L 3 AL 34/05

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 12 AL 676/03
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AL 34/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Der Versicherte trägt in einem Verfahren, das einen Aufhebungs- und Ersttungsbescheid betrifft, die Beweislast hinsichtlich der von ihm trotz seiner unvollständigen Angaben im Antragsformular behaupteten Erfüllung der Mitteilungspflicht durch mündliche oder konkludente Erklärungen.
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 3. Januar 2005 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte berechtigt war, die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe rückwirkend aufzuheben und Erstattung zu Unrecht gewährter Leistungen zu fordern.

Der 1943 geborene, verheiratete Kläger war seit 1958 für die D. AG (D. AG) bzw. deren Rechtsvorgänger, zuletzt als Fahrdienstleiter, tätig. Sein Arbeitsverhältnis endete durch Aufhebungsvertrag zum 30. September 1998. Aufgrund des Vorruhestandstarifvertrages der D. AG gewährte diese dem Kläger nach seinem Ausscheiden bis zum frühestmöglichen Bezug einer gesetzlichen Rente unter Anrechnung von Leistungen der Arbeitsverwaltung eine monatliche Überbrückungsbeihilfe in Höhe von 2.394,60 DM netto, die auf einer am 19. Oktober 1999 für die Beklagte (damals: Bundesanstalt für Arbeit) ausgestellten Arbeitsbescheinigung als Leistung wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses angegeben wurde. Der Kläger meldete sich am 21. August 1998 zum 1. Oktober 1998 arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. Nach Verhängung einer Sperrzeit von 12 Wochen und Feststellung des Ruhens des Leistungsanspruchs bis zum 16. Mai 1999 wegen der Zahlung einer Abfindung bezog der Kläger ab dem 13. August 1999 von der Beklagten bis zur Erschöpfung des Anspruchs am 14. Mai 2001 Arbeitslosengeld.

Am 11. April 2001 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung von Arbeitslosenhilfe. Dabei gab er an, über Vermögen, bestehend aus Sparguthaben in Höhe von 7.940 DM mit jährlichen Zinseinnahmen von 12,24 DM sowie als Altersvorsorge abgeschlossenen Lebens-/Rentenversicherungen, zu verfügen, aber außer einer Unfallrente keine Leistungen, insbesondere auch keine Ausgleichszahlungen des ehemaligen Arbeitgebers, zu beziehen. Die Aufwendungen für Versicherungen der Eheleute bezifferte er auf insgesamt 347,62 DM monatlich. Die Beklagte gewährte dem Kläger daraufhin ab dem 15. Mai 2001 zunächst bis zum 14. Mai 2002 Anschlussarbeitslosenhilfe nach einem wöchentlichen Bemessungsentgelt von gerundet 800 DM, der Leistungsgruppe A/0 und der Leistungstabelle für das Jahr 2001 mit einem Leistungssatz von wöchentlich 276,71 DM (ab dem 1. Januar 2002 141,61 EUR).

Auf seinen Fortzahlungsantrag vom 15. April 2002, in dem der Kläger weiterhin als einzige Einnahme den Bezug der Unfallrente sowie als Vermögen ein Sparguthaben von 4.098,29 EUR mit jährlichen Zinseinnahmen von 34,75 DM und die Lebens-/Renten-versicherungen angab, bewilligte die Beklagte ab dem 15. Mai 2002 bis zum 14. Mai 2003 Arbeitslosenhilfe in Höhe eines wöchentlichen Leistungssatzes von 117,18 EUR, der ab dem 1. Januar 2003 auf 116,27 EUR geändert wurde ...

Am 12. Februar 2003 ging bei der Beklagten ein Schreiben der D. AG ein, in dem diese zur Vermeidung von Erstattungsforderungen darauf hinwies, dass der Kläger Überbrückungsbeihilfe beziehe.

