L 12 AS 5863/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 7 AS 2992/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 5863/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Bei verfassungskonformer Auslegung der Regelung über den Kinderfreibetrag in § 12 Abs. 2 Nr. 1a SGB II ist davon auszugehen, dass dieser Freibetrag mangels Vermögensgegenständen des Kindes auf Vermögensgegenstände der Eltern übertragbar ist.
2. Die Revision wurde zugelassen.
1. Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 30.11.2007 wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat auch die außergerichtlichen Kosten der Kläger im Berufungsverfahren zu erstatten.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom 06.12.2006 bis zum 04.01.2007 im Streit.

Die beiden miteinander verheirateten Kläger zu Ziff. 1 (geboren 1961) und zu Ziff. 2 (geboren 1966) sind erwerbsfähig und leben mit ihrem im Jahr 2000 geborenen Sohn in einer 80 qm großen Mietwohnung. Am 06.12.2006 beantragten sie bei der Beklagten die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II. Als einziges Einkommen gaben sie das Kindergeld in Höhe von 154,00 EUR monatlich an. Der Kläger zu Ziff. 1 leidet an einem Diabetes mellitus, für den ein Mehrbedarf für kostenaufwendige Ernährung geltend gemacht wurde. An Mietkosten fielen ein monatlicher Mietzins von 374,00 EUR, eine Betriebskostenvorauszahlung von 85,00 EUR, eine Heizkostenvorauszahlung von 37,00 EUR und eine Kabelgebühr von 4,60 EUR monatlich an. Die Bedarfsgemeinschaft besaß ein Girokonto auf den Namen des Klägers zu Ziff. 1 (2.807,00 EUR), Bargeld (66,40 EUR), ein Sparbuch (6.855,00 EUR) sowie einen Aktienfond (5.106,00 EUR), wobei alle Konten auf den Namen des Klägers zu Ziff. 1 eingetragen sind. Außerdem gaben die Kläger einen Pkw der Marke Kia mit einem Wert von ca. 1.000,00 EUR an.

Der Kläger belegte die Höhe seiner Konten zum Zeitpunkt der Antragstellung wie folgt: Am 16.11.2006 befanden sich auf dem Sparbuch 8.261,12 EUR, was sich am 04.01.2007 durch Abhebung von 2.000,00 EUR – bei gleichzeitiger Gutschrift von Zinsen – auf einen Betrag von 6.855,31 EUR reduzierte. Der Wert des Sparbuchs wurde dann am selben Tag auf das Girokonto einer Postbank eingezahlt, welches zuvor am 04.12.2006 ein Guthaben von 1.971,83 EUR aufwies. Am 03.01.2007 war insoweit nur noch ein Betrag von 1.528,20 EUR und nach Abzug der Miete ein Betrag von 992,60 EUR vorhanden. Der Fond bei der U. I. Bank enthielt 5.106,00 EUR.

Die Beklagte lehnte die Bewilligung von Leistungen mit Bescheid vom 16.01.2007 ab, weil die Kläger aufgrund ihres Vermögens nicht hilfebedürftig seien. Eine Berechnung enthält dieser Bescheid nicht.

Der Kläger trug mit seinem Widerspruch vor, dass die Berechnung der Beklagten nicht nachvollziehbar sei. Er verlange einen begründeten und nachvollziehbaren Bescheid.

Mit Bescheid vom 01.03.2007 bewilligte die Beklagte nach einer Berechnung des Leistungsanspruchs dann Leistungen vom 04.01.2007 bis 31.01.2007 in Höhe von 1117,77 EUR, für Februar 2007 in Höhe von 1282,60 EUR, für März 2007 in Höhe von 1276,60 EUR und für die Monate April bis Juni 2007 in Höhe von monatlich 1240,60 EUR. Erst ab dem 04.01.2007 sei aufgrund von Abbuchungen der Vermögensfreibetrag unterschritten worden. Der Freibetrag belaufe sich auf 15.000 EUR für die Bedarfsgemeinschaft insgesamt und ergebe sich aus einem Freibetrag für den Kläger zu Ziff. 1 in Höhe von 6.750,00 EUR, für die Klägerin zu Ziff. 2 in Höhe von 6.000,00 EUR und einem Freibetrag für notwendige Anschaffungen in Höhe von 750,00 EUR pro Person.

