L 1 RA 21/01

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 9 RJ 296/97
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 1 RA 21/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 11. September 2000 wird abgeändert. Die Bescheide der Beklagten vom 26. November 1996 und 4. Dezember 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Juni 1997 werden aufgehoben, soweit die Beklagte darin die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit für November 1992 und für weitere Zeiträume über einen Gesamtbetrag von mehr als 2.338,69 DM aufgehoben hat. Im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu zwei Dritteln zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte die Gewährung einer umgewerteten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit rückwirkend wegen Überschreitens der Verdienstgrenzen aufheben und stattdessen eine Rente wegen Berufsunfähigkeit leisten durfte.

Der 1933 geborene Kläger bezog seit 1977 wegen einer Herzkrankheit eine Invalidenrente aus der Sozialversicherung der Deutschen Demokratischen Republik und war daneben im Lohndrittel tätig. Mit Bescheid vom 2. Dezember 1991 wertete die Beklagte die Rente in eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit um. Dabei wies sie den Kläger darauf hin, die Rentengewährung setze die Einhaltung einer Hinzuverdienstgrenze von 400,- DM monatlich voraus; anderenfalls sei nur eine Rente wegen Berufsunfähigkeit zu zahlen. Die Einhaltung der Hinzuverdienstgrenze werde zunächst unterstellt. Es bestehe die Verpflichtung, jede Beschäftigung mit einem Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen von mehr als 400,- DM auch künftig unverzüglich mitzuteilen.

Am 23. Februar 1994 erstellte die Arbeitgeberin des Klägers die Jahresmeldung für das Jahr 1993 über ein beitragspflichtiges Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von 5979,- DM. Als Angabe zur Fragestellung "Rentner" ist "nein" vermerkt. Entsprechendes gilt für die Jahresmeldung für 1994. Die entsprechenden Bruttoarbeitsentgelte finden sich im Versicherungskonto des Klägers bei der Beklagten.

Auf Anforderung der Beklagten teilte die Deutsche Bahn AG als Arbeitgeberin unter dem 24. April 1996 die Bruttoarbeitsverdienste seit Januar 1992 mit. Danach überschritt der Arbeitsverdienst in den Monaten Mai und Juni 1992, unter Berücksichtigung einer Einmalzahlung von 249,97 DM im November 1992 und während des Jahres 1993 die Grenze von 400,- DM, während des gesamten Jahres 1994 die Grenze von 440,- DM sowie von Januar bis September 1995 und unter Berücksichtigung einer Einmalzahlung im November 1995 die Grenze von 470,- DM monatlich.

Mit Anhörungsschreiben vom 8. Juli 1996 wies die Beklagte den Kläger darauf hin, er habe erstmals im Mai 1992 die Hinzuverdienstgrenze überschritten. Nach § 302a Abs. 1 SGB VI sei die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit seit diesem Zeitpunkt als Rente wegen Berufsunfähigkeit zu leisten. Da der Kläger seinen Mitteilungspflichten nicht nachgekommen sei, sei der Beklagten dieser Sachverhalt nicht bekannt gewesen. Er erhalte nach § 24 Abs. 1 SGB X Gelegenheit zur Äußerung. Die zu Unrecht erbrachten Leistungen für den Zeitraum vom 1. Mai 1992 bis 30. Juni 1996 in bezifferter Höhe seien gemäß § 50 SGB X zu erstatten. Auch dazu bitte sie um Stellungnahme.

