L 6 VG 4975/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 6 VG 2041/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 VG 4975/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 28. August 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte dem Kläger Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG), insbesondere zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Zahnersatz zu gewähren hat.

Der 1958 geborene Kläger war bis März 1997 niedergelassener HNO-Arzt in N ... Als Folge der vorzeitigen Kündigung eines Investitionskredits musste er seinen Angaben zufolge am 10. März 1997 seine Praxis schließen. Deshalb kam es in der Folgezeit zu rechtlichen Auseinandersetzungen, wobei der Kläger u.a. auch Strafanzeige gegen den Vorstand der B. Bank wegen des Vorwurfs der Untreue und des Betrugs bei der Staatsanwaltschaft S. erstattete.

Mit Schreiben vom 01. September 2005 wandte sich der Kläger an das frühere Versorgungsamt Stuttgart (VA) und machte geltend, nach Straftaten im Zusammenhang mit der rechtswidrig erzwungenen Schließung seiner ärztlichen Praxis und rechtlichen Auseinandersetzungen in den vergangenen sieben Jahren, bedingt durch multiple Stressoren, beide Prämolaren und alle Molaren im linken Unterkiefer sowie vorzeitig eine Brücke im linken Oberkiefer mit den sie tragenden Zähnen, mit Ausnahme des Weisheitszahnes, verloren zu haben. Die fehlenden Zähne sollten durch enossale Implantate ersetzt werden, wobei die Behandlung zahnärztlich bereits vorbereitet sei. Da seine Krankenkasse, die B., bei der er seit dem Ausscheiden aus der privaten Krankenversicherung versichert sei, die Übernahme der Kosten abgelehnt habe, die implantologischen Maßnahmen jedoch nicht unbegrenzt verschoben werden könnten, weil der Unterkiefer bei fehlender Kaubelastung atrophiere, beantrage er die Übernahme der Kosten auf der Grundlage des OEG. In dem unter dem 10. September 2005 ausgefüllten Formularantrag des VA gab der Kläger als Gesundheitsstörung, deretwegen er Antrag auf Versorgung stelle, Verlust von Zähnen im linken Ober- und Unterkiefer, als deren Ursache strafbare Handlungen gemäß §§ 263, 266 des Strafgesetzbuchs (StGB) und als Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses den 10. März 1997 an. Dieses Ereignis beschrieb er mit "Kündigung von Investitionskrediten zur Unzeit". Als schädigende Personen führte er den Vorstand der B. Bank sowie die Namen zweier dort tätiger Sachbearbeiter auf.

Zur Aufklärung des Sachverhalts wandte sich das VA an die die H. Krankenversicherungs AG, die frühere private Krankenversicherung des Klägers, und an die B., denen jedoch jeweils keine Erkenntnisse über eine im Jahr 1997 erlittene Gewalttat vorlagen. Nachdem auch der Versuch gescheitert war, bei der Staatsanwaltschaft S. bzw. der Polizeistation N. Ermittlungs- bzw. Strafakten bezüglich eines Körperverletzungsdelikts am 10. März 1997 beizuziehen, verwies der Kläger das VA an die Generalstaatsanwaltschaft S., bei der mehrere ihn betreffende Rechtssachen bearbeitet würden. Diese gab gegenüber dem VA an, lediglich in diversen Fällen Einstellungsbeschwerden des Klägers beschieden zu haben. Die zugrunde liegenden Ermittlungsverfahren bzw. Anzeigevorgänge seien bei der Staatsanwaltschaft S. registriert. Von dortiger Seite wurde das VA dann dahingehend unterrichtet, dass der Kläger zwar in zahlreichen Verfahren als Anzeigeerstatter aufgetreten sei, Anhaltspunkte für Straftaten, die Ansprüche nach dem OEG nach sich ziehen könnten, jedoch nicht vorhanden seien. Gegenstand der Akten seien im Wesentlichen Auseinandersetzungen mit der B. Bank im Zusammenhang mit der Kündigung von Krediten. Mit Bescheid vom 12. Januar 2006 lehnte das VA den Antrag auf Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem OEG mit der Begründung ab, die entsprechende Anspruchsvoraussetzung, wonach der Kläger Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden sein müsse, sei nicht erfüllt; derartige Angriffshandlungen seien nicht erwiesen. Nach Auskunft der Staatsanwaltschaft S. ergäben die dort vorhandenen Unterlagen keinen Anhalt für eine Gewalttat am 10. März 1997, die zum Verlust von Zähnen geführt habe.

