L 1 RA 95/01

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 4 RA 735/99
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 1 RA 95/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte Feststellungen bezüglich einer Zugehörigkeit des Klägers zum Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz zu treffen hat.

Der 1935 geborene Kläger erwarb mit Urkunde der Ingenieurschule für Transportbetriebstechnik in Gotha vom 10. Oktober 1975 die Berechtigung zur Führung der Berufsbezeichnung Ingenieur der Fachrichtung Transportbetriebstechnik. Schon vom 1. Mai 1973 an hatte er als Abteilungsleiter Verkehr und stellvertretender Verkehrsdirektor beim VEB Kraftverkehr B gearbeitet. 1982, spätestens 1983 wechselte er als Abteilungsleiter Verkehr zum VEB Verkehrskombinat H , wo er mindestens bis zum 30. Juni 1990 tätig blieb. Der freiwilligen Zusatzrentenversicherung bei der Sozialversicherung gehörte er seit 1985 an, versicherte aber dort nicht seinen Bruttoverdienst über 1200,- M monatlich bzw. 14400,- M jährlich.

Am 6. April 1999 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Feststellung von Zusatzversorgungszeiten, die die Beklagte mit Bescheid vom 19. Mai 1999 ablehnte. Sie führte aus, die Zeit zwischen Mai 1973 und Juni 1990 könne nicht als Zeit der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem anerkannt werden, weil sie nicht in einem volkseigenen Produktionsbetrieb oder einem gleichgestellten Betrieb im Sinne der Versorgungsordnung ausgeübt worden sei.

Den am 11. Juni 1999 bei der Beklagten eingegangenen Widerspruch wies die Widerspruchsstelle der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 6. September 1999 zurück und blieb bei ihrer Begründung.

Gegen den ihm am 16. September 1999 zugestellten Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 18. Oktober 1999, einem Montag, Klage zum Sozialgericht Halle erhoben: Er sehe nicht ein, weshalb eine Zusatzversorgungsanwartschaft nur für Mitarbeiter von Produktionsbetrieben, nicht aber für solche von Kraftverkehrsunternehmen unterstellt werden solle. Zudem seien nach §§ 631, 632 BGB alle Tätigkeiten, die nicht zum Selbstzweck dienten, der Produktion zuzuordnen. Er habe in seiner beruflichen Stellung maßgeblich an Abschlüssen von Transportverträgen mit produzierenden Betrieben mitgewirkt. Die durch ihn einzusetzenden Fahrzeuge seien sowohl im Güter- als auch im Personenverkehr zur Vorbereitung der Produktion der Vertragspartner notwendig gewesen. Ohne die Zulieferung von Transportgütern im Güterverkehr und die Personenbeförderung im Personenverkehr sei eine Produktion nicht denkbar. Den Kraftverkehrsbetrieben sei zudem Konsumgüterproduktion aufgegeben gewesen, die er ebenfalls zu überwachen und anzuleiten gehabt habe. Im VEB Verkehrskombinat Halle seien in der Kfz-Werkstatt auch Industrieregale hergestellt worden. Soweit die Mitarbeiter dort nicht ausgelastet gewesen seien, sei dem Kombinat – und ihm als Leiter - die Konsumgüterproduktion aufgegeben gewesen. Im wesentlichen habe ihm der Fuhrpark mit jeweils etwa 2000 Omnibussen und LKWs unterstanden. Er habe den Gütertransport verantwortlich geplant und organisiert.

Mit Urteil vom 16. Juli 2001 hat das Sozialgericht Halle die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, der Kläger habe gemäß § 8 Abs. 1, 3 AAÜG i.V.m. § 5 Abs. 1 S. 1 AAÜG keinen Anspruch auf die Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem, weil er nach den allgemeinen Regelungen der Versorgungsordnungen der DDR nicht auf eine Zusatzversorgung habe vertrauen können. Er habe nicht in einem volkseigenen oder gleichgestellten Produktionsbetrieb im Sinne der 2. Durchführungsbestimmung vom 24. Mai 1951 gearbeitet. Denn die dafür erforderliche materielle Produktion habe in den Beschäftigungsbetrieben des Klägers nur eine untergeordnete Bedeutung gehabt. Die eigentliche Aufgabe habe in Verkehrsdienstleistungen bestanden.

Gegen das ihm am 21. August 2001 zugestellte Urteil hat der Kläger mit Eingangsdatum vom 31. August 2001 Berufung eingelegt und bleibt bei seinem Vorbringen.