Die Beklagte teilte dem Kläger daraufhin mit zwei Schreiben vom 18. Februar 2003 mit, dass eine Überzahlung von 9.131,43 DM im Zeitraum vom 15. Mai bis zum 31. Dezember 2001 und von 7.092,67 EUR im Zeitraum vom 1. Januar 2002 bis zum 31. Januar 2003 entstanden sei, da die von der D. AG gezahlte Überbrückungsbeihilfe den wöchentlichen Leistungssatz überstiegen habe. Die Überzahlung sei durch unvollständige und zum Teil falsche Angaben des Klägers verursacht worden. Die gezahlten Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge in Höhe von 2.067,39 DM und 155,23 DM für den Zeitraum vom 15. Mai bis zum 31. Dezember 2001 und von 1.562,38 EUR und 120,57 EUR für den Zeitraum vom 1. Januar 2002 bis zum 31. Januar 2003 seien zu erstatten. In seinen Stellungnahmen vom 24. März 2003 erwiderte der Kläger, dass er zu keinem Zeitpunkt mehr Leistungen als die Zahlungen in Höhe der Überbrückungsbeihilfe erhalten habe. Ihm sei nicht bekannt gewesen, dass er keine Arbeitslosenhilfe beantragen dürfe. Einen Betrug habe er nicht begangen. Mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 19. März 2003 hob die Beklagte die Entscheidungen über die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe für die Zeit vom 15. Mai 2001 bis zum 31. Januar 2003 gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) auf und forderte die Erstattung der in diesem Zeitraum zu Unrecht gezahlten Arbeitslosenhilfe in Höhe von 11.761,50 EUR sowie gezahlter Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von insgesamt 2.819,36 EUR. Die anzurechnende Überbrückungsbeihilfe habe den wöchentlichen Leistungssatz überstiegen. Die fehlerhafte Bewilligung sei erfolgt, da der Kläger zumindest grob fahrlässig in seinen Anträgen unvollständige Angaben gemacht habe.

Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 29. April 2003 zurück. Auf die Arbeitslosenhilfe sei im streitbefangenen Zeitraum unter Beachtung aller zu berücksichtigenden Einkünfte des Klägers und seiner Ehefrau ein wöchentlicher Betrag von 608,79 DM (entspricht 311,29 EUR) in der Zeit vom 15. Mai 2001 bis zum 14. Mai 2002 sowie ein Betrag von 309,25 EUR in der Zeit vom 15. Mai 2002 bis zum 14. Mai 2003 anzurechnen gewesen. Diese Beträge überstiegen den Leistungssatz des Klägers, so dass keine Bedürftigkeit vorgelegen habe. Die Bescheide über die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe seien daher rechtswidrig gewesen. Der Kläger habe trotz der Hinweise im Merkblatt 1b "Arbeitslosenhilfe" und im Merkblatt 1 für Arbeitslose über anzugebendes Einkommen seine Überbrückungsbeihilfe in den Anträgen auf Arbeitslosenhilfe verschwiegen und könne sich deshalb nicht auf schutzwürdiges Vertrauen berufen. Die Bewilligungsbescheide seien nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X aufzuheben gewesen. Die Erstattung der erbrachten Leistungen beruhe auf § 50 SGB X und § 335 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (SGB III).

Der Kläger hat am 2. Juni 2003 Klage gegen die Bescheide vom 19. März 2003 erhoben, mit der er geltend gemacht hat, bei der Beantragung des Arbeitslosengeldes die Vereinbarung mit der D. AG über die Gewährung einer Überbrückungsbeihilfe vorgelegt zu haben. Er sei deshalb bei der Beantragung von Arbeitslosenhilfe davon ausgegangen, dass der Beklagten der Bezug dieser Leistung bekannt sei. Er sei darin durch die Zahlungen der D. AG, bei denen die Arbeitslosenhilfe angerechnet worden sei, bestärkt worden. Diese habe ihn nicht darauf aufmerksam gemacht, dass die Überbrückungsbeihilfe für die Arbeitslosenhilfe relevant sei. Die D. AG habe die zurückgeforderte Arbeitslosenhilfe mittlerweile direkt an die Beklagte erstattet.

