L 17 P 12/99

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 76 P 391/97
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 17 P 12/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 2. März 1999 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung von Pflegegeld der Pflegestufe II an die Klägerin als Sonderrechtsnachfolgerin ihrer verstorbenen Mutter A für die Zeit vom 18. Januar 1995 bis 3. September 1996.

Die 1904 geborene und am 1996 verstorbene A (im Folgenden: Versicherte) stellte am 15. Januar 1995 einen Antrag auf Gewährung von Leistungen der Pflegeversicherung. Die damalige Beklagte, die Betriebskrankenkasse - Pflegekasse Förderanlagen- und Kranbau L GmbH veranlasste eine Begutachtung der Klägerin durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung in C. In dem Pflegegutachten der Pflegefachkraft G und des Arztes Dr. X vom 18. Oktober 1995 werden als pflegebegründende Diagnosen genannt:

Skelettverschleiß, allgemeine Gefäßsklerose.

Hilfebedarf wird beim Duschen und Baden und bei der Zahnpflege geschildert sowie bei der mundgerechten Zubereitung der Nahrung und bei der hauswirtschaftlichen Versorgung. Weiter heißt es in dem Gutachten, die fast 91-jährige Versicherte sei in den täglich wiederkehrenden Verrichtungen nahezu selbständig. Im Vordergrund stehe der Hilfebedarf im hauswirtschaftlichen Bereich. Pflegebedürftigkeit liege nicht vor.

Durch Bescheid vom 2. November 1995 lehnte die genannte Pflegekasse den Antrag auf Leistungen der Pflegeversicherung ab.

Gegen diesen Bescheid erhob die Versicherte Widerspruch. Im Verlauf des Widerspruchsverfahrens erteilte die genannte Pflegekasse einen weiteren Bescheid vom 29. Februar 1996, mit dem erneut die Gewährung von Pflegegeld an die Versicherte abgelehnt wurde. Auch gegen diesen Bescheid wurde Widerspruch eingelegt. Am 4. September 1996 beantragte die Versicherte erneut die Gewährung von Leistungen der Pflegeversicherung. Dabei wurde zum Hilfebedarf auf eine allgemeine Verschlechterung (Windeln) hingewiesen. Es wurde ein Attest der Hausärztin der Versicherten U eingereicht, in dem es u.a. heißt: "Seit 1996 wurde sie gebrechlicher, die Anämie nahm zu und sie musste durch Hausbesuche versorgt werden." Außerdem ist in diesem Attest von Inkontinenz die Rede. Der MDK empfahl in einer Stellungnahme von Dr. X vom 12. Februar 1997 der Beklagten die Pflegestufe II ab Antragstellung.

Durch Bescheid der jetzigen Beklagten (als Rechtsnachfolgerin der BKK - Pflegekasse - Förderanlagen- und Kranbau L GmbH) vom 24. Februar 1997 wurde Pflegegeld der Pflegestufe II für die Zeit ab 4. September 1996 bewilligt. Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin Widerspruch und machte geltend, wenn ab 4. September 1996 bereits Pflegestufe II zugestanden habe, dann sei für die Zeit davor die Pflegestufe I gerechtfertigt. In einem weiteren Attest der Ärztin U vom 7. April 1997 heißt es hierzu: "Wie bereits in meinem letzten Bericht mitgeteilt, bestand seit 1996 bei obiger Patientin eine hochgradige Gebrechlichkeit und Pflegebedürftigkeit, es kam zu Synkopen und Tinnitusanfällen. Patientin konnte nicht mehr raus, sie war nicht mehr kontinent für Stuhl und Urin, konnte sich ohne Hilfe nicht mehr versorgen. Es bestand ein Ruhe- und Bewegungstremor."

Durch Widerspruchsbescheid vom 29. Januar 1997 lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen für die Zeit vor dem 4. September 1996 ab.