Mit Eingangsdatum vom 22. Juli 1996 führte der Kläger aus, um die Hinzuverdienstgrenze nicht zu überschreiten, sei er bei jeder Lohnerhöhung in der Personalabteilung des Betriebes vorstellig geworden. Dementsprechend seien jeweils Änderungsverträge mit verminderter Arbeitsstundenzahl ausgearbeitet worden, die er vorgelegt hat. Weder die Personalabteilung noch die Lohnbuchhaltung hätten ihn je auf ein Überschreiten der Hinzuverdienstgrenze trotz der Vertragsänderungen aufmerksam gemacht. Für ihn selbst sei eine genaue Überprüfung des Monatsverdienstes nicht möglich gewesen, weil die Abrechnungen mit dem Vermerk "Abrechnung unter Vorbehalt" ergangen seien. So sei es zum Beispiel im Jahr 1992 durch eine rückwirkende Tariferhöhung, von der er keine Kenntnis gehabt habe, zu einer höheren Lohnzahlung gekommen. Dazu legte er Lohnabrechnungen für die Monate Mai und Juni 1992 vor, aus denen sich für Mai 1992 ein Bruttolohn von 395,37 DM und für Juni 1992 ein Bruttolohn in Höhe von 669,38 DM unter Einbeziehung von Einmalzahlungen zuzüglich einer Lohnnachberechnung über 90,92 DM hervorgeht. Auf der Abrechnung ist von dem Mitarbeiter, der auch die Bescheinigung vom 24. April 1996 ausgestellt hat, eine rückwirkende Tariferhöhung ab 1. Mai 1992 bescheinigt. Der Kläger bezog sich weiterhin auf eine vorgelegte Lohnabrechnung von Oktober 1994 mit Nachberechnungen für Januar, Februar und August 1994. Seit dem 2. Oktober 1995 erhalte er wegen Krankheit und Beendigung des Arbeitsverhältnisses keine Lohnzahlungen mehr.

Mit Bescheid vom 22. November 1996 hob die Beklagte den Bescheid zur Umwertung gemäß § 48 SGB X vom 1. Mai 1992 an insoweit auf, als nur noch Rente wegen Berufsunfähigkeit zu leisten sei. Vom 1. Mai 1996 an werde wieder Rente wegen Erwerbsunfähigkeit geleistet. Für den Zeitraum von Mai 1992 bis April 1996 errechne sich eine Überzahlung von 7.649,26 DM.

Mit Bescheid vom 4. Dezember 1996 machte die Beklagte die Erstattung dieses Betrages geltend. Die Bescheide wurden zusammen am 12. Dezember 1996 abgesandt.

Mit Eingangsdatum vom 2. Januar 1997 erhob der Kläger gegen den "Bescheid vom 4.12.1996 über die Erstattung zu Unrecht gezahlter Leistungen" Widerspruch. Dazu führte er aus, er habe weder vorsätzlich noch grob fahrlässig im Sinne von § 48 Abs. 2 SGB X gehandelt. Im Jahre 1992 habe er nur zwei Mal die Hinzuverdienstgrenze überschritten, weil er erst im Juni eine Nachzahlung für Mai erhalten habe, die er auch nicht habe verhindern können. Der Rentenbetrag sei auch von Oktober 1995 bis April 1996 als überzahlt berechnet worden, obwohl er keinen Hinzuverdienst mehr gehabt habe.

Mit Schreiben vom 5. März 1997 änderte die Beklagte ihre Rechtsauffassung: Dem Kläger stände noch bis Oktober 1992 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, im November 1992 Rente wegen Berufsunfähigkeit, für Dezember 1992 bis Februar 1993 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit und ab März 1993 Rente wegen Berufsunfähigkeit zu. Für Oktober 1995 sei wiederum Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, für November 1995 wegen erneuten Überschreitens der Hinzuverdienstgrenze Rente wegen Berufsunfähigkeit und sodann wieder Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu leisten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 2. Juni 1997 gab der Widerspruchsausschuss der Beklagten dem Widerspruch teilweise statt und hielt an der Aufhebung noch insoweit fest, als Rente wegen Berufsunfähigkeit für November 1992, März 1993 bis September 1995 sowie für November 1995 geleistet werde. Dabei bezog er den Bescheid vom 22. November 1996 in die Widerspruchsprüfung ein. Zur Begründung hielt er dem Kläger vor, er habe im Sinne von § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X Mitteilungspflichten grob fahrlässig verletzt. Eine Absendung des Bescheides per Einschreiben ist jedenfalls nicht vor dem 10. Juni 1997 feststellbar.

Mit der am 7. Juli 1997 beim Sozialgericht Magdeburg eingegangenen Klage hat der Kläger vorgetragen, er habe sich anlässlich jeder Tariferhöhung bei der Lohnabteilung seiner Arbeitgeberin nach den Auswirkungen auf die Erwerbsunfähigkeitsrente erkundigt. Dort habe man ihm mitgeteilt, Tariferhöhungen erhöhten automatisch auch die Hinzuverdienstgrenze, so dass keinerlei Nachteile entstehen könnten.

