L 2 U 16/00

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 69 U 573/99
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 2 U 16/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 10. Januar 2000 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Anerkennung einer Wirbelsäulenerkrankung als Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2108 Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO) und die Gewährung einer Verletztenrente.

Der 1949 geborene Kläger arbeitete nach abgeschlossener Lehre bis zum Mai 1975 als Chemielaborant. Anschließend machte er sich als Florist selbständig. Ab 1985 machten sich nach seinen Angaben regelmäßig wiederkehrende Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule u.a auch beim Tragen und Heben von Lasten wie schweren Kisten und Vasen bemerkbar. Im März 1985 wurde der Kläger wegen eines Bandscheibenprolapses (Höhe L 4/L 5) operiert. Auch in der Folgezeit, in der er seiner Tätigkeit als selbständiger Blumenhändler weiter nachging, litt der Kläger an Wirbelsäulenbeschwerden, die die Internistin Dr. L -M in einem Attest vom 12. März 1998 als mediale Bandscheibenprotrusion L 5/S 1 und ausgeprägte Spondylarthrose und Osteochondrose L 4/S 1 beschrieb.

Mit diesem Attest machte der Kläger am 1. April 1998 eine berufsbedingte Wirbelsäulenerkrankung geltend, deren Anerkennung er beantragte. Im Erhebungsbogen für die Ermittlung der Wirbelsäulenbelastung durch Hebe- und Tragevorgänge erläuterte er die belastenden Tätigkeiten wie folgt:
Heben von Pflanzenkisten bis ca. 30 kg,
Einzelpflanzen bis 30 kg, Kartons bis ca. 50, 60 kg tragen und heben. Tragen und Heben von Vasen vom Binde-Arbeitsraum in den Verkaufsraum. Umsortieren von Pflanzenkisten auf und von Containern beim Einkauf in Holland und im Geschäft, teils mehrmals täglich. Tragen dieser Kisten und heben in Verkaufsregale, entladen vom Lkw.“

Bei der Eingruppierung der Gewichtsklassen in kg beschrieb der Kläger diverse Hebe- und Tragevorgänge mit Gewichten bis 9 kg und von 10 bis 14 kg. Hinsichtlich schwererer Gewichtsklassen gab er an, er habe einmal pro Tag an drei bis fünf Tagen je Woche Blumenkartons im Gewicht von 36 bis 50 kg jeweils 10 m weit tragen müssen.

Der unter Hinweis auf die Angaben des Klägers von der Beklagten zur Ermittlung der Tagesbelastungsdosis ersuchte Technische Aufsichtsdienst -TAD- lehnte eine Anerkennung der arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Entstehung einer BK-Nr. 2108 ab. Der Dosisrichtwert nach dem von Hartung und Dupuis entwickelten Verfahren für Männer von 1700 Nh (12,5 x 106 Nh) sei vom Kläger mit einer Tagesbelastungsdosis von 25 Nh nicht erreicht worden.

Dr. F vom Landesamt für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und technische Sicherheit B empfahl daraufhin in ihrer gewerbeärztlichen Stellungnahme vom 5. Juni 1998, eine BK nach Nr. 2108 abzulehnen. Die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Verursachung der Berufskrankheit seien nicht gegeben. Dieser Empfehlung folgte die Beklagte in dem Bescheid vom 26. Juni 1998.

Im Widerspruchsverfahren machte der Kläger geltend, bei ihm sei von einer durchschnittlichen Arbeitszeit von 14 bis 16 Stunden an sechs Tagen pro Woche auszugehen. Außerdem korrigierte er mit neuen Erhebungsbögen seine früheren Angaben u.a. dahingehend, dass das Tragen von Blumenkartons im Gewicht von 36 bis 50 kg 6 bis 12 Stunden angedauert habe. Außerdem habe er auch Pflanzen und gefüllte Vasen im Gewicht von 20 bis 24 kg mehrfach am Tage, an sieben Tagen in der Woche, 3 bis 6 bzw. 3 bis 8 m weit tragen müssen. Das Entladen von Lkws, das - nach Warentransporten von Holland - zwei- bis viermal im Monat erfolgt sei, sei gleichfalls mit schweren (im Einzelnen näher beschriebenen) Tragevorgängen verbunden gewesen. Für belastend halte er auch das Ausputzen und Pflegen von Pflanzen, das in gebückter Körperhaltung erfolgt sei und 4 bis 6 Stunden täglich, drei- bis viermal die Woche, in Anspruch genommen habe sowie - ebenfalls in gebückter Körperhaltung - das Einstellen von Blumen aus Kartons in Eimer, das ca. 2 bis 4 Stunden täglich, drei- bis viermal pro Woche, erfolgt sei.

