Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 4 RA 781/99
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 1 RA 90/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Rechtsstreit betrifft die Frage, ob der Kläger einen Anspruch auf eine ungekürzte Altersrente wegen Arbeitslosigkeit hat oder eine Rentenminderung aufgrund vorzeitiger Inanspruchnahme hinnehmen muss.
Der am 5. April 1939 geborene Kläger war bis zum 30. September 1994 als Angestellter tätig. Anschließend war er bis zum 23. April 1995 arbeitsunfähig und danach bis zum 31. Mai 1995 arbeitslos. Nach einer Vielzahl erfolgloser Bewerbungen meldete er zum 1. Juni 1995 eine Handelsvertretung für Papier, Karton und Verpackungsmaterial an. Anlässlich der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit erhielt er vom Arbeitsamt ab 1. Juni 1995 für die Dauer von 26 Wochen Überbrückungsgeld und Aufwendungen für die Krankenversicherung und Altersversorgung. In der Zeit vom 27. November 1995 bis zum 11. Mai 1996 nahm er an einem Existenzgründerkurs an einem privaten Fortbildungsinstitut teil. Dieser Kurs wurde aus Fördermitteln des Europäischen Sozialfond (ESF) der EU und des Landes Sachsen-Anhalt finanziert. Ausweislich einer Bescheinigung des Instituts vom 10. Dezember 1996 erhielt der Kläger eine Existenzgründerhilfe in Höhe von insgesamt 8.400,00 DM (350,00 DM wöchentlich). Am 10. Mai 1996 meldete er sein Gewerbe zum 31. Mai 1996 ab, weil keine ausreichenden Umsätze zu verzeichnen waren. Ab 1. Juni 1996 war er wieder arbeitslos.
Im Februar 1997 stellte er einen Antrag auf Kontenklärung. In diesem Zusammenhang bat er auch um Auskunft, ob für ihn Vertrauensschutz bezüglich der Anhebung der Altersgrenze für die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit bestehe. Mit Vormerkungsbescheid vom 3. November 1997 stellte die Beklagte die Zeiten bis 31. Dezember 1990 gemäß § 149 Abs. 5 Sozialgesetzbuch – Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) als für die Beteiligten verbindlich fest. In der beigefügten Rentenauskunft erklärte sie, der Kläger könne die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit frühestens ab Mai 1999 ohne Rentenabschlag beanspruchen, wenn die übrigen Voraussetzungen erfüllt seien. Bei Inanspruchnahme zum frühestmöglichen Zeitpunkt (Vollendung des 60. Lebensjahres) würde diese Altersrente um 0,0 % gekürzt werden.
Am 28. November 1997 sprach der Kläger bei der Auskunfts- und Beratungsstelle der Beklagten in Halle vor und fragte an, ob er unter die "Vertrauensschutzregelung des § 38 SGB VI" falle. Die Beklagte teilte ihm schließlich mit Schreiben vom 27. Mai 1998 mit, ein Vertrauensschutz bestehe nicht, weil er am Stichtag (14. Februar 1996) eine auf Dauer angelegte selbständige Tätigkeit ausgeübt habe. Trotz der Förderung durch den ESF habe es sich nicht um eine befristete arbeitsmarktpolitische Maßnahme gehandelt. Arbeitslosigkeit habe am maßgeblichen Stichtag ebenfalls nicht vorgelegen. Auf den dagegen erhobenen Widerspruch teilte die Beklagte mit, das Schreiben vom 27. Mai 1998 sei kein Verwaltungsakt, der mit einem Widerspruch angefochten werden könne. Erst gegen einen Rentenbescheid sei ein Widerspruch zulässig.
Am 14. Dezember 1998 stellte der Kläger einen Antrag auf Rente wegen Arbeitslosigkeit und Vollendung des 60. Lebensjahres. Daraufhin gewährte die Beklagte ihm Altersrente wegen Arbeitslosigkeit mit einem antragsgemäßen Rentenbeginn am 1. Mai 1999 (Bescheid vom 30. April 1999). Dabei legte sie bei der Rentenberechnung wegen vorzeitiger Inanspruchnahme der Rente einen verminderten Zugangsfaktor zu Grunde.
Dagegen erhob der Kläger Widerspruch: Hier müsse eine Einzelfallentscheidung getroffen werden, da es nur wenige Existenzgründer in einem Alter über 55 Jahren gebe. Außerdem sei ihm die Existenzgründung vom Arbeitsamt als Überbrückung bis zum Rentenbezug mit dem 60. Lebensjahr vorgeschlagen worden. Diesen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 5. November 1999 zurück und wiederholte im wesentlichen die Begründung aus dem Schreiben vom 27. Mai 1998.
Mit seiner am 7. Dezember 1999 beim Sozialgericht Halle eingegangenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiter verfolgt. Ergänzend und vertiefend hat er ausgeführt, bei einer im Alter von 56/57 Jahren aufgenommenen Tätigkeit könne von einer auf Dauer angedachten Lösung keine Rede sein.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 4. Juli 2001 als unbegründet abgewiesen. Es hat ausgeführt, die Voraussetzungen der Vertrauensschutzregelung gemäß § 237 Abs. 4 Nr. 1 SGB VI seien nicht erfüllt. Der Kläger sei weder am maßgeblichen Stichtag 14. Februar 1996 arbeitslos gewesen noch sei ihm zuvor eine befristete arbeitsmarktpolitische Maßnahme bewilligt worden. Vielmehr sei er in der Zeit vom 1. Juni 1995 bis 10. Mai 1996 selbständig tätig gewesen. Die vom Arbeitsamt unterstützte selbständige Tätigkeit könne nicht einer befristeten arbeitsmarktpolitischen Maßnahme gleich gestellt werden, da sie auf Dauer angelegt gewesen sei. Das ergebe sich bereits aus den Voraussetzungen für die Gewährung des Überbrückungsgeldes nach § 55 a AFG. Wesentliche Voraussetzung der Leistungsgewährung sei die Aussicht auf eine tragfähige Existenzgründung gewesen. Das bedeute, es müsse voraussichtlich auf Dauer eine ausreichende Lebensgrundlage geschaffen werden. Der Kläger selbst habe in der mündlichen Verhandlung hierzu dargelegt, dass er bei der Beantragung des Überbrückungsgeldes einen Finanzplan habe vorlegen müssen, der von Seiten des Arbeitsamtes zwar mit "schwach" beurteilt worden sei, jedoch schließlich zur Gewährung des Überbrückungsgeldes geführt habe.
