L 2 U 143/01

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 22 U 356/01
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 2 U 143/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 28. September 2001 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Höhe der Verletztenrente des Klägers hinsichtlich des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) und des zu berücksichtigenden Jahresarbeitsverdienstes.

Der 1964 geborene Kläger war vom 15. Juli 1987 an als Beamter bei der Oberfinanzdirektion Berlin tätig. Dort schied er auf eigenen Antrag zum 31. Juli 1997 aus. Vom 1. April 1996 an war er nebenberuflich als Versicherungskaufmann selbständig tätig und stand vom 1. Juli bis zum 30. November 1996 bei der Firma ain einem Beschäftigungsverhältnis.

Seit dem 1. Juli 1992 war der Kläger als Fußball-Vertragsamateur beim SC Cmit einem monatlichen Arbeitsentgelt, das ab 1. Juli 1996 590 DM betrug, angestellt. Bei einem Punktspiel erlitt er am 13. April 1997 in N einen Arbeitsunfall, als er einen Schlag gegen das Schienbein erhielt und mit dem linken Unterschenkel umknickte. Dabei zog er sich eine Weber-C-Fraktur mit Luxation des Talus nach lateral, Syndesmosenriss und komplettem Riss des Deltabandes zu.

Nach einer Osteosynthese der Fibulafraktur mit Schraube am 14. April 1997, Entfernung der Stellschraube am 2. Juni 1997, Metallentfernung und Entfernung der Narbenverwachsungen am 21. Januar 1998 erfolgte eine erneute Exzision der Narben am 8. September 1998 wegen anhaltender Beschwerden im linken oberen Sprunggelenk.

Die Beklagte holte ein erstes Rentengutachten des Facharztes für Orthopädie, Sportmedizin und Chirotherapie Dr. D(vom 8. Februar 1999) ein und erkannte dem folgend mit Bescheid vom 8. März 2000 als Folgen des Arbeitsunfalles vom 13. April 1997 Bewegungseinschränkung im linken oberen Sprunggelenk, Schwellneigung und belastungsabhängige Beschwerden im Bereich des linken oberen Sprunggelenkes, Taubheitsgefühl am linken Unterschenkel bis zur 1. Zehe des linken Fußes durch vollständigen Ausfall des sensiblen Nervus peronaeus superficialis links nach operativ versorgter, knöchern fest verheilter Luxationsfraktur des linken oberen Sprunggelenkes vom Typ Weber C mit Syndesmosenverletzung und Zerreißung des Deltabandes an. Sie gewährte dem Kläger vom 11. Oktober 1998 an eine Rente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE von 20 v.H. Da die Ermittlungen zum Jahresarbeitsverdienst noch nicht abgeschlossen seien, werde der Mindest-Jahresarbeitsverdienst zugrunde gelegt.

Nachdem die Oberfinanzdirektion Berlin unter dem 7. April 2000 mitgeteilt hatte, die ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge würden auf der Grundlage eines Unfalls vom 13. April 1997 fiktiv monatlich 5.038,09 DM betragen, der Jahresbetrag von 60.457,08 DM sei um eine Sonderzuwendung in Höhe von 4724,72 DM zu erhöhen, hob die Beklagte durch Bescheid vom 13. Oktober 2000 den Bescheid vom 8. März 2000 hinsichtlich des Jahresarbeitsverdienstes auf und berechnete die Rente des Klägers auf der Grundlage eines solchen von 65.181,80 DM, dynamisiert zum 1. Juli eines jeden Jahres, neu.

Dieser Betrag entspreche den ruhegehaltsfähigen Dienstbezügen, die der Dienstherr für den Zeitpunkt des Versicherungsfalls mitgeteilt habe. Da der Kläger am 13. April 1997 noch aktiver Finanzbeamter gewesen sei, könnten Nebenverdienste bei der Feststellung des JAV nicht berücksichtigt werden (§ 82 Abs.4 Sozialgesetzbuch -SGB- VII).

