L 1 RA 126/00

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 10 RA 373/97
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 1 RA 126/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Zulassung zur Nachzahlung von Beiträgen für Zeiten der wissenschaftlichen Ausbildung vor dem 1. März 1957, in denen er nicht pflichtversichert war.

Der 1931 geborene Kläger stammt aus dem Beitrittsgebiet. Ab dem 1. Oktober 1950 studierte er zunächst an der Universität H. , später an der Freien Universität (FU) B. Zahnmedizin. Nach seiner Approbation im Dezember 1955 arbeitete er vom 15. Februar 1956 bis zum 20. Juni 1957 als wissenschaftliche Hilfskraft an der Poliklinik und Klinik für Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten der FU B ... Im August 1957 ließ er sich als selbständiger Zahnarzt nieder, arbeitete jedoch ab 3. September 1957 bis Januar 1982 als Zahnarzt in der Poliklinik des Salvator Krankenhauses Ha ... Anschließend war er als selbständiger Zahnarzt in Ha. tätig. Nach dem 1. Januar 1992 verblieb er als pflichtversicherter Selbständiger in der gesetzlichen Rentenversicherung. Aufgrund eines Bescheides der Beklagten vom 25. März 1996 bezog der Kläger ab dem 1. Oktober 1994 Rente wegen Berufsunfähigkeit. Seit dem 1. Juli 1996 bezieht er Regelaltersrente.

Am 6. Dezember 1991 beantragte der Kläger die Zulassung zur Nachzahlung freiwilliger Beiträge nach Art. 2 § 44a Abs. 3 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungs¬gesetzes (AnVNG) für die Monate Februar 1956 bis Juni 1957, in denen er eine seinerzeit versicherungsfreie Tätigkeit in B. (West) ausgeübt habe. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 20. Mai 1996 ab, da der Kläger am 18. Mai 1990 seinen Wohnsitz im Beitrittsgebiet gehabt habe und nach den Bestimmungen des Einigungsvertrages (EV) das bis zum Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) in diesem Gebiet geltende Rentenversicherungsrecht nach den Maßgaben des EV bis zum 31. Dezember 1991 in Kraft geblieben sei. Das in den alten Bundesländern und in B. (West) geltende Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) sei dort nicht eingeführt worden. Hiergegen erhob der Kläger am 26. Mai 1996 Widerspruch mit der Begründung, dass das Recht zur freiwilligen Beitragsentrichtung weder durch den Staatsvertrag zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland (BRD) und auch nicht durch die Vereinbarungen aus Anlass des Beitritts ausgeschlossen worden sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 2. September 1997 wies die Beklagte den Widerspruch zurück, da der Kläger nicht zu dem vom AVG und AnVNG erfassten Personenkreis gehöre. Zur freiwilligen Versicherung seien bis zum 31. Dezember 1991 nur Personen mit Wohnsitz im Geltungsbereich des AVG zugelassen gewesen. Dieser habe lediglich die BRD nach ihrem Gebietsstand vom 2. Oktober 1990 und B. (West) umfasst. Das AVG sei im Beitrittsgebiet nie in Kraft getreten. Bis zum 31. Dezember 1991 habe dort das Sozialversicherungsgesetz (SVG) der DDR mit den Maßgaben der Anlage II zum EV weiter gegolten. Der Widerspruchsbescheid ging dem Prozessbevollmächtigten des Klägers nach dessen unwiderlegter Behauptung am 8. September 1997 zu.

Mit der am 8. Oktober 1997 zum Sozialgericht Magdeburg erhobenen Klage begehrte der Kläger - soweit noch Gegenstand der Berufung - weiterhin die Zulassung zur Nachzahlung freiwilliger Beiträge für Februar 1956 bis Juni 1957. Sein Begehren begründete er mit dem Hinweis darauf, dass Deutsche in der DDR vielfach freiwillige Beiträge nach § 10 AVG zur gesetzlichen Rentenversicherung der BRD gezahlt hätten und dort auch Leistungsansprüche erworben hätten. Zwar sei die Auszahlung von Renten in die DDR nach § 96 AVG ausgeschlossen gewesen. Es habe jedoch keine Einschränkungen im Hinblick auf die Berechtigung zur Beitragszahlung für Personen mit ständigem Aufenthalt in der DDR gegeben. Diese Rechtslage habe sich bis zum 31. Dezember 1991 nicht geändert.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 9. November 2000 abgewiesen. Hinsichtlich des Antrages auf Zulassung zur Nachzahlung von Beiträgen hat es ausgeführt, dass es nach § 10 Abs. 1 AVG nur Versicherten mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Geltungsbereich des AVG und Deutschen im Sinne des Art. 116 Abs. 1 Grundgesetz (GG) mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Ausland gestattet gewesen sei, freiwillige Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung der BRD zu entrichten. Zum Zeitpunkt seines Antrages habe der Kläger weder die eine noch die andere Voraussetzung erfüllt, da der Geltungsbereich des AVG auch nach dem Beitritt der DDR am 3. Oktober 1990 auf das Gebiet der BRD nach dem Gebietsstand zum 2. Oktober 1990 einschließlich B. (West) begrenzt gewesen sei. Andererseits sei das Beitrittsgebiet ab 3. Oktober 1990 Bestandteil des Territoriums der BRD, also kein Ausland im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 2 AVG gewesen.

