbricht den o.g. Grundsatz, ohne hinreichend bestimmt genug zu sein. Denn Inhalt und Ausmaß dieser Vorschrift werden nicht in vollem Umfang deutlich. Der Wortlaut des § 39 (Nr. 1) SGB II ist auslegungsbedürftig und -fähig. Die gesetzgeberische Intention ist somit nicht eindeutig erkennbar. Denn die Gesetzesbegründung ist knapp gehalten und ohne substantiellen Gehalt für die Auslegung, vgl. BT-Drucks. 15/1516 vom 5. September 2003, Seite 63. Die Anwendung der sonstigen anerkannten Auslegungsmethoden führt im Ergebnis zur Wahrung des o.g. Grundsatz - Ausnahme - Verhältnisses.
c) Es wäre eine nicht ohne weiteres verfassungsrechtlich begründbare Ausnahme im systematischen Regelungsgefüge des einstweiligen Rechtsschutzes, wenn § 39 Nr. 1 SGB II auch Verwaltungsakte im Sinne des § 50 SGB X erfassen sollte. Denn insbesondere nach § 86a Abs. 2 Nr. 2 und 3 SGG entfällt die aufschiebende Wirkung nur "bei Verwaltungsakten, die eine laufende Leistung herabsetzen oder entziehen". Sog. Rückforderungs- bzw. Erstattungsbescheide zählen hierzu nach allgemeiner Auffassung nicht. Das SGB III und SGB XII sehen ebenso keine vergleichbare Regelungen vor, ausführlicher und zu Recht kritisch hierzu zB Eicher in: Eicher / Spellbrink, SGB II, Kommentar, 1. Auflage 2005, § 39 Rn 3. Ein sachliches und überzeugendes Kriterium für diese verschiedene Behandlung der Leistungsberechtigten nach dem SGB II im Vergleich zu denen nach dem SGB III und XII ist nicht ersichtlich. Dies gilt vor allem unter Würdigung des existenzsichernden Charakters der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.
d) In atypischen Sachverhaltskonstellationen (zB bei Personen, die bei Erlaß der Erstattungsentscheidung wegen Einkommens und / oder Vermögens nicht mehr hilfebedürftig sind) bleibt es dem Leistungsträger unbenommen, die sofortige Vollziehung gesetzeskonform anzuordnen (vgl. hierzu § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG).
e) Bei einem weiten Verständnis des § 39 Nr. 1 SGG bedürfte es der gesonderten Regelung in § 39 Nr. 2 SGB II nicht."
Daran wird festgehalten, (nunmehr) im Ergebnis ebenso zB Sächsisches (Sächs.) Landessozialgericht (LSG), Beschluss vom 10. Dezember 2007 - L 2 B 442/07 AS-ER sowie Berlit, info also 2005, 3, 5; Eicher, aaO (2. Auflage 2008), Rn 12; Groth, NJW 2007, 2294f und Udsching / Link, SGb 2007, 513, 518; anderer Auffassung zB der 3. Senat des Sächs. LSG in ständiger Rechtsprechung, vgl. zB Beschlüsse vom 16. Juli 2007 - L 3 B 381/06 AS-ER und 1. November 2007 - L 3 B 292/07 AS-ER; jeweils mwN.
Der hier vertretenen Auffassung folgend, war die aufschiebende Wirkung nach § 86b Abs. 1 SGG in entsprechender Anwendung (deklaratorisch) festzustellen, vgl. hierzu zB Keller, aaO, Rn 15. Denn der Ast. hat die Vollziehung der streitigen Erstattung (Forderungseinzug) durch die BA glaubhaft gemacht, soweit dies hierfür ("Sachentscheidungsvoraussetzung") erforderlich sein sollte, so zB Groth, aaO, 2294 (Fn 3); anderer Auffassung zB Sächs. LSG, Beschluss vom 25. Februar 2008 - L 3 B 299/07 AS.