Der um Auswertung der korrigierten Angaben ersuchte Dr. B vom TAD der Beklagten erklärte im Schreiben vom 16. September 1998, seine Berechnung ergebe jetzt eine Tagesbelastungsdosis von 487 Nh, die noch sehr deutlich unter dem Richtwert liege. Zugrunde legte er hierbei folgende Hebe- und Tragevorgänge:
Pflanzen und Vasen, gefüllt (23 kg)
13 Hebevorgänge
13 Tragevorgänge
(maximal 8 m)
Blumenkartons (45 kg)
12 Hebvorgänge
12 Tragevorgänge
(10 m)

Hierbei wurden jeweils die höchsten Angaben des Klägers und nicht die Mittelwerte verwendet. Die bei dem Be- und Entladen von Lkws angefallenen Hebe- und Tragevorgänge ließ der TAD unberücksichtigt, weil sie nur jeweils an zwei bis vier Tagen im Monat erforderlich gewesen seien und damit nicht den Vorgaben des Gesetzgebers („in der überwiegenden Zahl der Arbeitsschichten“) genügten.

Im Widerspruchsbescheid vom 4. Januar 1999 hielt die Beklagte an ihrer Auffassung fest, die arbeitstechnischen Voraussetzungen der streitigen BK seien nicht erfüllt. Im Übrigen sei nicht erkennbar, dass der Kläger wegen der Wirbelsäulenbeschwerden den Beruf eines Floristen aufgegeben habe.

Im anschließenden Klageverfahren trug der seit dem 1. Dezember 1998 nach L P/G C verzogene Kläger vor, er habe sein Gewerbe mit Ende des Jahres 1998 in Deutschland abgemeldet. Die von seinen Angaben ausgehende Berechnung sei unrichtig erfolgt, weil nicht alle körperlich belastenden Tätigkeiten in die Berechnung eingeflossen seien. Es sei z.B. nicht beachtet worden, dass er Pflanzen und gefüllte Vasen täglich durchschnittlich viermal habe heben und tragen müssen. Außerdem sei das Entladen der Lkws einmal je Woche nicht berücksichtigt worden.

Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 10. Januar 2000 abgewiesen. Ein Nachweis des Vorliegens der Tatbestandsmerkmale der schädigenden beruflichen Exposition im Sinne der haftungsbegründenden Kausalität sei unter den derzeit bestehenden Voraussetzungen bezüglich der hier relevanten Berufskrankheit nicht zu führen, weil die Tatbestandsvoraussetzungen selbst nicht bestimmbar seien. Es heißt in dem Urteil, es sei mangels hinreichend gesicherter fachwissenschaftlicher Erkenntnisse derzeit nicht bestimmbar, unter welchen inhaltlichen und vor allem zeitlichen Voraussetzungen die zu der Berufskrankheit Nr. 2108 angegebenen Belastungsmerkmale als wesentliche Ursachen im Sinne einer gegenüber der Allgemeinheit erhöhten Gefährdung die Voraussetzungen der haftungsbegründenden Kausalität erfüllten. Das Gericht sehe sich außer Stande, insoweit eine „Auslegung“ vorzunehmen.