Im Übrigen widerspreche die Gleichstellung einer grundsätzlich auf Dauer angelegten selbständigen Tätigkeit mit einer befristeten arbeitsmarktpolitischen Maßnahme dem Sinn und Zweck der Vertrauensschutzregelung des § 237 Abs. 4 SGB VI. Ein Arbeitsverhältnis oder eine arbeitsmarktpolitische Maßnahme sei bereits dann nicht befristet, wenn das Arbeitsverhältnis über die Maßnahme nicht zu einem eindeutig terminierten Zeitpunkt oder Anlass enden solle.
Entgegen der Ansicht des Klägers sei auch auf Grund seines zum damaligen Zeitpunkt bereits fortgeschrittenen Lebensalters keine andere Entscheidung zu treffen. Denn aus der Tatsache, dass er bei Aufnahme der selbständigen Tätigkeit bereits 56 Jahre alt gewesen sei, folge nicht, dass diese Tätigkeit deshalb nicht auf Dauer angelegt gewesen sei. Im Übrigen sei darauf hinzuweisen, dass der Gesetzgeber in § 237 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 SGB VI eine Ausnahmeregelung für Versicherte geschaffen habe, die am 1. Januar 1997 bereits 55 Jahre alt gewesen seien und langjährig auf Grund einer Pflichtversicherung als Beschäftigte oder selbständig Erwerbstätige der Solidargemeinschaft angehört hätten. Unter diese sozialstaatlich motivierte Ausnahmeregelung für langjährig Versicherte falle der Kläger jedoch nicht, da er entsprechende Beitragszeiten nicht zurückgelegt habe.
Gegen das ihm am 20. August 2001 zugestellte Urteil hat der Kläger mit einem am 27. August 2001 beim Landessozialgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt: In der Beratung des Arbeitsamtes Merseburg, die er regelmäßig wahrgenommen habe, sei ihm der Vorschlag unterbreitet worden, den Weg in die Selbständigkeit zu wählen. Ergänzend sei dort betont worden, wenn er dieses Ziel nicht erreiche, werde "diese Zeit einer arbeitsmarktpolitischen Maßnahme gleichgestellt (altersbedingt)". Deshalb sehe der Gesetzgeber auch vor, dass die anschließende Absicherung durch die Weiterzahlung des Arbeitslosengeldes gewährleistet sei.
Auf Grund eines Teilanerkenntnisses in einem parallel laufenden, noch nicht abgeschlossenen Verfahren beim Sozialgericht Potsdam (Az: S 17 RA 880/02) hat die Beklagte die Rente mit Bescheid vom 25. Februar 2003 neu berechnet. Auch dieser Bescheid enthält die hier umstrittene Kürzung des Zugangsfaktors.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 4. Juli 2001 und den Bescheid der Beklagten vom 30. April 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. November 1999 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, die Rente in der Höhe zu zahlen, die sich daraus bei einem Zugangsfaktor von 1,0 ergibt.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie bezieht sich zur Begründung auf das erstinstanzliche Urteil.
Die Akte der Beklagten – ... – hat in der mündlichen Verhandlung und bei der Beratung vorgelegen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 143 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Berufung ist unbegründet.
Der Senat kann über die hier umstrittene Frage trotz des parallel laufenden, noch nicht abgeschlossenen Verfahrens beim Sozialgericht Potsdam entscheiden, weil der Anspruch, um den es hier geht, abtrennbar ist. Der Kläger begehrt im vorliegenden Verfahren eine klar bezifferbare Anspruchserhöhung auf der Grundlage des angefochtenen Bescheides. Denn der hier umstrittene Zugangsfaktor ist ein Element der Rentenberechnung, der zusammen mit den anderen maßgeblichen Faktoren (Entgeltpunkte, Rentenartfaktor, aktueller Rentenwert) einen betragsmäßig eindeutig bestimmbaren Rentenanspruch ergibt.
Die angefochtenen Bescheide sind hinsichtlich des Zugangsfaktors rechtmäßig und beschweren den Kläger daher nicht im Sinne von § 157, 54 Abs. 2 S. 1 SGG. Denn der Kläger fällt nicht unter die Vertrauensschutzregelung für die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit gemäß § 237 SGB VI. Deshalb ist er nicht von der Anhebung der Altersgrenzen ausgenommen.
Da der Kläger bereits am 4. April 1999 sein 60. Lebensjahr vollendet hat und die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit seit 1. Mai 1999 erhält, ist § 237 Abs. 2 SGB VI in der bis 31. Dezember 1999 geltenden alten Fassung (a.F.) die maßgebliche Vertrauensschutzregelung. § 237 Abs. 2 SGB VI a.F. war mit Wirkung zum 1. August 1996 durch das Gesetz zur Förderung eines gleitenden Übergangs in den Ruhestand vom 23. Juli 1996 (BGBl. I S. 1078) angefügt worden. Es handelte sich um eine Vertrauensschutzregelung im Zusammenhang mit der vorgezogenen Altersgrenzenanhebung bei der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeit (§ 38 SGB VI, ab 1. Januar 2000: § 237 Abs. 1 SGB VI). Auf Grund des Rentenreformgesetzes 1999 vom 16. Dezember 1997 (BGBl. I S. 2998) ersetzt der vom Sozialgericht geprüfte § 237 Abs. 4 SGB VI mit Wirkung ab 1. Januar 2000 den § 237 Abs. 2 SGB VI a.F. Es handelt sich bei § 237 Abs. 4 SGB VI (neue Fassung) um eine im wesentlichen dem bisherigen Abs. 2 entsprechende Vertrauensschutzregelung.