Er beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,

das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 16. Juli 2001 und den Bescheid der Beklagten vom 19. Mai 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. September 1999 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Zeit von Oktober 1975 bis Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der Altersversorgung der technischen Intelligenz und die während dieses Zeitraumes erzielten tatsächlichen Bruttoarbeitsentgelte festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie bezieht sich auf das nach ihrer Auffassung zutreffende Urteil des Sozialgerichts.

Das Gericht hat die Beteiligten durch ein beiden am 18. August 2004 zugestelltes Schreiben zu einer Entscheidung durch Beschluss nach § 153 Abs. 4 SGG angehört. Die Beteiligten haben sich dazu nicht geäußert.

Die Akte der Beklagten über den Kläger – Vers.Nr. – hat bei der Beratung vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

Die gem. § 143 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Berufung hat keinen Erfolg.

Darüber kann der Senat gem. § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss entscheiden, weil eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist. Denn die Beteiligten haben ihren jeweiligen Standpunkt so klar und ausführlich dargelegt, dass eine weitere Vertiefung in einer mündlichen Verhandlung nicht zu erwarten ist und dem Senat eine Entscheidung nach dem schriftlichen Vortrag möglich ist. Auch ist von Seiten des Klägers kein weiteres vertiefendes Vorbringen mehr zu erwarten, weil schon der Hinweis des Gerichts vom 26. April 2004 auf einschlägige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht zu einer Stellungnahme genutzt worden ist.

Der Bescheid der Beklagten vom 19. Mai 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. September 1999 beschwert den Kläger nicht im Sinne von §§ 157, 54 Abs. 2 S. 1 SGG, soweit die Beklagte darin die beantragte Feststellung abgelehnt hat. Denn darauf hatte der Kläger gemäß § 1 Abs. 1 S. 1 des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (AAÜG) i. d. F. durch G. v. 27.7.01 (BGBl. I S. 1939) keinen Anspruch, weil er in dem umstrittenen Zeitraum nicht im Sinne dieser Vorschrift eine Anwartschaft in dem geltend gemachten Zusatzversorgungssystem erworben hat.

Dem Kläger ist zu keinem Zeitpunkt durch eine einseitige oder vertragliche, auf die Begründung von Rechtsfolgen gerichtete Erklärung eine Zusatzversorgung aus diesem System zugesagt worden.

Der Kläger gehört auch nicht im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (zuerst Urt. v. 24. 3. 98 – B 4 RA 27/97 RSozR 3-8570 § 5 Nr. 3) im Wege der Unterstellung diesem Zusatzversorgungssystem an. Denn der Begriff des volkseigenen Produktionsbetriebes im Sinne von § 1 Abs. 2 der Zweiten Durchführungsbestimmung (2. DB) zur Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 24.5.51 (GBl. der DDR S. 487) drängt rechtlich keine Auslegung auf, in der er die Beschäftigungsbetriebe des Klägers vor dem 1. Juli 1990, nämlich den VEB Kraftverkehr B und den VEB Verkehrskombinat H erfasst. Die Voraussetzung der Beschäftigung in einem Produktionsbetrieb enthält § 1 Abs. 1 2. DB im Umkehrschluss, weil anderenfalls die Gleichstellung nichtproduzierender Betriebe in § 1 Abs. 2 2. DB mit Produktionsbetrieben ohne Bezug wäre.

Bei der hier gebotenen, engen Auslegung erfasst der Begriff des Produktionsbetriebes nur solche Betriebe, die Sachgüter im Hauptzweck industriell fertigen (BSG, Urt. v. 9.4.02 – B 4 RA 41/01 R – SozR 3 – 8570 § 1 Nr. 6 S. 47). Darum handelte es sich bei den beiden Betrieben nicht, weil sie – wie der Kläger nachvollziehbar näher erläutert hat – im Hauptzweck der Erbringung von Transportdienstleistungen dienten. Maßgeblicher Anknüpfungspunkt für die Bestimmung des Hauptzwecks ist der jeweilige volkseigene Betrieb, der Anstellungsbetrieb im Sinne von § 2 Abs. 1 2. DB, nämlich hier die genannten Verkehrsbetriebe. Auf diese ist als Wirtschafteinheit nach § 2 des Vertragsgesetzes vom 25. März 1982 (GBl. I S. 293) abzustellen (BSG, a.a.O., S. 41 f.). Auf die Bedeutung des Transports für die Produktion der jeweils versorgten Betriebe kommt es entgegen der Auffassung des Klägers dementsprechend nicht an.

