L 4 KR 869/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 15 KR 4789/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 869/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 24. Januar 2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger erhebt Anspruch auf eine stationäre Leistung zur medizinischen Rehabilitation.

Der am 1959 geborene Kläger ist versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten in der Krankenversicherung der Rentner. Er hat eine dreijährige Ausbildung zum Kaufmann im Groß- und Außenhandel durchlaufen, diesen Beruf sodann jedoch nicht ausgeübt. Er war zuletzt als Berufskraftfahrer (Führerscheinklasse CE) beschäftigt. Im Jahr 2001 wurde anlässlich einer Rehabilitationsmaßnahme in der Fachklinik G. die Diagnose paranoide Psychose gestellt. Die Beschäftigung endete im Januar 2004. Seit Januar 2006 bezog der Kläger von der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Inzwischen bezieht er Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Bei einem Aufenthalt vom 19. September bis 21. November 2005 im Kreiskrankenhaus P. - Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie - wurde die Diagnose "paranoide Psychose" wiederholt (Arztbrief Chefarzt Dr. W. vom 24. Januar 2006). Die gleiche Diagnose enthielt der Befundbericht vom 9. Januar 2006 des seit Sommer 2004 behandelnden Arztes für Psychiatrie/Psychotherapie B ... Einen Ende Februar 2006 bei der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg gestellten Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation lehnte dieser Versicherungsträger ab und leitete den Antrag an die Beklagte weiter (Bescheid vom 14. März 2006), weil die entsprechenden Voraussetzungen des Rechts der gesetzlichen Rentenversicherung nicht erfüllt seien; die Erwerbsfähigkeit könne durch solche Leistungen nicht wesentlich gebessert oder wiederhergestellt werden. Der Kläger begründete gegenüber der Beklagten seinen Antrag damit, durch eine erfolgreiche Maßnahme werde er wieder dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen können. Die Beklagte holte eine Stellungnahme des Facharztes für Chirurgie/Sozialmedizin Dr. L., Ärztlicher Leiter der Region E. des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) Baden-Württemberg, (ohne Datum) ein, es sei eine Intensivierung der Maßnahmen vor Ort möglich und die sozialmedizinischen Voraussetzungen für die beantragte Maßnahme seien nicht erfüllt. Mit dieser Begründung lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 27. März 2006 die Kostenübernahme für eine stationäre Rehabilitation ab.

Der Kläger erhob Widerspruch mit der Begründung, nach zwangsweiser Unterbringung im Kreiskrankenhaus P. mit Durchführung einer Zwangsmedikation sowie nach Scheidung, Umzug und Mobbing werde er nach einer Rehabilitationsmaßnahme wieder voll dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Die Klinik G. wäre bereit, ihn nochmals zu behandeln. Die Beklagte empfahl dem Kläger, sich wegen der weiteren Behandlung mit seinem Arzt in Verbindung zu setzen; Nervenärztin Dr. Le. empfahl unter dem 26. April 2006 eine Rehabilitationsleistung. Ebenso sah Ärztin für Psychiatrie Sp. in einem Telefonat mit der Beklagten am 01. Juni 2006 eine stationäre Kur als einzige Möglichkeit, dem Kläger zu helfen. Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Br. vom MDK nannte im Gutachten nach Aktenlage vom 12. Juni 2006 die Diagnose einer paranoiden Schizophrenie und erläuterte, nach Rücksprache mit der behandelnden Ärztin für Psychiatrie Sp. verbinde der Kläger mit einer stationären Maßnahme die Erwartung, der Klinik G. gegenüber klarstellen zu können, dass er bei einer früheren Behandlung zu Unrecht ein Neuroleptikum erhalten habe. Den vorhandenen ärztlichen Unterlagen und Stellungnahmen könne allerdings weder eine Rehabilitationsfähigkeit noch eine positive Prognose entnommen werden. Bei nicht ausreichenden ambulanten Behandlungsmaßnahmen komme Krankenhausbehandlung in Betracht, für welche aktuell jedoch keine Notwendigkeit gesehen werde. Der Widerspruchsausschuss der Beklagte erließ den zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 26. Juni 2006. Zur Begründung führte er unter Bezugnahme auf das Gutachten des MDK aus, es sei keine Rehabilitationsfähigkeit und keine Rehabilitationsprognose ersichtlich. Ambulante und stationäre Therapiemaßnahmen sowie Hausarzt- und Facharztbehandlungen am Wohnort seien vorrangig einzusetzen.

Mit der am 29. Juni 2006 zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhobenen Klage machte der Kläger geltend, die Behandlung in der Klinik G. wäre die einzige Möglichkeit, die beruflichen und privaten Schwierigkeiten in den Griff zu bekommen. Er werde bei diesem Begehren von der behandelnden Ärztin Sp. unterstützt. Nachdem er jedes Vertrauen in Berater und Behandler verloren habe, komme etwa auch die A.-S.-KIinik in K. in Betracht (vgl. im Einzelnen handschriftliche Darlegungen vom August 2006).