Mit Urteil vom 11. September 2000 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, die Beklagte habe die Gewährung der Erwerbsunfähigkeitsrente in dem bestehenden Ausmaß gemäß § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X aufheben können, weil der Kläger nach Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen erzielt habe, das zum Wegfall beziehungsweise zur Minderung des Anspruchs geführt habe. Insoweit komme es auf sein Verschulden durch eine Verletzung von Mitteilungspflichten nicht an. Der Kläger habe die Hinzuverdienstgrenzen des § 302a Abs. 2 SGB VI im Monat November 1992 rentenschädlich, nämlich zum dritten Mal im Kalenderjahr überschritten. Bei dem nachfolgenden durchgehenden Überschreiten der Hinzuverdienstgrenze über mehrere Jahre entstehe nicht jeweils in dem Monaten Januar und Februar eines Jahres ein Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.

Eine atypische Fallgestaltung, angesichts derer die Beklagte nach der Sollvorschrift des § 48 Abs. 1 S. 2 SGB X bei der Aufhebung Ermessen auszuüben habe, liege hier nicht vor. Der Kläger habe das Risiko, sich auf die Auskünfte seines Arbeitgebers verlassen zu haben, selbst zu tragen. Einen atypischen Fall könnten allenfalls Auskünfte durch den Rentenversicherungsträger herbeiführen.

Gegen das ihm am 9. Februar 2001 zugestellte Urteil hat der Kläger mit Eingangsdatum vom 9. März 2001 Berufung eingelegt. Er ist der Meinung, das Sozialgericht habe die Grenzen der Regelung des § 302a Abs. 2 SGB VI verkannt. Die Möglichkeit zum zweimaligen Überschreiten der Hinzuverdienstgrenzen innerhalb eines Kalenderjahres sei in keiner Hinsicht eingeschränkt. Für die Auslegung, vor dem Überschreiten müsse ein Anspruch auf eine Erwerbsunfähigkeitsrente bestanden haben, gebe der Wortlaut der Vorschrift nichts her. Im Mai 1992 habe er im Übrigen nur 395,37 DM verdient und damit die Hinzuverdienstgrenze nicht überschritten. Insofern komme es darauf an, wann die Leistung erzielt worden sei. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts liege zudem eine atypische Fallgestaltung vor. Den Auskünften der Lohnabteilung seines Arbeitgebers habe er durchaus vertrauen dürfen. Insoweit sei auch die Rückwirkung von Tariferhöhungen zu berücksichtigen, die der Kläger nicht habe beeinflussen können.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 11. September 2000 und die Bescheide der Beklagten vom 22. November 1996 und 4. Dezember 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Juni 1997 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält an ihrem Widerspruchsbescheid fest und hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend.

Der Kläger hat seine Rentenanpassungsmitteilungen zum 1. Juli 1992, 1. Januar und 1. Juli 1993, 1. Juli 1994 und 1. Juli 1995 vorgelegt. Die Beklagte hat Vordrucke von Merkblättern eingereicht, die nach ihrem Vortrag den Rentenanpassungsmitteilungen zum 1. Juli 1992, 1. Juli 1993, 1. Juli 1994, 1. Januar und 1. Juli 1995 beigefügt waren. Das Gericht hat aus dem Personalarchiv der Deutschen Bahn AG Lohnunterlagen beigezogen, wegen deren Inhalt auf Bl. 150 f. d.A. Bezug genommen wird.

Die Beteiligten haben mit Schriftsatz vom 6. Oktober 2004 – Beklagte – und 8. Oktober 2004 – Kläger – einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

Die Akte der Beklagten – Vers.-Nr. – hat bei der Beratung und Entscheidung vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Berufung hat teilweise Erfolg.

Der Klage gegen den Bescheid vom 22. November 1996 steht nicht dessen Bestandskraft im Sinne von § 77 SGG entgegen, weil die Beklagte zu Recht davon ausgegangen ist, schon der Widerspruch des Klägers habe sich auch – und insbesondere – gegen diesen Bescheid gerichtet. Denn trotz des entgegenstehenden Eingangssatzes seines Widerspruchsschreibens hat der Kläger hinreichend ein Begehren verdeutlicht, das sich auch gegen den Bescheid vom 22. November 1996 richtet. Sein sachlicher Einwand gegen die Begründung dieses Bescheides, er erfülle nicht die Voraussetzungen des § 48 Abs. 2 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) für dessen Aufhebung, ist nämlich nur verständlich, wenn der Kläger sich auch gegen diesen Bescheid hat wenden wollen.