Gegen den hier im Zusammenhang mit dem Versorgungszweck der Altersversorgung der technischen Intelligenz zu Grunde gelegten und aus der Geschichte des Wirtschaftsrechts der DDR gewonnenen engen Produktionsbegriff (vgl. BSG, a.a.O., S. 46 ff.) lässt sich entgegen der Auffassung des Klägers aus dem Werkvertragsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches schon formal kein Einwand ableiten. Denn der Begriff der Produktion wird dort nicht verwendet.

Einem Hauptzweck im Bereich der Dienstleistung steht der Vortrag nicht entgegen, wonach der VEB Verkehrskombinat H zur Kapazitätsauslastung auch Industrieregale gefertigt hat. Denn darin bestand nicht der Betriebszweck eines Verkehrsbetriebes, wie sich auch aus dem Vorbringen des Klägers für das Verkehrskombinat ergibt. So hat er selbst angesichts der Umstände glaubhaft vorgetragen, die Aufsicht über insgesamt 4000 Transportfahrzeuge sei gegenüber der Aufsicht über den Produktionsanteil im Wesentlichen seine Aufgabe gewesen.

Bei der Prüfung einer zu unterstellenden Anwartschaft gem. § 1 Abs. 1 S. 1 AAÜG aus dem Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts kommt es allein auf die Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Unterabs. 1, Abs. 2 2. DB an, wobei deren Auslegung rechtlich unzweideutig und unmittelbar eine gesetzliche Versorgungszusage enthalten muss (Beschluss des Senats v. 9.9.03 – L 1 RA 96/00). Dies ergibt sich aus dem Zweck dieser Rechtsprechung zur Erstreckung des Anwendungsbereiches des AAÜG auch auf Fälle, in denen eine ausdrückliche Versorgungszusage nicht erteilt wurde. Dabei geht es darum, objektive Willkür bei der Verzögerung und dem Unterlassen von Versorgungszusagen vor dem Maßstab des Grundgesetzes bundesrechtlich nicht zum Tragen kommen zu lassen (BSG, Urt. v. 24.3.98 – B 4 RA 27/97 R – SozR 3 – 8570 § 5 Nr. 3 S. 10). Willkür besteht nicht schon in der Verkennung einer zur Abgeltung gesellschaftlichen Verdienstes bestmöglichen Auslegung oder der Verfehlung der gerechtesten Ermessenentscheidung, sondern in der Verletzung des rechtsstaatlichen Vertrauens, nicht von der Anwendung von Rechtsnormen ausgenommen zu werden. Dies geschieht nur durch für jedermann auf der Hand liegende Gesetzesverstöße. Insofern ist der Maßstab von vornherein ein grundlegend anderer und engerer als bei einer erstmaligen Entscheidung nach den Vorschriften der früheren Versorgungsordnungen, die seit der Schließung der Versorgungssysteme zum 1. Juli 1990 nach § 22 Abs. 1 des Rentenangleichungsgesetzes vom 28.6.90 (GBl. der DDR I S. 495) endgültig ausgeschlossen ist. Die nach dem AAÜG noch mögliche und nach der Rechtsprechung des BSG vorzunehmende Prüfung bezieht sich nicht auf eine hochwertige Tätigkeit an sich, sondern auf die Erfüllung eines Tatbestandes der jeweiligen Versorgungsordnung, der hier der Art nach eine durch den Beschäftigungsbetrieb und die vorausgesetzte Ausbildung bestimmte Beschäftigung voraussetzt. Auch aus diesem Grund lässt sich dem Werkvertragsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches kein Gesichtspunkt zur Bestimmung der einzubeziehenden Betriebe entnehmen. Soweit dessen Vorschriften – worauf der Kläger wohl abstellen will – eine Einbeziehung von Dienstleistungen in die wirtschaftliche Wertschöpfung zu entnehmen ist, hat dies nämlich keinen Bezug zu der Prüfung, in welchen Fällen Stellen der DDR die 2. DB trotz offenkundiger Erfüllung der dortigen rechtlichen Voraussetzungen nicht angewendet haben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1, 2 SGG nicht, weil die aufgeworfenen Rechtsfragen durch die angeführte Rechtsprechung des Bundessozialgerichts geklärt sind.
Rechtskraft
Aus
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