Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
SG Altenburg (FST)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Altenburg (FST)
Aktenzeichen
S 5 U 2073/03
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Im Rahmen der Berufskrankheit nach Nr. 2108 BKV spricht eine polysegmentale Verteilung der Bandscheibenerkrankung jedenfalls dann nicht gegen eine berufliche Verursachung, wenn auch die übrigen Wirbelsäulenabschnitte (hier die Halswirbelsäule) einer entsprechenden Exposition ausgesetzt waren.
Zur Konkretisierung der arbeitstechnischen Voraussetzungen der Berufskrankheit nach Nr. 2109 BKV kann nicht schematisch auf die innerhalb der Berufsgruppe der Fleischabträger zurückgelegten Wegstrecken abgestellt werden. Zu berücksichtigen sind vielmehr auch die Tragedauer und der Transportweg sowie die damit regelmäßig verbundene physiologische Zwangshaltung. Insofern weist die Tätigkeit als Transportarbeiter und Auslieferungsfahrer im Kohlehandel ein vergleichbares Belastungsprofil zu den Fleischträgern auf.
Zur Konkretisierung der arbeitstechnischen Voraussetzungen der Berufskrankheit nach Nr. 2109 BKV kann nicht schematisch auf die innerhalb der Berufsgruppe der Fleischabträger zurückgelegten Wegstrecken abgestellt werden. Zu berücksichtigen sind vielmehr auch die Tragedauer und der Transportweg sowie die damit regelmäßig verbundene physiologische Zwangshaltung. Insofern weist die Tätigkeit als Transportarbeiter und Auslieferungsfahrer im Kohlehandel ein vergleichbares Belastungsprofil zu den Fleischträgern auf.
I. Der Bescheid vom 11.06.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.09.2003 wird aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, bei dem Kläger das Vorliegen der Berufskrankheiten nach den Nummern 2108 und 2109 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung anzuerkennen sowie Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 25 v. H. zu gewähren.
II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Anerkennung seiner Wirbelsäulenbeschwerden als Berufskrankheit (BK) nach den Nummern 2108 und 2109 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV).
Der 1943 geborene Kläger absolvierte vom 01.09.1959 bis zum 28.02.1962 beim VEB G. eine Ausbildung zum Werkzeugmacher. Während dieser Zeit war der Kläger im sogenannten zweiten Arbeitsverhältnis in der Firma W. G., Spedition – Kohlehandlung, tätig. Inhaber dieser Firma war der Vater des Klägers, Herr W. G ... Während dieser Zeit hatte der Kläger täglich am Nachmittag und auch an den Wochenenden im Durchschnitt etwa 3 Stunden zu arbeiten. Die Arbeit bestand insbesondere daraus, die Kohle in Transportbehältnisse (Säcke, Körbe) zu schaufeln, auf einen Lastkraftwagen aufzuladen, zum Kunden zu bringen und dort wieder abzuladen. Des Weiteren wurden Möbel und andere Sachen transportiert.
Im Anschluss daran war der Kläger vom 01.03.1962 bis zum 31.10.1964 vollschichtig bei der Firma W. G. als Kraftfahrer und Transportarbeiter tätig. Er hatte hierbei im Wesentlichen dieselben Arbeiten wie zuvor auszuführen, wobei die tägliche Arbeitszeit mindestens 10 Stunden betrug.
Vom November 1964 bis zum April 1966 leistete der Kläger seinen Wehrdienst. Im Anschluss daran, ab dem 01.05.1966, arbeitete er wieder im Kohlehandel und zwar in dem zwischenzeitlich von seinem Vater übernommenen Betrieb. Diesen führte er bis in das Jahr 1998 unter der Firma V. G. Kohlehandel als Kommissionshändler des VEB Kohlehandel weiter. Außerhalb der Saisonzeiten hatte der Kläger keine Angestellten. Auch im Übrigen wurden alle anfallenden Tätigkeiten von ihm selbst verrichtet. Dies betrifft insbesondere das Verladen, das Ausfahren und den Transport der Kohle.
Während dieser Zeit als selbständiger Kohlehändler vom 01.05.1966 bis 14.12.1998 hat der Kläger insbesondere 30 kg schwere mit Brennmaterial gefüllte Säcke und andere Behältnisse 50-mal täglich über eine Wegstrecke von mindestens 15 m getragen, sowie Körbe mit Kohle mit einem Gewicht von 60 kg 40-mal täglich über eine Wegstrecke von 15 m getragen. Die Lasten wurden dabei vorwiegend auf dem Rücken und auf der Schulter getragen, und zwar sowohl beim Aufladen des LKWs als auch beim Entladen, wobei sie teilweise in ungünstiger Zwangshaltung etwa über Kellertreppen transportiert werden mussten. Wegen der Einzelheiten wird auf die Expositionsanalyse der Beklagten vom 29.10.2001, Blatt 56 – 61 und die Fotodokumentation der Beklagten, Blatt 144 – 147 der Verwaltungsakte Bezug genommen.
Seit 1967 klagt der Kläger über Rückenbeschwerden und begab sich deswegen auch in ärztliche Behandlung. Am 15.12.1998 verkaufte der Kläger wegen der zunehmenden Beschwerden insbesondere im Wirbelsäulenbereich seinen Betrieb an die Firma R. S. Containerdienst und Brennstoffhandel. Dort blieb der Kläger weiterhin als Kraftfahrer angestellt und war mit der Auslieferung und Aufstellung von Absetzmulden beschäftigt. Diese Tätigkeit übte er bis Anfang 2002 aus. Danach war er wegen der Wirbelsäulenbeschwerden arbeitsunfähig krank und seit dem 16.02.2002 arbeitslos.
Am 17.05.2001 erfolgte die ärztliche Anzeige auf den Verdacht einer BK nach Nr. 2109 der BKV durch die behandelnde Fachärztin für Orthopädie und Chirotherapie, Dipl.-med. E. M., Werdau.
Die Beklagte hat hierauf ein Berufskrankheitenfeststellungsverfahren zu den BK 2108 bis 2110 der BKV eingeleitet. Insbesondere wurde der Kläger befragt und anhand seiner Daten eine Expositionsanalyse erstellt. Diese führte zu dem Ergebnis, dass hinsichtlich der BK 2109 eine Gefährdung nur im Zeitraum von 1962 bis 1964 vorgelegen habe. Darüber hinaus seien Lasten nicht in erheblichem Umfang auf der Schulter getragen wurden, so dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Dagegen seien die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK 2108 und 2110 gegeben. Insbesondere ergab die Dosisberechnung nach dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell eine Gesamtbelastungsdosis von 60,4 MNh. Im Einzelnen wird auf Blatt 97 und 70 der Verwaltungsakte verwiesen.
Des Weiteren hat die Beklagte eine medizinische Begutachtung des Klägers veranlasst. Der Sachverständige, Dr. G. gelangt in seinem Gutachten vom 25.09.2002 nach ambulanter Untersuchung des Klägers zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen für eine Anerkennung als BK 2108 und 2109 gegeben sind. Insbesondere seien die eindeutig nachweisbaren degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule des Klägers als Folge der jahrelangen schweren körperlichen Arbeiten zu bewerten. Dagegen könne eine BK 2110 nicht anerkannt werden. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit schätzt der Sachverständige mit 50 v. H. ein.
Die hiernach angehörten Gewerbeärzte Dres. A. und W. haben in ihrer Stellungnahme vom 19.12.2002 weiteren Ermittlungsbedarf gesehen. Insbesondere seien weitere Feststellungen zur Gefährdung im Sinne der BK 2109 für den Beschäftigungszeitraum 1966 bis 1998 veranlasst. Zugleich wurde um Übersendung weiterer Behandlungsunterlagen, insbesondere von Röntgenaufnahmen, gebeten.
Die Beklagte hat hierauf nochmals Ermittlungen zu Exposition angestellt und insbesondere den Kläger befragt, wie die einzelnen Transportbehältnisse gehoben und getragen wurden. Insbesondere wurde eine Fotodokumentation angefertigt. Die Beklagte gelangt hierbei zu dem Ergebnis, dass die ca. 60 kg schweren Kohlekörbe auf dem Rücken getragen wurden und daher eine Gefährdung im Sinne der BK 2109 nicht gegeben sei. Im Einzelnen wird auf Bild 1 und 2 der Fotodokumentation, Blatt 145 und 142 der Verwaltungsakte verwiesen.