Das Sozialgericht hat die angefochtenen Bescheide durch Urteil vom 3. Januar 2005 aufgehoben. Streitgegenstand sei nur noch die Erstattung der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge, da die zu erstattende Arbeitslosenhilfe mit der D. AG verrechnet worden sei, so dass sich hiergegen nie ein direkter Anspruch gegen den Kläger ergeben habe. Zwischen den Beteiligten sei auch nicht streitig, dass dem Kläger für den streitigen Zeitraum keine Arbeitslosenhilfe zugestanden habe, da die Überbrückungsbeihilfe anzurechnen gewesen sei, wie das Bundessozialgericht in einem Parallelfall entschieden habe (Verweis auf das Urteil vom 9. Dezember 2003 - B 7 AL 54/02 R). Die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X i. V. m. § 330 Abs. 3 SGB III für eine Erstattung lägen jedoch nicht vor, da dem Kläger keine grob fahrlässige Handlung vorzuwerfen sei. Der Kläger sei weder durch die D. AG noch durch die Beklagte, der die Unterlagen über die Zahlung der Überbrückungsbeihilfe zur Verfügung gestanden hätten, auf die Unrichtigkeit seiner Angaben aufmerksam gemacht worden. Seine Ehefrau habe bestätigt, dass er die Unterlagen im Arbeitsamt immer dabei gehabt und übergeben habe. Bei der Abwägung der jeweiligen Interessen sei dem Vertrauensschutz des Klägers der Vorrang zu geben, zumal die Beklagte ein Mitverschulden an der Überzahlung durch die Nichtbeachtung der vorgelegten Unterlagen treffe. Mangels rechtmäßiger Aufhebung der Bewilligungsentscheidungen greife auch nicht die akzessorische Pflicht zur Erstattung von Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungsbeiträgen nach § 335 SGB III.

Die Beklagte hat gegen das am 27. Januar 2005 zugestellte Urteil am 14. Februar 2005 Berufung eingelegt. Der Kläger habe trotz ausdrücklicher Frage nach Ausgleichszahlungen des Arbeitgebers die Überbrückungsbeihilfe in seinen Anträgen auf Arbeitslosenhilfe nicht angegeben. Dass diese Leistung anzugeben sei, habe der Kläger durch das Merkblatt 1 für Arbeitslose gewusst. Er habe damit grob fahrlässig falsche bzw. unvollständige Angaben gemacht. Von der Pflicht zur wahrheitsgemäßen vollständigen Angaben aller leistungserheblichen Tatsachen sei der Kläger nicht dadurch entbunden gewesen, dass er die Zahlung der Überbrückungsbeihilfe bei der Beantragung des Arbeitslosengeldes angegeben habe. Es werde bestritten, dass der Kläger die Unterlagen zur Überbrückungsbeihilfe bei der Beantragung der Arbeitslosenhilfe vorgelegt habe. Die Aussage des Klägers, er habe nicht gewusst, dass er die Überbrückungsbeihilfe anzugeben habe, stehe im Widerspruch zu seiner Behauptung, er habe die entsprechenden Unterlagen vorgelegt und darauf hingewiesen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 3. Januar 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Es sei unstreitig, dass ihm die Arbeitslosenhilfe nicht zugestanden habe. Leistungen seien jedoch nicht zu erstatten. Er habe von der Rechtmäßigkeit der bezogenen Leistungen ausgehen können, da er zu keinem Zeitpunkt mehr als den vereinbarten Betrag der Überbrückungsbeihilfe an Einnahmen erhalten und der Beklagten alle notwendigen Informationen gegeben habe. Er habe auch bei der Beantragung der Arbeitslosenhilfe die Unterlagen über eine Überbrückungsbeihilfe dabei gehabt und diese der jeweiligen Mitarbeiterin der Beklagten zum Kopieren übergeben, mit der er sich auch über den Vorteil der Überbrückungsbeihilfenregelung unterhalten habe. Aufgrund der Anrechnung des Arbeitslosengeldes und der Arbeitslosenhilfe auf die Überbrückungsbeihilfe durch die D. AG sei für ihn nicht erkennbar gewesen, dass die Leistungen der Beklagten nur subsidiär seien. Im Übrigen sei der Beklagten bereits auf Grund des Arbeitslosengeldantrags die Zahlung der Überbrückungsbeihilfe bekannt gewesen. Er sei deshalb davon ausgegangen, dass die Beklagte diese Leistung auch bei der Entscheidung über die Arbeitslosenhilfe berücksichtigen werde. Der Vorwurf grober Fahrlässigkeit sei nicht gerechtfertigt. Die Erstattung der Arbeitslosenhilfe durch die D. AG sei ohne seine Beteiligung erfolgt.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einvernahme der Ehefrau des Klägers sowie der ehemaligen Arbeitsamtsmitarbeiterinnen S. , Sch. , B. , A. und W. als Zeugen. Wegen des Inhalts der Zeugenaussagen wird auf die Sitzungsniederschriften vom 6. Dezember 2007 und 21. April 2008 verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die gemäß den §§ 143, 144 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte sowie gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig.