Der Bescheid der Beklagten vom 22. November 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Juni 1997 beschwert den Kläger im Sinne von §§ 157, 54 Abs. 2 S. 1 SGG, soweit die Beklagte mit ihm die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit für November 1992 überhaupt aufgehoben und für die Monate März 1993 bis September 1995 sowie November 1995 die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit über einen Unterschiedsbetrag hinaus aufgehoben hat, um den der Kläger jeweils die Hinzuverdienstgrenze überschritten hat. Nur im Übrigen ist die Klage gegen den Bescheid vom 22. November 1996 unbegründet.

Die Beklagte war gemäß § 48 Abs. 1 S. 1, 2 SGB X nicht zur Aufhebung der Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit für November 1992 ermächtigt, weil in diesem Monat keine Änderung im Sinne von § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X eingetreten war, die sich im Sinne der Vorschrift wesentlich, nämlich durch Minderung oder Wegfall der gewährten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, ausgewirkt hätte. Denn die Überschreitung der Hinzuverdienstgrenze des § 302a Abs. 2 S. 1 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) in der Fassung durch Gesetz vom 24.6.93 (BGBl. I S. 1038) war nicht wesentlich, weil sie nach dieser Vorschrift als zweites Überschreiten der Hinzuverdienstgrenze für den Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit unschädlich ist. Anders, als die Beklagte meint, hat der Kläger nicht bereits im Mai 1992 die Hinzuverdienstgrenze überschritten. Dies ergibt sich aus der von ihm vorgelegten Lohnabrechnung für diesen Monat, wonach er mit einem Bruttoverdienst von 395,37 DM die Hinzuverdienstgrenze von 400,- DM monatlich unterschritt. Aus dem mit der Abrechnung für Juni 1992 nachberechneten Lohn ergibt sich keine Überschreitung der Hinzuverdienstgrenze im Mai 1992, weil es sich dabei ausweislich der Bescheinigung des Arbeitgebers auf der Abrechnung um Lohn aus einer rückwirkenden Tariferhöhung handelte. Denn den über 400,- DM hinausgehenden Betrag hat der Kläger nicht im Sinne von § 14 Abs. 1 S. 1 des Vierten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IV) bereits im Mai 1992 erzielt, weil zu dieser Zeit der tarifliche Arbeitsentgeltanspruch noch nicht einmal entstanden war (zum Zusammenhang von Entstehung und Erzielung BSG, Urt. v. 30.8.94 – 12 RK 59/92SozR 3-2200 § 385 Nr. 5 S. 15). Der Kläger hat auch nicht im Juni 1992 die Hinzuverdienstgrenze um mehr als weitere 400,- DM überschritten und damit die weitere Grenze eines unschädlichen Hinzuverdienstes für einen Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit eingehalten. Die Verdienstbescheinigung der Arbeitgeberin vom 24. April 1996, aus der sich zuzüglich des nachberechneten Betrages von 90,92 DM eine Überschreitung dieser Grenze ergäbe, wird durch die genauer aufgeschlüsselte Lohnabrechnung von Juni 1992 über 770,30 DM widerlegt.

