L 1 U 3345/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 5 U 2027/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 U 3345/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 09.05.2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob eine Erkrankung der Lendenwirbelsäule (LWS) der Klägerin als Berufskrankheit festzustellen ist.

Die 1947 geborene Klägerin war ab Juli 1963 bis Dezember 1968 bei unterschiedlichen Arbeitgebern als Näherin beschäftigt. Nach Unterbrechung der Berufstätigkeit wegen Kindererziehung arbeitete sie ab Mai 1976 bis einschließlich April 1989 im Mitgliedsbetrieb der Beklagten als Entgraterin und Maschinenbedienerin, danach im gleichen Betrieb als Sachbearbeiterin. Später war sie freigestellte Betriebsrätin dieses Betriebs.

Im Juni 2004 machte die Klägerin bei der S., einer Rechtsvorgängerin der Beklagten (im folgenden nur noch: Beklagte), wegen eines Wirbelsäulenschadens im Wirbelkörpersegment L 5/S 1 eine Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage der Berufskrankheitenverordnung (BKV) geltend (Schreiben des Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 21.06.2004).

Die Beklagte veranlasste die Angaben der Klägerin in dem unter dem 20.07.2004 ausgefüllten Vordruck zur Beschwerdeentwicklung und zum beruflichen Werdegang. Darin wurde die Tätigkeit als Entgraterin als wirbelsäulenbelastend und Beschwerden an allen Wirbelsäuleabschnitten angegeben. Die Beklagte holte vom Beschäftigungsbetrieb die Angaben vom 17.09.2004 zum Belastungsprofil dieser Tätigkeit sowie die Stellungnahme ihres Präventionsdienstes vom 19.11.2004, wonach eine signifikante Belastung durch Heben und Tragen einzelner Werkstücke nicht stattgefunden habe, ein. Mit Bescheid vom 22.12.2004 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 (bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS) und nach Nr. 2109 (bandscheibenbedingte Erkrankung der Halswirbelsäule -HWS-) ab, wie auch die Erkrankung der Brustwirbelsäule (BWS) nicht als Berufskrankheit anerkannt wurde. Für die Erkrankungen der LWS und HWS lägen bereits die arbeitstechnischen Voraussetzungen, nämlich das regelmäßige und häufige Heben und Tragen von Lasten oder extreme Rumpfbeugehaltungen nicht vor. Erkrankungen der BWS seien als Berufskrankheit nicht vorgesehen, entsprechende Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft lägen auch nicht vor.

Die Klägerin legte hiergegen Widerspruch ein, denn in der Berechnung des Präventionsdienstes der Beklagten seien die von 1976 bis 1983 gehobenen Metallroste mit einem Gewicht von 15 bis 20 Kilogramm nicht berücksichtigt worden. Mit Widerspruchsbescheid vom 22.06.2005 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Ein langjähriges Heben und Tragen i. S. der Berufskrankheit Nr. 2108 habe nicht vorgelegen, denn es werde eine mindestens zehnjährige Tätigkeit vorausgesetzt.

Die Klägerin hat hiergegen am 01.07.2005 vor dem Sozialgericht Heilbronn Klage erhoben mit dem Ziel, dass eine Berufskrankheit nach Nr. 2108 anerkannt und eine Verletztenrente gewährt werde.

Die Beklagte hat auf Anforderung des Gerichts die ergänzenden Stellungnahmen ihres Präventionsdienstes vom 29.10.2005 und 23.01.2006 vorgelegt. Darin ist unter Berücksichtigung des Vorbringens der Klägerin zuletzt die Gesamtbelastungsdosis der Wirbelsäulenbelastung der Klägerin während der Tätigkeit von 1976 bis 1989 mit 15,9 x 106 Nh gegenüber dem Richtwert für Frauen mit 17 x 106 Nh errechnet worden.