Mit seinen Widersprüchen gegen beide Bescheide wandte der Kläger ein, die Gesamt-MdE betrage wenigstens 25 v.H., da die von Dr. Ddokumentierten chirurgischen Unfallfolgen schon eine MdE von 20 v.H. bedingen würden, der Ausfall des Nervus peronaeus superficialis für sich allein mit einer MdE von 15 v.H. bewertet werde. Der Jahresarbeitsverdienst dürfe nicht auf der Grundlage des § 82 Abs.4 SGB VII begrenzt werden, weil er zum Zeitpunkt des Rentenbeginns schon lange Zeit aus dem Beamtenverhältnis ausgeschieden sei. Da der Grundgedanke des § 82 Abs.4 SGB VII, der Beamte sei wegen fortlaufender unbeschränkter Bezüge nicht schutzbedürftig, auf ihn nicht anzuwenden sei, sei der Jahresarbeitsverdienst mit Berücksichtigung aller Nebeneinkünfte zu berechnen.

In einem von der Beklagten eingeholten zweiten Rentengutachten kam die Ärztin für Chirurgie und Unfallchirurgie Dr. ZA am 22. Januar 2001 zu dem Ergebnis, es bestünden eine beginnende posttraumatische Arthrose, Bewegungseinschränkung des linken oberen Sprunggelenkes um insgesamt 30 Grad, leichte Einschränkung der Beweglichkeit des unteren Sprunggelenkes, Kapselverdickung des linken oberen Sprunggelenkes und belastungsabhängige Beschwerden. Die Erwerbsfähigkeit werde durch die Unfallfolgen um 20 v.H. gemindert. Ein neurologisches Zusatzgutachten sei erforderlich, anschließend sei die Gesamt-MdE einzuschätzen.

Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. H verwies in seinem Gutachten vom 19. Februar 2001 darauf, dass bei einem EMG im Februar 1998 die motorische Nervenleitgeschwindigkeit normal gewesen sei und ein kompletter sensibler Ausfall des Nervus peronaeus superficialis links und eine Teilschädigung im motorischen Bereich bestanden habe. Motorisch deutliche Ausfälle bestünden nicht mehr. Der Ausfall des sensiblen Nervus peronaeus superficialis sei in Bezug auf die MdE nicht sehr relevant und in der vorliegenden Konstellation mit 5 bis 10% zu veranschlagen. Daraufhin teilte Dr. Z-A mit, da sie die Sensibilitätsstörung bereits mit berücksichtigt habe, verbleibe es bei einer Gesamt-MdE von 20 v.H.

Durch Widerspruchsbescheid vom 11. Mai 2001 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Bewertung der MdE mit 20 v.H. sei zutreffend, da es nicht zu einer motorischen Schädigung des Nervus peronaeus superficialis gekommen sei. Der Jahresarbeitsverdienst sei zutreffend ermittelt worden, da der Zeitpunkt des Versicherungsfalls maßgeblich sei.

Mit der dagegen vor dem Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, der von Dr. H beschriebene Totalausfall des Nervus peronaeus superficialis sei nach der einschlägigen Literatur für sich mit einer MdE von 15 v.H. zu bewerten, so dass sich in Verbindung mit der Beeinträchtigung auf chirurgisch-orthopädischem Gebiet eine Gesamt-MdE von 30 v.H. ergebe. Hinsichtlich der Berechnung des Jahresarbeitsverdienstes werde auf das Vorbringen im Widerspruchsverfahren verwiesen.

Das Sozialgericht hat die Klage durch Gerichtsbescheid vom 28. September 2001 abgewiesen.