Der Kläger wandte sich gegen diese Art der Berechnung und machte geltend, dass sein Sohn, der Kläger zu Ziff. 3 ebenfalls bei den Freibeträgen zu berücksichtigen sei. Die Familie wirtschafte "aus einem Topf", ohne dass das Vermögen einer bestimmten Person zugeordnet sei. Zur Vermeidung einer nach Art. 6 GG unzulässigen Benachteiligung von Familien sei daher für seinen Sohn ein Freibetrag zu berücksichtigen (unter Hinweis auf BSG vom 09.12.2004 - B 7 AL 44/04 R - und vom 14.09.2005 - B 11/11a AL 71/04 R - sowie SG Aurich vom 15.02.2006 - S 15 AS 107/05). Die entgegenstehende Verwaltungsvorschrift der Beklagten Nr. 12.10 Abs. 2 zu § 12 SGB II sei verfassungswidrig. Außerdem seien die anerkannten Unterkunftskosten zu niedrig.

Mit Änderungsbescheid vom 16.05.2007 erhöhte die Beklagte die Leistungen aufgrund der Berücksichtigung höherer Heiz- und Nebenkosten. Vom 04.01.2007 bis 31.01.2007 wurden 1144,95 EUR, für Februar 2007 1311,73 EUR, für März 2007 1305,73 EUR und für die Monate April bis Juni 2007 monatlich 1269,73 EUR bewilligt. Die Kosten der Unterkunft wurden damit im vollen von den Klägern begehrten Umfang übernommen. Leistungen für die Zeit vor dem 04.01.2007 wurden weiterhin nicht gewährt, weil die Beklagte an ihrer Auffassung festhielt, dass für den Kläger zu Ziff. 3 mangels eigenen Vermögens kein Freibetrag einzuräumen sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 21.05.2007 wies die Beklagte den Widerspruch im Übrigen zurück. Ein Freibetrag für den Kläger zu Ziff. 3 könne nicht anerkannt werden, weil ein solcher nur als Freibetrag auf eigenes Vermögen des Klägers zu Ziff. 3 in Betracht komme (unter Bezugnahme auf SG Düsseldorf vom 24.11.2006 - S 23 AS 104/06 - und SG Reutlingen vom 19.02.2007 - S 2 AS 565/07 ER -).

Die Kläger haben am 15.06.2007 beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) Klage erhoben. Auch nach dem Merkblatt der Beklagten zur Grundsicherung für Arbeitsuchende sei ein Freibetrag von 3.100,00 EUR zusätzlich zu den Freibeträgen für die erwerbsfähigen Hilfebedürftigen anzurechnen. Die Kläger zu Ziff. 1 und zu Ziff. 2 haben am 31.07.2007 gegenüber dem SG erklärt, dass die Klage im Namen aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft erhoben sei.