In dem von Amts wegen eingeholten Gutachten vom 21.08.2006 hat der Sachverständige Dr. L. eine Berufskrankheit nach Nr. 2108 verneint. Bei der Entstehung von bandscheibenbedingte Erkrankungen der LWS handele es sich um ein multifaktorielles Geschehen. Auch in der nicht exponierten Bevölkerung komme es zu belastungsunabhängigen Bandscheibenerkrankungen, insbesondere ab dem dritten bis vierten Lebensjahrzehnt, anlagebedingt in gleicher Form. Für einen Zusammenhang zwischen einer arbeitsbedingten Exposition und einem eingetretenen Bandscheibenschaden sei das belastungskonforme Schadensbild aus medizinischer Sicht zu klären. Hierzu gehörten der Zeitpunkt des Eintritts der Beschwerden und Art und Verteilung der Krankheitserscheinungen mit entsprechender Beschwerdesymptomatik im gesamten Achsenskelett. Seien ähnliche Krankheitserscheinungen in allen Wirbelsäulenabschnitten nachweisbar, spreche dies gegen ein belastungskonformes Krankheitsbild. Des weiteren seien eine Vielzahl konkurrierender Krankheitsursachen unabhängig von der körperlichen Belastung für die LWS zu berücksichtigen. Vorliegend habe die Klägerin eigenen Angaben entsprechend erstmals 1984, also im Alter von 37 Jahren, wegen Beschwerden in allen Wirbelsäuleabschnitten einen Arzt, Dr. D., aufgesucht. Ärztliche Unterlagen aus dieser Zeit lägen jedoch nicht vor. Die wirbelsäulenbelastende Tätigkeit sei mit 41 Jahren zum 30.04.1989 beendet worden. Eine Behandlungsbedürftigkeit wegen Beschwerden an der HWS sei für 1995 dokumentiert. Aus einer Computertomografie (CT) von 1997, somit acht Jahre nach Ende der wirbelsäulenbelastenden Exposition, seien geringe Bandscheibenprotrusionen bei den Wirbelkörpersegmenten L 3/4 und L 4/5 ohne nachweisbare Einengung der Neuroforamina ersichtlich. Erst 12 Jahren nach Aufgabe der angeschuldigten wirbelsäulenbelastende Tätigkeit im Mai 2001 seien erstmals neurologische Zeichen einer Bandscheibenerkrankung diagnostiziert worden, jedoch ohne motorische Defizite der unteren Extremitäten. Ein Bandscheibenvorfall der unteren LWS sei zweimal operiert worden. Es bestehe eine Hyperlordosierung der LWS, d. h. eine sechsgliedrige LWS, bei anlagebedingter lumbosakraler Übergangstörung. Der erste Sakralwirbel sei lumbalisiert mit Aufbrauchen des Zwischenwirbelraums des lumbalisierten Sakralwirbels und dem Kreuzbein. Dies entspreche nicht dem belastungskonformen Schadensbild einer Berufskrankheit nach Nr. 2108. Die degenerative Veränderung der Bandscheibe mit nachgewiesenem Bandscheibenvorfall bei L 5/6 beruhe auf der Übergangsstörung. Bis zum 50. Lebensjahrzehnt sei den bildgebenden diagnostischen Befunden kein über das altersentsprechende Maß hinausgehender wesentlicher Verschleiß, der einem belastungskonformen Schadensbild nach Nr. 2108 entspräche, zu entnehmen. Bei der Klägerin lägen gleich geartete, alle Wirbelsäulenabschnitte betreffende Veränderungen im vergleichbarem Ausmaß vor. Bis auf den Abschnitt der LWS mit der anlagebedingten Gefügestörung wiesen sämtliche Segmente von L 1 bis L 5 keine richtungsweisenden Bandscheibenzwischenraumverschmälerungen auf.

Mit Urteil vom 09.05.2007 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es sich hierbei auf das Gutachten von Dr. L. gestützt.