Gegen das am 27. Januar 2000 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung des Klägers vom 9. Februar 2000. Er trägt erneut vor, er habe an fünf Tagen in der Woche täglich 14 Stunden gearbeitet, Samstags 10 Stunden und Sonntags 6 Stunden. Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 86 Stunden habe auch eine überdurchschnittliche körperliche Belastung mit sich gebracht. Wenn schon die bei ihm beschäftigten Angestellten aus seiner Sicht zumindest in einem Drittel ihrer täglichen Arbeitszeit Lasten von 20 bis 25 kg hätten bewegen müssen, so sei bei ihm der Umfang der belastenden Arbeit doppelt hoch einzuschätzen. Im Einzelnen führt er aus, abgesehen davon, dass Blumen- und Pflanzenkübel angeliefert und getragen sowie untergestellt und ansprechend hätten dekoriert werden müssen, seien diese Tätigkeiten auch während der eigentlichen Ladenöffnungszeiten immer wieder auszuüben gewesen. Das Sortiment habe umgestellt bzw. umdekoriert werden müssen, je nach dem was verkauft worden sei. Er habe schwere Topf- bzw. Kübelpflanzen aus seinem Sortiment herausholen müssen, damit die Kunden sie besser hätten in Augenschein nehmen können. Bei großen Kübelpflanzen, die auf dem Boden gestanden hätten, wären diese Arbeitsvorgänge stets mit extremer Rumpfbeugehaltung verbunden gewesen. Hinzugekommen sei das Gießen und vor allem das Tauchen der Pflanzen, kleinere Pflanzen hätten sich in sogenannten Containern (Metall-regalen) befunden, d.h. mehrere Containerlagen hätten in diesen Regalen übereinandergestanden. Beim Gießen oder Tauchen der Pflanzen hätten diese Containerlagen vom Regal heruntergenommen und auf den Boden gestellt werden müssen, um anschließend wieder zurückgestellt zu werden. Der Kläger nimmt insoweit Bezug auf ein seinen Tagesablauf schilderndes Fax vom 24. Oktober 2000, auf diverse zur Illustration des damaligen Sortiments und seines Umfangs zur Gerichtsakte eingereichte Farbfotos seines früheren Ladengeschäfts und ein weiteres Schreiben vom 22. April 2001.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 10. Januar 2000 und den Bescheid vom 26. Juni 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Januar 1999 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm unter Anerkennung einer beruflich verursachten bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule als Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKVO Verletztenteilrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von wenigstens 20 v.H. ab dem 1. Dezember 1998 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat weitere Stellungnahmen ihres TAD vom 1. Februar 2001 und vom 22. Mai 2001 eingeholt, deren Inhalt den Beteiligten bekannt ist. Dieser geht hiernach weiterhin davon aus, dass auch die neuen Angaben des Klägers zum Belastungsumfang nicht ausreichen, die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die BK-Nr. 2108 wahrscheinlich zu machen.

Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf ihre Schriftsätze Bezug genommen. Verwiesen wird außerdem auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig, sie verletzten den Kläger nicht in seinen Rechten.

Berufskrankheiten sind gemäß § 9 Sozialgesetzbuch, Siebtes Buch - SGB VII - Krankheiten, die in der BKVO als solche bezeichnet sind und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz begründenden Tätigkeit erleiden. Zu den sogenannten Listenkrankheiten der BKVO gehört die in Nr. 2108 bezeichnete Gesundheitsstörung. Sie erfasst bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können. Die Feststellung der vorgenannten Berufskrankheit setzt voraus, dass zum einen die arbeitstechnischen (haftungsbegründenden) Voraussetzungen in der Person des Versicherten gegeben sind und daß zum anderen bei ihm das typische Krankheitsbild dieser Krankheit vorliegt und dieses im Sinne der unfallrechtlichen Kausalitätslehre wesentlich ursächlich auf die berufliche Tätigkeit zurückzuführen ist (haftungsausfüllende Kausalität).

Der Kläger leidet nach den im Berufungsverfahren zur Gerichtsakte gelangten medizinischen Unterlagen an rezidivierenden Lumboischialgien bei Zustand nach Nukleotomie 1985, an einer ausgeprägten Spondylarthrose und massiven Osteochondrose bei L4/L5/S1. Der Senat hält es nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit für nachgewiesen, dass dieses Erkrankungsbild, das seit 1985 bekannt ist und den Kläger bis 1998 nicht daran gehindert hat, seiner Tätigkeit in dem - von ihm behaupteten - Umfang von 86 Wochenstunden nachzugehen, durch langjähriges Heben und Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung verursacht worden ist. Art und Ausmaß der schädigenden Einwirkungen müssen im Sinne des „Vollbeweises“ als mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden (vgl. u.a. Urteil des Bundessozialgerichts -BSG- vom 27. Juni 2000 - B 2 U 29/99 R - HVBG-Info 2000/2811 m.w.N.). Diese Beweisanforderungen hält der Senat nach Auswertung der aktenkundigen Erkenntnisse, insbesondere der mehrfach korrigierten Angaben des Klägers zu Art und Ausmaß der körperlichen Belastungen als Florist, den aus den Berufsinformationen der Bundesanstalt für Arbeit zum Berufbild Florist/Floristin ersichtlichen Angaben zu den generellen Tätigkeitsmerkmalen und den vom TAD der Beklagten mehrfach neu angestellten Berechnungen und individuell auf den Kläger bezogenen Arbeitsplatzanalysen, nicht für erfüllt.