Im Übrigen hat der Kläger nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig gegen eine Pflicht zur Mitteilung des Überschreitens der Geringfügigkeitsgrenze gem. § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X verstoßen. Ein vorsätzlicher Verstoß kommt nicht in Betracht, weil der Kläger nach seinen unwiderlegten Angaben von einer Einhaltung der jeweils geltenden Geringfügigkeitsgrenze ausgegangen ist und sich auf Auskünfte seines Arbeitgebers verlassen hat. Damit fehlt es an dem Erkennen erheblicher Änderungen, auf die sich die Rechtspflicht zur Mitteilung bezieht. Für die Richtigkeit dieser Angaben sprechen die objektive Einhaltung der Geringfügigkeitsgrenze noch im Jahre 1992 und die im Verwaltungsverfahren vorgelegten Arbeitsänderungsverträge, mit denen der Kläger seine Arbeitszeit allein zwischen Januar 1992 und Juli 1993 in vier Schritten von 21,8 % der Arbeitszeit eines vollbeschäftigten Arbeitnehmers auf 15 % dieser Arbeitszeit verminderte. Dieses Verhalten wäre nicht folgerichtig, wenn der Kläger sich bereits eines Überschreitens der Hinzuverdienstgrenze bewusst gewesen wäre. Vielmehr legt es nahe, dass die Beteiligten lediglich die maßgebliche Grenze anrechnungsfreien Erwerbseinkommens, etwa durch Verwechslung mit der Hinzuverdienstgrenze bei einer Altersteilrente in Höhe von zwei Dritteln, verkannt haben. Fehler bei der sozialversicherungsrechtlichen Behandlung des Falles des Klägers durch die Arbeitgeberin sind auch durch die fehlerhaften Jahresmeldungen nachgewiesen, in denen sie die Frage verneint hat, ob der Kläger Rentner sei.

Aber auch grobe Fahrlässigkeit fällt dem Kläger bezüglich eines Verstoßes gegen die Mitteilungspflicht nicht zur Last. Die Mitteilungspflicht hätte dem Kläger aus dem Bescheid vom 2. Dezember 1991 mit dem Inhalt bekannt sein können, er müsse eine Beschäftigung mit einem Hinzuverdienst von mehr als 400,- DM melden. Dagegen hat er objektiv erstmals im Januar 1993 verstoßen. Es ist aber nicht feststellbar, dass er bei Einhaltung der leichtesten Sorgfalt zu diesem Zeitpunkt noch seine Mitteilungspflicht erkennen konnte. Grundsätzlich begründet es keinen groben Sorgfaltsverstoß des Klägers, wenn er sich auf Auskünfte seines Arbeitgebers verließ, die gegenüber dem ein Jahr zuvor erteilten Hinweis aktueller erschienen. Zum Einen kam den Betrieben in den dreizehn Jahren noch wesentliche Bedeutung im Bereich der Sozialversicherung zu (vgl. § 275 Abs. 1 S. 1 des Arbeitsgesetzbuches v. 16.6.77, GBl. I S. 185), während denen der Kläger bereits in der DDR die Invalidenrente mit einer Beschäftigung im Lohndrittel bezog. Zum Anderen handelte es sich bei seinem Arbeitgeber um einen großen öffentlichen Arbeitgeber, bei dem er eine durch starke Arbeitsteilung ermöglichte erhöhte Spezialisierung und damit Sachkunde in allen das Personal betreffenden Fragen annehmen konnte.

Die ihm ab Januar 1993 erteilten Hinweise – wenn er sie entgegen seinem Bestreiten erhalten hat – mussten ihn nicht schon bei geringer Sorgfalt an der Einhaltung der für ihn maßgeblichen Einkommensgrenze zweifeln lassen. Denn nach dem Vortrag der Beklagten ist von neuen Hinweisen in einem Merkblatt auszugehen, das der zum Januar 1993 ergangenen Rentenanpassungsmitteilung beigefügt war und keine klaren Aussagen zu den für den Kläger maßgeblichen Einkommensgrenzen enthielt. Zwar hat die Beklagte dieses Merkblatt selbst nicht vorgelegt, jedoch lässt die vom Aufbau übereinstimmende Gestaltung der zum Juli 1992 und Juli 1993 beigefügten Merkblätter diese Schlussfolgerung zu.

Ausführungen zur Rentenschädlichkeit von Einkommen enthält das Merkblatt nur unter der Überschrift "Hinzuverdienstgrenzen". Die dortigen Hinweise auf die Lage bei Bezug einer Vollrente wegen Alters und einer Teilrente betreffen den Kläger beide nicht. Dies musste der Kläger bezüglich der Ausführungen zu einer Teilrente nicht zwingend erkennen, weil Laien der begriffliche Unterschied zwischen Voll- und Teilrenten typischerweise nicht bekannt ist. Vor diesem Hintergrund konnte der Kläger auch den folgenden Bezug auf frühere Hinweise zu Mitteilungspflichten nicht mehr zwingend auf seinen Fall beziehen, weil nach dem vorangehenden Hinweis eine Anpassung der für ihn maßgeblichen Einkommensgrenzen nicht fern lag. Auf möglicherweise noch weiter herabgesetzte Anforderungen an Erkundigungspflichten des Klägers aufgrund seines Alters von 60 Jahren und seiner seit Jahren bestehenden Herzkrankheit kommt es insoweit nicht an.