Gegen das der Klägerin mit Empfangsbekenntnis am 08.06.2007 zugestellte Urteil hat sie am 06.07.2007 beim Landessozialgericht Berufung eingelegt. Die Beurteilung des Sachverständigen entspreche nicht dem derzeitigen medizinischen Erkenntnisstand, wie er in den im August 2005 veröffentlichten Konsensempfehlungen zum Ausdruck komme. Sie stellten ein antizipiertes Sachverständigengutachten dar. Danach sei ein Übergangswirbel unter den dort genannten Bedingungen kein Ausschlusskriterium für die Zusammenhangbeurteilung. Das im angefochtenen Urteil des Sozialgerichts angenommene belastungskonforme Schadensbild mit von oben nach unten abnehmenden Schäden widerspreche den Konsensempfehlungen. Dort werde eine Betonung der Bandscheibenschäden an den unteren Segmenten der LWS als eher für einen Ursachenzusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit sprechend hervorgehoben. Ebenso wenig sei auf die Erkenntnisse der vorliegenden deutschen Wirbelsäulenstudie eingegangen. Danach müsse das Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD) zur Ermittlung der arbeitstechnischen Voraussetzungen überarbeitet werden.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 09.05.2007 und den Bescheid der Beklagten vom 22.12.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheid vom 22.06.2005 aufzuheben und festzustellen, dass eine Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung vorliegt.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Bei den Konsensempfehlungen handle es sich entgegen der Auffassung der Klägerin nicht um ein antizipiertes Sachverständigengutachten. Das MDD-Modell sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts immer noch ein geeignetes Hilfsmittel zur Ermittlung der arbeitstechnischen Voraussetzungen. Im Übrigen werde auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil verwiesen.

Der Senat hat von Dr. L. die ergänzenden Stellungnahme vom 27.03.2008 eingeholt. Er hat ausgeführt, er habe sich, ohne dies im Gutachten ausdrücklich anzuführen, an die Bewertungskriterien der Konsensempfehlungen gehalten. Diese seien kein antizipiertes Sachverständigengutachten, sondern zeigten in der derzeitigen Fassung den derzeitigen Diskussionstand mit weitreichenden Entwicklungperspektiven, wie in der Einleitung der Konsensempfehlungen auch ausgeführt werde. Das belastungskonforme Schadensbild sei nach den Konsensempfehlungen durch den Vergleich der Veränderungen zwischen Beschäftigten mit hoher Wirbelsäulenbelastung und der Normalbevölkerung hinsichtlich der Kriterien Lebensalter bei Auftreten der Schädigung, Ausprägungsgrad in einem bestimmten Alter, Verteilungsmuster der Bandscheibenschäden an der LWS, Lokalisationsunterschiede zwischen biomechanisch hoch und mäßig belasteten Wirbelsäulenabschnitten der gleichen Person und Entwicklung einer Begleitspondylose vorzunehmen. Diese Kriterien habe er in seinem Gutachten herangezogen. Zusammen mit dem Radiologen der Klinik habe er auch die vom Senat übersandten LWS-Aufnahme ausgewertet und anhand der vorgegebenen Maße der Konsensempfehlungen nachbefundet. Dabei hätten sich, wie bereits ausgeführt, keine über die altersentsprechende Norm hinauseilende Chondrosen (Verringerung des Bandscheibenraums), Spondylosen oder Spondylarthrosen finden lassen. Die lumbosakraler Übergangstörung mit einer sechsgliedrigen LWS habe für sich genommen keinen Krankheitswert. Es handle sich um eine anlagebedingte anatomische Formvariante nicht um eine Entwicklung. Da sie zur eindeutigen Identifizierung das Abzählen der Wirbelkörper ab dem letzten thorakalen Brustwirbelkörper erfordere, könne sie bei abschnittsweise vorgenommen Röntgenaufnahmen der Untersuchung entgehen. Deshalb sei die erstmalige Diagnosestellung mit einer Röntgenübersichtsaufnahme aus dem Jahr 2001 erfolgt. Die diagnostizierte Übergangsstörung sei zwar nach den Konsensempfehlungen kein Ausschlusskriteriums, jedoch sei sie eine konkurrierende Tatsache zur Erklärung, weshalb es bei der Klägerin zu dem monosegmentalen Bandscheibenvorfall bei L 5/6 gekommen sei. Nach den Anmerkungen in den Konsensempfehlungen zu den konkurrierenden Ursachen sei aber auf Grund der bildgebenden diagnostischen Befunde ein belastungskonformes Schadensbild für den Bereich der LWS nicht wahrscheinlich zu machen. Das Baastrup-Phänomen bei L 2 bis L 4 sei kein eigenständiges Krankheitsbild. Es handle sich infolge der Hyperlordosierung um degenerativ bedingte, z. T. pseudoradikuläre Kreuzschmerzen, die differenzialdiagnostisch von einer bandscheibenbedingten Erkrankung abzugrenzen seien. Durch die Hyperlordosierung der LWS komme es zum Kontakt der Dornfortsatzspitzen der unteren Wirbelkörper mit schmerzhafter Pseudogelenkbildung im Bereich der Kontaktfläche. Eine bandscheibenbedingte Erkrankung im Sinne der Berufskrankheit Nr. 2108 sei damit nicht zu begründen.