Gegen das am 16. November 2000 zugestellte Urteil hat der Kläger am Montag, dem 18. Dezember 2000 Berufung eingelegt, mit der er nur noch die Zulassung zur Nachzahlung von Beiträgen begehrt. Er ist der Auffassung, Art. 2 § 44a AnVNG enthalte nicht die Beschränkung der Zahlung von Beiträgen des § 10 AVG auf Deutsche in der BRD nach dem Gebietsstand vom 2. Oktober 1990 und im Ausland. Darüber hinaus sei die DDR spätestens ab den ersten freien Wahlen am 18. März 1990 als eigenständiger Staat und damit als Ausland anerkannt gewesen. Er habe auch die nach Art. 2 § 44a Abs. 7 AnVNG erforderliche Versicherungszeit zurückgelegt bzw. die erforderlichen Beiträge entrichtet, da Beitragszeiten in der DDR stets als bundesdeutsche Beitragszeiten gegolten hätten. Im Übrigen könne es nicht richtig sein, dass er anders als Westbürger oder Deutsche mit Aufenthalt im Ausland daran gehindert sei, die durch mangelnde Versicherungspflicht bestehende Lücke im Versicherungsverlauf nachträglich zu schließen. Eine solche Ungleichbehandlung zwischen Bürgern mit Wohnsitz in den Altbundesländern und im Beitrittsgebiet verstoße gegen das Grundgesetz. Insoweit regt er an, den Rechtsstreit nach Art. 100 GG auszusetzen und eine Klärung durch das Bundesverfassungsgericht herbeizuführen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 9. November 2000 abzuändern, den Bescheid der Beklagten vom 25. Mai 1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 2. September 1997 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihn zur Zahlung freiwilliger Beiträge für die Zeit von Februar 1956 bis Juni 1957 zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass der Kläger bereits deshalb nicht zur Nachzahlung von Beiträgen berechtigt sei, weil er im Jahre 1991 nicht berechtigt gewesen sei, freiwillige Beiträge nach § 10 AVG zu entrichten. Eine solche Möglichkeit habe bei Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt in der DDR bzw. im Beitrittsgebiet nur bis 1972 bestanden. Danach seien nur noch Deutsche, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hatten, bei Erfüllung der übrigen Voraussetzungen zur freiwilligen Versicherung berechtigt gewesen. Die DDR sei jedoch kein Ausland in diesem Sinne gewesen.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten sowie der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten (Vers.-Nr ...:) sowie die Verfahrensakte Bezug genommen. Diese haben dem Senat bei der Beratung vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung hat keinen Erfolg.

Der Senat konnte durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beklagte mit Schreiben vom 21. Juni 2001 und der Kläger mit Schreiben vom 24. Februar 2004 einer solchen Entscheidung zugestimmt haben.

Der Bescheid der Beklagten vom 20. Mai 1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 2. September 1997 beschwert den Kläger nicht im Sinne von §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG, denn der Kläger war weder nach Art. 2 § 44a Abs. 3 Satz 1 AnVNG (vom 23. Februar 1957, BGBl. I S. 88, zuletzt geändert durch Gesetz vom 22. Dezember 1989, BGBl. I S. 2406) noch nach anderen Vorschriften zur Nachzahlung freiwilliger Beiträge zuzulassen.

Die Berechtigung des Klägers zur Nachzahlung von Beiträgen nach Art. 2 § 44a AnVNG scheitert nicht bereits daran, dass sich der territoriale Geltungsbereich dieser Vorschrift niemals auf das Beitrittsgebiet erstreckte (Art. 2 § 1 Ziff. 12 i.V.m. Art. 6 § 7 Rentenreformgesetz (v. 16. Oktober 1972, BGBl. I S. 1965), Art. 8 EV i.V.m. Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet H Abschnitt I Nr. 4). Der hiervon zu unterscheidende persönliche Anwendungsbereich rentenrechtlicher Vorschriften konnte durchaus auch für Personen eröffnet sein, die ihren ständigen Aufenthalt nicht im Geltungsbereich des Gesetzes hatten, wie die Versicherungsberechtigung von Deutschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Ausland nach § 10 Abs. 1 Satz 2 AVG (i.d.F. durch das Rentenreformgesetz vom 16. Oktober 1972, BGBl. I S. 1965) zeigt. Der Senat kann jedoch offen lassen, ob der Kläger trotz seines Wohnsitzes im Beitrittsgebiet dem persönlichen Anwendungsbereich des Art. 2 § 44a AnVNG unterfiel oder überhaupt die Berechtigung zur freiwilligen Versicherung nach § 10 Abs. 1 AVG hatte. Denn der Kläger erfüllt jedenfalls nicht die weiteren Voraussetzungen des Art. 2 § 44a Abs. 7 AnVNG, da er im Zeitpunkt der Antragstellung keine Versicherungszeit von mindestens 60 Kalendermonaten zurückgelegt hatte und auch nicht nach Ablauf der Zeit, für die die Nachzahlung erfolgen sollte, während mindestens 24 Kalendermonaten Beiträge für eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit entrichtet hat.