Gemäß § 237 Abs. 2 Nr. 1 SGB VI a.F. wird die Altergrenze von 60 Jahren bei der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeit für Versicherte, die vor 1941 geboren sind und am 14. Februar 1996 arbeitslos waren oder Anpassungsgeld für entlassene Arbeitnehmer des Bergbaus bezogen haben oder deren Arbeitsverhältnis auf Grund einer Kündigung oder Vereinbarung, die vor dem 14. Februar 1996 erfolgt ist, nach dem 13. Februar 1996 beendet worden ist und die daran anschließend arbeitslos geworden sind oder Anpassungsgeld für entlassene Arbeitnehmer des Bergbaus bezogen haben, nicht angehoben. Gemäß § 237 Abs. 2 S. 2 SGB VI a.F. steht einer vor dem 14. Februar 1996 abgeschlossenen Vereinbarung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine vor diesem Tag vereinbarte Befristung des Arbeitsverhältnisses oder Bewilligung einer befristeten arbeitsmarktpolitischen Maßnahme gleich. Der Stichtag 14. Februar 1996 entspricht dem Datum, an dem das Bundeskabinett das dem Gesetz zur Förderung eines gleitenden Übergangs in den Ruhestand zu Grunde liegende Eckpunktepapier beschlossen hat (Niesel in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Stand: Dezember 2003, § 237 SGB VI Rn. 35).
Der Kläger war am 14. Februar 1996 nicht arbeitslos, sondern selbständig tätig. Ihm war vor dem 14. Februar 1996 auch keine befristete arbeitsmarktpolitische Maßnahme bewilligt worden, die gemäß § 237 Abs. 2 S. 2 SGB VI a.F. einer vor dem 14. Februar 1996 abgeschlossenen Vereinbarung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gleichsteht. Eine befristete arbeitsmarktpolitische Maßnahme wäre nur dann zu bejahen, wenn am Stichtag 14. Februar 1996 ein konkreter Termin festgestanden hätte, an dem die vom Kläger ausgeübte selbständige Tätigkeit hätte enden sollen. In der Zeit vom 27. November 1995 bis zum 11. Mai 1996 nahm er an einem Existenzgründerkurs bei einem privaten Fortbildungsinstitut teil. Erst nach dem Stichtag – nämlich am 10. Mai 1996 – hat er sein Gewerbe zum 31. Mai 1996 abgemeldet.
Die Förderung der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit durch den ESF zielte auf eine dauerhafte, d.h. nicht von vornherein auf einen bestimmten Endtermin ausgerichtete Selbständigkeit ab. Auch das Arbeitsamt fördert Existenzgründungen nur, wenn zu erwarten ist, dass sie auf Dauer tragfähig sind (Winkler in: Gagel, Kommentar zum Arbeitsförderungsgesetz, Stand: Januar 1998, § 55a Rn. 12). Die Förderung soll den Aufbau einer von Versicherungsleistungen unabhängigen Einkommensquelle unterstützen. Dem widerspräche es, wenn von vornherein feststünde, dass die Selbständigkeit nur zur Inanspruchnahme besonderer Altersgrenzen befristet sein soll. Allein die Tatsache der Befristung des Überbrückungsgeldes und der Existenzgründerhilfe macht diese Leistungen noch nicht zu befristeten arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen.
Der Kläger kann auch keinen Anspruch auf ungekürzte Rente daraus ableiten, dass ihm Mitarbeiter des Arbeitsamtes für den Überbrückungszeitraum bis zum 60. Lebensjahr die Existenzgründung vorgeschlagen haben. Denn es ist gerade die Aufgabe des Arbeitsamtes, durch geeignete Vorschläge Arbeitslosigkeit zu beenden oder zu verhindern. Abgesehen davon hat der Kläger nicht substantiiert behauptet, vom Arbeitsamt die Auskunft erhalten zu haben, auch im Falle der Existenzgründung die Altersrente mit 60 ohne Abzüge beanspruchen zu können. Es findet sich lediglich die Angabe, die Mitarbeiter des Arbeitsamtes Merseburg hätten betont, wenn er das Ziel der Existenzgründung nicht erreiche, werde "diese Zeit einer arbeitsmarktpolitischen Maßnahme gleichgestellt (altersbedingt)". Es ist kaum vorstellbar, dass die Mitarbeiter des Arbeitsamtes diese Auskunft bereits im Zuge der Beratung hinsichtlich der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit – also vor dem 1. Juni 1995 – gegeben haben, weil das Bundeskabinett das maßgebliche Eckpunktepapier erst am 14. Februar 1996 beschlossen hat. Sollte die Auskunft erst nach diesem Stichtag erteilt worden sein, hätte dies keinen Einfluss auf die Entscheidung des Klägers gehabt, sich selbständig zu machen. Denn diese Entscheidung hatte er bereits im Juni 1995 in die Tat umgesetzt.