Die Klägerin hat zum Beweisergebnis ergänzend vorgetragen, Dr. L. übersehe, dass nach neun Jahren wirbelsäulenbelastender Tätigkeit im Alter von 44 Jahren Wirbelsäulenbeschwerden aufgetreten seien. Aus dem vorliegenden Bericht des Krankenhauses von 2001 ergebe sich, dass damals Beschwerden mit Schmerzausstrahlungen in den Großzehe bereits seit 10 bis 11 Jahren angegeben worden seien. Dies spreche für eine Beteiligung des Nervs bei L 5. Nach den Konsensempfehlungen sei ein Prolaps unter dem 65. Lebensjahr altersuntypisch. Das Verteilungsmuster sei nach den Konsensempfehlungen grenzwertig, aber mit zwei Protrusionen und einem Bandscheibenvorfall als belastungskonform anzusehen. Ob vor der Bandscheibenoperation Spondylosen vorlagen, habe Dr. L. nicht sagen können, die Möglichkeit hierfür bestehe aber. Soweit Dr. L. "Gebrauchsspuren" erwarte, sei die an sich gedachte Überwindung eines belastungsadapativen Belastungsbildes wieder auferstanden. Auch zu den 1997 im LWS-CT nachgewiesenen Begleitspondylosen habe sich Dr. L. nicht geäußert. Diese seien vor dem 50. Lebensjahr vorhanden gewesen und damit als altersuntypisch zu bezeichnen.

Der Senat hat die Verwaltungsakte der Beklagten und die Akten des Sozialgerichts (einschließlich der im Schwerbehindertenverfahren der Klägerin entstandenen Akte S 8 SB 2509/03) beigezogen. Auf diese Unterlagen und die im Berufungsverfahren angefallene Akte des Senats wird wegen weiterer Einzelheiten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gem. §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung der Klägerin ist auch im Übrigen zulässig.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil ist nicht zu beanstanden. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung einer Berufskrankheit nach Nr. 2108.

Die Klägerin kann mit der kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage die Feststellung ihrer Erkrankung als Berufskrankheit verfolgen (§ 55 Abs. 1 Nr.2 SGG).

Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Berufskrankheiten Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkung verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Aufgrund dieser Ermächtigung in § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII hat die Bundesregierung die BKV vom 31. Oktober 1997 (BGBl. I, S. 2623) erlassen, in der derzeit u.a. folgende als Berufskrankheit anerkannte Krankheit aufgeführt ist:

Nr. 2108 Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.