Dabei blieb offensichtlich unberücksichtigt, dass die Ermittlungen auch Anhaltspunkte für eine gefährdende Tätigkeit ergeben haben. Insbesondere wurde festgestellt, dass ca. 50 kg schwere Kohlesäcke mit einer über die Schulter verlaufenden Halteschlaufe getragen wurden, so dass ein großer Teil der Last auf der Schulter lag (vergleiche Bild 3 und 4 der Fotodokumentation, Blatt 144 und 146 der Verwaltungsakte). Ebenfalls keine Erwähnung fand das Ermittlungsergebnis, wonach der Kläger unter anderem bis zu 50 kg schwere mit Kohlen und Koks gefüllte Säcke auf der Schulter unter leichter Seitneigung des Kopfes getragen hat (Bild 5 und 6 der Fotodokumentation, Blatt 144 und 147 der Verwaltungsakte).
Der erneut angehörte Gewerbearzt Dr. A. hat mit Schreiben vom 13.05.2003 empfohlen, eine BK 2109 nicht anzuerkennen und sich dabei der Ansicht der Beklagten angeschlossen, dass eine ausreichende Belastung im Sinne dieser BK nicht gegeben sei. Ausführungen zu den medizinischen Voraussetzungen und insbesondere auch zu den BK 2108 und 2110 enthält die Stellungnahme nicht.
Die Beklagte hat darauf mit Bescheid vom 11.06.2003 die Anerkennung als BK nach den Nummern 2108 bis 2110 abgelehnt. Zur Begründung wurde ausgeführt, hinsichtlich der BK 2109 sei eine die Halswirbelsäule gefährdende Tätigkeit allenfalls von 1959 bis 1964 gegeben. Diese Tätigkeit sei jedoch nicht langjährig verrichtet worden, so dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht gegeben seien. Hinsichtlich der BK 2108 und 2110 mangele es dagegen an den medizinischen Voraussetzungen. Insbesondere liege ein belastungskonformes Schadensbild nicht vor.
Hiergegen hat der Kläger mit Schreiben vom 01.07.2003 Widerspruch erhoben. Zur Begründung führt er aus, dass ihm unverständlich sei, weshalb die schweren körperlichen Tätigkeiten nur bis in das Jahr 1964 anerkannt worden seien. Tatsächlich sei er gerade in den Jahren seiner Selbständigkeit ab 1966 extremen körperlichen Belastungen ausgesetzt gewesen.
Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 02.09.2003 ohne weitere Ermittlungen als unbegründet zurück und verwies auf ihr Vorbringen im angegriffenen Bescheid. Ergänzend führt sie aus, dass in der Zeit nach Oktober 1964 der wesentliche Anteil der Brennstoffe in Säcken und Körben auf dem Rücken und nicht auf der Schulter transportiert worden sei.
Hiergegen hat der Kläger am 22.09.2003 Klage erhoben und zur Begründung nochmals darauf verwiesen, dass er auch nach 1966 extremen wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten ausgesetzt war. Auch hätten die Ermittlungen der Beklagten zweifelsfrei ergeben, dass die Lasten zum wesentlichen Teil auf der Schulter getragen wurden. Schließlich sei die Begründung für die Ablehnung der BK 2108 und 2110 nicht nachvollziehbar. Insbesondere stünden die Ausführungen der Beklagten zur Schadenslokalisation und zum belastungskonformen Schadensbild im Widerspruch zu den Feststellungen des Sachverständigen Dr. G ...
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 11.06.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.09.2003 zu verurteilen, bei dem Kläger das Vorliegen der Berufskrankheiten nach den Nummern. 2108 und 2109 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung anzuerkennen sowie eine Verletztenrente zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist insbesondere der Ansicht, die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK 2109 seien nicht gegeben, da die Tätigkeit des Klägers nicht der von Fleischabträgern in Schlachthöfen vergleichbar sei. So hätte der Kläger die Lasten nicht direkt auf der Schulter unter Zwangshaltung des Halses getragen.
Das Gericht hat Befundberichte und Behandlungsunterlagen des Klägers beigezogen sowie von Amts wegen die Einholung eines Sachverständigengutachtens veranlasst. Zum Sachverständigen wurde Dr. S., Facharzt für Chirurgie und Unfallchirurgie, Weimar, bestellt.
Der Sachverständige gelangt in seinem Gutachten vom 14.08.2004 zu dem Ergebnis, dass beim Kläger erhebliche degenerative Veränderungen der gesamten Wirbelsäule vorliegen, die zu einer erheblichen schmerzhaften Funktionseinschränkung im Bereich der Halswirbelsäule und zu einer deutlichen funktionellen Beeinträchtigung im Bereich der Lendenwirbelsäule führen. Nach seiner Einschätzung sei das medizinische Bild einer BK 2108 gegeben. Insbesondere sei die medizinische Begründung der Beklagten für die Ablehnung der BK 2108 offensichtlich nicht haltbar.
Hinsichtlich der BK 2109 weist der Sachverständige darauf hin, dass die degenerativen Veränderungen im Bereich der Halswirbelsäule die stärkste Ausprägung haben. Diese Veränderungen liegen nach seiner Einschätzung im gesamten Bereich der Halswirbelsäule zweifelsfrei über dem Altersdurchschnitt und seien durch die berufliche Tätigkeit des Klägers verursacht. Auch insoweit könne die Begründung der Beklagten und der Verweis auf die belastende Tätigkeit von Fleischabträgern nicht überzeugen. Ausschlaggebend sei vielmehr, dass eine entsprechend starke Belastung vorgelegen hat, die zudem mit einer Zwangshaltung der Halswirbelsäule einhergeht. Dies sei im Falle des Klägers gegeben. Im Übrigen könne die Annahme, der Kläger sei nur bis 1964 gefährdend tätig gewesen, anhand der von der Beklagten selbst dokumentierten Arbeitsanamnese nicht nachvollzogen werden.
Bezüglich der BK 2110 stellt der Sachverständige fest, dass deren Schadensbild von der BK 2108 kaum zu differenzieren sei und vorliegend nicht ins Gewicht fallen dürfte. Insbesondere dürfte es an den arbeitstechnischen Voraussetzungen mangeln. Die MdE ist nach Einschätzung des Sachverständigen aufgrund der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen mit 25 v. H. einzuschätzen. Im Einzelnen wird auf Blatt 122 – 151 der Akte Bezug genommen.
Die Beklagte hat hiergegen unter Vorlage einer beratungsärztlichen Stellungnahme von Frau Dr. H. vom 26.10.2004 Einwände erhoben. Hinsichtlich der BK 2108 könne zwar nunmehr von einem mehrsegmentalen Schaden ausgegangen werden, auch wenn das Schadensbild nicht ganz belastungkonform sei. Gegen einen Zusammenhang zur beruflichen Tätigkeit spreche aber, dass die Halswirbelsäule des Klägers wesentlich deutlicher in Mitleidenschaft gezogen ist als die Lendenwirbelsäule. Eine solche polysegmentale Verteilung der Bandscheibenerkrankung weise auf eine starke konstitutionelle Veranlagung zum Bandscheibenverschleiß hin. Im Einzelnen wird auf Blatt 159 – 169 der Akte verwiesen.
Der hierzu gehörte Sachverständige Dr. S. hat in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 20.12.2004 mitgeteilt, dass die polysegmentalen Veränderungen mit größter Wahrscheinlichkeit auf die berufsbedingten Schädigungen zurückzuführen sind, die bewiesenermaßen polysegmental eingewirkt haben. Die Schäden an der Halswirbelsäule sprächen daher im Rahmen der BK 2108 nicht gegen einen beruflichen Zusammenhang. Im Einzelnen wird auf Blatt 173 f. der Akte Bezug genommen.