Abgesehen davon hätte der Kläger selbst im Falle einer fehlerhaften Beratung durch Mitarbeiter des Arbeitsamtes keinen Anspruch auf ungekürzte Rente geltend machen können. Einzig in Betracht käme ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch: Sofern ein Rentenversicherungsträger oder ein anderer Sozialleistungsträger gegen eine dem Bürger gegenüber bestehende Betreuungspflicht verstößt, fehlt es an einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage, einen hierdurch entstehenden sozialrechtlichen Nachteil zu beheben. Das Bundessozialgericht (BSG) hat diese Regelungslücke durch die Schaffung des Rechtsinstituts des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs gefüllt. Dieses Rechtsinstitut ist auf Beseitigung der Folgen einer Pflichtverletzung der Verwaltung gerichtet, d.h. auf Herstellung desjenigen sozialrechtlichen Zustandes, der bestanden hätte, wenn die Behörde von Anfang an richtig gehandelt hätte (BSG, Urteil vom 25. August 1993, BSGE 73, 56, 59). Die Rechtsprechung knüpft den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch an das Vorliegen folgender Voraussetzungen: objektive Pflichtverletzung durch einen Sozialleistungsträger, Schaden, Ursächlichkeit zwischen Pflichtverletzung und Schaden sowie grundsätzlich bestehende Möglichkeit der Folgenbeseitigung durch eine gesetzlich zulässige Amtshandlung des Sozialleistungsträgers (BSG, Urteil vom 18. August 1983, BSGE 55, 261, 262). Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch setzt also zunächst eine objektive Pflichtverletzung eines Sozialleistungsträgers voraus. Als verletzbare Pflichten kommen Auskunfts-, Beratungs- und Betreuungspflichten in Betracht (BSG, Urteil vom 23. Juli 1986, BSGE 60, 158, 164). Unterstellt, hier läge eine derartige Pflichtverletzung durch Mitarbeiter des Arbeitsamtes vor, die der Beklagten auch zugerechnet werden könnte, würde der sozialrechtliche Herstellungsanspruch dennoch nicht zugunsten des Klägers zum Zuge kommen. Denn jedenfalls würde dieser daran scheitern, dass mit den Rechtsfolgen dieses Anspruchs zwar rechtliche (zulässige) Folgen fingiert werden können, nicht jedoch tatsächliche Lebenssachverhalte (vgl. LSG Niedersachsen, Urteil vom 22. März 2001 – L 1 RA 200/00, zitiert nach Juris). Es kann also nicht fingiert werden, dass der Kläger am 14. Februar 1996 nicht selbständig tätig war bzw. dass an diesem Stichtag feststand, dass die selbständige Tätigkeit an einem bestimmten Termin enden würde.
Der Kläger fällt auch nicht unter den durch das Rentenreformgesetz 1999 rückwirkend zum 1. Januar 1997 eingefügten weiteren Vertrauenstatbestand des § 237 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 SGB VI a.F. (jetzt § 237 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 SGB VI). Dieser betrifft Versicherte, die vor dem 1. Januar 1942 geboren sind und 45 Jahre mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben. Dabei sind jedoch Zeiten ausgenommen, in denen Versicherte wegen des Bezugs von Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe versicherungspflichtig waren. Der Kläger hat jedoch mit insgesamt 41,5 Jahren (Pflichtbeiträge während Arbeitslosigkeit sogar mitgerechnet) weniger als 45 Jahre mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit. Deshalb greift diese Vertrauensschutzregelung ebenfalls nicht zu seinen Gunsten ein.
Der Kläger kann auch keine Rechte aus der fehlerhaften Rentenauskunft herleiten, die dem Vormerkungsbescheid vom 3. November 1997 beigefügt war. Zwar hat die Beklagte dort erklärt, er könne die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit frühestens ab Mai 1999 ohne Rentenabschlag beanspruchen, wenn die übrigen Voraussetzungen erfüllt seien. Bei Inanspruchnahme zum frühestmöglichen Zeitpunkt (Vollendung des 60. Lebensjahres) würde diese Altersrente um 0,0 % gekürzt werden. Diese Erklärung stellte aber keine Zusicherung im Sinne des § 34 Sozialgesetzbuch – Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) dar. Eine Zusicherung läge nach der gesetzlichen Definition nur dann vor, wenn die Behörde eine Zusage erteilt hätte, einen bestimmten Verwaltungsakt später zu erlassen oder zu unterlassen. Die Beklagte hat mit der Rentenauskunft aber nicht zugesagt, später einen bestimmten Verwaltungsakt mit einem bestimmten Zugangsfaktor und einer konkreten Rentenhöhe zu erlassen. Sie wollte sich mit dieser Rentenauskunft auch nicht rechtsverbindlich äußern. Das ist aufgrund der fettgedruckten Überschrift "Rentenauskunft – Kein Rentenbescheid" auch für Versicherte erkennbar. Zudem ist beim Kläger ein Vertrauenstatbestand in den Text der Rentenauskunft wohl gar nicht entstanden. Anders ist die nachfolgende Vorsprache bei der Auskunfts- und Beratungsstelle in Halle, wo er die Frage aufwarf, ob er "unter die Vertrauensschutzregelung des § 38 SGB VI" falle, nicht erklärbar. Abgesehen davon hätte er im Zeitpunkt der Vorsprache bei der Auskunfts- und Beratungsstelle sein Verhalten vor dem 14. Februar 1996 nicht mehr beeinflussen können, d.h. er hätte die Tatsachen nicht mehr verändern können. Damit hängt zusammen, dass der sozialrechtliche Herstellungsanspruch unter dem Gesichtspunkt einer fehlerhaften Auskunft durch die Beklagte dem Kläger nicht zu dem von ihm begehrten Anspruch verhelfen würde. Denn mit diesem Rechtsinstitut können tatsächliche Lebenssachverhalte nicht fingiert werden (vgl. oben).
Nach alledem hat der Kläger keinen Anspruch auf eine vorgezogene Altersrente wegen Arbeitslosigkeit ohne Abschläge. Die Beklagte hat den Zugangsfaktor bei der Rentenberechnung zutreffend gemindert. Gemäß § 77 Abs. 1 SGB VI richtet sich der Zugangsfaktor nach dem Alter des Versicherten bei Rentenbeginn und bestimmt, in welchem Umfang Entgeltpunkte bei der Ermittlung des Monatsbetrags der Rente als persönliche Entgeltpunkte zu berücksichtigen sind. Der Zugangsfaktor ist bei Altersrenten, die vorzeitig in Anspruch genommen werden, für jeden Kalendermonat um 0,003 niedriger als 1,0 (§ 77 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Buchst. a SGB VI). Da der Kläger im April 1939 geboren wurde, ist die Altersgrenze für die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit gemäß § 41 Abs. 1 SGB VI in der Fassung bis 31.12.1999 (ab 1.1.2000: § 237 Abs. 3 SGB VI) in Verbindung mit Anlage 19 zum SGB VI in seinem Fall um 28 Monate auf 62 Jahre und 4 Monate angehoben. Der Zugangsfaktor vermindert sich deshalb um 0,084 (28 x 0,003) auf 0,916. Das hat die Beklagte bei der Rentenberechnung korrekt umgesetzt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1, 2 SGG nicht.