Der Senat hat bei den seiner Entscheidung zugrundegelegten Überlegungen berücksichtigt, dass der Verordnungsgeber mit den in der Nr. 2108 verwendeten Be- griffen „langjähriges Heben und Tragen schwerer Lasten“ und „langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung“ gezielt auslegungsbedürftige unbestimmte Rechtsbegriffe gewählt hat, um die schädigende Exposition zu bezeichnen. Er hat - nach Auffassung des BSG (u.a. in BSG SozR 3-5680 Art. 2 Nr. 1) - bewusst keine konkreten Belastungsarten mit genau festgelegten Grenzwerten angegeben, um dadurch u.a. die Berücksichtigung neuerer - im wesentlichen medizinischer - nach Erlass der Verordnung gewonnener bzw. bekannt gewordener Erkenntnisse zu ermöglichen. Um bei den nach den Erfahrungen des Senats in der Praxis ohnehin beträchtlichen Beweis- und Ermittlungsschwierigkeiten eine Gleichstellung der Versicherten sicherzustellen, greift der Senat auf die Hinweise in den vom ärztlichen Sachverständigenbeirat - Sektion Berufskrankheiten - beim Bundesminister für Arbeit erarbeiteten Merkblätter für die ärztliche Untersuchung zurück.

Nach den dort vorgegebenen allgemeinen Kriterien kann eine von den beiden für die Verursachung einer Bandscheibenerkrankung in Betracht kommenden Alternativen, das Arbeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, bei dem Kläger ausgeschlossen werden. Nach dem „Merkblatt für die ärztliche Untersuchung zu Nr. 2108“ (Bundes-arbeitsblatt 3-1993, S. 50 ff, 52 - im folgenden: Merkblatt -) sind unter Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung Arbeiten in Arbeitsräumen zu verstehen, die niedriger als 100 cm sind und damit eine ständig gebeugte Körperhaltung erzwingen. Weiterhin sind solche Arbeiten gemeint, bei denen der Oberkörper aus der aufrechten Haltung um mehr als 90° gebeugt wird. Dass von dem Kläger Arbeiten in einer solchen Körperhaltung langjährig und ständig verrichtet wurden, entspricht weder dem allgemeinen Berufsbild eines Floristen (vgl. Berufsinformationskarte BO 053, sowie Aufgaben- und Tätigkeitsbeschreibungen in Blätter zur Berufskunde 1-III E 601 zum Floristen/Floristin), noch den eigenen Angaben des Klägers in diesem Verfahren. Aufgrund des allgemeinen, gleichermaßen für Männer wie für Frauen zutreffenden, Berufsbildes umfasst der Beruf neben dem Einkauf und der sachgerechten Bearbeitung und Lagerung der Pflanzen und Blumen das Anfertigen von floristischen Werkstücken und die fachkundige Beratung des Kunden im Verkaufsraum. Es handelt sich um leichte, gelegentlich mittelschwere Arbeit überwiegend im Stehen und Gehen und ganz sicher nicht überwiegend in extremer Rumpfbeugehaltung, erzwungen durch entsprechend niedrige Arbeitsräume oder - wie z.B. bei einem Fliesenleger - in ständiger Beugehaltung.

Auch die andere Alternative zur Bejahung der arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung der streitigen Berufskrankheit, langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten, kann nicht als gegeben angesehen werden. Nach den Vorstellungen des Verordnungsgebers, wie sie das Merkblatt nach der Auffassung des Senats in einer allgemein gültigen Weise konkretisiert, betragen Lastgewichte, deren regelmäßiges Heben und Tragen mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung bandscheibenbedingter Erkrankungen verbunden sind, bei Männern im Alter von 18 bis 39 Jahren 25 kg und ab 40 Jahren 20 kg.