Im Umfang der entsprechenden Feststellung eines Erstattungsbetrages im Bescheid vom 4. Dezember 1996 ist der Kläger ebenfalls beschwert, weil die Entscheidung des Senats den Bescheid vom 2. Dezember 1991 insoweit in seiner Wirksamkeit aufrechterhält. Dessen Aufhebung ist gem. § 50 Abs. 1 S. 1 SGB X aber Voraussetzung für die Erstattungspflicht im Falle des Klägers.

Die Berufung ist unbegründet, soweit die Beklagte die Gewährung der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit für Zeiträume nach Februar 1993 jeweils in Höhe des Betrages aufgehoben hat, um den in den betroffenen Monaten die Verdienste die Hinzuverdienstgrenze überschritten haben. Dies ergibt sich aus § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X, weil der Kläger mit den Beträgen der Hinzuverdienstgrenzenüberschreitung nach Erlass des Umwertungsbescheides Einkommen erzielt hat, das zur Minderung des Anspruchs auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf den Anspruch auf eine Rente wegen Berufsunfähigkeit geführt hätte. Denn gem. § 302a Abs. 1 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) in der Fassung des Gesetzes vom 25.7.91 (BGBl. I S. 1606) hängt der Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit von der Einhaltung der Hinzuverdienstgrenze des § 302a Abs. 2 S. 1 SGB VI ab.

Der Senat sieht die Erzielung der maßgeblichen Verdienste, mit denen der Kläger die Verdienstgrenzen im darzustellenden Umfang überschritt, als erwiesen an. Soweit er sich darauf beruft, die Überschreitungen seien später durch rückwirkende Tariferhöhungen eingetreten, bestätigt sich dies bei Würdigung der vorliegenden Lohnunterlagen nicht. Die Ergebnisse von Tariferhöhungen sind als Einmalzahlung nachberechnet und –gezahlt worden. Dies ergibt sich aus den Übersichten der Bahn AG für 1994 und 1995, in denen eine solche Spalte als "Einmalzahlung Tariferhöhung" enthalten ist, in der nur für die Monate Oktober 1994 und August 1995 Beträge ausgewiesen sind. Es gibt keinen Anhaltspunkt für eine andere, von der Verdienstaufstellung vom 24. April 1996 abweichende Handhabung im Jahre 1993, für das die spätere Übersicht nur eine Spalte für Einmalzahlungen verschiedener Art ausweist. Weiterhin verdeutlicht die vom Kläger vorgelegte Lohnabrechnung von Oktober 1994 mit einer Nachberechnung für die Monate Januar, Februar und August 1994 die Richtigkeit der Verdienstübersicht. Denn für die Monate Januar und Februar waren danach bereits vor der – allein Abzüge betreffenden – Nachberechnung die aus der Verdienstübersicht hervorgehenden Bruttobeträge abgerechnet. Bezüglich des Monats August handelt es sich um eine Erstabrechnung unter Anrechnung einer "Lohnvorauszahlung". Insoweit hat es sich vor der Abrechnung noch nicht um das vollständige, im Sinne von § 14 Abs. 1 SGB IV erzielte Arbeitsentgelt gehandelt.

Eine wesentliche Änderung im Sinne von § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X ist auch bezüglich der ersten beiden Monate der Jahre 1994 und 1995 eingetreten, weil der Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nicht durch den Beginn eines Kalenderjahres wieder entstehen kann, sondern durch den Beginn eines Zeitraumes, in dem der Anspruchsberechtigte dauerhaft regelmäßig (vgl. "auf nicht absehbare Zeit" im Sinne von § 44 Abs. 2 SGB VI) durch Unterschreiten der Lohndrittel- bzw. Geringfügigkeitsgrenze erwerbsunfähig bleibt. Das ist nicht der Fall, wenn – wie im Falle des Klägers – durch dauerhaftes Überschreiten dieser Grenzen nur Berufsunfähigkeit vorliegt.