2. Sie hat auch in der Sache Erfolg. Das Sozialgericht hat der zulässigen Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 SGG) zu Unrecht stattgegeben. Das Urteil des Sozialgerichts war aufzuheben und die Klage abzuweisen, da die angefochtenen Bescheide rechtmäßig sind und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzen (§ 54 Abs. 2 SGG).

a) Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der gesamte Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 19. März 2003, auch wenn die Beteiligten aufgrund der Rückzahlung der Arbeitslosenhilfe durch die D. AG explizit nur über die noch offene Erstattung der Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungsbeiträge streiten. Eine Beschränkung der Klage oder der Berufung ist insofern jedoch nicht erklärt worden. Das Sozialgericht hat zumindest im Tenor seines Urteils auch über den gesamten Bescheid vom 19. März 2003 in Ge-stalt des Widerspruchsbescheides vom 29. April 2003 entschieden, selbst wenn es in den Entscheidungsgründen nur noch die Erstattung der Krankversicherungs- und Pflegeversicherungsbeiträge als Streitgegenstand angesehen hat. Durch die Rückzahlung der Arbeitslosenhilfe seitens der D. AG ist auch nicht das Rechtsschutzinteresse des Klägers teilweise entfallen, da der Kläger an der Rückzahlung nicht beteiligt war und insofern weder ein Schuldanerkenntnis erklärt noch seine Zustimmung erteilt hat.

b) Die Beklagte hat die Arbeitslosenhilfebewilligungen für den Zeitraum vom 15. Mai 2001 bis zum 31. Januar 2003 zu Recht zurückgenommen und die Erstattung der erbrachten Leistungen gefordert. Die Bewilligungsvoraussetzungen waren nicht erfüllt, da der Kläger im Bewilligungszeitraum nicht bedürftig war (aa). Der Kläger kann sich auch nicht auf Vertrauen in den Bestand der rechtswidrigen Bewilligungen berufen (bb).

Rechtsgrundlage für die Rücknahme der den Zeitraum vom 15. Mai 2001 bis 31. Januar 2003 umfassenden Arbeitslosenhilfebewilligungen ist - wie die Beklagte zu Recht angenommen hat - § 45 Abs. 1, Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X i. V. m. § 330 Abs. 2 SGB III.

Nach § 45 SGB X i. V. m. § 330 Abs. 2 SGB III ist ein nach dem SGB III ergangener Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt) - auch nachdem er unanfechtbar geworden ist - mit Wirkung für die Vergangenheit, und ohne dass der Behörde ein Ermessensspielraum zusteht (§ 330 Abs. 2 SGB III), zurückzunehmen, wenn und soweit er von Anfang an rechtswidrig ist (§ 45 Abs. 1 SGB X) und wenn sich der Begünstigte nicht auf Vertrauen in den Bestand des begünstigenden Verwaltungsaktes berufen kann (§ 45 Abs. 2 Sätze 1 und 2 SGB X), weil einer der Fälle des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X vorliegt (§ 45 Abs. 4 Satz 1 Alt. 1 SGB X). Liegen diese Voraussetzungen vor, muss die zuständige Behörde (§ 45 Abs. 5 SGB X i. V. m. § 44 Abs. 3 SGB X) die Rücknahme innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen vornehmen, welche die Rücknahme des rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen (§ 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X) und - falls es sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung und einen Fall des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 oder 3 SGB X handelt - dies spätestens bis zum Ablauf von 10 Jahren seit Bekanntgabe des rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung tun (§ 45 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 SGB X).