Im anschließenden Klageverfahren hat die Klägerin beantragt, die Bescheide der Beklagten vom 4. Januar 1995, 2. November 1995, 15. April 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Juli 1997 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden. Auch auf Hinweis des Sozialgerichts, dass der genaue Zeitraum benannt werden müsse, für den die Klägerin Leistungen begehre, hat die Klägerin ihren Antrag nicht geändert. Das Sozialgericht hat durch Gerichtsbescheid vom 2. März 1999 die Klage abgewiesen. Nach § 54 Abs. 4 SGG könne mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsaktes gleichzeitig die Leistung verlangt werden, wenn wie hier der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung betreffe, auf die ein Rechtsanspruch bestehe. Eine kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage sei in diesem Fall unzulässig. Die Klägerin habe auch nicht ausreichend dargetan, welche Ansprüche sie in diesem Verfahren geltend mache.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung, mit der die Klägerin nunmehr geltend macht, ihr stehe Pflegegeld der Pflegestufe II auch für die Zeit vom 18. Januar 1995 bis zum 3. September 1996 zu. Die Versicherte habe mit der Klägerin seit 10. August 1991 im gleichen Haushalt gelebt. Sie sei von dieser versorgt und betreut worden. Die Versicherte sei extrem pflegebedürftig gewesen, sie habe selbst nicht die notwendigsten Besorgungen tätigen noch ihr Zimmer reinigen, geschweige denn das Essen selbst zubereiten können. Nach Zubereitung der Mahlzeiten sei die Versicherte von der Klägerin gefüttert worden. Sie sei nicht in der Lage gewesen, ihre Mahlzeiten selbst einzunehmen. Neben der hauswirtschaftlichen Versorgung sei eine ständige Mobilitätshilfe erforderlich gewesen. Wegen des Fehlens eines Lungenflügels habe die Versicherte unter permanenter starker Atemnot gelitten. Der Gesundheitszustand der Versicherten habe sich seit Beginn der Übernahme der häuslichen Betreuung bis zur Bewilligung der Pflegegeldzahlung nicht signifikant verschlechtert, so dass der Klägerin die entsprechenden Leistungen zum Zeitpunkt der Erstantragstellung bereits zugestanden hätten.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 2. März 1999 sowie die Bescheide der Beklagten vom 4. Januar 1995, 2. November 1995, 15. April 1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Juli 1997 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an sie als Sonderrechtsnachfolgerin der Versicherten A Pflegegeld nach der Pflegestufe II vom 18. Januar 1995 bis 3. September 1996 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen. Sie hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend.

Die Kopien der Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Akten des Sozialgerichts Berlin zum Aktenzeichen S 76 P 391/97 haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, sie ist jedoch im Ergebnis nicht begründet.

Die von der Klägerin nunmehr mit der Berufung als verbundene Anfechtungs- und Leistungsklage gewählte Klageart ist zwar zulässig, sie ist jedoch im Ergebnis nicht begründet, denn der Klägerin steht das begehrte Pflegegeld als Sonderrechtsnachfolgerin für ihre verstorbene Mutter (§ 56 Abs. 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - SGB I -) in dem streitigen Zeitraum vom 18. Januar 1995 bis 3. September 1996 nicht zu. Für die Zeit bis 1. April 1995 ergibt sich dies bereits daraus, dass Leistungen der Pflegeversicherung nach § 1 Abs. 5 des Sozialgesetzbuches Elftes Buch (SGB XI) erst vom 1. April 1995 an gewährt werden können.