Eine Berufskrankheit liegt nur dann vor, wenn die Gefährdung durch schädigende Einwirkungen ursächlich auf die versicherte Tätigkeit zurückzuführen ist (haftungsbegründende Kausalität) und durch die schädigende Einwirkung die Krankheit verursacht oder wesentlich verschlimmert worden ist (haftungsausfüllende Kausalität). Wie bei einem Arbeitsunfall müssen auch hier die anspruchsbegründenden Tatsachen, zu denen u.a. neben der versicherten Tätigkeit die Dauer und Intensität der schädigenden Einwirkungen, die Schädigung und die Krankheit gehören, erwiesen sein, während für den ursächlichen Zusammenhang die Wahrscheinlichkeit ausreichend, aber auch erforderlich ist (BSGE 19, 52; 32, 203, 207 bis 209; 45, 285, 287; 58, 80, 83). Wahrscheinlich ist diejenige Möglichkeit, der nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSGE 45, 286); eine Möglichkeit verdichtet sich dann zur Wahrscheinlichkeit, wenn nach der herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen den ursächlichen Zusammenhang spricht (BSGE 60, 58 m.w.N.; vgl. auch Mehrtens/Perlebach, Die Berufskrankheitenverordnung, Kommentar, E § 9/A 26). Ein Kausalzusammenhang ist insbesondere nicht schon dann wahrscheinlich, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist.

Die Wahrscheinlichkeit für die haftungsbegründende Kausalität setzt voraus, dass beim Versicherten die sogenannten arbeitstechnischen Voraussetzungen gegeben sind, d.h., dass er im Rahmen der versicherten Tätigkeit schädigenden Einwirkungen ausgesetzt gewesen ist, die geeignet sind, einen entsprechenden Gesundheitsschaden herbeizuführen. Nicht jede durch eine berufliche Tätigkeit verursachte Erkrankung ist als Berufskrankheit anzuerkennen. Vielmehr muss es sich um (definierte) Tätigkeiten handeln, die eine Intensität erreichen, die generell geeignet sind, ein entsprechendes (definiertes) Krankheitsbild zu verursachen. Ob die verrichtete Tätigkeit eine Intensität erreicht, die generell geeignet ist, eine Erkrankung zu verursachen, kann anhand von so genannten Dosismodellen beurteilt werden. Dosismodelle fassen medizinische Erfahrungstatsachen zur Konkretisierung und Ermittlung der arbeitstechnischen Voraussetzungen zusammen (vgl. BSG, Urteil vom 19.08.2003 - B 2 U 1/02 R - zum Mainz-Dortmunder-Dosismodell zur Nr. 2108 der Anlage zur BKV). Bei dem bisher für Frauen geltenden Gesamtdosiswert des MDD von 17 MNh handelt es sich um keinen Grenzwert, sondern allenfalls um einen Orientierungswert, weshalb bei einem Unterschreiten des Orientierungswertes noch nicht zwingend die arbeitstechnischen Voraussetzungen zu verneinen sind (vgl. BSG Urt. vom 19.08.2003 – B 2 U 1/02 R, veröffentlicht in Juris). Nach dem Bundessozialgericht (vgl. Urteil vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R, veröffentlicht in juris) ist auf Grund der durch die Deutsche Wirbelsäulenstudie bekannt gewordenen Schwächen des MDD der Orientierungswert um die Hälfte zu reduzieren. Danach übersteigt der zuletzt errechnete Dosiswert von 15 MNh sogar den Orientierungswertwert deutlich. Dies hat der vom Senat auf die Entscheidung des BSG hingewiesene Sachverständige Dr. L. in seiner ergänzenden Stellungnahme aber berücksichtigt.

Dagegen ist die haftungsausfüllende Kausalität der geltend gemachten Berufskrankheit nicht im rechtlich gebotenen Grade wahrscheinlich. Eine Feststellung als Berufskrankheit scheidet somit aus.