Diese Voraussetzungen sind hinsichtlich der Arbeitslosenhilfebewilligungen für den Zeitraum vom 15. Mai 2001 bis zum 31. Januar 2003 erfüllt, weil die Bewilligungen rechtswidrig waren und der Kläger nicht auf deren Bestand vertrauen konnte. Schutzwürdiges Vertrauen konnte nicht entstehen, da die Bewilligungen auf Angaben beruhten, die der Kläger grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unvollständig gemacht hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X).

aa) Zwischen den Beteiligten ist zu Recht unstreitig, dass die den Kläger begünstigenden Bewilligungen der Arbeitslosenhilfe für den streitbefangenen Zeitraum vom 15. Mai 2001 bis zum 31. Januar 2003 rechtswidrig waren, da der Kläger wegen des Bezugs von zu berücksichtigendem Einkommen nicht bedürftig war.

Gemäß § 190 Abs. 1 SGB III in der hier maßgeblichen Fassung des 3. SGB III-Änderungsgesetzes vom 22. Dezember 1999 (BGBl. I S. 2624; im Folgenden: a.F.) hatten Anspruch auf Arbeitslosenhilfe nur Arbeitnehmer, die - neben weiteren Voraussetzungen - bedürftig waren (§ 190 Abs. 1 Nr. 5 SGB III a.F.). Bedürftig war ein Arbeitsloser, soweit er seinen Lebensunterhalt nicht auf andere Weise als durch Arbeitslosenhilfe bestritt oder bestreiten konnte und das zu berücksichtigende Einkommen die Arbeitslosenhilfe nicht erreichte (§ 193 Abs. 1 SGB III a.F.). Welches Einkommen zu berücksichtigen war, regelten § 194 SGB III a.F. und § 11 Arbeitslosenhilfe-Verordnung (AlhiV) vom 7. August 1974 (BGBl. I S. 1929) bzw. § 2 Arbeitslosenhilfe-Verordnung vom 13. Dezember 2001 (AlhiV 2002; BGBl. I S. 3734). Nach diesen Vorschriften waren die Unfallrente des Klägers (eingeschränkt) und die von der D. AG gewährte Überbrückungsbeihilfe (ohne Einschränkungen) als Einkommen bei der Bestimmung der Bedürftigkeit des Klägers zu berücksichtigen. Insofern hat das Bundessozialgericht durch Urteil vom 9. Dezember 2003 (B 7 AL 54/02 R - SozR4-4220 § 11 Nr. 1 = JURIS Dokument Rdnr. 18 ff.) bereits entschieden, dass es sich bei der tarifvertraglichen Überbrückungsbeihilfe der D. AG nicht um privilegiertes (und damit nicht zu berücksichtigendes) Einkommen nach § 194 Abs. 3 Nr. 5 SGB III a.F., § 11 Satz 1 Nr. 6 AlhiV handelt. Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an. Die Überbrückungsbeihilfe war damit gemäß § 194 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 SGB III a.F. als Einkommen zu berücksichtigen. Sie allein überstieg auch unter Berücksichtigung der vom Kläger angegebenen, nach § 194 Abs. 3 Satz 2 SGB III a.F. abzusetzenden Versicherungsbeiträge schon die dem Kläger ohne Anrechung von Einkommen und Vermögen zustehende Arbeitslosenhilfe bei weitem.

bb) Dem Kläger hätte somit die beantragte Arbeitslosenhilfe wegen fehlender Bedürftigkeit nicht gewährt werden dürfen. Die fehlerhafte Bewilligung erfolgte, weil der Kläger in grobfahrlässiger Weise bei der Antragstellung am 11. April 2001 und am 15. April 2002 jeweils unvollständige Angaben über seine Einkommensverhältnisse machte. Er konnte deshalb nicht auf den Bestand der Bewilligungen vertrauen.