Langjährig bedeutet, dass nach den vorgenannten Kriterien 10 Berufsjahre als die untere Grenze der Dauer der belastenden Tätigkeit zu fordern sind. Die genannten Lastgewichte müssen mit einer gewissen Regelmäßigkeit und Häufigkeit in der überwiegenden Zahl der Arbeitsschichten gehoben oder getragen worden sein, um als Ursache von bandscheibenbedingten Erkrankungen der Lendenwirbelsäule in Frage kommen zu können. Das Merkblatt enthält zwar keine konkrete Bestimmung über die arbeitstäglich bzw. pro Arbeitsschicht zu fordernde Zeitdauer bzw. den Zeitanteil der Hebe- und Tragevorgänge. Der Wortlaut der Nr. 2108 sowie die in dem Merkblatt hierzu enthaltene Formulierung, dass Lastgewichte „mit einer gewissen Regelmäßigkeit und Häufigkeit in der überwiegenden Zahl der Arbeitsschichten gehoben oder getragen worden sein“ müssen, schließt aber die Berücksichtigung von Beschäftigungszeiten aus, in denen der Versicherte nicht einer erheblichen Belastung der Wirbelsäule durch Heben oder Tragen ausgesetzt war, die zugleich zu einer signifikant höheren Beschwerde- oder Krankheitshäufigkeit im Bereich der Lendenwirbelsäule geführt hat. Als typisch wirbelsäulenbelastende Berufe gelten aufgrund umfangreicher epidemiologischer Studien aus dem In- und Ausland z.B. Transportarbeiter, Bauarbeiter, Bergleute, Landwirte, Fischer, Waldarbeiter, Metallarbeiter und Pflegeberufe. Der Florist gehört nicht zu diesen Berufsbildern, die im Merkblatt beispielhaft benannt werden, weil dieser Beruf nach den arbeitsmedizinischen Erfahrungen und in der Fachliteratur nicht als vergleichbar wirbelsäulenbelastend angesehen wird. Die Annahme eines geringeren Erkrankungsrisikos der Wirbelsäule beruht auf den Erfahrungen, dass die Krankheiten, die sich ein Versicherter zuzieht, auf einer Vielzahl von Faktoren beruhen können, die nicht allein dem Versichertenbereich entstammen, sondern ihre Ursachen (auch) in der Person des Versicherten oder in den allgemeinen Lebensverhältnissen haben. Die Frage, ob eine Krankheit die Voraussetzungen für das Vorliegen einer BK erfüllt, kann daher nur anhand statistisch relevanter Zahlen für eine Vielzahl von typischen Geschehensabläufen festgestellt werden. Nur durch eine Fülle gleichgelagerter Gesundheitsbeeinträchtigungen und eine langfristige zeitliche Überwachung derartiger Krankheitsbilder kann mit der notwendigen Sicherheit darauf geschlossen werden, dass die Ursache für die Krankheit in einem schädigenden Arbeitsleben liegt (Bundesverfassungsgericht -BVerfG- SozR 2200 § 551 Nr. 11, BSGE 59 S. 295, 298 m.w.N.). Für die Annahme einer generellen Geeignetheit bestimmter Einwirkungen (hier: langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder langjährige Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung) muss für die Verursachung einer bestimmten Erkrankung (hier: bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule) grundsätzlich eine Gruppentypik bestehen (BSGE 52, S. 272, 275 = SozR 2200 § 551 Nr. 20), eine Erkrankung also in einer bestimmten Personengruppe im Rahmen der versicherten Tätigkeit häufiger auftreten als bei der übrigen Bevölkerung (BSGE 59 S. 295, 298 = SozR a.a.O.). Ob eine bestimmte berufliche Exposition generell geeignet ist, bestimmte Erkrankungen zu verursachen, muss nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts in der medizinischen Wissenschaft allgemein anerkannt, d.h. durch die herrschende Auffassung der Fachwissenschaftler hinreichend gefestigt sein. Neben statistisch-epidemiologischen Studien können auch andere Erkenntnisquellen, wie Einzelfallstudien, Erkenntnisse und Anerkennungen in der ehemaligen DDR sowie nach § 551 Abs. 2 RVO in der Bundesrepublik Deutschland ausgesprochene Anerkennungen, also allgemeine Erkenntnisse durch Forschung und praktische Erfahrung eine Rolle spielen (vgl. u.a. BSGE 79 S. 250, 252 = SozR 3-2200 § 551 Nr. 9).