Das SG hat die Beklagte nach Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 30.11.2007 unter Abänderung des Bescheides vom 16.01.2007 in der Gestalt der Änderungsbescheide vom 01.03. und 16.05.2007 sowie des Widerspruchsbescheides vom 21.05.2007 verurteilt, den Klägern als Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs. 3 SGB II Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende bereits ab dem 06.12.2006 zu gewähren. Nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 SGB II seien vom Vermögen ein Grundfreibetrag in Höhe von 150,00 EUR je vollendetem Lebensjahr des volljährigen Hilfebedürftigen und seines Partners, mindestens jeweils 3.100,00 EUR, weiterhin ein Grundfreibetrag in Höhe von 3.100,00 EUR für jedes hilfebedürftige minderjährige Kind und ein Freibetrag für notwendige Anschaffungen in Höhe von 750,00 EUR für jeden in der Bedarfsgemeinschaft lebenden Hilfebedürftigen abzusetzen. Nach diesen Kriterien seien die Kläger bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung am 06.12.2006 hilfebedürftig gewesen, da sie zu diesem Zeitpunkt ein Vermögen von lediglich 15.738,95 EUR besessen hätten. Dem von der Beklagten für die Kläger zu Ziff. 1 und Ziff. 2 zutreffend festgesetzten Freibetrag von 15.000,00 EUR sei ein weiterer Grundfreibetrag in Höhe von 3.100,00 EUR für den Kläger zu Ziff. 3 hinzuzufügen (unter Hinweis auf SG Aurich, Urteil vom 15.02.2006 – S 15 AS 105/05 – sowie LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 01.08.2005 – L 7 AS 2875/05 ER-B –). Zwar liege vorliegend kein Vermögen des Klägers zu Ziff. 3 vor, weswegen auch die Auffassung der Beklagten in der Literatur vertreten werde, dass ein über das Vermögen des Kindes hinausgehender Freibetrag nicht bei den Eltern berücksichtigt werden könne. Nach Überzeugung des SG sei jedoch der Freibetrag nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 SGB II für jedes Kind zunächst für dessen eigenes Vermögen und ein überschießender Freibetrag dann bei dem mit dem Kind in Bedarfsgemeinschaft lebenden Eltern zu berücksichtigen. Dies folge daraus, dass § 12 Abs. 1 SGB II den Begriff des Vermögens nicht näher definiere und nach § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II für die Frage der Hilfebedürftigkeit eines Kindes auch das Vermögen des mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Elternteiles zu berücksichtigen sei. Daher sei es auch konsequent, dass in anderer Richtung von dem Vermögen eines Elternteils auch der Grundfreibetrag von 3.100,00 EUR für ein hilfebedürftiges Kind abgesetzt werde. Sofern Vermögen nur bei seinem Inhaber mit Freibeträgen belegt könne, werde dies im Gesetz außerdem auch ausdrücklich so geregelt, so etwa in § 12 Abs. 2 Nr. 2 SGB II für den Inhaber von Altersvorsorgevermögen. Demgegenüber sehe der Wortlaut des § 12 Abs. 2 Nr. 1a SGB II einen Grundfreibetrag für "jedes" hilfebedürftige minderjährige Kind vor, was dafür spreche, dass jedes hilfebedürftige minderjährige Kind beim Vermögen der gesamten Bedarfsgemeinschaft zu berücksichtigen sei. Es sei auch widersprüchlich, einerseits die Eltern bis zum vollendeten 25. Lebensjahr für ihre Kinder zu verpflichten, ihnen andererseits keinen Vermögensfreibetrag im Sinne des § 12 Abs. 2 Nr. 1a SGB II einzuräumen. Eine derartig enge Auslegung stoße auch im Hinblick auf Art. 6 GG auf verfassungsrechtliche Bedenken. Denn Familien mit Kindern hätten insofern einen erhöhten Bedarf an Schonvermögen zur Sicherung von Ausbildung und Beruf der zu betreuenden Kinder. Schließlich sei es auch entscheidendes Motiv für die Regelungen der Bedarfsgemeinschaft in § 7 SGB II gewesen, dass in dieser Art von Gemeinschaften regelmäßig "aus einem Topf gewirtschaftet" werde. Die Entscheidung des SG wurde der Beklagten am 06.12.2007 zugestellt.

Am 12.12.2007 hat die Beklagte beim Landessozialgericht Berufung eingelegt. Da der Kläger zu Ziff. 3 nicht über eigenes Vermögen verfüge, könne bei ihm kein Freibetrag angesetzt werden. Ein Übertragung des Freibetrages auf die Eltern sehe das SGB II nicht vor. Auch die Begründung des Gesetzesentwurfes erwähne ausdrücklich, dass der Freibetrag "allen hilfebedürftigen Kindern zur Verfügung stehe" und nicht, dass der Freibetrag für Kinder zu gewähren sei. Die Regelung des § 12 Abs. 2 Nr. 1a SGB II sei ferner im Zusammenhang mit § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II zu sehen. Dort sei ausdrücklich geregelt, dass bei der Berechnung des Bedarfs von minderjährigen Kindern, die Angehörige einer Bedarfsgemeinschaft seien, auch das Einkommen und Vermögen der Eltern zu berücksichtigen sei, nicht aber umgekehrt eine Unterstützung der Eltern durch ihre Kinder. Konsequenterweise könne den Eltern auch nicht ein Grundfreibetrag bezüglich des Vermögens ihrer Kinder zugute kommen (unter Hinweis auf Urteil SG Düsseldorf vom 24.11.2006 – S 23 AS 104/06 –; SG Reutlingen vom 19.02.2007 – S 2 AS 565/07 ER –). Die erste Fassung des SGB II habe den Vermögensfreibetrag nach § 12 Abs. 2 Nr. 1a SGB II für jedes hilfebedürftige minderjährige Kind noch nicht enthalten. Dies habe zur Folge gehabt, dass minderjährige Kinder bereits mit einem 750,00 EUR übersteigenden Vermögen nicht hilfebedürftig im Sinne des SGB II gewesen seien und für diese keine Leistungen hätten gewährt werden können. Um dies zu vermeiden, sei vom Gesetzgeber der Freibetrag nach der Nr. 1a aufgenommen worden, welcher deswegen allein dem Kind zuzuordnen sei.