Unstreitig ist, dass der Kläger den Bezug der Überbrückungsbeihilfe, zu deren Mitteilung er nach § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB I) verpflichtet war, in den von ihm unterschriebenen Anträgen auf Arbeitslosenhilfe nicht angegeben und damit zumindest schriftlich unvollständige Angaben gemacht hat. Die Frage unter Ziffer 4 der Anträge nach dem Bezug anderer Leistungen, in der ausdrücklich auch nach Ausgleichszahlungen des ehemaligen Arbeitgebers gefragt wurde, wurde vom Kläger verneint. Angaben zur Überbrückungsbeihilfe finden sich auch nicht an einer anderen Stelle der Arbeitslosenhilfeanträge. Solche Angaben waren auch nicht etwa deshalb entbehrlich, weil der Beklagten der Bezug der Überbrückungsbeihilfe bereits bekannt war. Zwar wurde diese als Leistung des Arbeitgebers in der im Zusammenhang mit dem Antrag auf Arbeitslosengeld eingereichten Arbeitsbescheinigung aufgeführt. Sie betraf damit jedoch einen anderen Leistungsantrag, auf dessen Unterlagen die Beklagte nur zurückgreifen muss, wenn der Antragsteller darauf verweist. Anderenfalls ist dieser verpflichtet, bei der Beantragung einer neuen Leistung wieder sämtliche leistungserheblichen Tatsachen anzugeben, da insofern ein neuer Vorgang ausgelöst wird (vgl. zum vergleichbaren Fall einer Mitteilungspflicht im Falle geänderter Umstände trotz Kenntnis der Behörde: BSG, Urteil vom 12. Februar 1980 - 7 RAr 13/79 - SozR 4100 § 152 Nr. 10 = JURIS-Dokument Rdnr. 25). Im Übrigen erscheint es unverhältnismäßig, der Beklagten abzuverlangen, in sämtlichen früheren Anträgen und in den als Anlage zu diesen Anträgen vorgelegten Unterlagen nach für den aktuellen Antrag leistungserheblichen Tatsachen zu suchen. Die Pflicht zur Mitteilung solcher Tatsachen dient gerade der Vermeidung eines solchen Verwaltungsaufwands und sichert die sachgerechte und zügige Bearbeitung des aktuellen Antrags. Der Kläger war somit von dieser Pflicht nicht auf Grund früherer Kenntnis der Beklagten von der Überbrückungsbeihilfe entbunden.

Der Kläger ist dieser Pflicht auch nicht durch außerhalb des Antragsformulars gemachte Angaben nachgekommen. Die von ihm behauptete Mitteilung der Überbrückungsbeihilfe durch mündliche Angaben und durch die Übergabe von entsprechenden Unterlagen ließ sich nicht nachweisen.

Zwar trägt nach den allgemeinen Grundsätzen der Beweislastverteilung, die auch im sozialgerichtlichen Verfahren Anwendung finden (vgl. dazu Leitherer, in: Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG [8. Aufl., 2005], § 103 Rdnr. 19a ff.), grundsätzlich die Beklagte als sich auf einen Eingriffstatbestand berufende Behörde die materielle Beweislast hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen für die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts, also auch hinsichtlich des Fehlens schutzwürdigen Vertrauens wegen vorsätzlich oder grob fahrlässig falscher oder unvollständiger Angaben (vgl. zum verwaltungsgerichtlichen Verfahren: Kopp/Schenke, VwGO [14. Aufl., 2005], § 108 Rdnr. 15). Allerdings erscheint es im vorliegenden Fall unbillig, der Beklagten die Beweislast für Umstände aufzuerlegen, deren Nachweis auf Grund seiner unzureichenden Angaben im schriftlichen Antrag in den Verantwortungsbereich des Klägers fällt. Eine solche von den allgemeinen Grundsätzen abweichende Beweislastverteilung wird hinsichtlich des Nachweises der Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts als gerechtfertigt angesehen, wenn der Verwaltungsakt durch " doloses" Verhalten des Begünstigten herbeigeführt wurde (vgl. Keller, SGb 1993, 259 [260], m.w.N.; Wiesner, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG [5. Aufl., 2005], § 45 Rdnr. 11; Vogelgesang, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch - SGB X [32. Lfg. III/04], § 45 Rdnr. 18). Gleiches muss für den Beweis der Unvollständigkeit von Angaben gelten, wenn der Begünstigte auf Grund eines von ihm zu verantwortenden Fehlverhaltens bei der Mitteilung leistungserheblicher Angaben nicht von der ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Mitteilungspflicht ausgehen kann. Ihm obliegt dann die Beweislast für die Vollständigkeit seiner Angaben trotz seines Fehlverhaltens. Aus diesem Grunde trägt der Kläger die Beweislast hinsichtlich der von ihm trotz seiner unvollständigen Angaben im Antragsformular behaupteten Erfüllung der Mitteilungspflicht durch mündliche oder konkludente Erklärungen. Eine fehlende Nachweisbarkeit geht zu seinen Lasten. Unter Beachtung dieser Grundsätze kann nach der durchgeführten Beweisaufnahme nicht von der Richtigkeit der klägerischen Behauptungen ausgegangen werden.