Die Beklagte hat hierauf nochmals unter Vorlage einer beratungsärztlichen Stellungnahme von Frau Dr. H. vom 14.02.2005 erwidert. Hiernach sei aufgrund der polysegmentalen Bandscheibendegeneration mit Schwerpunkt im Bereich der Halswirbelsäule im Rahmen der BK 2108 nicht von einer beruflichen Verursachung auszugehen. Im Einzelnen wird auf Blatt 177 – 183 der Akte verwiesen.
Der Sachverständige Dr. S. wurde hierzu nochmals ergänzend angehört. In seiner Stellungnahme vom 21.04.2005 hält er sein Gutachten in vollem Umfang aufrecht. Insbesondere bezögen sich die Ausführungen der Beratungsärztin Dr. H. zur polysegmentalen Bandscheibendegeneration auf Konstellationen, in denen alle Wirbelsäulenabschnitte gleichmäßig von degenerativen Veränderungen betroffen seien.
Dies sei jedoch im Falle des Klägers gerade nicht der Fall, da nur die Wirbelsäulenabschnitte beschädigt seien, die einer entsprechenden beruflichen Belastung ausgesetzt gewesen sind. Wegen der Einzelheiten wird auf Blatt 184 – 186 der Akte verwiesen.
Die Beklagte hat hierauf mit Schreiben vom 30.06.2005 unter Vorlage einer weiteren Stellungnahme von Frau Dr. H. mitgeteilt, dass sie an ihrer Auffassung festhalte.
Das Gericht hat darauf ein weiteres Sachverständigengutachten von Amts wegen eingeholt. Zum Sachverständigen wurde Privatdozent Dr. med. habil. H., Chefarzt der Klinik für Orthopädie des Klinikums E. bestimmt. In seinem Gutachten vom 09.01.2006 schließt sich der Sachverständige vollumfänglich den Feststellungen des zuvor gehörten Sachverständigen Dr. S. an. Insbesondere weisen alle drei Wirbelsäulenabschnitte des Klägers degenerative Veränderungen auf, welche im Bereich der Halswirbelsäule und im Bereich der Lendenwirbelsäule im Segment L 5/ S 1 weit über das Altersmaß hinausgehen. Des Weiteren finden sich sowohl im Bereich der Halswirbelsäule als auch der Lendenwirbelsäule eindeutige belastungsadaptive Phänomene im Sinne einer Spondylarthrose und Osteochondrose. Das medizinische Bild einer BK 2108 liege daher vor. Dem könnten auch die polysegmentalen degenerativen Veränderungen nicht entgegen gehalten werden. Insbesondere könne die ablehnende Argumentation der Beklagten nicht nachvollzogen werden, da man hinsichtlich der Halswirbelsäule des Klägers nicht von einen nichtexponierten Wirbelsäulenabschnitt ausgehen könne. Da im Falle des Klägers sowohl die Lendenwirbelsäule als auch die Halswirbelsäule beruflichen Belastungen ausgesetzt war, könne auch die sogenannte Hamburger Formel nicht mehr angewendet werden. Selbst wenn man aber der Auffassung von Frau Dr. H. folgt und von einem nicht ganz belastungskonformen Schadensbild ausginge, wäre angesichts der massiven beruflichen Belastung und des Schmerzbeginns um das Jahr 1967 jedenfalls von einer richtungweisenden Verschlimmerung der degenerativen Veränderungen auszugehen.
Auch hinsichtlich der BK 2109 kann der ablehnenden Argumentation der Beklagten nach Ansicht des Sachverständigen nicht gefolgt werden. Insbesondere seien die arbeitstechnischen Voraussetzungen nach dem Ergebnis der Ermittlungen der Beklagten eindeutig gegeben, da der Kläger von 1966 bis 1998 entsprechenden Belastungen ausgesetzt war. Auch sei die Tätigkeit des Klägers der von Fleischabträgern jedenfalls vergleichbar. Im Übrigen dürften die äußeren Umstände mit Bewältigung von Kellertreppen noch als wesentlich schlechter zu bewerten sein. Im Bereich der Halswirbelsäule entspricht das festzustellende Krankheitsbild einem belastungskonformen Schadensbild im Sinne einer BK 2109. Die MdE schätzt der Sachverständige ebenfalls mit 25 v. H. ein. Wegen der Einzelheiten wird auf Blatt 213 – 233 der Akte Bezug genommen.
Die Beklagte hat hierauf nachmals Ermittlungen zu den arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK 2109 angestellt. Nach der Stellungnahme ihrer Präventionsabteilung vom 17.02.2006 sei zwar das Tragen von Körben und/oder Säcken mit Kohle auf Schulter und Rücken als Gefährdung im Sinne der BK 2109 einzustufen, jedoch habe der Kläger nicht im erheblichen Umfang Lasten auf Schulter oder Rücken getragen. Verglichen mit Fleischabträgern, die arbeitstäglich Gesamtwegstrecken von 2000 bis 4000 m unter Last zurückgelegt haben, liege die Belastung im Falle des Klägers nur bei ca. 15 bis 30 %. Die Beklagte gehe daher weiterhin davon aus, dass für den Beschäftigungszeitraum von 1966 bis 1998 eine Gefährdung im Sinne der BK 2109 nicht vorgelegen hat. Wegen der Einzelheiten wird auf Blatt 237 ff. Bezug genommen.
Der Sachverständige Dr. H. hat hierzu in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 19.04.2006 mitgeteilt, dass er die Einschätzung des Präventionsdienstes zur beruflichen Exposition des Klägers für nicht schlüssig hält. Insbesondere sei unerklärlich, wie der Kläger, der im Rahmen der BK 2108 mit einer Gesamtdosis von 60,4 MNh belastet war, zugleich im Rahmen der BK 2109 nicht gesundheitsgefährdend tätig gewesen sein soll.
Die Beklagte hat hierauf unter Vorlage weiterer Stellungnahmen ihres Präventionsdienstes mitgeteilt, dass sie an ihrer Auffassung festhalte und die berufliche Belastung des Klägers der von Fleischabträgern nicht vergleichbar sei. Eine Gefährdung im Sinne der BK 2109 sei daher für den Zeitraum 1966 bis 1998 nicht gegeben.
In der mündlichen Verhandlung am 27.09.2007 hat der Vorsitzende die Beteiligten darauf hingewiesen, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK 2109 gegeben sein dürften. Insbesondere sei nach der Rechtsprechung des LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 11.11.1998, Az.: L 2 U 883/98) für das Merkmal der Häufigkeit grundsätzlich eine Belastung von 40 Hüben pro Arbeitsschicht ausreichend.
Im Übrigen wurde der Beklagten hinsichtlich der BK 2108 ein Anerkenntnis nahegelegt, da eine nachvollziehbare Begründung für deren Ablehnung weder dargetan noch sonst ersichtlich sei. Bezüglich der Anerkennung einer BK nach Nr. 2110 der BKV hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Klage zurückgenommen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird verwiesen auf den Inhalt der Prozessakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist auch begründet.
Die angegriffenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten.
Beim Kläger besteht eine Berufskrankheit nach Nr. 2108 und 2109 der BKV, wegen deren Folgen er Verletztenrente in Höhe von 25 v. H. der Vollrente zu beanspruchen hat.
Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Berufskrankheiten Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte in Folge einer dem Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden.
Die Feststellung einer BK setzt voraus, dass der Versicherte im Rahmen der versicherten Tätigkeit schädigenden Einwirkungen im Sinne der BK ausgesetzt gewesen ist, die geeignet sind, einen entsprechenden Gesundheitsschaden zu bewirken. Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich ihrer Art und ihres Ausmaßes (sog. arbeitstechnische Voraussetzungen) mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen sein (BSG SozR 2200 § 548 Nr. 84; BSG SozR 3 - 5670 Anlage 1 Nr. 2108 Nr. 2; Mehrtens / Brandenburg, Die Berufskrankheiten-Verordnung, § 9 SGB VII Rdnr. 26).