Tatbestand:
Der Rechtsstreit betrifft die Frage, ob der Kläger einen Anspruch auf eine ungekürzte Altersrente wegen Arbeitslosigkeit hat oder eine Rentenminderung aufgrund vorzeitiger Inanspruchnahme hinnehmen muss.
Der am 5. April 1939 geborene Kläger war bis zum 30. September 1994 als Angestellter tätig. Anschließend war er bis zum 23. April 1995 arbeitsunfähig und danach bis zum 31. Mai 1995 arbeitslos. Nach einer Vielzahl erfolgloser Bewerbungen meldete er zum 1. Juni 1995 eine Handelsvertretung für Papier, Karton und Verpackungsmaterial an. Anlässlich der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit erhielt er vom Arbeitsamt ab 1. Juni 1995 für die Dauer von 26 Wochen Überbrückungsgeld und Aufwendungen für die Krankenversicherung und Altersversorgung. In der Zeit vom 27. November 1995 bis zum 11. Mai 1996 nahm er an einem Existenzgründerkurs an einem privaten Fortbildungsinstitut teil. Dieser Kurs wurde aus Fördermitteln des Europäischen Sozialfond (ESF) der EU und des Landes Sachsen-Anhalt finanziert. Ausweislich einer Bescheinigung des Instituts vom 10. Dezember 1996 erhielt der Kläger eine Existenzgründerhilfe in Höhe von insgesamt 8.400,00 DM (350,00 DM wöchentlich). Am 10. Mai 1996 meldete er sein Gewerbe zum 31. Mai 1996 ab, weil keine ausreichenden Umsätze zu verzeichnen waren. Ab 1. Juni 1996 war er wieder arbeitslos.
Im Februar 1997 stellte er einen Antrag auf Kontenklärung. In diesem Zusammenhang bat er auch um Auskunft, ob für ihn Vertrauensschutz bezüglich der Anhebung der Altersgrenze für die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit bestehe. Mit Vormerkungsbescheid vom 3. November 1997 stellte die Beklagte die Zeiten bis 31. Dezember 1990 gemäß § 149 Abs. 5 Sozialgesetzbuch – Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) als für die Beteiligten verbindlich fest. In der beigefügten Rentenauskunft erklärte sie, der Kläger könne die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit frühestens ab Mai 1999 ohne Rentenabschlag beanspruchen, wenn die übrigen Voraussetzungen erfüllt seien. Bei Inanspruchnahme zum frühestmöglichen Zeitpunkt (Vollendung des 60. Lebensjahres) würde diese Altersrente um 0,0 % gekürzt werden.
Am 28. November 1997 sprach der Kläger bei der Auskunfts- und Beratungsstelle der Beklagten in Halle vor und fragte an, ob er unter die "Vertrauensschutzregelung des § 38 SGB VI" falle. Die Beklagte teilte ihm schließlich mit Schreiben vom 27. Mai 1998 mit, ein Vertrauensschutz bestehe nicht, weil er am Stichtag (14. Februar 1996) eine auf Dauer angelegte selbständige Tätigkeit ausgeübt habe. Trotz der Förderung durch den ESF habe es sich nicht um eine befristete arbeitsmarktpolitische Maßnahme gehandelt. Arbeitslosigkeit habe am maßgeblichen Stichtag ebenfalls nicht vorgelegen. Auf den dagegen erhobenen Widerspruch teilte die Beklagte mit, das Schreiben vom 27. Mai 1998 sei kein Verwaltungsakt, der mit einem Widerspruch angefochten werden könne. Erst gegen einen Rentenbescheid sei ein Widerspruch zulässig.
Am 14. Dezember 1998 stellte der Kläger einen Antrag auf Rente wegen Arbeitslosigkeit und Vollendung des 60. Lebensjahres. Daraufhin gewährte die Beklagte ihm Altersrente wegen Arbeitslosigkeit mit einem antragsgemäßen Rentenbeginn am 1. Mai 1999 (Bescheid vom 30. April 1999). Dabei legte sie bei der Rentenberechnung wegen vorzeitiger Inanspruchnahme der Rente einen verminderten Zugangsfaktor zu Grunde.
Dagegen erhob der Kläger Widerspruch: Hier müsse eine Einzelfallentscheidung getroffen werden, da es nur wenige Existenzgründer in einem Alter über 55 Jahren gebe. Außerdem sei ihm die Existenzgründung vom Arbeitsamt als Überbrückung bis zum Rentenbezug mit dem 60. Lebensjahr vorgeschlagen worden. Diesen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 5. November 1999 zurück und wiederholte im wesentlichen die Begründung aus dem Schreiben vom 27. Mai 1998.
Mit seiner am 7. Dezember 1999 beim Sozialgericht Halle eingegangenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiter verfolgt. Ergänzend und vertiefend hat er ausgeführt, bei einer im Alter von 56/57 Jahren aufgenommenen Tätigkeit könne von einer auf Dauer angedachten Lösung keine Rede sein.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 4. Juli 2001 als unbegründet abgewiesen. Es hat ausgeführt, die Voraussetzungen der Vertrauensschutzregelung gemäß § 237 Abs. 4 Nr. 1 SGB VI seien nicht erfüllt. Der Kläger sei weder am maßgeblichen Stichtag 14. Februar 1996 arbeitslos gewesen noch sei ihm zuvor eine befristete arbeitsmarktpolitische Maßnahme bewilligt worden. Vielmehr sei er in der Zeit vom 1. Juni 1995 bis 10. Mai 1996 selbständig tätig gewesen. Die vom Arbeitsamt unterstützte selbständige Tätigkeit könne nicht einer befristeten arbeitsmarktpolitischen Maßnahme gleich gestellt werden, da sie auf Dauer angelegt gewesen sei. Das ergebe sich bereits aus den Voraussetzungen für die Gewährung des Überbrückungsgeldes nach § 55 a AFG. Wesentliche Voraussetzung der Leistungsgewährung sei die Aussicht auf eine tragfähige Existenzgründung gewesen. Das bedeute, es müsse voraussichtlich auf Dauer eine ausreichende Lebensgrundlage geschaffen werden. Der Kläger selbst habe in der mündlichen Verhandlung hierzu dargelegt, dass er bei der Beantragung des Überbrückungsgeldes einen Finanzplan habe vorlegen müssen, der von Seiten des Arbeitsamtes zwar mit "schwach" beurteilt worden sei, jedoch schließlich zur Gewährung des Überbrückungsgeldes geführt habe.