Insofern hat lediglich die Ehefrau des Klägers die Angaben des Klägers überwiegend be-stätigt. Da sie die vom Kläger behaupteten Geschehnisse jedoch nicht aus eigener Wahrnehmung, sondern nur auf Grund von Schilderungen des Klägers und eigener Erfahrungen wiedergeben konnte, kommt ihrer Aussage als Zeugin vom Hörensagen nur eine eingeschränkte Beweiskraft zu. Da die als Zeugen vernommenen Arbeitsamtsmitarbeiterinnen als ehemalige Sachbearbeiterinnen der Anträge des Klägers dessen Angaben nicht bestätigen konnten und sich in der Leistungsakte des Klägers keine Vermerke oder Unterlagen zur Überbrückungsbeihilfe im Zusammenhang mit den Anträgen auf Arbeitslosenhilfe finden lassen, verbleiben trotz der Aussage der Ehefrau des Klägers erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der klägerischen Behauptungen. Insbesondere ist kein Grund ersichtlich, weshalb die vom Kläger angeblich vorgelegten Unterlagen nicht kopiert oder deren Daten in das Antragsformular übertragen worden sein sollen. Insofern mangelt es den Angaben des Klägers auch vor dem Hintergrund der glaubhaften Aussage der Zeugin W. , dass bei einer Antragstellung alle übergebenen Unterlagen kopiert werden und erst im Nachhinein festgestellt werden kann, welche davon leistungserheblich sind, in erheblichem Maße an Plausibilität. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Einlassungen des Klägers widersprüchlich sind. Es erscheint nicht miteinander vereinbar, wenn der Kläger behauptet, die Beklagte bei der Beantragung der Arbeitslosenhilfe über die Überbrückungsbeihilfe informiert zu haben, sich aber gleichzeitig darauf beruft, dass er dies gar nicht für notwendig gehalten habe, weil die Beklagte davon bereits Kenntnis gehabt habe. In Anbetracht dieser Unstimmigkeiten und des Ergebnisses der Beweisaufnahme hält der erkennende Senat die Erfüllung der Mitteilungspflicht durch den Kläger nicht für erwiesen.

Die Angaben des Klägers bei der Beantragung der Arbeitslosenhilfe waren somit in Bezug auf die von ihm bezogene Überbrückungsbeihilfe unvollständig. Die fehlende Mitteilung dieser Leistung beruhte auf grobfahrlässigem Verhalten des Klägers.

Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 Halbsatz 2 SGB X). Dabei ist ein subjektiver Maßstab anzuwenden. Danach handelt grob fahrlässig, wer unter Berücksichtigung seiner persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, seines Einsichtsvermögens und der besonderen Umstände des Falles schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss (BSG, Urteile vom 8. Februar 2001 - B 11 AL 21/00 R - SozR 3-1300 § 45 Nr. 45 = JURIS-Dokument Rdnr. 23, und vom 11. Juni 1987 - 7 Rar 105/85 - BSGE 62, 32 [35] = SozR 4100 § 71 Nr. 2; jeweils m. w. N.). Teilt ein Versicherter wesentliche Tatsachen nicht mit, obwohl er dazu verpflichtet war und auch unmissverständlich belehrt worden ist, liegt in aller Regel grobe Fahrlässigkeit vor (Wiesner, a.a.O., § 45 Rdnr. 22, § 48 Rdnr. 23).