Die Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 30.11.2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Kläger halten den angefochtenen Gerichtsbescheid für rechtmäßig.

Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten, die Akten des SG sowie die Akten des Landessozialgerichts Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143 f. und 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Der Senat hat vorliegend mit dem Einverständnis der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden.

Das SG hat die einschlägigen Rechtsgrundlagen zutreffend benannt und angewendet. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird nach § 153 Abs. 2 SGG auf die ausführlichen Entscheidungsgründe in dem angegriffenen Gerichtsbescheid des SG Bezug genommen, denen der Senat sich ausdrücklich anschließt.

Nach § 12 Abs. 1 SGB II in der vom 01.08.2006 bis zum 31.12.2007 geltenden Fassung sind als Vermögen alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen. Nach Abs. 2 der Vorschrift sind vom Vermögen abzusetzen 1. ein Grundfreibetrag in Höhe von 150 Euro je vollendetem Lebensjahr des volljährigen Hilfebedürftigen und seines Partners, mindestens aber jeweils 3.100 Euro; der Grundfreibetrag darf für den volljährigen Hilfebedürftigen und seinen Partner jeweils 9.750 Euro nicht übersteigen, 1a. ein Grundfreibetrag in Höhe von 3.100 Euro für jedes hilfebedürftige minderjährige Kind, 2. Altersvorsorge in Höhe des nach Bundesrecht ausdrücklich als Altersvorsorge geförderten Vermögens einschließlich seiner Erträge und der geförderten laufenden Altersvorsorgebeiträge, soweit der Inhaber das Altersvorsorgevermögen nicht vorzeitig verwendet, 3. geldwerte Ansprüche, die der Altersvorsorge dienen, soweit der Inhaber sie vor dem Eintritt in den Ruhestand auf Grund einer vertraglichen Vereinbarung nicht verwerten kann und der Wert der geldwerten Ansprüche 250 Euro je vollendetem Lebensjahr des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und seines Partners, höchstens jedoch jeweils 16.250 Euro nicht übersteigt, 4. ein Freibetrag für notwendige Anschaffungen in Höhe von 750 Euro für jeden in der Bedarfsgemeinschaft lebenden Hilfebedürftigen.

Es ist nicht ersichtlich und wird im Übrigen auch nicht geltend gemacht, dass die Bedarfsgemeinschaft bei der Antragstellung am 06.12.2006 einen höheren Betrag als das mitgeteilte Vermögen von 15.738,95 EUR besaß. Da insofern ein Freibetrag von weiteren 3.100 EUR zu dem von der Beklagten ansonsten zutreffend berechneten Freibetrag von 15.000 EUR hinzuzurechnen war, lag bereits am 06.12.2006 die Bedürftigkeit der Bedarfsgemeinschaft im Sinne des SGB II vor.

Es ist umstritten, wie die in § 12 Abs. 2 SGB II geregelte Freibetragsregelung bei aus Eltern und hilfebedürftigen Kindern bestehenden Bedarfsgemeinschaften anzuwenden ist. Teils wird die Ansicht vertreten, der Freibetrag aus § 12 Abs. 2 Nr. 1a SGB II könne nur auf Vermögen der Kinder angerechnet werden, weil es sich nicht um einen "Kinderfreibetrag" handele, der auch den Eltern zu Gute komme (SG Reutlingen, Beschluss vom 19.02.2007 - S 2 AS 565/07 ER -; SG Aachen, Urteil vom 07.11.2006 - S 11 AS 34/06 -; SG Berlin, Urteil vom 29.03.2006 - S 55 AS 7521/05 -). Hierbei wird aber auch bereits von Anhängern dieser Auslegung eingeräumt, dass nach dem Wortlaut der Vorschrift auch ein bei einem Erwachsenen der Bedarfsgemeinschaft zu berücksichtigender Freibetrag angenommen werden könnte (Mecke in Eicher in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 12 Rn. 42).

