L 3 B 110/08 AS-ER

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 17 AS 3705/07 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 B 110/08 AS-ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Vorläufiger gerichtlicher Rechtsschutz gegen einen Sanktionsbescheid nach § 31 SGB II, mit dem eine bewilligte Leistung abgesenkt worden ist, ist mit der Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruches oder der Klage nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG zu gewähren.

2. Zu den Anforderungen an die Begründung einer Ermessensentscheidung.
I. Auf die Beschwerde der Antragstellerin werden Ziffer I und II des Beschlusses des Sozialgerichtes Leipzig vom 1. Februar 2008 abgeändert. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruches vom 20. Dezember 2007 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 6. Dezember 2007 wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin in beiden Rechtszügen zu erstatten.

Gründe:

I. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens sind die Entscheidungen unter Ziffer I und II des Beschlusses des Sozialgerichtes Leipzig vom 1. Februar 2008. Nur hierauf erstreckt sich die Beschwerde.

II. Die in diesem Sinne beschränkte Beschwerde ist zulässig und begründet. Das Sozialgericht hat zu Unrecht den Antrag auf Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes, der nach der Teilerledigung im erstinstanzlichen Verfahren nur noch den Antrag auf Anordnung der aufschiebende Wirkung des Widerspruches vom 20. Dezember 2007 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 6. Dezember 2007 betrifft, abgelehnt und die außergerichtlichen Kosten für gegeneinander aufgehoben erklärt.

Die ablehnende Entscheidung unter Ziffer I des Beschlusses war, soweit der Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt wurde, bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben. Einen solchen Antrag hat die anwaltlich vertretene Antragstellerin nicht gestellt. Es bestand auch keine Veranlassung, den ausdrücklich gestellten Antrag auf Anordnung der aufschiebende Wirkung nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. § 39 Nr. 1 des Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) in einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG umzudeuten. Maßgebend für die Bestimmung, in welcher Weise vorläufiger gerichtlicher Rechtsschutz zu gewähren ist, ist der im Hauptsacheverfahren statthafte Rechtsbehelf. Die Antragstellerin wendet sich gegen den auf der Grundlage von § 31 SGB II erlassenen Sanktionsbescheid vom 6. Dezember 2007. Richtige Klageart ist hier die Anfechtungsklage. Im Recht des vorläufigen Rechtsschutzes wird die Anfechtungsklage, wenn sie - wie vorliegend - keine aufschiebende Wirkung hat, von der Anordnung einer aufschiebenden Wirkung nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG flankiert. Damit ist nach dem Wortlaut von § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG aber der Erlass einer einstweiligen Anordnung ausgeschlossen. Er ist im Übrigen auch nicht erforderlich. Denn im Falle der Anordnung der aufschiebenden Wirkung des gegen den Sanktionsbescheid gerichteten Widerspruches lebt die Verpflichtung der Antragsgegnerin wieder auf, die im Bescheid vom 16. August 2007 bewilligten und vom Sanktionsbescheid betroffenen Leistungen zu erbringen.

Zur Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes wäre der Erlass einer einstweiligen Anordnung neben der Anordnung der aufschiebenden Wirkung nur erforderlich, wenn die begehrte Leistung zuvor von der Verwaltung nicht oder nicht im beantragten Umfang bewilligt worden ist (vgl. SächsLSG, Beschluss vom 16. Juli 2007
- L 3 B 414/06 AS-ER -). Ein solcher Sonderfall war hier jedoch nicht gegeben. Die Antragstellerin begehrt im vorliegenden Verfahren keine höheren als die mit Bescheid vom 16. August 2007 bewilligten Leistungen.

Ebenfalls war aus verfahrensrechtlichen Gründen die Entscheidung unter Ziffer I insoweit aufzuheben, als das Sozialgericht ausgehend von dem selbst formulierten Antrag auch die vorläufige Bewilligung von Leistungen für März 2008 abgelehnt hat. Einen auf diesen Monat bezogenen Leistungsantrag hatte die anwaltlich vertretene Antragstellerin nicht gestellt. Allein der Umstand, dass der Bewilligungsbescheid vom 16. August 2007 nur den Leistungszeitraum bis Februar 2008, der angefochtene Sanktionsbescheid hingegen den Zeitraum vom 1. Januar 2008 bis 31. März 2008 umfasst, mithin über den bisherigen Bewilligungszeitraum hinausgeht, rechtfertigt nicht, bei einem anwaltlich vertretenen Antragsteller den ausdrücklich gestellten Antrag erweiternd auszulegen. Soweit seitens des Sozialgerichtes an der Reichweite des Rechtschutzbegehrens der Antragstellerin Zweifel bestanden haben sollten, hätten diese zudem im Erörterungstermin vom 18. Januar 2008 angesprochen werden müssen. Dies ist ausweislich der Niederschrift jedoch nicht geschehen.