Dies ergibt sich aus den überzeugenden Gutachten von Dr. L., der die Bewertungskriterien für die Zusammenhangsbeurteilung für den Senat nachvollziehbar dargelegt hat. Er hat den von ihm erhobenen Befund nach den derzeit aktuell akzeptierten arbeitsmedizinischen Bewertungskriterien beurteilt. Diese Kriterien der unter dem 04.08.2005 veröffentlichten Konsensempfehlungen der interdisziplinären Arbeitsgruppe "Medizinischen Beurteilungskriterien bei den Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule"(Trauma und Berufskrankheit 3, 2005, S. 211 ff; (Konsensempfehlungen)) entsprechen zur Überzeugung des Senats der gegenwärtigen herrschenden Meinung der Wissenschaft, soweit sie im Konsens aller Mitglieder der Arbeitsgruppe verabschiedet wurden. Dazu gehört, worauf der Sachverständige auch maßgeblich abgestellt hat, als Grundvoraussetzung für die Anerkennung eines Ursachenzusammenhangs eine nachgewiesene bandscheibenbedingte Erkrankung, die ihrer Ausprägung nach altersuntypisch sein muss (vgl. Konsensempfehlungen a. a. O., S. 216), und - bei Erfüllung der arbeitstechnischen Voraussetzungen - eine Betonung der Bandscheibenschäden an den unteren drei Segmenten der Lendenwirbelsäule, was eher für einen Ursachenzusammenhang der beruflichen Belastung spricht (Konsensempfehlungen a. a. O.).

Dr. L. hat für den Senat überzeugend dargelegt, dass die bei der Klägerin 2001 diagnostizierte lumbosakrale Übergangsstörung mit Ausbildung einer sechsgliedrigen LWS überwiegend wahrscheinlich für das Auftreten des Bandscheibenvorfalls bei L 5/6 verantwortlich zu machen ist und nicht die zu diesem Zeitpunkt über 10 Jahre zurückliegende wirbelsäulenbelastende Berufstätigkeit. Dies deckt sich mit den in den Konsensempfehlungen unter 2.1.3 referierten Studien, die ein deutlich erhöhtes Risiko für die Ausbildung von Bandscheibenvorfällen in der Gruppe der Personen mit Übergangswirbeln gegenüber der Vergleichsgruppe ohne lumbosakralen Übergangswirbel ergeben haben. Die Klägerin verkennt mit ihrem Hinweis auf die Konsensempfehlungen, die die Übergangswirbelbildung nicht als Ausschlusskriterium anerkennen, dass nach den Konsensempfehlungen zwar -nur- bei asymmetrischen Übergangswirbeln der Bandscheibenschaden in dem ersten freien Segment grundsätzlich nicht als belastungsbedingt beurteilt werden kann, damit aber nicht ausgeschlossen ist, dass in anderen Fällen ein Bandscheibenschaden des betreffenden freien Segments ebenfalls der konkurrierenden Ursache des Übergangswirbel zugeordnet werden kann. Dr. L. hat dies mit überzeugenden Gründen unter Hinweis auf die erstmalige Manifestation des Bandscheibenschadens und des von ihm beschriebenen altersentsprechenden Erscheinungsbildes der LWS der Klägerin dargelegt.

Er hat nach Maßgabe der Konsensempfehlungen den Grad der Ausprägung der Chondrosen und Spodylosen anhand der bildgebenden Befunde in der zeitlichen Entwicklung beurteilt und ist danach überzeugend zu dem Ergebnis gekommen, dass die umformenden Veränderungen (Chondrosen und Spondylosen) an den Wirbelkörpern der LWS sowie die Bandscheibenvorwölbungen bei L 3/4 und L 4/5 altersentsprechend sind und keinen Hinweis auf eine belastungsbedingte vorauseilende Wirbelkörperdegeneration ergeben. Dass aufgrund der im Jahr 2001 durchgeführten Bandscheibenoperationen am Wirbelkörpersegment L 5/6 sich Spondylosen und Chondrosen in allen Wirbelkörpersegmenten zurückgebildet haben könnten, wie die Klägerin meint, ist für den Senat nicht nachvollziehbar, einen entsprechenden medizinischen Erfahrungssatz hat die Klägerin auch nicht genannt. Abgesehen davon hat Dr. L. die kernspintomographischen Aufnahmen vom 22.10.2001 ausgewertet, also Aufnahmen die zeitnah zur Operation entstanden sind und eine - unterstellte - Rückbildung degenerativer Aufbrauchserscheinungen in so kurzer Zeit noch nicht erwarten lässt.