Bei Zugrundelegung dieses Maßstabs handelte der Kläger grob fahrlässig. Er war bereits durch die in den Antragsformularen enthaltene Frage nach Ausgleichszahlungen des ehemaligen Arbeitgebers unmissverständlich auf die Pflicht zur Mitteilung der offensichtlich als solche Zahlung anzusehenden Überbrückungsbeihilfe aufmerksam gemacht worden. Zusätzlich fand sich in der Frage nach weiteren bezogenen Leistungen auch noch der Hinweis auf Abschnitt 2 des Merkblattes 1 für Arbeitslose und damit über den darin enthaltenen Verweis auf den Abschnitt "Bedürftigkeit" des Merkblattes 1b "Arbeitslosenhilfe" auf die Ausführungen über bei der Arbeitslosenhilfe zu berücksichtigendes Einkommen, aus denen der Kläger ebenfalls die Leistungserheblichkeit der Überbrückungsbeihilfe entnehmen konnte. Die Kenntnisnahme vom Inhalt des Merkblattes 1 für Arbeitslose hatte der Kläger auf dem Antragsformular unterschriftlich bestätigt. Er war damit objektiv ohne Weiteres in der Lage, seine Mitteilungspflicht zu erkennen. Dass er die Belehrungen und Hinweise auf Grund intellektueller Defizite nicht verstehen konnte, hat er weder selbst behauptet noch ist dies nach dem Akteninhalt und dem Eindruck, den der Kläger in der mündlichen Verhandlung hinterließ, ersichtlich. Die fehlende Angabe der Überbrückungsbeihilfe trotz Belehrung über die Mitteilungspflicht ist dann grob fahrlässig. Angesichts der eindeutigen Informationen kann der Pflichtverstoß des Klägers auch nicht damit entschuldigt werden, dass er einem Irrtum über seine Mitteilungspflicht unterlag. Ein Irrtum kann nur dann grobe Fahrlässigkeit ausschließen, wenn er selbst nicht grob fahrlässig ist (vgl. Wiesner, a.a.O., § 48 Rdnr. 23). Selbst wenn aber der Kläger auf Grund seiner bei der Beantragung des Arbeitslosengeldes gemachten Angaben und fehlender Hinweise seitens der D. AG auf die Leistungserheblichkeit der Überbrückungsbeihilfe zunächst davon ausging, die Überbrückungsbeihilfe nicht angeben zu müssen, war es nahe liegend, im Hinblick auf die im Widerspruch zu seiner Annahme stehenden Informationen der Beklagten eine Klärung der Mitteilungspflicht durch Nachfrage bei der Beklagten herbeizuführen. Indem der Kläger diese einfache, jedem einleuchtende Überlegung nicht anstellte, handelte er ebenfalls grob fahrlässig.

Die Beklagte war daher gemäß § 45 Abs. 1, Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X i.V.m. § 330 Abs. 2 SGB III zur Rücknahme der Arbeitslosenhilfebewilligungen für den Zeitraum vom 15. Mai 2001 bis zum 31. Januar 2003 berechtigt und ohne Ermessensspielraum, d.h. auch ohne Berücksichtigung eines eventuellen Mitverschuldens der Beklagten, verpflichtet. Die Fristen des § 45 Abs. 3 Satz 3, Abs. 4 Satz 2 SGB X sind gewahrt. Formelle Fehler sind nicht ersichtlich.

Gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X hat der Kläger die auf Grund der Rücknahme für den Zeitraum vom 15. Mai 2001 bis zum 31. Januar 2003 zu Unrecht erbrachte Arbeitslosenhilfe zu erstatten. Die von der Beklagten nach § 50 Abs. 3 SGB X festgesetzte Erstattungsforderung von 11.761,50 EUR ist auch der Höhe nach nicht zu beanstanden.

Die von der Beklagten für den Rücknahmezeitraum geleisteten Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge sind vom Kläger gemäß § 335 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 SGB III zu ersetzen. Sie belaufen sich auf einen Betrag von 2.819,36 EUR. Auch insofern ist die Höhe der Erstattungsforderung unstreitig und rechnerisch zutreffend.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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