Das Fehlen derartiger Studien über den Beruf des Floristen schließt jedoch eine Anwendung der BK-Nr. 2108 auf den Kläger dann nicht aus, wenn bei ihm eine relevante, den Vorgaben im Merkblatt zu dieser Berufskrankheit entsprechende berufliche Wirbelsäulenbelastung durch das langjährige Heben und Tragen schwerer Lasten vorgelegen hat.

Die auf der Grundlage der Angaben des Klägers vom TAD der Beklagten erstellte Analyse zeigt deutlich auf, dass sein Beruf als Florist körperlich schwere Arbeiten nicht ausschließt. Diese Erkenntnis beinhaltet aber nicht die Aussage, dass durch die Hebe- und Tragevorgänge sowohl hinsichtlich der Schwere der Lasten als auch hinsichtlich der zeitlichen Inanspruchnahme eine so erhebliche Belastung der Wirbelsäule erfolgt sein dürfte, dass sie die einzige Erklärung für seine Wirbelsäulenbeschwerden liefert. Der TAD der Beklagten hat sich bei seiner Analyse und der Berechnung des zeitlichen Umfangs der Hebe- und Tragetätigkeit des Klägers auf das von Hartung und Dupuis entwickelte Verfahren (sogenanntes Mainz-Dortmunder-Dosismodell) bezogen, dem Erfahrungssätze zugrundegelegt worden sind, die auf wissenschaftlicher Grundlage beruhen mögen. Das Verfahren wird nicht von allen Berufsgenossenschaften angewendet. Der Senat hält es - wie schon bisher - nicht für praktikabel und zudem auch für schwer verständlich. Er orientiert sich, nachdem das Bundessozialgericht seiner Auffassung, wirbelsäulenbelastende Tätigkeiten müssten im Durchschnitt wenigstens während eines Drittels der täglichen Arbeitszeit verrichtet worden sein, um (generell) ursächlich für eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule zu sein (Urteil vom 8. Februar 2000 zum Aktenzeichen L 2 U 95/89), nicht gefolgt ist (Urteil vom 2. Mai 2001 zum Aktenzeichen B 2 U 16/00 R), daran, ob die angeschuldigte Tätigkeit denjenigen Berufsbildern generell vergleichbar ist, für die die BK-Nr. 2108 vom Verordnungsgeber entwickelt worden ist, ob die Angaben des Versicherten zum Belastungsumfang realistisch sind und ob sie sich durch die Ermittlungen oder sonstigen Erkenntnisse des TAD bestätigen lassen.

Die generellen Hinweise in der Berufsinformationskarte BO 053 weisen aus, dass der Beruf des Floristen gleichermaßen für Frauen wie für Männer geeignet ist und im Wesentlichen leichte bis gelegentlich mittelschwere Arbeit mit sich bringt, die vorwiegend im Gehen und Stehen verrichtet wird. Der Beruf ist schon vom allgemeinen Tätigkeitsbild her den Berufsgruppen nicht vergleichbar, für die es epidemiologische Studien zu den körperlichen Auswirkungen belastungsintensiver Arbeiten gibt. Das Heben und Tragen von Lasten fällt bei der Tätigkeit des Floristen nicht besonders ins Gewicht, die Vorgaben im Merkblatt zur BK-Nr. 2108 zum Ausmaß der Lastgewichte werden nur selten erfüllt. Deutlich wird das hier aus den vom Kläger im Verwaltungsverfahren gemachten Angaben über das Gewicht der zu hebenden und zu tragenden Lasten, die Zahl der Hebe- und Tragevorgänge und die Länge der mit Lasten zurückzulegenden Wege. Abstellend auf die täglich anfallenden Belastungen hat der TAD des Beklagten hieraus folgende Hebe- und Tragevorgänge mit relevanten Gewichten im Sinne der Vorgaben im ärztlichen Merkblatt ermittelt:
Pflanzen und Vasen, gefüllt (23 kg)
13 Hebevorgänge
13 Tragevorgänge
(maximal 8 m)
Blumenkartons (45 kg)
12 Hebvorgänge
12 Tragevorgänge
(10 m)