Im Übrigen widerspreche die Gleichstellung einer grundsätzlich auf Dauer angelegten selbständigen Tätigkeit mit einer befristeten arbeitsmarktpolitischen Maßnahme dem Sinn und Zweck der Vertrauensschutzregelung des § 237 Abs. 4 SGB VI. Ein Arbeitsverhältnis oder eine arbeitsmarktpolitische Maßnahme sei bereits dann nicht befristet, wenn das Arbeitsverhältnis über die Maßnahme nicht zu einem eindeutig terminierten Zeitpunkt oder Anlass enden solle.
Entgegen der Ansicht des Klägers sei auch auf Grund seines zum damaligen Zeitpunkt bereits fortgeschrittenen Lebensalters keine andere Entscheidung zu treffen. Denn aus der Tatsache, dass er bei Aufnahme der selbständigen Tätigkeit bereits 56 Jahre alt gewesen sei, folge nicht, dass diese Tätigkeit deshalb nicht auf Dauer angelegt gewesen sei. Im Übrigen sei darauf hinzuweisen, dass der Gesetzgeber in § 237 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 SGB VI eine Ausnahmeregelung für Versicherte geschaffen habe, die am 1. Januar 1997 bereits 55 Jahre alt gewesen seien und langjährig auf Grund einer Pflichtversicherung als Beschäftigte oder selbständig Erwerbstätige der Solidargemeinschaft angehört hätten. Unter diese sozialstaatlich motivierte Ausnahmeregelung für langjährig Versicherte falle der Kläger jedoch nicht, da er entsprechende Beitragszeiten nicht zurückgelegt habe.
Gegen das ihm am 20. August 2001 zugestellte Urteil hat der Kläger mit einem am 27. August 2001 beim Landessozialgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt: In der Beratung des Arbeitsamtes Merseburg, die er regelmäßig wahrgenommen habe, sei ihm der Vorschlag unterbreitet worden, den Weg in die Selbständigkeit zu wählen. Ergänzend sei dort betont worden, wenn er dieses Ziel nicht erreiche, werde "diese Zeit einer arbeitsmarktpolitischen Maßnahme gleichgestellt (altersbedingt)". Deshalb sehe der Gesetzgeber auch vor, dass die anschließende Absicherung durch die Weiterzahlung des Arbeitslosengeldes gewährleistet sei.
Auf Grund eines Teilanerkenntnisses in einem parallel laufenden, noch nicht abgeschlossenen Verfahren beim Sozialgericht Potsdam (Az: S 17 RA 880/02) hat die Beklagte die Rente mit Bescheid vom 25. Februar 2003 neu berechnet. Auch dieser Bescheid enthält die hier umstrittene Kürzung des Zugangsfaktors.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 4. Juli 2001 und den Bescheid der Beklagten vom 30. April 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. November 1999 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, die Rente in der Höhe zu zahlen, die sich daraus bei einem Zugangsfaktor von 1,0 ergibt.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie bezieht sich zur Begründung auf das erstinstanzliche Urteil.
Die Akte der Beklagten – ... – hat in der mündlichen Verhandlung und bei der Beratung vorgelegen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 143 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Berufung ist unbegründet.
Der Senat kann über die hier umstrittene Frage trotz des parallel laufenden, noch nicht abgeschlossenen Verfahrens beim Sozialgericht Potsdam entscheiden, weil der Anspruch, um den es hier geht, abtrennbar ist. Der Kläger begehrt im vorliegenden Verfahren eine klar bezifferbare Anspruchserhöhung auf der Grundlage des angefochtenen Bescheides. Denn der hier umstrittene Zugangsfaktor ist ein Element der Rentenberechnung, der zusammen mit den anderen maßgeblichen Faktoren (Entgeltpunkte, Rentenartfaktor, aktueller Rentenwert) einen betragsmäßig eindeutig bestimmbaren Rentenanspruch ergibt.
Die angefochtenen Bescheide sind hinsichtlich des Zugangsfaktors rechtmäßig und beschweren den Kläger daher nicht im Sinne von § 157, 54 Abs. 2 S. 1 SGG. Denn der Kläger fällt nicht unter die Vertrauensschutzregelung für die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit gemäß § 237 SGB VI. Deshalb ist er nicht von der Anhebung der Altersgrenzen ausgenommen.
Da der Kläger bereits am 4. April 1999 sein 60. Lebensjahr vollendet hat und die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit seit 1. Mai 1999 erhält, ist § 237 Abs. 2 SGB VI in der bis 31. Dezember 1999 geltenden alten Fassung (a.F.) die maßgebliche Vertrauensschutzregelung. § 237 Abs. 2 SGB VI a.F. war mit Wirkung zum 1. August 1996 durch das Gesetz zur Förderung eines gleitenden Übergangs in den Ruhestand vom 23. Juli 1996 (BGBl. I S. 1078) angefügt worden. Es handelte sich um eine Vertrauensschutzregelung im Zusammenhang mit der vorgezogenen Altersgrenzenanhebung bei der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeit (§ 38 SGB VI, ab 1. Januar 2000: § 237 Abs. 1 SGB VI). Auf Grund des Rentenreformgesetzes 1999 vom 16. Dezember 1997 (BGBl. I S. 2998) ersetzt der vom Sozialgericht geprüfte § 237 Abs. 4 SGB VI mit Wirkung ab 1. Januar 2000 den § 237 Abs. 2 SGB VI a.F. Es handelt sich bei § 237 Abs. 4 SGB VI (neue Fassung) um eine im wesentlichen dem bisherigen Abs. 2 entsprechende Vertrauensschutzregelung.