Der ursächliche Zusammenhang zwischen versicherter Tätigkeit und Einwirkung (haftungsbegründende Kausalität) sowie zwischen Einwirkung und Erkrankung (haftungsausfüllende Kausalität) beurteilt sich nach der unfallrechtlichen Kausalitätslehre von der wesentlichen Bedingung. Danach sind nur die Bedingungen (mit-)ursächlich die wegen ihrer besonderen Bedeutung für den Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Die haftungsbegründende und haftungsausfüllende Kausalität müssen nicht nur möglich, sondern hinreichend wahrscheinlich sein (BSG SozR 2200 § 548 Nr. 38; BSG, Urteil vom 27.06.2000 - B 2 U 29/99 R - = HVBG INFO 2000, 2811 f.; Mehrtens / Brandenburg, a.a.O.). Das ist dann der Fall, wenn unter Zugrundelegung der herrschenden arbeitsmedizinischen Lehrauffassung mehr für als gegen den Zusammenhang spricht und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden (BSGE 32, 203, 209; 43, 110, 113).
I.
Die Voraussetzungen der BK Nr. 2108 ("bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule [LWS] durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können") sind im vorliegenden Fall erfüllt.
Hinsichtlich der arbeitstechnischen Voraussetzungen (bei denen grundsätzlich auch die Einwirkungen durch Ganzkörperschwingungen mitzuberücksichtigen wären) kann auf die Expositionsanalyse des Technischen Aufsichtsdienstes (TAD) der Beklagten verwiesen werden. Hiernach wurde für den Kläger nach dem sog. Mainz-Dortmunder-Dosismodell ein Wert von 60,4 MNh. Diese Belastung liegt weit über dem Richtwert von 25 MNh. Da auch die zugrunde gelegten Daten nachvollziehbar und plausibel erscheinen, sind - wovon auch die Beklagte in den angegriffenen Bescheiden ausgegangen ist - die arbeitstechnischen Voraussetzungen vorliegend gegeben. Der Kläger war damit langjährig wirbelsäulenbelastend im Sinne der BK 2108 tätig.
Auch die medizinischen Voraussetzungen der BK 2108 sind gegeben. Der Kläger leidet an degenerativen Veränderungen der LWS insbesondere im Sinne einer Osteochondrose und Spondylarthrose und damit einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS.
Diese Erkrankung ist ursächlich auf die berufliche Belastung des Klägers zurückzuführen. Da für bandscheibenbedingte Erkrankungen eine multifaktorielle Verursachung typisch ist, erfordert die Kausalitätsbeurteilung im Falle der BK 2108 eine Gesamtschau aller für und gegen den ursächlichen Zusammenhang sprechenden Argumente. Diese führt im vorliegenden Fall nach den überzeugenden Darlegungen der Sachverständigen Dres. S. und H. zu dem Ergebnis, dass deutlich mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht und deshalb der ursächliche Zusammenhang hinreichend wahrscheinlich ist.
Hier spricht bereits die nach Art, Intensität und Dauer extreme berufliche Belastung der LWS des Klägers mit dem mehr als Doppeltem des Dosisrichtwertes für einen ursächlichen Zusammenhang zwischen den Lendenwirbelsäulenbeschwerden und den beruflichen Einwirkungen. Ferner ist der zeitliche Zusammenhang zwischen Exposition und Erstmanifestation der Beschwerden im Jahr 1967 gegeben. Vor allem aber ist nach den übereinstimmenden Feststellungen der gerichtlichen Sachverständigen Dres. S. und H. - denen sich die Kammer anschließt - auch ein einwirkungskonformes Schadensbild gegeben. Insbesondere überschreiten die bildtechnisch nachgewiesenen Veränderungen der LWS deutlich das altersdurchschnittlich zu erwartende Ausmaß und korrelieren mit der Funktionseinschränkung sowie der beruflichen Exposition (sog. belastungskonformes Schadensbild). Hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang die vom Sachverständigen Dr. H. festgestellten eindeutigen belastungsadaptiven Phänomene im Sinne der Osteochondrose und Spondylarthrose. Nimmt man hinzu, dass die anamnestischen Angaben des Klägers, die klinischen und röntgenologischen Befunde nach Ansicht der Sachverständigen vollständig übereinstimmen und konkurrierende Ursachen nicht ersichtlich sind, besteht nach Überzeugung der Kammer kein ernsthafter Zweifel an der beruflichen Verursachung der Erkrankung.
Vor allem vermögen die von der Beklagten über die beratungsärztlichen Stellungnahmen von Frau Dr. H. eingeführten Bedenken nicht zu überzeugen. Insbesondere kann im vorliegenden Fall nicht gegen einen Kausalzusammenhang geltend gemacht werden, dass die Halswirbelsäule des Klägers wesentlich deutlicher in Mitleidenschaft gezogen ist als die Lendenwirbelsäule. Zwar mag eine solche polysegmentale Verteilung der Bandscheibenerkrankung im Allgemeinen und nach der sog. Hamburger Formel (allgemein zu deren Anwendbarkeit: BSG, Urteil vom 27.06.2006, Az.: B 2 U 13/05 R) auf eine starke konstitutionelle Veranlagung zum Bandscheibenverschleiß hindeuten.
Jedoch treffen die hierfür maßgeblichen Erwägungen vorliegend offensichtlich nicht zu. Denn soweit ein von den oberen Segmenten der Wirbelsäule nach unten zunehmendes Schadensbild gefordert wird, ist dabei offensichtlich an Fälle gedacht, in denen die oberen Segmente bzw. die HWS keinen nennenswerten Belastungen ausgesetzt waren. Nur dann kann für einen Kausalzusammenhang gefordert werden, dass sich der Degenerationszustand im Bereich der LWS von dem belastungsferner Abschnitte der Wirbelsäule unterscheidet. Diesbezüglich haben die gerichtlichen Sachverständigen überzeugend und nachvollziehbar dargelegt, dass das beim Kläger vorzufindende Schadensbild gerade für eine berufliche Verursachung spricht, da nur die Wirbelsäulenabschnitte von degenerativen Veränderungen betroffen sind, die entsprechenden Belastungen ausgesetzt waren.
Schließlich dürfte sich der Einwand der Beklagten ohnehin als obsolet erweisen, soweit in die Betrachtung der BK 2108 einbezogen wird, dass auch eine BK 2109 (dazu unter II.) vorliegt.
Selbst soweit man aber den Ausgangspunkt der Beklagten teilt und von einem nicht ganz belastungskonformen Schadensbild ausginge, wäre mit dem Sachverständigen Dr. H. zumindest von einer richtungsweisenden Verschlimmerung eines Anlageleidens auszugehen. Auch insofern ergäbe sich folglich keine abweichende Bewertung.
Nach alldem steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die festgestellten Gesundheitsbeeinträchtigungen im Bereich der LWS des Klägers beruflich bedingt und daher als Berufskrankheit nach Nr. 2108 BKV anzuerkennen und zu entschädigen sind.
II.
Auch die Voraussetzungen der BK Nr. 2109 ("bandscheibenbedingte Erkrankungen der Halswirbelsäule [HWS] durch langjähriges Tragen schwerer Lasten auf der Schulter, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können") sind im vorliegenden Fall gegeben.
Hinsichtlich der arbeitstechnischen Voraussetzungen kann für die Jahre 1962 bis 1964 auf die Expositionsanalyse des TAD der Beklagten verwiesen werden. Soweit die Beklagte darüber hinaus an ihrer Einschätzung festgehalten hat, in den darauffolgenden Jahren von 1966 bis 1998 seien die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht erfüllt, wird dies von ihren eigenen Ermittlungen nicht getragen.
Insbesondere ist nicht nachvollziehbar, dass die Beklagte insoweit von einer anderen bzw. geringeren Belastung ausgeht, obwohl der Kläger glaubhaft und nachvollziehbar versichert hat, gerade in den Jahren seiner Selbständigkeit extremen Belastungen ausgesetzt gewesen zu sein. Diese Belastungen können schließlich auch nicht unter Hinweis auf die Berufsgruppe der Fleischabträger relativiert werden. Insbesondere erscheint willkürlich die Exposition schematisch auf 15 bis 30 % der Belastung von Fleischabträgern zu schätzen. Insofern ist schon das Abstellen auf die zurückgelegten Wegstrecken wenig aussagekräftig. Zu berücksichtigen wäre vielmehr auch die Tragedauer und der Transportweg über enge Treppen und Kellerwege mit regelmäßig ungünstiger physiologischer Zwangshaltung. Insofern ist auch im unfallversicherungsrechtlichen Schrifttum anerkannt, dass die Tätigkeit als Transportarbeiter ein vergleichbares Belastungsprofil zu den Fleischträgern aufweist (vgl. Mehrtens/ Brandenburg, BKV, M 2109 Anm. C, S. 10). Im Übrigen erscheinen die von der Beklagten zugrunde gelegten Wegstrecken von 15 m bei lebensnaher Betrachtung äußerst knapp bemessen und wurde bei der Exposition nicht berücksichtigt, dass der Kläger nicht nur Körbe sondern auch 50 kg schwere Säcke in typischer Zwangshaltung auf der Schulter getragen hat (Bild 5 und 6 der Fotodokumentation, Blatt 144 und 147 der Verwaltungsakte).