Selbst wenn jedem dieser Vorgänge 1 Minute körperlicher Belastung zugeschrieben würde, könnte bei dann insgesamt 50 Minuten Tragezeit nicht von einer gewissen Regelmäßigkeit und Häufigkeit der Hebe- und Tragevorgänge ausgegangen werden. Diese Auffassung vertritt auch der TAD der Beklagten unter Zugrundelegung der nach dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell erstellten Arbeitsplatzanalyse. Zutreffend hat er bei der Berechnung die nach Angaben des Kläger zwei- bis viermal im Monat stattfindenden Fahrten mit dem Lkw nach Holland zum Einkauf von Blumen nicht zusätzlich in Anrechnung gebracht. Die hierbei anfallenden körperlichen Belastungen traten an die Stelle der Belastungen, die der Kläger hätte verrichten müssen, wenn er seiner üblichen Tätigkeit als Florist nachgegangen wäre. Es kam also nicht zu einer Doppelbelastung.

Der Senat zieht insbesondere nach den Angaben des Klägers im Berufungsverfahren nicht in Zweifel, dass neben den in die Auswertung der täglichen Belastungsdosis gelangten Hebe- und Tragevorgänge schwererer Lasten weitere Lasten bewältigt werden mussten, die nicht das geforderte Lastgewicht von bis zu 25 kg hatten und dass der Kläger u.a. wegen des Gießens, Aussortierens und Ausputzens der Pflanzen und wegen weiterer Bewegungsabläufe körperlich stark in Anspruch genommen wurde. Er schließt auch nicht aus, dass der schon seit 1985 wirbelsäulengeschädigte Kläger unter diesen körperlichen Belastungen schwerer zu leiden hatte, als ein gesunder Florist. Selbst aufgrund der eigenen Angaben des Klägers hält der Senat es jedoch nicht für bewiesen, dass die mit der Tätigkeit des Klägers als Florist angefallenen Hebe- und Tragevorgänge so häufig, regelmäßig und schwer waren, wie sie für Be- und Entladearbeiter, für Arbeiter in der Land- und Fortwirtschaft oder Beschäftigte in Bauberufen berufstypisch sind. Die vom Kläger insoweit eingereichten Fotos mögen zwar die Vielfalt der von ihm angebotenen und verkauften Blumen und Pflanzen illustrieren. Die hierbei angefallenen Hebe- und Tragevorgänge verdeutlichen sie nach Auffassung des Senats nicht.

Dass der Kläger als Selbständiger eine längere Arbeitszeit hatte als andere Arbeitnehmer, führt nicht zwangsläufig zu einer proportionalen Erhöhung der täglichen Belastungsdosis. Er hat nicht hinreichend dargetan und belegt, dass sich allein durch den überdurchschnittlichen zeitlichen Arbeitsaufwand auch das Ausmaß körperlicher Belastungen im Sinne der Anforderungen der BK-Nr. 2108 erhöht hat. Wenn schon nach den Berechnungen des TAD der Beklagten die vom Kläger substanziiert dargelegten belastenden Tätigkeiten nicht einmal ausreichten, den Anforderungen an die erforderliche Belastungsdosis eines in Normalschicht Arbeitenden zu genügen, so würden diese erst recht nicht dadurch erreicht, dass sie sich auf eine längere Arbeitszeit verteilten.

Nach der Würdigung der gesamten Umstände kann die Erkrankung des Klägers an der Lendenwirbelsäule schon deshalb nicht anerkannt und entschädigt werden, weil nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen ist, dass Art und Ausmaß seiner Tätigkeit als Florist geeignet waren, diese Erkrankung oder spätere Verschlimmerungen hervorzurufen. Da sich der Kläger auf das Vorliegen schädigender Einwirkungen durch seine Tätigkeit als Florist beruft, muss er entsprechend dem Grundsatz der objektiven Beweislast die Folgen der Beweislosigkeit tragen.

Die Berufung war mit der Kostenfolge aus § 193 Sozialgerichtsgesetz -SGG- zurückzuweisen.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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