Gemäß § 237 Abs. 2 Nr. 1 SGB VI a.F. wird die Altergrenze von 60 Jahren bei der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeit für Versicherte, die vor 1941 geboren sind und am 14. Februar 1996 arbeitslos waren oder Anpassungsgeld für entlassene Arbeitnehmer des Bergbaus bezogen haben oder deren Arbeitsverhältnis auf Grund einer Kündigung oder Vereinbarung, die vor dem 14. Februar 1996 erfolgt ist, nach dem 13. Februar 1996 beendet worden ist und die daran anschließend arbeitslos geworden sind oder Anpassungsgeld für entlassene Arbeitnehmer des Bergbaus bezogen haben, nicht angehoben. Gemäß § 237 Abs. 2 S. 2 SGB VI a.F. steht einer vor dem 14. Februar 1996 abgeschlossenen Vereinbarung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine vor diesem Tag vereinbarte Befristung des Arbeitsverhältnisses oder Bewilligung einer befristeten arbeitsmarktpolitischen Maßnahme gleich. Der Stichtag 14. Februar 1996 entspricht dem Datum, an dem das Bundeskabinett das dem Gesetz zur Förderung eines gleitenden Übergangs in den Ruhestand zu Grunde liegende Eckpunktepapier beschlossen hat (Niesel in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Stand: Dezember 2003, § 237 SGB VI Rn. 35).
Der Kläger war am 14. Februar 1996 nicht arbeitslos, sondern selbständig tätig. Ihm war vor dem 14. Februar 1996 auch keine befristete arbeitsmarktpolitische Maßnahme bewilligt worden, die gemäß § 237 Abs. 2 S. 2 SGB VI a.F. einer vor dem 14. Februar 1996 abgeschlossenen Vereinbarung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gleichsteht. Eine befristete arbeitsmarktpolitische Maßnahme wäre nur dann zu bejahen, wenn am Stichtag 14. Februar 1996 ein konkreter Termin festgestanden hätte, an dem die vom Kläger ausgeübte selbständige Tätigkeit hätte enden sollen. In der Zeit vom 27. November 1995 bis zum 11. Mai 1996 nahm er an einem Existenzgründerkurs bei einem privaten Fortbildungsinstitut teil. Erst nach dem Stichtag – nämlich am 10. Mai 1996 – hat er sein Gewerbe zum 31. Mai 1996 abgemeldet.
Die Förderung der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit durch den ESF zielte auf eine dauerhafte, d.h. nicht von vornherein auf einen bestimmten Endtermin ausgerichtete Selbständigkeit ab. Auch das Arbeitsamt fördert Existenzgründungen nur, wenn zu erwarten ist, dass sie auf Dauer tragfähig sind (Winkler in: Gagel, Kommentar zum Arbeitsförderungsgesetz, Stand: Januar 1998, § 55a Rn. 12). Die Förderung soll den Aufbau einer von Versicherungsleistungen unabhängigen Einkommensquelle unterstützen. Dem widerspräche es, wenn von vornherein feststünde, dass die Selbständigkeit nur zur Inanspruchnahme besonderer Altersgrenzen befristet sein soll. Allein die Tatsache der Befristung des Überbrückungsgeldes und der Existenzgründerhilfe macht diese Leistungen noch nicht zu befristeten arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen.
Der Kläger kann auch keinen Anspruch auf ungekürzte Rente daraus ableiten, dass ihm Mitarbeiter des Arbeitsamtes für den Überbrückungszeitraum bis zum 60. Lebensjahr die Existenzgründung vorgeschlagen haben. Denn es ist gerade die Aufgabe des Arbeitsamtes, durch geeignete Vorschläge Arbeitslosigkeit zu beenden oder zu verhindern. Abgesehen davon hat der Kläger nicht substantiiert behauptet, vom Arbeitsamt die Auskunft erhalten zu haben, auch im Falle der Existenzgründung die Altersrente mit 60 ohne Abzüge beanspruchen zu können. Es findet sich lediglich die Angabe, die Mitarbeiter des Arbeitsamtes Merseburg hätten betont, wenn er das Ziel der Existenzgründung nicht erreiche, werde "diese Zeit einer arbeitsmarktpolitischen Maßnahme gleichgestellt (altersbedingt)". Es ist kaum vorstellbar, dass die Mitarbeiter des Arbeitsamtes diese Auskunft bereits im Zuge der Beratung hinsichtlich der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit – also vor dem 1. Juni 1995 – gegeben haben, weil das Bundeskabinett das maßgebliche Eckpunktepapier erst am 14. Februar 1996 beschlossen hat. Sollte die Auskunft erst nach diesem Stichtag erteilt worden sein, hätte dies keinen Einfluss auf die Entscheidung des Klägers gehabt, sich selbständig zu machen. Denn diese Entscheidung hatte er bereits im Juni 1995 in die Tat umgesetzt.