Inwiefern während der wirbelsäulenbelastenden Tätigkeit von 1976 bis April 1989 ein Bandscheibenschaden der LWS bereits manifest geworden sein soll, ist nicht ersichtlich. Arztunterlagen aus diesem Zeitraum liegen nicht vor. Der 2001 und der bei der Untersuchung des Sachverständigen 2006 erhobene Befund geben keinen Anhaltspunkt für eine frühzeitige Bandscheibenerkrankung. Die Klägerin selbst hat auch nur unspezifische Wirbelsäulenbeschwerden auf den Zeitpunkt von 1984 datiert, da sie Beschwerden an HWS, BWS und LWS, somit an sämtlichen Wirbelsäulenabschnitten in dem unter dem 20.07.2004 ausgefüllten Vordruck angegeben hatte. Während der Behandlung im März 1997 in der Schmerzambulanz des Krankenhauses in K. bei Dr. E. hatte sie Kreuzschmerzen seit einem Jahr angegeben (Arztbrief von Dr. E. vom 27.03.1997, Blatt 22 in der Sozialgerichtsakte S 8 SB 2509/03), was den 2004 gemachten Angaben widerspricht. Auch die dokumentierten eigenanamnestischen Angaben während des Heilverfahrens im September 2001 in B., wo auf seit 10 Jahren bestehende Kreuzschmerzen Bezug genommen wird, stehen damit in Widerspruch (Entlassungsbericht der S. vom 26.10.2001, Blatt 40 der Akte S 8 SB 2509/03). Aber auch eine Erstmanifestation der LWS-Bandscheibenschäden im Jahr 1996 oder 1991 läge noch mit deutlichem zeitlichen Abstand nach Ende der angeschuldigten Exposition im April 1989.

Allein der 2001 eingetretene Bandscheibenvorfall im Segment L 5/6 ist als Bandscheibenschaden nachgewiesen, der für die manifest gewordenen Rückenbeschwerden und damit für eine Bandscheibenerkrankung mitverantwortlich ist. Nach den überzeugenden Ausführungen von Dr. L. ist diese Bandscheibenerkrankung nicht auf die Berufstätigkeit der Klägerin zurückzuführen. Auf das Fehlen von altersvorauseilenden degenerative Veränderungen, wie sie in den Konsensempfehlungen für ein belastungskonformes Schadensbild gefordert werden, hat der Sachverständige mit seiner der Verständlichkeit wegen plastischen Wortwahl "Gebrauchsspuren" erkennbar abgestellt. Ein fehlerhafter Bewertungsansatz ist darin nicht zu erkennen, vielmehr ist nach dem von ihm ausgewerteten bildgebenden Befunden ersichtlich, dass die darüber liegenden Wirbelkörper allenfalls Veränderungen aufweisen, die das Maß altersentsprechender Ausprägung nach den tabellarischen Vorgaben der Konsensempfehlungen nicht übersteigen. Bei den von der Klägerin zitierten Begleitspondylosen ist dies aber Voraussetzung. Der Umstand, dass bei der Klägerin überhaupt Spondylosen vorliegen, ist daher noch nicht von Belang. Auch Protrusionen, wie sie 1997 bei der 50-jährigen Klägerin diagnostiziert wurden, sind ihrer Ausprägung nach noch altersadäquat gewesen, wie Dr. L. nachbefundet hat. Protrusionen mit Vorwölbung bis 3 mm sind nur bis zum 40. Lebensjahr altersuntypisch (Ziff. 1.2 B, Übersicht 8 der Konsensempfehlungen). Das an den Wirbelkörpersegmenten von L 1 bis L 4 ausgebildete Baastrup-Phänomen, das der Sachverständige in seiner ergänzenden Äußerung näher beschrieben hat, gehört nach den Konsensempfehlungen nicht zu den Degenerationserscheinungen eines belastungskonformen Schadensbildes. Die Beurteilung von Dr. L. steht entgegen der Auffassung der Klägerin somit im Einklang mit den Konsensempfehlungen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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