Versicherungszeiten im Sinne des Art. 2 § 44a Abs. 7 AnVNG sind Zeiten nach § 27 Abs. 1 AVG. Als Versicherungszeiten gelten danach nur Zeiten, für die nach Bundesrecht oder früheren Vorschriften der reichsgesetzlichen Angestelltenversicherung Beiträge wirksam entrichtet sind oder als entrichtet gelten, Ersatzzeiten nach § 28 AVG sowie Zeiten der Kindererziehung nach § 28a AVG. Solche Zeiten hatte der Kläger bis zum 31. Dezember 1991 nicht aufzuweisen, denn weder durch den Kläger noch durch seinen Arbeitgeber waren bis zum 31. Dezember 1991 Beiträge zur Angestelltenversicherung entrichtet worden.

Entgegen der Auffassung des Klägers galten auch nach anderen bundesrechtlichen Vorschriften für die von ihm in der DDR und im Beitrittsgebiet zurückgelegten Versicherungszeiten Beiträge nicht als gezahlt. Zwar stehen nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Fremdrentengesetz (FRG, i.d.F. durch Art. 15 Rentenreformgesetz 1992 vom 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261) in der DDR zurückgelegte Beitragszeiten nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleich. Jedoch ist das FRG auf den Kläger nicht anwendbar, da er weder zu einer der in § 1 FRG genannten Gruppen gehört, noch § 15 FRG über § 17 Abs. 1 Satz 2 FRG auf ihn anwendbar ist, da letzterer bereits mit Wirkung ab 1. Juli 1990 aufgehoben worden war (Art. 14 Renten-Überleitungsgesetz vom 25. Juli 1991, BGBl. I S. 1606), zumal der Kläger aufgrund seines Wohnsitzes in der DDR dessen Voraussetzungen auch vorher nicht erfüllt hatte.

Der Kläger wird auch nicht in grundgesetzwidriger Weise gegenüber Personen ungleichbehandelt, die zum Zeitpunkt der Antragstellung im Geltungsbereich des AVG lebten. Soweit eine Ungleichheit darin bestand, dass diese die Möglichkeit hatten, aufgrund des Art. 2 § 44a Abs. 3 Satz 1 AnVNG Beiträge für ehemals versicherungsfreie Zeiten der wissenschaftlichen Ausbildung nach zu entrichten, ist diese Ungleichbehandlung mit Inkrafttreten des SGB VI zum 1. Januar 1992 im gesamten Bundesgebiet dadurch beendet worden, dass die Möglichkeit zur Nachversicherung solcher Zeiten bundeseinheitlich entfallen ist. Im Hinblick auf die außerordentlichen Schwierigkeiten bei der Vereinheitlichung des Rentenrechts sowie auf die Kürze der Übergangszeit von lediglich eineinviertel Jahren seit dem Beitritt (hierzu vgl. BSG, U. v. 30. September 1993 – 4 RA 1/93, zitiert nach JURIS-Rechtsprechung) war der Gesetzgeber nicht gezwungen, diese Ungleichbehandlung zu beseitigen, zumal sie bis zur Vereinheitlichung des Rentenrechts in ganz Deutschland durch sachliche Gründe gerechtfertigt war. So galt gemäß Art. 9 EV i.V.m. Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet F Abschnitt III Nrn. 2 ff und Sachgebiet H Abschnitt III Nrn. 1 ff das Rentenrecht der DDR mit den dort genannten Maßgaben im Beitrittsgebiet bis zur Inkraftsetzung des SGB VI weiter. Nach § 2 Abs. 2 Buchst. n der Rentenverordnung vom 23. November 1979 (GBl. DDR I S. 401) i.V.m. § 3 Buchst. a der Verordnung über die Sozialversicherungspflicht vom 28. Januar 1947 (Befehl Nr. 28 des Obersten Chefs der Sowjetischen Militär-Verwaltung, Oberkommandierender der Gruppe der Sowjetischer Besatzungstruppen in Deutschland) hätte diese Zeit auch ohne Beitragsnachzahlung bei der Berechnung einer bis zum 31. Dezember 1991 für den Kläger allenfalls in Betracht kommenden Rente nach dem Recht des Beitrittsgebiets Berücksichtigung gefunden. Demgegenüber wären zusätzliche Beitragszeiten nach dem AVG bei der Bemessung einer Rente nach dem Recht des Beitrittsgebiets unbeachtlich gewesen. Ein Leistungsanspruch nach dem AVG wäre durch die Nachzahlung nicht entstanden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG bestehen nicht. Insbesondere fehlt es an einer grundsätzlichen Bedeutung der vorliegend aufgeworfenen Rechtsfrage, da sich diese lediglich aufgrund der besonderen Verhältnisse des Einzelfalls stellt und die streitentscheidende Norm – Art. 2 § 44a AnVNG – bereits zum 1. Januar 1992 außer Kraft getreten ist.
Rechtskraft
Aus
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