Im Übrigen überspannt die Beklagte die Anforderungen offensichtlich. Denn nach dem einschlägigen Merkblatt ist für die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK 2109 das Tragen von Lastgewichten über 50 kg auf der Schulter mit gewisser Regelmäßigkeit und Häufigkeit in der überwiegenden Zahl der Arbeitsschichten erforderlich. Zur Konkretisierung des Merkmals der Häufigkeit ist mangels anderer Anhaltspunkte das Merkblatt zur BK 2108 entsprechend heranzuziehen, wonach grundsätzlich 40 Hübe pro Arbeitsschicht ausreichend sind (vgl. Mehrtens/ Brandenburg, BKV, M 2109 Anm. 2, S. 9; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 11.11.1998, Az.: L 2 U 883/98). Diese Voraussetzungen erfüllt die 32 Jahre dauernde selbständige Tätigkeit des Klägers, bei der er u. a. 60 kg schwere Körbe 40 mal täglich über jeweils 15 m auf der Schulter transportiert hat. Die arbeitstechnischen Voraussetzungen sind damit bereits nach den Feststellungen der Beklagten erfüllt. Dies gilt erst recht, soweit die ebenfalls auf der Schulter transportierten bis zu 50 kg schweren Säcke berücksichtigt werden.
Auch die medizinischen Voraussetzungen der BK 2109 sind gegeben. Der Kläger leidet an ausgeprägten degenerativen Veränderungen der HWS insbesondere im Sinne einer Osteochondrose und Spondylarthrose und damit einer bandscheibenbedingten Erkrankung der HWS.
Diese Erkrankung ist ursächlich auf die berufliche Belastung des Klägers zurückzuführen. Da für bandscheibenbedingte Erkrankungen eine multifaktorielle Verursachung typisch ist, erfordert die Kausalitätsbeurteilung auch im Falle der BK 2109 eine Gesamtschau aller für und gegen den ursächlichen Zusammenhang sprechenden Argumente. Diese führt im vorliegenden Fall nach den überzeugenden Darlegungen der Sachverständigen Dres. S. und H. zu dem Ergebnis, dass deutlich mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht und deshalb der ursächliche Zusammenhang hinreichend wahrscheinlich ist.
Auch hier spricht bereits die nach Art, Intensität und Dauer extreme berufliche Belastung der HWS des Klägers für einen ursächlichen Zusammenhang zwischen den Halswirbelsäulenbeschwerden und den beruflichen Einwirkungen. Ferner ist der zeitliche Zusammenhang zwischen Exposition und Erstmanifestation der Beschwerden im Jahr 1967 gegeben.
Vor allem aber ist nach den übereinstimmenden Feststellungen der gerichtlichen Sachverständigen Dres. S. und H. - denen sich die Kammer anschließt - auch ein einwirkungskonformes Schadensbild gegeben. Insbesondere überschreiten die bildtechnisch nachgewiesenen Veränderungen der HWS das Altersmaß bei weitem und korrelieren mit der Funktionseinschränkung sowie der beruflichen Exposition (sog. belastungskonformes Schadensbild). Hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang die vom Sachverständigen Dr. H. festgestellten eindeutigen belastungsadaptiven Phänomene im Sinne der Osteochondrose und Spondylarthrose. Auch hat der Sachverständige überzeugend dargelegt, dass der Befund dem typischen belastungskonformen Schadensbild einer BK 2109 entspricht, bei dem die oberen zervikalen Segmente der HWS mitbetroffen sind. Nimmt man hinzu, dass die anamnestischen Angaben des Klägers, die klinischen und röntgenologischen Befunde nach Ansicht der Sachverständigen vollständig übereinstimmen und konkurrierende Ursachen nicht ersichtlich sind, vermag die Kammer ernsthafte Zweifel an der beruflichen Verursachung der Erkrankung nicht zu erkennen.
Vielmehr steht auch insoweit zur Überzeugung der Kammer fest, dass die festgestellten Gesundheitsbeeinträchtigungen im Bereich der HWS des Klägers beruflich bedingt und daher als Berufskrankheit nach Nr. 2109 BKV anzuerkennen und zu entschädigen sind.
III.
Der Kläger war wegen dieser Erkrankungen im Sinne der BK 2108 und 2109 seit dem 14.12.1998 zur Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten gezwungen, die für die Entstehung der Krankheit ursächlich waren. Der Zeitpunkt ergibt sich nach den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen Dr. H. aus der gesundheitsbedingten Aufgabe der selbständigen Tätigkeit. Hierfür spricht auch, dass der Kläger nach diesem Zeitpunkt nicht mehr wirbelsäulenbelastend tätig war. Damit war der Versicherungsfall am 14.12.1998 eingetreten. Anspruch auf Verletztenrente, besteht vom Folgetag an (§ 72 Abs. 1 Nr. 2 SGB VII).
IV.
Die durch die Berufskrankheiten bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) ist auf Dauer mit 25 v.H. einzuschätzen.
Die Bemessung des Grades der MdE, also die aufgrund § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII durch eine Schätzung vorzunehmende Festlegung des konkreten Umfangs, der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII), ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG eine tatsächliche Festlegung, die das Gericht gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG nach seiner freien aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnen Überzeugung trifft. Neben der Feststellung der Beeinträchtigung des Leistungsvermögens des Versicherten ist dabei die Anwendung medizinischer oder sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens erforderlich. Als Ergebnis dieser Wertung ergibt sich die Erkenntnis über den Umfang der dem Versicherten versperrten Arbeitsmöglichkeiten. Hierbei kommt es stets auf den gesamten Umfang des Einzelfalles an.
Zur Berufskrankheit nach Nr. 2108 und 2109 der BKV haben sich noch keine allgemeinen Erfahrungswerte herausgebildet, die bei der Beurteilung der MdE herangezogen werden könnten (vgl. BSG, Entscheidung vom 02. Mai 2001 - B 2 U 24/00 R). Folglich kommt hier der sachverständigen Einschätzung durch die Gutachter eine besondere Bedeutung zu. Die Kammer schließt sich auch diesbezüglich der übereinstimmenden Beurteilung der Sachverständigen Dres. S. und H. an. Danach mindern die erheblichen schmerzhaften Funktionsbeeinträchtigungen im Halswirbelsäulenbereich und die funktionellen Beeinträchtigungen im Bereich der Lendenwirbelsäule die Erwerbsfähigkeit des Klägers um ein Viertel. Insbesondere ist ihm die Ausübung von Tätigkeiten, die mit intensiven körperlichen Belastungen oder Zwangshaltungen des Rumpfes einhergehen, nicht mehr möglich. Zumutbar erscheinen nur noch körperlich leichte Tätigkeiten ohne Hebe- und Tragebelastung mit wechselnder Belastungssituation. Dies betrifft einen erheblichen Teil der Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens, so dass das Gericht keine Bedenken hat, der Einschätzung der Sachverständigen zu folgen. Nicht zu überzeugen vermag indes die Einschätzung des im Verwaltungsverfahren gehörten Sachverständigen Dr. G., da eine nachvollziehbare Begründung für die MdE-Schätzung auf 50 v. H. nicht gegeben wird.
V.