Diese Auffassung kann sich auf die Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 15/3674 S. 11: "Die Regelung stellt klar, dass allen hilfebedürftigen minderjährigen Kindern, die Anspruch auf Sozialgeld oder Arbeitslosengeld II haben, ab ihrer Geburt ein Grundfreibetrag von 4.100 Euro zur Verfügung steht. Dies bedeutet, dass jedwedes Vermögen – sei es aus Sparvermögen oder etwa Ausbildungsversicherungen – in dieser Höhe bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes II/Sozialgeldes für das Kind geschützt bleibt") stützen, wonach davon auszugehen ist, dass der Gesetzgeber Vermögen privilegieren wollte, von welchem das Kind nicht nur tatsächlich profitiert, sondern welches dem Kind auch tatsächlich formalrechtlich zugeordnet ist. Als weitere Fallgruppe können hier bedeutende Zuwendungen von Verwandten, etwa zur Kommunion oder Konfirmation, genannt werden, die nach der in der breiten Öffentlichkeit geführten Diskussion zu der Hartz IV-Gesetzgebung vor dem Zugriff der Sozialleistungsträger geschützt werden sollten.

Auf der anderen Seite wird die Ansicht vertreten, es liege ein für die gesamte Bedarfsgemeinschaft geltender Gesamtfreibetrag für Familien mit der Folge vor, dass Vermögensfreibeträge der Kinder auch auf Vermögen der Eltern angerechnet werden können (SG Aurich, Urteil vom 15.02.2006 - S 15 AS 107/05 -; ohne nähere Begründung im Ergebnis auch LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 01.08.2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B).

Das SG weist zutreffend darauf hin, dass § 12 Abs. 1 SGB II den Begriff des Vermögens nicht näher definiert und dass nach § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II für die Frage der Hilfebedürftigkeit eines Kindes auch das Vermögen des mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Elternteiles zu berücksichtigen sei. Daher ist es tatsächlich nur konsequent, wenn in anderer Richtung von dem Vermögen eines Elternteils auch der Grundfreibetrag von 3.100,00 EUR für ein hilfebedürftiges Kind abgesetzt wird. Auch das gesetzessystematische Argument des SG, dass an anderer Stelle im Gesetz außerdem auch eine ausdrückliche Regelung erfolge, sofern Vermögen nur bei seinem Inhaber mit Freibeträgen belegt könne (vgl. § 12 Abs. 2 Nr. 2 SGB II für den Inhaber von Altersvorsorgevermögen) stützt diese Auffassung. Demgegenüber sieht der Wortlaut des § 12 Abs. 2 Nr. 1a SGB II einen Grundfreibetrag für "jedes" hilfebedürftige minderjährige Kind vor, worin sich keinerlei Unterscheidung zwischen Kindern mit und Kindern ohne eigenes Vermögen erkennen lässt.

Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass minderjährige Kinder nach § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II überhaupt nur dann zur Bedarfsgemeinschaft gehören, wenn sie hilfebedürftig sind, also nicht aus eigenem Einkommen und Vermögen ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Es ist davon auszugehen, dass dem Gesetzgeber bei der Formulierung des § 12 Abs. 2 SGB II dieser Zusammenhang bekannt war. Die Regelung in Abs. 1a wäre jedoch bei der Lesart der Beklagten fragwürdig, weil sie nur die Kinder privilegieren könnte, die gar nicht mehr zu der Bedarfsgemeinschaft gehören; hier hätte der Gesetzgeber aber dann deutlicher herausstellen müssen, dass abweichend von der Grundkonstruktion der Bedarfsgemeinschaft eine isolierte Berücksichtigung des Kinderfreibetrages nur für den Fall erfolgen solle, dass insoweit Vermögen des Kindes vorhanden ist. Es erscheint mit der Argumentation des SG auch widersprüchlich, einerseits die Eltern bis zum vollendeten 25. Lebensjahr für ihre Kinder zu verpflichten, ihnen andererseits keinen Vermögensfreibetrag im Sinne des § 12 Abs. 2 Nr. 1a SGB II einzuräumen.