2. Soweit der Ast. die Feststellung der aufschiebenden Wirkung der Rechtsbehelfe gegen den Aufhebungsbescheid vom 22. Oktober 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. März 2008 begehrt (Schreiben seines Bevollmächtigten vom 12. März und 4. April 2008), ist der Antrag abzulehnen. Denn insoweit besteht kein Rechtsschutzbedürfnis, ebenso zB Groth, aaO, 2295. Denn der streitgegenständliche Aufhebungsbescheid bezieht sich auf Leistungen, die in vergangenen Zeiten erbracht wurden. Deren Erstattung ist nicht zu vollziehen (vgl. unter 1.). Tatsachen für ein Rechtsschutzbedürfnis (-interesse) für die Anordnung oder Feststellung der aufschiebenden Wirkung der Rechtsbehelfe gegen den Aufhebungsbescheid sind weder vorgetragen noch erkennbar. Somit bedarf in diesem Verfahren keiner Entscheidung, ob Rechtsbehelfe gegen Aufhebungsentscheidungen für die Vergangenheit aufschiebende Wirkung haben, so zB mit beachtlichen Gründen Berendes, aaO, 218f.
3. Bei (weiterer) Vollziehung des Erstattungsanspruchs durch die BA bleibt die Änderung dieses Beschlusses auf ein entsprechendes Gesuch des Ast. vorbehalten (§ 86b Abs. 1 Satz 4 SGG). Abschließend wird beiläufig auf bestehende Bedenken einer nunmehr evtl. beabsichtigten Anordnung nach § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG hingewiesen. Diese beruhen auf den in den Verfahren mit den Aktenzeichen S 19 AS 1968/07 und S 19 AS 1235/08 erteilten Zustimmungen der Ag. zur Anordnung des Ruhen der Verfahren bis zur Entscheidung der (materiell-rechtlich) streitigen Rechtsfragen durch das Bundessozialgericht (BSG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 (letzterer in entsprechender Anwendung) SGG. Sie berücksichtigt den Anlaß und das Ergebnis dieses Verfahrens. Dabei konnte das weitergehende Antragsbegehren (vgl. unter 2.) nach § 123 SGG (in entsprechender Anwendung) unberücksichtigt bleiben. Des weiteren ist es selbst bei umfassender Geltung des § 39 Nr. 1 SGB II nach Auffassung des 3. Senats des Sächs. LSG "nicht zwingend erforderlich, dass vor Antragstellung nach § 86 b Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 SGG eine Anfrage hinsichtlich der beabsichtigten Vollziehung bei der Antragsgegnerin erfolgt", Beschluss vom 25. Februar 2008 - L 3 B 299/07 AS-ER unter Verweis auf Keller, aaO, Rn 7. Die zulässige Erhebung des Widerspruchs reiche aus. Entscheidungserheblich ist dies hier nicht. Denn der Ast. hat glaubhaft gemacht, vor dem Antrag bei Gericht zumindest die mit dem Forderungseinzug beauftragte BA über die Erhebung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 10. Oktober 2007 und mangelnde Zahlungsbereitschaft vor Abschluß des Widerspruchsverfahrens informiert zu haben.
5. Die Beschwerde gegen diesen Beschluss ist ausgeschlossen, § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG (in der ab dem 1. April 2008 geltenden Fassung). Denn in der Hauptsache wäre (ist) die Berufung nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG (selbst in der bis zum 31. März 2008 geltenden Fassung) nicht zulässig. Die Zulassung der Beschwerde, zB wegen grundsätzlicher Bedeutung, sieht das geltende Recht nicht vor. Dessen ungeachtet dürfte sie nicht zur Vereinheitlichung der Rechtsprechung beitragen. Denn der Rechtsweg zum BSG ist nicht eröffnet, § 177 SGG. Die unterschiedlichen Auffassungen der beiden AS-Senate des Sächs. LSG sind bekannt und wurden benannt.
Tatbestand:
Der Antragsteller (Ast.) begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid.
Die Antragsgegnerin (Ag.) erbrachte dem Ast. und den mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen von Januar 2005 bis Januar 2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts.