Abschließend sieht sich die Kammer zu der Feststellung veranlasst, dass die ablehnenden Entscheidungen der Beklagten nicht im Ansatz zu überzeugen vermögen. Nicht nur, dass die Beklagte ihre Ablehnung mit mehrfach wechselnder Begründung versehen und sich letztlich auf eine unzutreffende Bewertung der arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK 2109 zurückgezogen hat. Nimmt man die extreme Exposition des Klägers sowohl im Bereich der Lenden- als auch der Halswirbelsäule hinzu, erscheint die ablehnende Argumentation der Beklagten, wonach das Schadensbild der (zu Unrecht) abgelehnten BK 2109 zugleich als alleiniger Ablehnungsgrund der BK 2108 angeführt wird, offensichtlich zirkulär. Spätestens nach dem zwei gerichtliche Sachverständige dargelegt haben, dass die im Bereich der Halswirbelsäule erhobenen Befunde nicht gegen eine berufliche Verursachung des Schadensbildes im Bereich der Lendenwirbelsäule sprechen, bewegt sich die weitere Prozessführung der Beklagten am Rande der Mutwilligkeit (§ 192 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Beklagte wird verurteilt, bei dem Kläger das Vorliegen der Berufskrankheiten nach den Nummern 2108 und 2109 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung anzuerkennen sowie Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 25 v. H. zu gewähren.
II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Anerkennung seiner Wirbelsäulenbeschwerden als Berufskrankheit (BK) nach den Nummern 2108 und 2109 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV).
Der 1943 geborene Kläger absolvierte vom 01.09.1959 bis zum 28.02.1962 beim VEB G. eine Ausbildung zum Werkzeugmacher. Während dieser Zeit war der Kläger im sogenannten zweiten Arbeitsverhältnis in der Firma W. G., Spedition – Kohlehandlung, tätig. Inhaber dieser Firma war der Vater des Klägers, Herr W. G ... Während dieser Zeit hatte der Kläger täglich am Nachmittag und auch an den Wochenenden im Durchschnitt etwa 3 Stunden zu arbeiten. Die Arbeit bestand insbesondere daraus, die Kohle in Transportbehältnisse (Säcke, Körbe) zu schaufeln, auf einen Lastkraftwagen aufzuladen, zum Kunden zu bringen und dort wieder abzuladen. Des Weiteren wurden Möbel und andere Sachen transportiert.
Im Anschluss daran war der Kläger vom 01.03.1962 bis zum 31.10.1964 vollschichtig bei der Firma W. G. als Kraftfahrer und Transportarbeiter tätig. Er hatte hierbei im Wesentlichen dieselben Arbeiten wie zuvor auszuführen, wobei die tägliche Arbeitszeit mindestens 10 Stunden betrug.
Vom November 1964 bis zum April 1966 leistete der Kläger seinen Wehrdienst. Im Anschluss daran, ab dem 01.05.1966, arbeitete er wieder im Kohlehandel und zwar in dem zwischenzeitlich von seinem Vater übernommenen Betrieb. Diesen führte er bis in das Jahr 1998 unter der Firma V. G. Kohlehandel als Kommissionshändler des VEB Kohlehandel weiter. Außerhalb der Saisonzeiten hatte der Kläger keine Angestellten. Auch im Übrigen wurden alle anfallenden Tätigkeiten von ihm selbst verrichtet. Dies betrifft insbesondere das Verladen, das Ausfahren und den Transport der Kohle.
Während dieser Zeit als selbständiger Kohlehändler vom 01.05.1966 bis 14.12.1998 hat der Kläger insbesondere 30 kg schwere mit Brennmaterial gefüllte Säcke und andere Behältnisse 50-mal täglich über eine Wegstrecke von mindestens 15 m getragen, sowie Körbe mit Kohle mit einem Gewicht von 60 kg 40-mal täglich über eine Wegstrecke von 15 m getragen. Die Lasten wurden dabei vorwiegend auf dem Rücken und auf der Schulter getragen, und zwar sowohl beim Aufladen des LKWs als auch beim Entladen, wobei sie teilweise in ungünstiger Zwangshaltung etwa über Kellertreppen transportiert werden mussten. Wegen der Einzelheiten wird auf die Expositionsanalyse der Beklagten vom 29.10.2001, Blatt 56 – 61 und die Fotodokumentation der Beklagten, Blatt 144 – 147 der Verwaltungsakte Bezug genommen.
Seit 1967 klagt der Kläger über Rückenbeschwerden und begab sich deswegen auch in ärztliche Behandlung. Am 15.12.1998 verkaufte der Kläger wegen der zunehmenden Beschwerden insbesondere im Wirbelsäulenbereich seinen Betrieb an die Firma R. S. Containerdienst und Brennstoffhandel. Dort blieb der Kläger weiterhin als Kraftfahrer angestellt und war mit der Auslieferung und Aufstellung von Absetzmulden beschäftigt. Diese Tätigkeit übte er bis Anfang 2002 aus. Danach war er wegen der Wirbelsäulenbeschwerden arbeitsunfähig krank und seit dem 16.02.2002 arbeitslos.
Am 17.05.2001 erfolgte die ärztliche Anzeige auf den Verdacht einer BK nach Nr. 2109 der BKV durch die behandelnde Fachärztin für Orthopädie und Chirotherapie, Dipl.-med. E. M., Werdau.
Die Beklagte hat hierauf ein Berufskrankheitenfeststellungsverfahren zu den BK 2108 bis 2110 der BKV eingeleitet. Insbesondere wurde der Kläger befragt und anhand seiner Daten eine Expositionsanalyse erstellt. Diese führte zu dem Ergebnis, dass hinsichtlich der BK 2109 eine Gefährdung nur im Zeitraum von 1962 bis 1964 vorgelegen habe. Darüber hinaus seien Lasten nicht in erheblichem Umfang auf der Schulter getragen wurden, so dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Dagegen seien die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK 2108 und 2110 gegeben. Insbesondere ergab die Dosisberechnung nach dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell eine Gesamtbelastungsdosis von 60,4 MNh. Im Einzelnen wird auf Blatt 97 und 70 der Verwaltungsakte verwiesen.
Des Weiteren hat die Beklagte eine medizinische Begutachtung des Klägers veranlasst. Der Sachverständige, Dr. G. gelangt in seinem Gutachten vom 25.09.2002 nach ambulanter Untersuchung des Klägers zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen für eine Anerkennung als BK 2108 und 2109 gegeben sind. Insbesondere seien die eindeutig nachweisbaren degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule des Klägers als Folge der jahrelangen schweren körperlichen Arbeiten zu bewerten. Dagegen könne eine BK 2110 nicht anerkannt werden. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit schätzt der Sachverständige mit 50 v. H. ein.
Die hiernach angehörten Gewerbeärzte Dres. A. und W. haben in ihrer Stellungnahme vom 19.12.2002 weiteren Ermittlungsbedarf gesehen. Insbesondere seien weitere Feststellungen zur Gefährdung im Sinne der BK 2109 für den Beschäftigungszeitraum 1966 bis 1998 veranlasst. Zugleich wurde um Übersendung weiterer Behandlungsunterlagen, insbesondere von Röntgenaufnahmen, gebeten.
Die Beklagte hat hierauf nochmals Ermittlungen zu Exposition angestellt und insbesondere den Kläger befragt, wie die einzelnen Transportbehältnisse gehoben und getragen wurden. Insbesondere wurde eine Fotodokumentation angefertigt. Die Beklagte gelangt hierbei zu dem Ergebnis, dass die ca. 60 kg schweren Kohlekörbe auf dem Rücken getragen wurden und daher eine Gefährdung im Sinne der BK 2109 nicht gegeben sei. Im Einzelnen wird auf Bild 1 und 2 der Fotodokumentation, Blatt 145 und 142 der Verwaltungsakte verwiesen.
Dabei blieb offensichtlich unberücksichtigt, dass die Ermittlungen auch Anhaltspunkte für eine gefährdende Tätigkeit ergeben haben. Insbesondere wurde festgestellt, dass ca. 50 kg schwere Kohlesäcke mit einer über die Schulter verlaufenden Halteschlaufe getragen wurden, so dass ein großer Teil der Last auf der Schulter lag (vergleiche Bild 3 und 4 der Fotodokumentation, Blatt 144 und 146 der Verwaltungsakte). Ebenfalls keine Erwähnung fand das Ermittlungsergebnis, wonach der Kläger unter anderem bis zu 50 kg schwere mit Kohlen und Koks gefüllte Säcke auf der Schulter unter leichter Seitneigung des Kopfes getragen hat (Bild 5 und 6 der Fotodokumentation, Blatt 144 und 147 der Verwaltungsakte).