Dies spricht insgesamt bereits aus "einfachgesetzlichen" Erwägungen dafür, dass jedes hilfebedürftige minderjährige Kind mit einem eigenen Freibetrag beim Vermögen der gesamten Bedarfsgemeinschaft zu berücksichtigen ist.

Dieses Ergebnis wird auch durch verfassungsrechtliche Erwägungen gestützt. Der allgemeine Gleichheitssatz in Art. 3 Abs. 1 GG verbietet, wesentlich Gleiches ungleich, und gebietet, wesentlich Ungleiches entsprechend seiner Eigenart ungleich zu behandeln. Dabei liegt es grundsätzlich in der Zuständigkeit des Gesetzgebers, die Sachverhalte auszuwählen, an die er dieselbe Rechtsfolge knüpft, die er also im Rechtssinne als gleich ansehen will. Der Gesetzgeber muss allerdings seine Auswahl sachgerecht treffen. Was dabei in Anwendung des Gleichheitssatzes sachlich vertretbar oder sachfremd ist, lässt sich nicht abstrakt und allgemein feststellen, sondern stets nur in Bezug auf die Eigenart des konkreten Sachbereichs, der geregelt werden soll (vgl. BVerfGE 93, 319 (348 f.) m.w.N.). Art. 3 Abs. 1 GG ist danach verletzt, wenn die (un)gleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte mit Gesetzlichkeiten, die in der Natur der Sache selbst liegen, und mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise nicht mehr vereinbar ist, also bezogen auf den jeweils in Rede stehenden Sachbereich und seine Eigenart ein vernünftiger, einleuchtender Grund für die gesetzliche Regelung fehlt (vgl. BVerfGE 76, 256 (329)).

Sofern bei "vermögenden" Kindern einer Bedarfsgemeinschaft der Freibetrag des § 12 Abs. 2 Nr. 1a SGB II gewährt wird, wird ein Schonvermögen des Kindes anerkannt, welches dieses frei verwenden kann und über dessen Verwendung gegenüber der Sozialverwaltung keine weitere Rechtfertigung zu erfolgen hat. Andererseits wird in der Vergleichsgruppe der Kinder ohne Schonvermögen im Sinne dieser Vorschrift ein Betrag in gleicher Höhe gegenüber der Beklagten als rechenschaftspflichtig bezeichnet, ohne dass eine entsprechende Rücklage für die Erziehung und Ausbildung des Kindes anerkannt wird. Dies erscheint im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG deswegen als nicht hinnehmbar, weil die Eltern beider Kinder diesen gegenüber zum umfassenden Unterhalt verpflichtet sind und nicht erkennbar ist, weswegen die Bedarfsgemeinschaft ohne das Kind mit Schonvermögen insofern weniger bedürftig ist. Da es auch ein entscheidendes Motiv für die Regelungen der Bedarfsgemeinschaft in § 7 SGB II gewesen ist, dass in dieser Art von Gemeinschaften regelmäßig "aus einem Topf gewirtschaftet" wird, erscheint es fragwürdig, eine Abgrenzung von Vermögensbestandteilen von Kindern im Sinne von § 12 Abs. 2 Nr. 1a SGB II allein nach dem formalen Kriterium der Vermögensinhaberschaft vorzunehmen (vgl. BT-Drucks. 15/1516 S. 53: "Ist in einer Bedarfsgemeinschaft nicht der gesamte Bedarf aus eigenen Kräften und Mitteln gedeckt, ist jede Person der Bedarfsgemeinschaft im Verhältnis des eigenen Bedarfs zum Gesamtbedarf an der Hilfebedürftigkeit beteiligt").