Im Widerspruchsverfahren machte der Kläger geltend, die Verletzung der Treuepflicht bei der Kündigung von Kreditverträgen erfüllte den Straftatbestand der Untreue gemäß § 266 StGB. Es sei davon auszugehen, dass die Täter auch seinen sozialen Niedergang billigend in Kauf genommen und geduldet hätten, weshalb bedingter Vorsatz vorliege. Die Angaben der Staatsanwaltschaft S. schlössen das Vorliegen einer Straftat, zu deren Erfüllung es eines tätlichen Angriffs bedürfe, nicht aus. Die bei ihm eingetretenen Schäden aufgrund hoher psychischer Belastungen über einen langen Zeitraum hinweg durch Straftaten der öffentlichen Gewalt, Zwangsräumung zweier Wohnungen und jahrelange gerichtliche Auseinandersetzungen hätten die Schäden an seinem Kauapparat herbeigeführt. Das schädigende Ereignis zeitlich auf den 10. März 1997 zu fixieren, zeige mangelndes Verständnis für die grundsätzlichen Zusammenhänge. Mit Widerspruchsbescheid vom 02. März 2006 wurde der Widerspruch mit der weiteren Begründung zurückgewiesen, die geschilderten Ereignisse, wie Kündigung von Kreditverträgen durch die Bank, Zwangsräumung zweier Wohnungen, gerichtliche Auseinandersetzungen und erzwungene Praxisschließung, könnten zwar menschlich belastend sein, erfüllten jedoch nicht die Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 1 OEG. Es liege nämlich kein vorsätzlicher rechtswidriger tätlicher Angriff vor.

Dagegen wandte sich der Kläger mit seiner am 15. März 2006 beim Sozialgericht Stuttgart (SG) erhobenen Klage, mit der er im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen wiederholte und vertiefte. Psychische Stressoren nach Straftaten Dritter hätten bei ihm das Auftreten von Parafunktionen der Kiefer begünstigt und das Auftreten von Krankheiten des Zahnbettes, z.B. Parodontose, gefördert. Abweichend von der Auffassung des VA seien als tätlicher Angriff auch rechtswidrige Eingriffe der öffentlichen Gewalt, nämlich die Zwangsräumung zweier Wohnungen, anzusehen, wobei auch Straftatbestände gemäß §§ 344, 345 StGB erfüllt seien. Zum Verlust von Teilen des Kauapparates unter dem Einfluss multipler langjähriger massiver psychischer Stressoren bedürfe es keines direkten körperlichen Angriffs. Der Beklagte trat der Klage unter Vorlage seiner Verwaltungsakten und unter Aufrechterhaltung seines bisherigen Standpunktes entgegen. Mit Gerichtsbescheid vom 28. August 2006 wies das SG die Klage unter Hinweis auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid zurück.

Dagegen legte der Kläger am 07. September 2006 beim SG Berufung ein und verwies auf den seines Erachtens ebenfalls erfüllten Straftatbestand des § 229 StGB. Er beantragte die Einholung eines Sachverständigengutachtens und machte geltend, zur Manifestation physischer Schäden, auch solcher am Kauapparat, bedürfe es nicht notwendigerweise eines tätlichen Angriffs; auch kontinuierlich einwirkende psychische Traumen zeigten identische Folgen.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 28. August 2006 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 12. Januar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02. März 2006 zu verurteilen, ihm Versorgung nach dem OEG, insbesondere zahnärztliche Behandlung zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für richtig.