Der Jahresarbeitsverdienst sei grundsätzlich nach § 82 Abs.1 SGB VII der Gesamtbetrag der Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen des Versicherten in den zwölf Kalendermonaten vor dem Monat, in dem der Versicherungsfall eingetreten sei. Zum Zeitpunkt des Arbeitsunfalls sei der Kläger aktiver Beamter gewesen. Da er den Unfall bei einer Nebentätigkeit erlitten habe, sei die Vorschrift des § 82 Abs.4 S. 1 SGB VII anzuwenden. Danach gelte bei jemandem, dem sonst Unfallfürsorge nach beamtenrechtlichen Vorschriften zu gewähren wäre und dem für einen Versicherungsfall keine Unfallfürsorge zustehe, als Jahresarbeitsverdienst der Jahresbetrag der ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge, die der Berechnung eines Unfallruhegehaltes zugrunde zu legen wären. Sinn und Zweck sei es, dass ein bei einer außerdienstlichen Tätigkeit zu Schaden gekommener Beamter nicht besser gestellt werden solle als ein einen Dienstunfall erleidender Beamter. Irrelevant sei, dass der Kläger bei Beginn der Verletztenrente nicht mehr Beamter gewesen sei, da nach dem Wortlaut eindeutig auf den Zeitpunkt des Versicherungsfalles abzustellen sei.

Auch die Festsetzung der MdE sei nicht zu beanstanden, weil sich der Wert einer MdE von 15 v.H. auf den vollständigen Ausfall des betroffenen Nervs beziehe, nach dem Gutachten von Dr. H aber keine motorischen Ausfälle des Nervus peronaeus bestünden.

Gegen den ihm am 18. Oktober 2001 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die Berufung des Klägers vom 31. Oktober 2001. Er macht geltend, § 82 Abs. 4 SGB VII könne nur auf aktive Beamten Anwendung finden, da diese nicht schutzbedürftig seien. Deshalb seien neben den erzielten Nebenverdiensten auch die tatsächlichen Dienstbezüge bei der Ermittlung des Jahresarbeitsverdienstes zu berücksichtigen. Hinsichtlich der Bewertung der Gesamt-MdE sei es nicht zulässig, aus den unabhängig voneinander bestehenden Beschwerden eine Gesamt-MdE von 20 v.H. zu bilden, sondern eine solche von 25 bis 30 v.H ...

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 28. September 2001 aufzuheben, die Bescheide vom 8. März 2000 und 13. Oktober 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Mai 2001 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm Verletztenteilrente nach einer MdE von mehr als 20 v.H. zu gewähren und als Jahresarbeitsverdienst die tatsächlichen Einkünfte zu berücksichtigen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.

Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Verwiesen wird außerdem auf die Verwaltungsakten der Beklagten, die vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die frist- und formgemäß eingelegte Berufung des Kläger ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Er hat weder einen Anspruch auf Bewertung seiner Verletzungsfolgen mit einer höherer MdE, noch ist ein höherer Jahresarbeitsverdienst zu berücksichtigen.

Das Sozialgericht hat zutreffend ausgeführt, dass die MdE des Klägers 20 v.H. beträgt. Der Senat nimmt hierauf, um Wiederholungen zu vermeiden, Bezug ( § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz-SGG-).

Im Hinblick auf das Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren weist der Senat ergänzend darauf hin, dass die Gutachterin bei ihrer Gesamtbewertung darauf abgestellt hat, dass sie die sensiblen Ausfälle bei der vorläufigen Einschätzung der MdE bereits berücksichtigt habe. Dies ist auch nachvollziehbar, weil sie die diesbezüglichen Unfallfolgen schon im Gutachten mit „streifenförmig taubes Areal an der vorderen Schienbeinkante bis zum Fußrücken ziehend“ beschrieben hatte. Zur Beeinträchtigung durch die Lähmung des sensiblen Nervus peronaeus superficialis hat Dr. Hirschberg nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass diese Störung in Bezug auf die MdE nicht sehr relevant sei.