Abgesehen davon, dass sich von der Vorschrift bei der engen Auslegung durch die Beklagte ein zufälliger Schutz für das Familienvermögen ergibt, könnte hierdurch auch Veranlassung gegeben werden, Vermögensgegenstände innerhalb der Familie so zu verschieben, dass die Freibeträge möglichst ausgeschöpft werden. Dies könnte letztlich auch zu Vermögensübertragungen von den Kindern auf die Eltern führen, wenn das Vermögen eines Kindes dessen Freibetrag übersteigt, was nicht Sinn und Zweck des § 12 Abs. 2 Nr. 1a SGB II sein dürfte (SG Aachen, Urteil vom 11.09.2007 - S 11 AS 124/07 -).

Das gilt auch für die Anwendung von Art. 6 Abs. 1 GG, wonach Ehe und Familie unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung stehen. Dadurch, dass nach § 12 Abs. 2 Nr. 1a SGB II Kinderfreibeträge nicht auf ihre Eltern übertragbar wären, nach Abs. 1 der Vorschrift aber ohne nähere Begründung für eine Differenzierung Partnerfreibeträge immer übertragen werden, erfolgt eine nicht gerechtfertigte Benachteiligung von Personen, die für Kindern verantwortlich sind, gegenüber Personen, die nur für ihren Lebenspartner verantwortlich sind (so auch SG Aurich a.a.O.; SG Aachen a.a.O.).

Im Ergebnis würde dies eine Benachteiligung von Familien darstellen, die dadurch noch weniger verständlich wird, dass die Kinder in diesem Fall anders als der Partner im Regelfall prinzipiell nicht in der Lage sind, selbst durch Erwerbsarbeit für ihren Lebensunterhalt aufzukommen. Familien mit Kindern haben zudem auch einen erhöhten tatsächlichen Bedarf an Schonvermögen zur Sicherung von Ausbildung und Beruf der Kinder.

Im anderen großen Umverteilungssystem neben dem Sozialrecht, dem Steuerrecht, werden Kinderfreibeträge grundsätzlich auch bei fehlendem Vermögen der Kinder bei den Eltern berücksichtigt, was direkt aus Art. 6 GG abgeleitet wird. So ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 99, 216; 99, 246; 99, 268; 99, 273) der Familienlastenausgleich grundlegend weiterentwickelt worden (vgl. BVerfGE 112, 164): Der Kinderfreibetrag ist für das sächliche Existenzminimum seit den Jahren 2000 bzw. 2002 um einen Freibetrag für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf ergänzt worden (vgl. § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG). Der Haushaltsfreibetrag (§ 32 Abs. 7 EStG) wurde aufgehoben und 2004 durch einen Entlastungsbetrag für Alleinerziehende (§ 24b EStG) ersetzt. Der Sonderbedarf für ein volljähriges Kind, das sich in der Berufsausbildung befindet und auswärtig untergebracht ist, wird darüber hinaus mit einem weiteren Freibetrag abgegolten (§ 33a Abs. 2 EStG).

Auch wenn insofern andere Maßstäbe gelten, weil das Existenzminimum im Falle des SGB II erst noch gewährt werden soll, erscheint es aus den oben dargelegten Gründen nicht veranlasst, insofern eine entgegengesetzte Betrachtungsweise zu praktizieren.

Die Rechtsauffassung der Beklagte ist auch nicht in sich schlüssig, weil die vorhanden Vermögenswerte vorliegend alleine dem Kläger zu Ziff. 1 gehören und dennoch jedenfalls für die Klägerin zu Ziff. 2 ein Freibetrag berücksichtigt wird. Aus der bloß formell getrennten Regelung in Abs. 1 und Abs. 1 Buchstabe a des § 12 SGB II lässt sich hierfür kein ausreichendes Argument ableiten, weil die nicht erwerbsfähigen hilfebedürftigen Kinder einer Bedarfsgemeinschaft von dem alleinigen Vermögensinhaber einer Bedarfsgemeinschaft sogar noch in höherem Maße wirtschaftlich abhängig sind als der erwerbsfähige Partner.

Im Übrigen sei darauf hingewiesen, dass die Rechtsauffassung des SG und der Kläger auch von einigen Trägern der Grundsicherung für Arbeitsuchende geteilt und praktiziert wird (vgl. etwa den der Entscheidung LSG Niedersachsen-Bremen vom 11.03.2008 - L 7 AS 143/07 - zugrunde liegenden Verwaltungsvorgang).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen.
Rechtskraft
Aus
Saved