Die Berichterstatterin des Senats hat die Rechtssache mit den Beteiligten am 23. Oktober 2007 erörtert.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Abs. 1 und 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist statthaft und zulässig; sie ist jedoch nicht begründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid des Beklagten vom 12. Januar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02. März 2006 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Versorgung nach dem OEG, somit insbesondere auch keinen Anspruch auf Gewährung zahnärztlicher Leistungen durch das Beklagte Land.

Gemäß § 1 Abs. 1 OEG hat derjenige, der infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung Anspruch auf Versorgung in entsprechender Anwendung der Regelungen des Bundesversorgungsgesetzes (BVG).

Im Sinne dieser Regelung ist der Kläger nicht Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden. Hiervon ist das SG ebenso wie das VA in den angefochtenen Bescheiden zutreffend ausgegangen. Unter einem tätlichen Angriff ist ein gewaltsames Vorgehen gegen eine Person in feindseliger Absicht zu verstehen. Gefordert wird dabei eine unmittelbar auf den Körper bzw. die körperliche Integrität eines anderen abzielende feindliche Aktion.

Einem solchen Angriff in Form eines aktiven, unmittelbar gegen seinen Körper gerichteten Handeln war der Kläger durch keine der von ihm als schädigende Handlungen bezeichneten Verhaltensweisen anderer Personen ausgesetzt. Weder liegt in der Kündigung eines Investitionskredits, selbst wenn diese zur Unzeit erfolgen sollte, ein unmittelbarer Angriff auf die körperliche Integrität des Kreditnehmers, noch ist die tätliche Vorgehensweise bei den weiteren vom Kläger angeschuldigten Ereignissen (Zwangsräumung von Wohnungen, gerichtliche Auseinandersetzungen, erzwungene Praxisschließung) zu bejahen. Soweit der Kläger meint, es lägen strafbare Handlungen gemäß §§ 263, 266 StGB vor, ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei den insoweit bezeichneten Straftaten des Betrugs und der Untreue um Vermögensdelikte handelt, die nicht als Tätlichkeit begangen werden können. Entsprechendes gilt auch für die vom Kläger im Klageverfahren bezeichneten Delikte des § 344 StGB (Verfolgung Unschuldiger) und des § 345 StGB (Vollstreckung gegen Unschuldige), weshalb auch offen bleiben kann, inwieweit durch das vom Kläger angeschuldigte Vorgehen der insoweit handelnden Personen die entsprechenden Straftatbestände tatsächlich verwirklicht worden sind.

Soweit der Kläger als verwirklichten Straftatbestand die Vorschrift des § 229 StGB (fahrlässige Körperverletzung) herangezogen hat, ist darauf hinzuweisen, dass ein derartiger Verstoß gegen die Rechtsordnung einen Anspruch nach dem OEG schon deshalb nicht auslösen kann, weil § 1 Abs. 1 OEG gerade eine vorsätzliche Tat verlangt und fahrlässige Begehungsweisen damit gerade nicht erfasst werden.

Nach alledem können die vom Kläger angeschuldigten Handlungen, selbst wenn sie psychische Stresssituationen bei ihm ausgelöst haben, in deren Folge es zu Zahnverlusten gekommen ist, keinen Anspruch nach dem OEG begründen. Denn zur Erfüllung der Tatbestandvoraussetzungen des § 1 Abs. 1 OEG ist das Vorliegen eines tätlichen Angriffs erforderlich, während nicht ausreichend ist, dass irgendwie geartete Einwirkungen in ähnlicher Weise wie tätliche Angriffe zu gesundheitlichen Schädigungen geführt haben. Daher mag zwar zutreffend sein, dass es für die Manifestation von Schäden am Kauapparat keines tätlichen Angriffs bedarf, jedoch führt eine am Kauapparat aufgetretene Gesundheitsstörung nur dann zu einem Anspruch auf Versorgung nach dem OEG, wenn diese Schädigung gerade auf einen tätlichen Angriff zurückzuführen ist. Da dieser Angriff zudem vorsätzlich erfolgt und rechtswidrig sein muss, die vom Kläger angeschuldigten Handlungen diese Anforderungen jedoch nicht erfüllen, konnte der Kläger auch mit seiner Berufung keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Für eine Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung.
Rechtskraft
Aus
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