Mit Bescheid vom 10. Oktober 2007 hob die Ag. "die Entscheidung" für November 2005 für den Ast. in Höhe von 312,56 EUR auf und setzte den von ihm zu erstattenden Betrag in dieser Höhe fest. Denn dagegen erhobenen Widerspruch wies die Ag. mit Bescheid vom 14. März 2008 (W 14.353/07) zurück. Dagegen richtet sich die am 7. April 2008 erhobene Klage (S 19 AS 1235/08).
Am 13. März 2008 beantragte der Ast. einstweiligen Rechtsschutz.
Der Widerspruch bzw. nunmehr die Klage gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 10. Oktober 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. März 2008 habe aufschiebende Wirkung. Dies sei festzustellen. Denn die für die Ag. tätige Bundesagentur für Arbeit (BA) sei nicht bereit, dies anzuerkennen.
Die Ag. meint, die Klage habe keine aufschiebende Wirkung. Der Ast. könne die Erstattung mit dem verfügbaren Einkommen begleichen.
Von der weiteren Darstellung des Sachverhalts wird abgesehen. Denn das Gesetz verlangt nach § 142 Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nur die Begründung des Beschlusses über die einstweilige Anordnung. Auf § 136 SGG wird nur verwiesen, falls der Beschluss nach mündlicher Verhandlung ergeht, vgl. § 142 Abs. 1 SGG. Daran fehlt es hier. Somit ist eine (weitere) gedrängte Darstellung des Tatbestandes im Sinne des § 136 Abs. 1 Nr. 5 SGG entbehrlich.
Entscheidungsgründe:
Der zulässige Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist teilweise begründet. Denn Widerspruch und Klage gegen den Bescheid vom 10. Oktober 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. März 2008 haben kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung, jedenfalls soweit die zu erstattende Leistung durch Verwaltungsakt (Erstattungsbescheid) festgesetzt wurde. Wegen des Forderungseinzuges durch die BA ist dies festzustellen (dazu unter 1.). Im übrigen (Aufhebungsbescheid betreffend) ist der Antrag mangels Rechtsschutzbedürfnisses abzulehnen (dazu unter 2.).
1. Streitentscheidend ist der Geltungsbereich des § 39 Nr. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II). Danach haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der über Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende entscheidet, keine aufschiebende Wirkung. Zur Darstellung der insoweit vertretenen "vier Grundpositionen" wird auf die Ausführungen von Berendes, SGb 2008, 215ff, verwiesen.
Die erkennende Kammer vertritt hierzu seit Jahren die im folgenden (auszugsweise wiedergegebenen) Textbaustein genannte Auffassung:
"1. Nach derzeitiger Sach- und Rechtslage haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt über die Festsetzung zu Unrecht erbrachter Leistungen nach § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG aufschiebende Wirkung. Denn Ausnahmen hiervon sind nicht gegeben. Insbesondere ist § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG iVm § 39 Nr. 1 SGB II nicht anwendbar. Die Rechtsprechung der Sozialgerichtsbarkeit und die im Schrifttum hierzu vertretenen Auffassungen sind zwar alles andere als einheitlich. Jedoch sprechen für die vorläufige Auffassung des Gerichts gewichtige Gründe:
a) § 86a Abs. 1 SGG ist Ausprägung der Rechtsschutzgarantie nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG und normiert einen fundamentalen Verfahrensgrundsatz, vgl. zB Keller in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer, SGG, Kommentar, 8. Auflage 2005, § 86a Rn 4 mwN. Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet "nicht nur das formelle Recht und die theoretische Möglichkeit ..., die Gerichte anzurufen, sondern auch die Effektivität des Rechtsschutzes". Damit soll die Schaffung vollendeter Tatsachen "durch die sofortige Vollziehung einer Maßnahme" verhindert werden, "die auch dann, wenn sich die Maßnahme bei richterlicher Prüfung als rechtswidrig erweist, nicht mehr rückgängig gemacht werden können". Vgl. zum Vorstehenden zB BVerfG, Beschluss vom 19. Oktober 1977 - 2 BvR 42/76. Daraus ergeben sich vor allem in Verfahren über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ("Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens") besondere Anforderungen, vgl. hierzu zB BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05. Des weiteren müssen die "Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit im Zusammenhang mit dem materiellen Recht der Daseinsvorsorge gesehen werden, dem es dient. Der Bedeutung dieses Rechts entsprechend ... ist auch das seiner Durchsetzung dienende Recht ... vom Gesetzgeber in seiner gesamten Anlage von vornherein als Schutzrecht gedacht und ausgestaltet.", vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 22. Januar 1959 - 1 BvR 154/55.