Der erneut angehörte Gewerbearzt Dr. A. hat mit Schreiben vom 13.05.2003 empfohlen, eine BK 2109 nicht anzuerkennen und sich dabei der Ansicht der Beklagten angeschlossen, dass eine ausreichende Belastung im Sinne dieser BK nicht gegeben sei. Ausführungen zu den medizinischen Voraussetzungen und insbesondere auch zu den BK 2108 und 2110 enthält die Stellungnahme nicht.
Die Beklagte hat darauf mit Bescheid vom 11.06.2003 die Anerkennung als BK nach den Nummern 2108 bis 2110 abgelehnt. Zur Begründung wurde ausgeführt, hinsichtlich der BK 2109 sei eine die Halswirbelsäule gefährdende Tätigkeit allenfalls von 1959 bis 1964 gegeben. Diese Tätigkeit sei jedoch nicht langjährig verrichtet worden, so dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht gegeben seien. Hinsichtlich der BK 2108 und 2110 mangele es dagegen an den medizinischen Voraussetzungen. Insbesondere liege ein belastungskonformes Schadensbild nicht vor.
Hiergegen hat der Kläger mit Schreiben vom 01.07.2003 Widerspruch erhoben. Zur Begründung führt er aus, dass ihm unverständlich sei, weshalb die schweren körperlichen Tätigkeiten nur bis in das Jahr 1964 anerkannt worden seien. Tatsächlich sei er gerade in den Jahren seiner Selbständigkeit ab 1966 extremen körperlichen Belastungen ausgesetzt gewesen.
Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 02.09.2003 ohne weitere Ermittlungen als unbegründet zurück und verwies auf ihr Vorbringen im angegriffenen Bescheid. Ergänzend führt sie aus, dass in der Zeit nach Oktober 1964 der wesentliche Anteil der Brennstoffe in Säcken und Körben auf dem Rücken und nicht auf der Schulter transportiert worden sei.
Hiergegen hat der Kläger am 22.09.2003 Klage erhoben und zur Begründung nochmals darauf verwiesen, dass er auch nach 1966 extremen wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten ausgesetzt war. Auch hätten die Ermittlungen der Beklagten zweifelsfrei ergeben, dass die Lasten zum wesentlichen Teil auf der Schulter getragen wurden. Schließlich sei die Begründung für die Ablehnung der BK 2108 und 2110 nicht nachvollziehbar. Insbesondere stünden die Ausführungen der Beklagten zur Schadenslokalisation und zum belastungskonformen Schadensbild im Widerspruch zu den Feststellungen des Sachverständigen Dr. G ...
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 11.06.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.09.2003 zu verurteilen, bei dem Kläger das Vorliegen der Berufskrankheiten nach den Nummern. 2108 und 2109 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung anzuerkennen sowie eine Verletztenrente zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist insbesondere der Ansicht, die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK 2109 seien nicht gegeben, da die Tätigkeit des Klägers nicht der von Fleischabträgern in Schlachthöfen vergleichbar sei. So hätte der Kläger die Lasten nicht direkt auf der Schulter unter Zwangshaltung des Halses getragen.
Das Gericht hat Befundberichte und Behandlungsunterlagen des Klägers beigezogen sowie von Amts wegen die Einholung eines Sachverständigengutachtens veranlasst. Zum Sachverständigen wurde Dr. S., Facharzt für Chirurgie und Unfallchirurgie, Weimar, bestellt.
Der Sachverständige gelangt in seinem Gutachten vom 14.08.2004 zu dem Ergebnis, dass beim Kläger erhebliche degenerative Veränderungen der gesamten Wirbelsäule vorliegen, die zu einer erheblichen schmerzhaften Funktionseinschränkung im Bereich der Halswirbelsäule und zu einer deutlichen funktionellen Beeinträchtigung im Bereich der Lendenwirbelsäule führen. Nach seiner Einschätzung sei das medizinische Bild einer BK 2108 gegeben. Insbesondere sei die medizinische Begründung der Beklagten für die Ablehnung der BK 2108 offensichtlich nicht haltbar.
Hinsichtlich der BK 2109 weist der Sachverständige darauf hin, dass die degenerativen Veränderungen im Bereich der Halswirbelsäule die stärkste Ausprägung haben. Diese Veränderungen liegen nach seiner Einschätzung im gesamten Bereich der Halswirbelsäule zweifelsfrei über dem Altersdurchschnitt und seien durch die berufliche Tätigkeit des Klägers verursacht. Auch insoweit könne die Begründung der Beklagten und der Verweis auf die belastende Tätigkeit von Fleischabträgern nicht überzeugen. Ausschlaggebend sei vielmehr, dass eine entsprechend starke Belastung vorgelegen hat, die zudem mit einer Zwangshaltung der Halswirbelsäule einhergeht. Dies sei im Falle des Klägers gegeben. Im Übrigen könne die Annahme, der Kläger sei nur bis 1964 gefährdend tätig gewesen, anhand der von der Beklagten selbst dokumentierten Arbeitsanamnese nicht nachvollzogen werden.
Bezüglich der BK 2110 stellt der Sachverständige fest, dass deren Schadensbild von der BK 2108 kaum zu differenzieren sei und vorliegend nicht ins Gewicht fallen dürfte. Insbesondere dürfte es an den arbeitstechnischen Voraussetzungen mangeln. Die MdE ist nach Einschätzung des Sachverständigen aufgrund der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen mit 25 v. H. einzuschätzen. Im Einzelnen wird auf Blatt 122 – 151 der Akte Bezug genommen.
Die Beklagte hat hiergegen unter Vorlage einer beratungsärztlichen Stellungnahme von Frau Dr. H. vom 26.10.2004 Einwände erhoben. Hinsichtlich der BK 2108 könne zwar nunmehr von einem mehrsegmentalen Schaden ausgegangen werden, auch wenn das Schadensbild nicht ganz belastungkonform sei. Gegen einen Zusammenhang zur beruflichen Tätigkeit spreche aber, dass die Halswirbelsäule des Klägers wesentlich deutlicher in Mitleidenschaft gezogen ist als die Lendenwirbelsäule. Eine solche polysegmentale Verteilung der Bandscheibenerkrankung weise auf eine starke konstitutionelle Veranlagung zum Bandscheibenverschleiß hin. Im Einzelnen wird auf Blatt 159 – 169 der Akte verwiesen.
Der hierzu gehörte Sachverständige Dr. S. hat in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 20.12.2004 mitgeteilt, dass die polysegmentalen Veränderungen mit größter Wahrscheinlichkeit auf die berufsbedingten Schädigungen zurückzuführen sind, die bewiesenermaßen polysegmental eingewirkt haben. Die Schäden an der Halswirbelsäule sprächen daher im Rahmen der BK 2108 nicht gegen einen beruflichen Zusammenhang. Im Einzelnen wird auf Blatt 173 f. der Akte Bezug genommen.
Die Beklagte hat hierauf nochmals unter Vorlage einer beratungsärztlichen Stellungnahme von Frau Dr. H. vom 14.02.2005 erwidert. Hiernach sei aufgrund der polysegmentalen Bandscheibendegeneration mit Schwerpunkt im Bereich der Halswirbelsäule im Rahmen der BK 2108 nicht von einer beruflichen Verursachung auszugehen. Im Einzelnen wird auf Blatt 177 – 183 der Akte verwiesen.
Der Sachverständige Dr. S. wurde hierzu nochmals ergänzend angehört. In seiner Stellungnahme vom 21.04.2005 hält er sein Gutachten in vollem Umfang aufrecht. Insbesondere bezögen sich die Ausführungen der Beratungsärztin Dr. H. zur polysegmentalen Bandscheibendegeneration auf Konstellationen, in denen alle Wirbelsäulenabschnitte gleichmäßig von degenerativen Veränderungen betroffen seien.