In der Sache hat der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruches vom 20. Dezember 2007 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 6. Dezember 2007 Erfolg.

Ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG ist begründet, wenn das private Interesse des Anfechtenden, den Vollzug des angefochtenen Bescheides bis zur Entscheidung in der Hauptsache auszusetzen (privates Aussetzungsinteresse), gegenüber dem öffentlichen Interesse an dessen Sofortvollzug (öffentliches Vollzugsinteresse) überwiegt. Dies ist im vorläufigen Rechtsschutzverfahren summarisch zu prüfen und dabei der Sachverhalt gemäß § 103 SGG von Amts wegen unter Heranziehung der Beteiligten zu ermitteln, soweit dies unter Berücksichtigung der Eilbedürftigkeit des Rechtsschutzbegehrens geboten ist. Die danach nötige Abwägung zwischen dem privaten Aussetzungsinteresse und dem öffentlichen Vollzugsinteresse hat sich an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu orientieren, weil am Vollzug eines rechtswidrigen Bescheides in der Regel kein öffentliches Interesse besteht, während bei einem rechtmäßigen Bescheid das öffentliche Interesse angesichts der gesetzlich angeordneten, sofortigen Vollziehbarkeit in der Regel vorrangig ist. Daneben sind aber auch alle sonstigen Umstände des Einzelfalles, die für und gegen die sofortige Vollziehbarkeit sprechen, gegeneinander abzuwägen, insbesondere das besondere Vollzugsinteresse im Einzelfall, der Umfang der drohenden Rechtsbeeinträchtigung und die Folgen, die der Sofortvollzug eines rechtswidrigen Bescheides einerseits und das Aussetzen des Sofortvollzugs eines rechtmäßigen Bescheides andererseits mit sich bringen würde. Je geringer die Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind, ums so gewichtiger müssen die sonstigen, gegen den Sofortvollzug sprechenden Umstände sein. Bei einem gänzlich offenen Ausgang in der Hauptsache müssen die sonstigen, gegen den Sofortvollzug sprechenden Umstände in jedem Fall höher zu bewerten sein, als die für ihn sprechenden, sonstigen Umstände, da es andernfalls bei der bereits gesetzlich angeordneten sofortigen Vollziehbarkeit bleibt (vgl. zum Ganzen m.w.N.: Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren [2005], Rdnr. 186 ff.; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz [8. Aufl., 2005], § 86b Rdnr. 12a bis 12e).

Hieran gemessen war dem Antrag der Antragstellerin statt zu geben. Denn der Sanktionsbescheid vom 6. Dezember 2007 erweist sich als rechtswidrig.

Nach § 31 Abs. 6 Satz 3 SGB II kann bei erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die das 15., jedoch noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet haben, die Absenkung und der Wegfall der Regelleistung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles auf sechs Wochen verkürzt werden. Diese Regelung war bei Erlass des angefochtenen Sanktionsbescheides auf die im Juni 1983 geborene Antragstellerin anzuwenden. Die Entscheidung nach § 31 Abs. 6 Satz 3 SGB II ist den Anforderungen nach § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i.V.m. § 35 Abs. 1 Satz 3 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) entsprechend zu begründen. Danach muss die Begründung von Ermessensentscheidungen auch die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist (vgl. zu diesen Anforderungen: Engelmann, in: von Wulffen, SGB X [6. Aufl., 2008], § 35 Rdnr. 6, m.w.N.). Dem genügt der Bescheid vom 6. Dezember 2007 nicht. Die Formulierung "Bei dieser Entscheidung habe ich von meinem Ermessen Gebrauch gemacht und die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse gebührend berücksichtigt." beinhaltet vor dem Hintergrund von § 35 Abs. 1 Satz 3 SGB X lediglich die Behauptung einer Ermessensausübung und nicht eine, wenn auch nur formelhafte und damit auch nicht ausreichende Ermessensbegründung.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG. Die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin wurden für beide Instanzen in vollem Umfang für erstattungsfähig erklärt, weil sie mit ihrem Rechtsschutzbegehren vollständig - zum Teil auf Grund der Bescheidaufhebung durch die Antragsgegnerin, zum Teil auf Grund des vorliegenden Beschlusses - durchgedrungen ist.

III. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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