Aber auch für die Zeit vom 1. April 1995 bis 3. September 1996 steht der Kläger ein Pflegegeld nicht zu, weil die Voraussetzungen dieser Leistung in der Person der Versicherten A nicht nachgewiesen sind. Nach dem im Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit geltenden Prinzip der objektiven Beweislast wirkt sich die Nichterweislichkeit einer rechtserheblichen Tatsache zu Lasten dessen aus, der aus dieser Tatsache ein Recht herleiten will (vgl. BSG in SozR Nr. 40 zu § 1 BVG sowie BSGE 6, 70). Eine Begutachtung der Pflegebedürftigkeit der verstorbenen Versicherten fand letztmalig am 28. August 1995 statt. Die damalige Begutachtung hat lediglich einen Hilfebedarf beim Duschen, Baden, bei der Zahnpflege, bei der mundgerechten Zubereitung der Nahrung und bei der hauswirtschaftlichen Versorgung ergeben. Insgesamt hieß es in diesem Gutachten, es bestehe nur ein geringer Hilfebedarf in den körperbezogenen Verrichtungen. Damit sind jedoch die Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 in Verbindung mit § 15 Abs. 1 Nr. 1 bzw. 2 SGB XI für das Vorliegen von Pflegebedürftigkeit der Stufen I bzw. II nicht nachgewiesen. Auch die Atteste der Hausärztin Dr. U enthalten keine hinreichenden Aussagen über den Umfang der Pflegebedürftigkeit der verstorbenen Versicherten. Aus ihrem Attest lässt sich lediglich der Schluss ziehen, dass 1996 eine Verschlimmerung der Leiden eingetreten ist und die Mobilität der verstorbenen Versicherten derart eingeschränkt war, dass Hausbesuche stattfinden mussten. Daraus allein lässt sich jedoch kein hinreichender Schluss auf den Umfang des Zeitaufwandes ziehen, den ein Familienangehöriger für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege wöchentlich im Tagesdurchschnitt, wie das § 15 Abs. 3 SGB XI verlangt, erbringen musste. Auch die Angaben der Klägerin in ihrer Berufungsbegründung vom 22. November 1999 lassen keinen Hinweis darauf erkennen, dass für Zeiten vor dem 3. September 1996 Pflegebedürftigkeit vorlag. Wenn die Klägerin dort ausführt, die Verstorbene habe selbst nicht die notwendigsten Besorgungen tätigen noch ihr Zimmer reinigen, geschweige denn das Essen selbst zubereiten können, so macht sie damit lediglich Ausführungen zu dem Pflegebedarf im hauswirtschaftlichen Bereich. Der Pflegebedarf im hauswirtschaftlichen Bereich ist jedoch für den Begriff der Pflegebedürftigkeit im Sinne der §§ 14 und 15 SGB XI nicht in erster Linie entscheidend, da erfahrungsgemäß ein Pflegebedarf im hauswirtschaftlichen Bereich in dem nach § 15 Abs. 3 Ziffern 1 bis 3 SGB XI erforderlichen Umfang relativ häufig erreicht wird. Entscheidend ist dagegen der Bedarf im Bereich der Grundpflege. Hier hat die Klägerin in ihrer Berufungsschrift lediglich einen Bedarf bei der Nahrungsaufnahme sowie im Bereich der Mobilität geltend gemacht. Damit allein dürfte der erforderliche Pflegebedarf in der Grundpflege nach § 15 Abs. 3 SGB XI nicht erfüllt sein. Es ist der Klägerin zuzugeben, dass ein Pflegebedarf nach der Pflegestufe II, wie ihn die Beklagte ab 4. September 1996 anerkannt hat, in aller Regel ein Pflegebedarf nach der Pflegestufe I vorausgeht. Dies kann allerdings anders sein, wenn wie bei der hiesigen Versicherten ein plötzlicher stationärer Aufenthalt erforderlich wird. Darüber hinaus sieht der Senat keine Anhaltspunkte, hinreichende Feststellungen zu dem Vorliegen einer Pflegebedürftigkeit nach Pflegestufe I bzw. Pflegestufe II für die Zeit vor dem 4. September 1996 zu treffen.

Die Berufung war deshalb zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Sie entspricht der Entscheidung in der Hauptsache.

Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil ein Zulassungsgrund nach § 160 SGG nicht vorlag.
Rechtskraft
Aus
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