b) § 39 SGB II (iVm § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG) durchbricht den o.g. Grundsatz, ohne hinreichend bestimmt genug zu sein. Denn Inhalt und Ausmaß dieser Vorschrift werden nicht in vollem Umfang deutlich. Der Wortlaut des § 39 (Nr. 1) SGB II ist auslegungsbedürftig und -fähig. Die gesetzgeberische Intention ist somit nicht eindeutig erkennbar. Denn die Gesetzesbegründung ist knapp gehalten und ohne substantiellen Gehalt für die Auslegung, vgl. BT-Drucks. 15/1516 vom 5. September 2003, Seite 63. Die Anwendung der sonstigen anerkannten Auslegungsmethoden führt im Ergebnis zur Wahrung des o.g. Grundsatz - Ausnahme - Verhältnisses.
c) Es wäre eine nicht ohne weiteres verfassungsrechtlich begründbare Ausnahme im systematischen Regelungsgefüge des einstweiligen Rechtsschutzes, wenn § 39 Nr. 1 SGB II auch Verwaltungsakte im Sinne des § 50 SGB X erfassen sollte. Denn insbesondere nach § 86a Abs. 2 Nr. 2 und 3 SGG entfällt die aufschiebende Wirkung nur "bei Verwaltungsakten, die eine laufende Leistung herabsetzen oder entziehen". Sog. Rückforderungs- bzw. Erstattungsbescheide zählen hierzu nach allgemeiner Auffassung nicht. Das SGB III und SGB XII sehen ebenso keine vergleichbare Regelungen vor, ausführlicher und zu Recht kritisch hierzu zB Eicher in: Eicher / Spellbrink, SGB II, Kommentar, 1. Auflage 2005, § 39 Rn 3. Ein sachliches und überzeugendes Kriterium für diese verschiedene Behandlung der Leistungsberechtigten nach dem SGB II im Vergleich zu denen nach dem SGB III und XII ist nicht ersichtlich. Dies gilt vor allem unter Würdigung des existenzsichernden Charakters der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.
d) In atypischen Sachverhaltskonstellationen (zB bei Personen, die bei Erlaß der Erstattungsentscheidung wegen Einkommens und / oder Vermögens nicht mehr hilfebedürftig sind) bleibt es dem Leistungsträger unbenommen, die sofortige Vollziehung gesetzeskonform anzuordnen (vgl. hierzu § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG).
e) Bei einem weiten Verständnis des § 39 Nr. 1 SGG bedürfte es der gesonderten Regelung in § 39 Nr. 2 SGB II nicht."
Daran wird festgehalten, (nunmehr) im Ergebnis ebenso zB Sächsisches (Sächs.) Landessozialgericht (LSG), Beschluss vom 10. Dezember 2007 - L 2 B 442/07 AS-ER sowie Berlit, info also 2005, 3, 5; Eicher, aaO (2. Auflage 2008), Rn 12; Groth, NJW 2007, 2294f und Udsching / Link, SGb 2007, 513, 518; anderer Auffassung zB der 3. Senat des Sächs. LSG in ständiger Rechtsprechung, vgl. zB Beschlüsse vom 16. Juli 2007 - L 3 B 381/06 AS-ER und 1. November 2007 - L 3 B 292/07 AS-ER; jeweils mwN.
Der hier vertretenen Auffassung folgend, war die aufschiebende Wirkung nach § 86b Abs. 1 SGG in entsprechender Anwendung (deklaratorisch) festzustellen, vgl. hierzu zB Keller, aaO, Rn 15. Denn der Ast. hat die Vollziehung der streitigen Erstattung (Forderungseinzug) durch die BA glaubhaft gemacht, soweit dies hierfür ("Sachentscheidungsvoraussetzung") erforderlich sein sollte, so zB Groth, aaO, 2294 (Fn 3); anderer Auffassung zB Sächs. LSG, Beschluss vom 25. Februar 2008 - L 3 B 299/07 AS.