Die Beklagte trat der Klage unter erneutem Hinweis auf das Gutachten des MDK vom 12. Juni 2006 entgegen. Im Übrigen habe der Kläger keine Einsicht in das für ihn notwendige Behandlungsschema. Es bestehe offenbar ein gesteigertes Rechtfertigungsinteresse in der Gestalt, dass eine Maßnahme in der Klinik G. beweisen solle, dass dort zu Unrecht Neuroleptika verabreicht worden seien. Allein letzteres sei freilich der einzige Weg zum Erfolg.

Das SG hörte die Ärztin Sp. schriftlich als sachverständige Zeugin. Diese legte unter dem 20. Juli 2006 dar, der Kläger befinde sich seit April 2006 (wieder) bei ihr in Behandlung. Es bestehe eine jahrelange wahnhafte Entwicklung, die sich auf Arbeitsplatz, Familie, Ärzte und Krankenhäuser, soziale Institutionen, Arbeitsamt sowie die Gesellschaft allgemein beziehe. Es bestehe kein bizarrer Wahn, jedoch seien vorhanden formale Denkstörungen, Gedankendrängen, Vorbeireden, Sprunghaftigkeit und unlogische Verknüpfungen. Diese Wahninhalte seien nicht korrigierbar. Typischerweise sei das größte Problem die mangelnde Krankheitseinsicht. Behandlungsversuche mit Neuroleptika seien indiziert, jedoch nicht zwingend. Sie habe dem Kläger in den letzten Monaten klar gemacht, dass die Erkrankung mit Medikamenten und am besten in einer psychiatrischen Abteilung zu behandeln wäre. Eine Rehabilitationsmaßnahme ambulanter Art würde voraussetzen, dass der Patient die Diagnose einer Psychose akzeptiere. Dies sei hier bisher nicht der Fall. Die bestmögliche Therapie läge in einer Tagesklinik mit psychiatrischer Behandlung, die vom Kläger nach einem ersten Kontakt jedoch verweigert werde.

Durch Urteil vom 24. Januar 2007 - im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung - wies das SG die Klage ab. Zur Begründung legte es dar, derzeit könne weder eine Rehabilitationsfähigkeit noch eine positive Rehabilitationsprognose gesehen werden. Sowohl die Ärzte im Kreiskrankenhaus Plochingen als auch Ärztin Sp. hätten die Notwendigkeit gesehen, eine medikamentöse Behandlung durchzuführen. Eine solche lehne der Kläger aber gerade ab. Wenn es dem Kläger vorrangig darum gehe, zu belegen, dass die Verabreichung eines Neuroleptikums zu Unrecht erfolgt sei, widerspreche dies gerade dem von den Ärzten als notwendig angesehenen Behandlungsweg. Auch die behandelnde Ärztin vermöge kein konkretes Ziel zu benennen, das mit einer Maßnahme erreicht werden könne. Auch bei einer Tagesklinik handele es sich um akute Krankheitsbehandlung. Letztlich sei auch mangels Krankheitseinsicht nicht ersichtlich, wie eine auf Rehabilitation angelegte Maßnahme den Gesundheitszustand verbessern könne.

Gegen das am 08. Februar 2007 zugestellte Urteil hat der Kläger am 19. Februar 2007 beim Landessozialgericht Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt er vor, die behandelnde Ärztin Sp. habe anlässlich eines Telefongesprächs mit der Beklagten (vom 01. Juni 2006) durchaus die Auffassung vertreten, eine stationäre Kur sei die einzige Möglichkeit zu helfen. Die bisherige Behandlung sei nach "Schema F" vorgenommen worden. Schließlich sei er keinesfalls auf eine Behandlung in der Klinik G. fixiert.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 24. Januar 2007 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 27. März 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. Juni 2006 zu verurteilen, ihm stationäre Leistungen zur medizinischen Rehabilitation zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie entgegnet, indiziert seien lediglich ambulante Maßnahmen am Wohnort. Diese würden vom Kläger wegen fehlender Krankheitseinsicht abgelehnt. Das Ziel des Klägers, die gestellte Diagnose zu revidieren, begründe nicht die Notwendigkeit einer stationären Maßnahme.

Zur weiteren Darstellung wird auf den Inhalt der Berufungsakten, der Klageakten und der von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

II.

Der Senat hat über die Berufung des Klägers gemäß § 153 Abs. 4 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) durch Beschluss entschieden, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten hat. Die Beteiligten sind hierzu durch gerichtliches Schreiben vom 17. März 2008 gehört worden. Der Einwand des Klägers (Schriftsatz vom 17. April 2008), nachdem das Vordergericht ohne mündliche Verhandlung entschieden habe, müsse er sich in einer solchen äußern dürfen, erfordert nicht die Durchführung einer mündlichen Verhandlung, weil das Urteil des SG vom 24. Januar 2007 im freien Einverständnis des Klägers ohne mündliche Verhandlung ergangen ist. Im Berufungsverfahren sind keine neuen Gesichtspunkte von den Beteiligten zu ihren jeweiligen Standpunkten geltend gemacht und es ist insbesondere keine weiteren Beweiserhebung durchgeführt worden. Bei diesem Ablauf - anders als bei erstinstanzlicher Entscheidung durch Gerichtsbescheid (vgl. § 153 Abs. 4 Satz 1 in Verbindung mit § 105 Abs. 2 Satz 1 SGG) - besteht kein Anspruch, im Berufungsverfahren wiederum eine mündliche Verhandlung zu erzwingen.

Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 27. März 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. Juni 2006 ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Bewilligung stationärer Leistungen zur medizinischen Rehabilitation.

§ 40 Abs. 1 Satz 1 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB V) - in der hier anzuwendenden Fassung des Art. 1 Nr. 26 des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-WSG) vom 26. März 2007 (BGBl I, S. 378) - lautet: Reicht bei Versicherten eine ambulante Krankenbehandlung nicht aus, um die in § 11 Abs. 2 (SGB V) beschriebenen Ziele zu erreichen, erbringt die Krankenkasse aus medizinischen Gründen erforderliche ambulante Rehabilitationsleistungen in Rehabilitationseinrichtungen, für die ein Versorgungsvertrag nach § 111 (SGB V) besteht oder, soweit dies für eine bedarfsgerechte, leistungsfähige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten mit medizinischen Leistungen ambulanter Rehabilitation erforderlich ist, durch wohnortnahe Einrichtungen. Gemäß Abs. 2 Satz 1 der Vorschrift erbringt die Krankenkasse stationäre Rehabilitation mit Unterkunft und Verpflegung in einer nach § 20 Abs. 2a des Neunten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB IX) zertifizierten Rehabilitationseinrichtung, mit der ein Vertrag nach § 111 (SGB V) besteht, wenn die Leistung nach Abs. 1 (des § 40 SGB V) nicht ausreicht. Die Leistungen zur Rehabilitation (jetzt Teilhabe) im Sinne von § 4 Abs. 1 SGB IX umfassen die notwendigen Sozialleistungen, um unabhängig von der Ursache der Behinderung (u.a.) 1. die Behinderung abzuwenden, zu beseitigen, zu lindern, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern, 2. Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit oder Pflegebedürftigkeit zu vermeiden, zu überwinden, zu mindern oder eine Verschlimmerung zu verhüten, sowie den vorzeitigen Bezug anderer Sozialleistungen zu vermeiden oder laufende Sozialleistungen zu mindern.

Es liegen bereits die Voraussetzungen des § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB V nicht vor, weil der Kläger die Möglichkeiten der ambulanten Behandlung nicht wahrnimmt. Der Kläger leidet unter einer jahrelangen wahnhaften Entwicklung, die sich auf Arbeitsplatzkollegen, Familie, behandelnde Ärzte, Krankenhäuser, soziale Dienste, Arbeitsverwaltung und die Gesellschaft allgemein bezieht. Dies ergibt sich aus der Zeugenaussage der Ärztin für Psychiatrie Sp. vom 20. Juli 2006. Die Erkrankung kann hiernach mit Medikamenten oder noch besser - bei Prüfung einer entsprechenden Auswahl - in einer psychiatrischen Abteilung erfolgen. Als bestmögliche Therapie hat die Ärztin eine tagesklinisch/psychiatrische Behandlung bezeichnet, in welcher auch Medikamente eingesetzt werden könnten. Für solche - zumindest ansatzweise - erfolgversprechenden Behandlungen ist aber der Aufenthalt in einer Rehabilitationsklinik nicht erforderlich. Die erforderliche ambulante Behandlung ist auch nur ansatzweise nicht durchgeführt, wie sich aus der Zeugenaussage der Ärztin Sp. vom 20. Juli 2006 ergibt. Demgemäß besteht kein Anspruch auf eine Behandlung in der früher belegten Klinik G., ebenso wenig aber in der vom Kläger ebenfalls genannten L.-klinik oder der A.-S.-Klinik. Ein weitergehender Erfolg als bei ambulanter oder tagesklinischer Betreuung kann dort nicht erwartet werden.

Soweit es dem Kläger weiterhin darum geht, die "Rehabilitation" im sozialen Sinne gegenüber einer abwertenden und ihm unverständlichen Diagnose zu erreichen und auch zu beweisen, ihm seien früher zu Unrecht Neuroleptika verabreicht worden, ist dies kein von der Beklagten zu verfolgendes Behandlungsziel. Im Übrigen sind die behandelnden Fachärzte durchaus der übereinstimmenden Meinung, dass die Gabe von Neuroleptika gerade der geeignete Weg zum Erfolg wäre. Noch weitergehende Ziele im Sinne einer erfolgreichen Eingliederung in Arbeit, Beruf und Gesellschaft können in der hier begehrten Maßnahme erst recht nicht angegangen werden.

Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 SGG.

Zur Zulassung der Revision besteht kein Anlass.
Rechtskraft
Aus
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