§ 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X trägt die von der Beklagten ausgesprochene Aufhebung nur in dem genannten Umfang, weil diese Vorschrift die Aufhebung nur in dem Umfang ("soweit") ermöglicht, in dem das erzielte Einkommen eine Anspruchminderung bewirkt hätte. Nur dieser Betrag der Einkommensüberschreitung, nicht die Anspruchsminderung als solche bestimmt den Umfang der Aufhebung (BSG, Urt. vom 23. 3. 95 – 13 RJ 39/94 – SozR 3 – 1300 § 48 Nr. 37) in Höhe von insgesamt 2.338,69 DM. Im Einzelnen handelt es sich um folgende Beträge, wobei der Senat auf die zu Gunsten des Klägers bestandskräftige monatliche Aufhebung beschränkt ist (soweit ausschlaggebend, ist ein solcher Betrag als "aufgehoben" gekennzeichnet):

Zeitraum Grenze Überschreitung März 1993 400,- DM (243,50 DM) aufgehoben 100,86 DM April – Juni 1993 27,04 DM mal 3 = 81,12 DM Juli 1993 146,55 DM August – Oktober 1993 61,55 DM mal 3 = 184,65 DM November 1993 (407,71 DM) aufgehoben 157,73 DM Dezember 1993 61,55 DM Januar bis März 1994 440,- DM 21,55 DM mal 3 = 64,65 DM April 1994 48,91 DM Mai 1994 50,62 DM Juni 1994 157,55 DM Juli 1994 50,62 DM August 1994 54,61 DM September 1994 53,47 DM Oktober 1994 73,63 DM November 1994 (513,86 DM) aufgehoben 190,31 DM Dezember 1994 43,07 DM Januar 1995 470,- DM 54,42 DM Februar 1995 57,70 DM März 1995 68,08 DM April 1995 58,14 DM Mai 1995 59,63 DM Juni 1995 199,82 DM Juli 1995 62,74 DM August 1995 104,96 DM September 1995 75,39 DM November 1995 77,91 DM

Es liegt keine atypische Fallgestaltung vor, angesichts deren die Beklagte vor Wahrnehmung ihrer nach § 48 Abs. 1 S. 2 SGB X regelmäßig ("soll") unmittelbar gesetzlichen Aufhebungsbefugnis ausnahmsweise Ermessen auszuüben hätte. Ein solcher Fall lässt sich nicht aus unregelmäßigen, teilweise über längere Zeiträume rückwirkenden Tariferhöhungen ableiten, weil solche erkennbar nicht die Ursache für die Überschreitung der Lohndrittel- bzw. Geringfügigkeitsgrenze darstellen. Denn das durchgehende Überschreiten dieser Grenze über zwei Jahre und neun Monate hinweg beruht auf einem grundsätzlichen Irrtum über die Höhe der maßgeblichen Grenzen, nicht aber auf rückwirkenden Neuberechnungen.

Ein atypischer Fall lässt sich auch nicht aus der frühzeitigen Meldung von versicherten Jahresverdiensten an die Beklagte durch die Arbeitgeberin des Klägers herleiten, die eine Einhaltung der monatlichen Verdienstobergrenzen ausschlossen. Dies musste der Beklagten auch bei Ausschöpfung von Kontrollmöglichkeiten nicht auffallen, weil die Arbeitgeberin den Kläger fehlerhaft und entgegen Anlage 2 zur Zweiten Datenerfassungs-Verordnung in der Fassung der letzten Änderung durch VO v. 10.12.91 (BGBl. I S. 2188) nicht als Rentner meldete.

Im Umfang der verbleibenden Aufhebung ergibt sich auch die Ermächtigung der Beklagten zum Erlass eines Erstattungsbescheides gem. § 50 Abs. 1 S. 1 SGB X.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG nach dem Ausmaß des jeweiligen Obsiegens und Unterliegens.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen gem. § 160 Abs. 2 Nr. 1, 2 SGG nicht, weil der Fall keine ungeklärten Rechtsfragen aufwirft.
Rechtskraft
Aus
Saved