Abgesehen davon ist die wegen verschiedener Funktionsbeeinträchtigungen zu bildende Gesamt-MdE nicht durch eine Addition der einzelnen MdE-Werte, sondern durch eine Gesamtwürdigung der Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit unter Berücksichtigung des Zusammenwirkens der verschiedenen Funktionsstörungen vorzunehmen ( vgl. Burchardt in Brackmann, SGB VII, § 56 Rdnr. 91). Eine zusätzliche Funktionsstörung ist allein durch den Ausfall der Sensibilität im Bereich des Unterschenkels nicht erkennbar.

Die Bildung einer Gesamt-MdE von 20 v.H. wird von dem Senat vor dem Hintergrund als zutreffend erachtet, dass die Ärztin für Chirurgie und Unfallchirurgie Dr. ZA am 22. Januar 2001 das Gangbild des Klägers als unauffällig auch beim schnelleren Laufen beschrieben und ein Bewegungsdefizit im oberen Sprunggelenk von 30 Grad festgestellt hat.

Die von ihr angegebene MdE von 20 v.H. berücksichtigt im Übrigen die Empfehlungen der einschlägigen Fachliteratur, nach der eine MdE von 30 erst bei einer Verbreiterung der Knöchelgabel und sekundärer Arthrose mit erheblicher Funktionsbehinderung anzunehmen ist (vgl. Kranig in Hauck, Kommentar zum SGB VII, Anhang zu § 56 17.4. Fußgelenk). Eine derartige Funktionsbeeinträchtigung ist weder dem Gutachten zu entnehmen, noch wird sie vom Kläger vorgetragen.

Auch zur Höhe des Jahresarbeitsverdienstes sind die Ausführungen des Sozialgerichts zutreffend. Auf sie wird insoweit ebenfalls nach § 153 Abs.2 SGG Bezug genommen.

Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass für die Anwendung des § 82 Abs.4 SGB VII auch nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. zuletzt SozR 3-2200 § 576 RVO Nr. 1) allein maßgeblich ist, ob dem Betroffenen zum Zeitpunkt des Arbeitsunfalls Unfallfürsorge nach beamtenrechtlichen Grundsätzen gewährleistet war. Für eine einschränkende Anwendung der Regelung nur auf Beamte, die auch zum Zeitpunkt des Rentenbeginns noch aktive Beamte sind, ergibt sich keine Grundlage. Den Besonderheiten eines lediglich vorübergehenden beamtenähnlichen Status wird für Soldaten in § 82 Abs.2 S.2 SGB VII vielmehr durch eine Anknüpfung an eine frühere Tätigkeit Rechnung getragen. Mithin bleibt auch in diesem Fall der Zeitpunkt des Versicherungsfalls maßgeblich, nicht etwa eine spätere Gehaltsentwicklung.

Diese Regelung beruht im Übrigen auf dem Gedanken, dass der Zeitsoldat gegebenenfalls niedrigere Einkünfte zum Zeitpunkt des Versicherungsfalles aufgrund seines Einsatzes als Soldat hat, die ausgeglichen werden sollen (vgl. Ricke in Kasseler Kommentar, § 82 Rdnr. 11).

Eine Regelung, die an eine zukünftige Entwicklung anknüpft, wie dies der Fall sein müsste, wenn der Zeitpunkt des Rentenbeginns maßgeblich sein sollte, ist demgegenüber lediglich in § 90 SGB VII für Personen, die bereits vor oder während ihrer Ausbildung oder vor Vollendung des 30. Lebensjahres einen Unfall erlitten haben, getroffen worden. Auch insoweit ist jedoch der Zeitpunkt des Versicherungsfalls ausschlaggebend, und das fiktive Entgelt wird nicht etwa vom Zeitpunkt des Rentenbeginns aus berechnet, sondern es wird auf den Zeitpunkt des Abschlusses der Ausbildung abgestellt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Insbesondere ist eine grundsätzliche Bedeutung der Frage der Berücksichtigung des Jahresarbeitsverdienstes eines nach dem Unfall auf eigenen Wunsch aus dem Beamtenverhältnis Ausscheidenden nicht erkennbar, da es sich um einen Einzelfall handelt.
Rechtskraft
Aus
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