2. Soweit der Ast. die Feststellung der aufschiebenden Wirkung der Rechtsbehelfe gegen den Aufhebungsbescheid vom 22. Oktober 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. März 2008 begehrt (Schreiben seines Bevollmächtigten vom 12. März und 4. April 2008), ist der Antrag abzulehnen. Denn insoweit besteht kein Rechtsschutzbedürfnis, ebenso zB Groth, aaO, 2295. Denn der streitgegenständliche Aufhebungsbescheid bezieht sich auf Leistungen, die in vergangenen Zeiten erbracht wurden. Deren Erstattung ist nicht zu vollziehen (vgl. unter 1.). Tatsachen für ein Rechtsschutzbedürfnis (-interesse) für die Anordnung oder Feststellung der aufschiebenden Wirkung der Rechtsbehelfe gegen den Aufhebungsbescheid sind weder vorgetragen noch erkennbar. Somit bedarf in diesem Verfahren keiner Entscheidung, ob Rechtsbehelfe gegen Aufhebungsentscheidungen für die Vergangenheit aufschiebende Wirkung haben, so zB mit beachtlichen Gründen Berendes, aaO, 218f.
3. Bei (weiterer) Vollziehung des Erstattungsanspruchs durch die BA bleibt die Änderung dieses Beschlusses auf ein entsprechendes Gesuch des Ast. vorbehalten (§ 86b Abs. 1 Satz 4 SGG). Abschließend wird beiläufig auf bestehende Bedenken einer nunmehr evtl. beabsichtigten Anordnung nach § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG hingewiesen. Diese beruhen auf den in den Verfahren mit den Aktenzeichen S 19 AS 1968/07 und S 19 AS 1235/08 erteilten Zustimmungen der Ag. zur Anordnung des Ruhen der Verfahren bis zur Entscheidung der (materiell-rechtlich) streitigen Rechtsfragen durch das Bundessozialgericht (BSG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 (letzterer in entsprechender Anwendung) SGG. Sie berücksichtigt den Anlaß und das Ergebnis dieses Verfahrens. Dabei konnte das weitergehende Antragsbegehren (vgl. unter 2.) nach § 123 SGG (in entsprechender Anwendung) unberücksichtigt bleiben. Des weiteren ist es selbst bei umfassender Geltung des § 39 Nr. 1 SGB II nach Auffassung des 3. Senats des Sächs. LSG "nicht zwingend erforderlich, dass vor Antragstellung nach § 86 b Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 SGG eine Anfrage hinsichtlich der beabsichtigten Vollziehung bei der Antragsgegnerin erfolgt", Beschluss vom 25. Februar 2008 - L 3 B 299/07 AS-ER unter Verweis auf Keller, aaO, Rn 7. Die zulässige Erhebung des Widerspruchs reiche aus. Entscheidungserheblich ist dies hier nicht. Denn der Ast. hat glaubhaft gemacht, vor dem Antrag bei Gericht zumindest die mit dem Forderungseinzug beauftragte BA über die Erhebung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 10. Oktober 2007 und mangelnde Zahlungsbereitschaft vor Abschluß des Widerspruchsverfahrens informiert zu haben.
5. Die Beschwerde gegen diesen Beschluss ist ausgeschlossen, § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG (in der ab dem 1. April 2008 geltenden Fassung). Denn in der Hauptsache wäre (ist) die Berufung nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG (selbst in der bis zum 31. März 2008 geltenden Fassung) nicht zulässig. Die Zulassung der Beschwerde, zB wegen grundsätzlicher Bedeutung, sieht das geltende Recht nicht vor. Dessen ungeachtet dürfte sie nicht zur Vereinheitlichung der Rechtsprechung beitragen. Denn der Rechtsweg zum BSG ist nicht eröffnet, § 177 SGG. Die unterschiedlichen Auffassungen der beiden AS-Senate des Sächs. LSG sind bekannt und wurden benannt.
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