Abgesehen davon hätte der Kläger selbst im Falle einer fehlerhaften Beratung durch Mitarbeiter des Arbeitsamtes keinen Anspruch auf ungekürzte Rente geltend machen können. Einzig in Betracht käme ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch: Sofern ein Rentenversicherungsträger oder ein anderer Sozialleistungsträger gegen eine dem Bürger gegenüber bestehende Betreuungspflicht verstößt, fehlt es an einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage, einen hierdurch entstehenden sozialrechtlichen Nachteil zu beheben. Das Bundessozialgericht (BSG) hat diese Regelungslücke durch die Schaffung des Rechtsinstituts des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs gefüllt. Dieses Rechtsinstitut ist auf Beseitigung der Folgen einer Pflichtverletzung der Verwaltung gerichtet, d.h. auf Herstellung desjenigen sozialrechtlichen Zustandes, der bestanden hätte, wenn die Behörde von Anfang an richtig gehandelt hätte (BSG, Urteil vom 25. August 1993, BSGE 73, 56, 59). Die Rechtsprechung knüpft den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch an das Vorliegen folgender Voraussetzungen: objektive Pflichtverletzung durch einen Sozialleistungsträger, Schaden, Ursächlichkeit zwischen Pflichtverletzung und Schaden sowie grundsätzlich bestehende Möglichkeit der Folgenbeseitigung durch eine gesetzlich zulässige Amtshandlung des Sozialleistungsträgers (BSG, Urteil vom 18. August 1983, BSGE 55, 261, 262). Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch setzt also zunächst eine objektive Pflichtverletzung eines Sozialleistungsträgers voraus. Als verletzbare Pflichten kommen Auskunfts-, Beratungs- und Betreuungspflichten in Betracht (BSG, Urteil vom 23. Juli 1986, BSGE 60, 158, 164). Unterstellt, hier läge eine derartige Pflichtverletzung durch Mitarbeiter des Arbeitsamtes vor, die der Beklagten auch zugerechnet werden könnte, würde der sozialrechtliche Herstellungsanspruch dennoch nicht zugunsten des Klägers zum Zuge kommen. Denn jedenfalls würde dieser daran scheitern, dass mit den Rechtsfolgen dieses Anspruchs zwar rechtliche (zulässige) Folgen fingiert werden können, nicht jedoch tatsächliche Lebenssachverhalte (vgl. LSG Niedersachsen, Urteil vom 22. März 2001 – L 1 RA 200/00, zitiert nach Juris). Es kann also nicht fingiert werden, dass der Kläger am 14. Februar 1996 nicht selbständig tätig war bzw. dass an diesem Stichtag feststand, dass die selbständige Tätigkeit an einem bestimmten Termin enden würde.
Der Kläger fällt auch nicht unter den durch das Rentenreformgesetz 1999 rückwirkend zum 1. Januar 1997 eingefügten weiteren Vertrauenstatbestand des § 237 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 SGB VI a.F. (jetzt § 237 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 SGB VI). Dieser betrifft Versicherte, die vor dem 1. Januar 1942 geboren sind und 45 Jahre mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben. Dabei sind jedoch Zeiten ausgenommen, in denen Versicherte wegen des Bezugs von Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe versicherungspflichtig waren. Der Kläger hat jedoch mit insgesamt 41,5 Jahren (Pflichtbeiträge während Arbeitslosigkeit sogar mitgerechnet) weniger als 45 Jahre mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit. Deshalb greift diese Vertrauensschutzregelung ebenfalls nicht zu seinen Gunsten ein.
Der Kläger kann auch keine Rechte aus der fehlerhaften Rentenauskunft herleiten, die dem Vormerkungsbescheid vom 3. November 1997 beigefügt war. Zwar hat die Beklagte dort erklärt, er könne die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit frühestens ab Mai 1999 ohne Rentenabschlag beanspruchen, wenn die übrigen Voraussetzungen erfüllt seien. Bei Inanspruchnahme zum frühestmöglichen Zeitpunkt (Vollendung des 60. Lebensjahres) würde diese Altersrente um 0,0 % gekürzt werden. Diese Erklärung stellte aber keine Zusicherung im Sinne des § 34 Sozialgesetzbuch – Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) dar. Eine Zusicherung läge nach der gesetzlichen Definition nur dann vor, wenn die Behörde eine Zusage erteilt hätte, einen bestimmten Verwaltungsakt später zu erlassen oder zu unterlassen. Die Beklagte hat mit der Rentenauskunft aber nicht zugesagt, später einen bestimmten Verwaltungsakt mit einem bestimmten Zugangsfaktor und einer konkreten Rentenhöhe zu erlassen. Sie wollte sich mit dieser Rentenauskunft auch nicht rechtsverbindlich äußern. Das ist aufgrund der fettgedruckten Überschrift "Rentenauskunft – Kein Rentenbescheid" auch für Versicherte erkennbar. Zudem ist beim Kläger ein Vertrauenstatbestand in den Text der Rentenauskunft wohl gar nicht entstanden. Anders ist die nachfolgende Vorsprache bei der Auskunfts- und Beratungsstelle in Halle, wo er die Frage aufwarf, ob er "unter die Vertrauensschutzregelung des § 38 SGB VI" falle, nicht erklärbar. Abgesehen davon hätte er im Zeitpunkt der Vorsprache bei der Auskunfts- und Beratungsstelle sein Verhalten vor dem 14. Februar 1996 nicht mehr beeinflussen können, d.h. er hätte die Tatsachen nicht mehr verändern können. Damit hängt zusammen, dass der sozialrechtliche Herstellungsanspruch unter dem Gesichtspunkt einer fehlerhaften Auskunft durch die Beklagte dem Kläger nicht zu dem von ihm begehrten Anspruch verhelfen würde. Denn mit diesem Rechtsinstitut können tatsächliche Lebenssachverhalte nicht fingiert werden (vgl. oben).
Nach alledem hat der Kläger keinen Anspruch auf eine vorgezogene Altersrente wegen Arbeitslosigkeit ohne Abschläge. Die Beklagte hat den Zugangsfaktor bei der Rentenberechnung zutreffend gemindert. Gemäß § 77 Abs. 1 SGB VI richtet sich der Zugangsfaktor nach dem Alter des Versicherten bei Rentenbeginn und bestimmt, in welchem Umfang Entgeltpunkte bei der Ermittlung des Monatsbetrags der Rente als persönliche Entgeltpunkte zu berücksichtigen sind. Der Zugangsfaktor ist bei Altersrenten, die vorzeitig in Anspruch genommen werden, für jeden Kalendermonat um 0,003 niedriger als 1,0 (§ 77 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Buchst. a SGB VI). Da der Kläger im April 1939 geboren wurde, ist die Altersgrenze für die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit gemäß § 41 Abs. 1 SGB VI in der Fassung bis 31.12.1999 (ab 1.1.2000: § 237 Abs. 3 SGB VI) in Verbindung mit Anlage 19 zum SGB VI in seinem Fall um 28 Monate auf 62 Jahre und 4 Monate angehoben. Der Zugangsfaktor vermindert sich deshalb um 0,084 (28 x 0,003) auf 0,916. Das hat die Beklagte bei der Rentenberechnung korrekt umgesetzt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1, 2 SGG nicht.
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