Dies sei jedoch im Falle des Klägers gerade nicht der Fall, da nur die Wirbelsäulenabschnitte beschädigt seien, die einer entsprechenden beruflichen Belastung ausgesetzt gewesen sind. Wegen der Einzelheiten wird auf Blatt 184 – 186 der Akte verwiesen.
Die Beklagte hat hierauf mit Schreiben vom 30.06.2005 unter Vorlage einer weiteren Stellungnahme von Frau Dr. H. mitgeteilt, dass sie an ihrer Auffassung festhalte.
Das Gericht hat darauf ein weiteres Sachverständigengutachten von Amts wegen eingeholt. Zum Sachverständigen wurde Privatdozent Dr. med. habil. H., Chefarzt der Klinik für Orthopädie des Klinikums E. bestimmt. In seinem Gutachten vom 09.01.2006 schließt sich der Sachverständige vollumfänglich den Feststellungen des zuvor gehörten Sachverständigen Dr. S. an. Insbesondere weisen alle drei Wirbelsäulenabschnitte des Klägers degenerative Veränderungen auf, welche im Bereich der Halswirbelsäule und im Bereich der Lendenwirbelsäule im Segment L 5/ S 1 weit über das Altersmaß hinausgehen. Des Weiteren finden sich sowohl im Bereich der Halswirbelsäule als auch der Lendenwirbelsäule eindeutige belastungsadaptive Phänomene im Sinne einer Spondylarthrose und Osteochondrose. Das medizinische Bild einer BK 2108 liege daher vor. Dem könnten auch die polysegmentalen degenerativen Veränderungen nicht entgegen gehalten werden. Insbesondere könne die ablehnende Argumentation der Beklagten nicht nachvollzogen werden, da man hinsichtlich der Halswirbelsäule des Klägers nicht von einen nichtexponierten Wirbelsäulenabschnitt ausgehen könne. Da im Falle des Klägers sowohl die Lendenwirbelsäule als auch die Halswirbelsäule beruflichen Belastungen ausgesetzt war, könne auch die sogenannte Hamburger Formel nicht mehr angewendet werden. Selbst wenn man aber der Auffassung von Frau Dr. H. folgt und von einem nicht ganz belastungskonformen Schadensbild ausginge, wäre angesichts der massiven beruflichen Belastung und des Schmerzbeginns um das Jahr 1967 jedenfalls von einer richtungweisenden Verschlimmerung der degenerativen Veränderungen auszugehen.
Auch hinsichtlich der BK 2109 kann der ablehnenden Argumentation der Beklagten nach Ansicht des Sachverständigen nicht gefolgt werden. Insbesondere seien die arbeitstechnischen Voraussetzungen nach dem Ergebnis der Ermittlungen der Beklagten eindeutig gegeben, da der Kläger von 1966 bis 1998 entsprechenden Belastungen ausgesetzt war. Auch sei die Tätigkeit des Klägers der von Fleischabträgern jedenfalls vergleichbar. Im Übrigen dürften die äußeren Umstände mit Bewältigung von Kellertreppen noch als wesentlich schlechter zu bewerten sein. Im Bereich der Halswirbelsäule entspricht das festzustellende Krankheitsbild einem belastungskonformen Schadensbild im Sinne einer BK 2109. Die MdE schätzt der Sachverständige ebenfalls mit 25 v. H. ein. Wegen der Einzelheiten wird auf Blatt 213 – 233 der Akte Bezug genommen.
Die Beklagte hat hierauf nachmals Ermittlungen zu den arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK 2109 angestellt. Nach der Stellungnahme ihrer Präventionsabteilung vom 17.02.2006 sei zwar das Tragen von Körben und/oder Säcken mit Kohle auf Schulter und Rücken als Gefährdung im Sinne der BK 2109 einzustufen, jedoch habe der Kläger nicht im erheblichen Umfang Lasten auf Schulter oder Rücken getragen. Verglichen mit Fleischabträgern, die arbeitstäglich Gesamtwegstrecken von 2000 bis 4000 m unter Last zurückgelegt haben, liege die Belastung im Falle des Klägers nur bei ca. 15 bis 30 %. Die Beklagte gehe daher weiterhin davon aus, dass für den Beschäftigungszeitraum von 1966 bis 1998 eine Gefährdung im Sinne der BK 2109 nicht vorgelegen hat. Wegen der Einzelheiten wird auf Blatt 237 ff. Bezug genommen.
Der Sachverständige Dr. H. hat hierzu in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 19.04.2006 mitgeteilt, dass er die Einschätzung des Präventionsdienstes zur beruflichen Exposition des Klägers für nicht schlüssig hält. Insbesondere sei unerklärlich, wie der Kläger, der im Rahmen der BK 2108 mit einer Gesamtdosis von 60,4 MNh belastet war, zugleich im Rahmen der BK 2109 nicht gesundheitsgefährdend tätig gewesen sein soll.
Die Beklagte hat hierauf unter Vorlage weiterer Stellungnahmen ihres Präventionsdienstes mitgeteilt, dass sie an ihrer Auffassung festhalte und die berufliche Belastung des Klägers der von Fleischabträgern nicht vergleichbar sei. Eine Gefährdung im Sinne der BK 2109 sei daher für den Zeitraum 1966 bis 1998 nicht gegeben.
In der mündlichen Verhandlung am 27.09.2007 hat der Vorsitzende die Beteiligten darauf hingewiesen, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK 2109 gegeben sein dürften. Insbesondere sei nach der Rechtsprechung des LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 11.11.1998, Az.: L 2 U 883/98) für das Merkmal der Häufigkeit grundsätzlich eine Belastung von 40 Hüben pro Arbeitsschicht ausreichend.
Im Übrigen wurde der Beklagten hinsichtlich der BK 2108 ein Anerkenntnis nahegelegt, da eine nachvollziehbare Begründung für deren Ablehnung weder dargetan noch sonst ersichtlich sei. Bezüglich der Anerkennung einer BK nach Nr. 2110 der BKV hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Klage zurückgenommen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird verwiesen auf den Inhalt der Prozessakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist auch begründet.
Die angegriffenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten.
Beim Kläger besteht eine Berufskrankheit nach Nr. 2108 und 2109 der BKV, wegen deren Folgen er Verletztenrente in Höhe von 25 v. H. der Vollrente zu beanspruchen hat.
Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Berufskrankheiten Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte in Folge einer dem Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden.
Die Feststellung einer BK setzt voraus, dass der Versicherte im Rahmen der versicherten Tätigkeit schädigenden Einwirkungen im Sinne der BK ausgesetzt gewesen ist, die geeignet sind, einen entsprechenden Gesundheitsschaden zu bewirken. Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich ihrer Art und ihres Ausmaßes (sog. arbeitstechnische Voraussetzungen) mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen sein (BSG SozR 2200 § 548 Nr. 84; BSG SozR 3 - 5670 Anlage 1 Nr. 2108 Nr. 2; Mehrtens / Brandenburg, Die Berufskrankheiten-Verordnung, § 9 SGB VII Rdnr. 26).
Der ursächliche Zusammenhang zwischen versicherter Tätigkeit und Einwirkung (haftungsbegründende Kausalität) sowie zwischen Einwirkung und Erkrankung (haftungsausfüllende Kausalität) beurteilt sich nach der unfallrechtlichen Kausalitätslehre von der wesentlichen Bedingung. Danach sind nur die Bedingungen (mit-)ursächlich die wegen ihrer besonderen Bedeutung für den Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Die haftungsbegründende und haftungsausfüllende Kausalität müssen nicht nur möglich, sondern hinreichend wahrscheinlich sein (BSG SozR 2200 § 548 Nr. 38; BSG, Urteil vom 27.06.2000 - B 2 U 29/99 R - = HVBG INFO 2000, 2811 f.; Mehrtens / Brandenburg, a.a.O.). Das ist dann der Fall, wenn unter Zugrundelegung der herrschenden arbeitsmedizinischen Lehrauffassung mehr für als gegen den Zusammenhang spricht und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden (BSGE 32, 203, 209; 43, 110, 113).
I.
Die Voraussetzungen der BK Nr. 2108 ("bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule [LWS] durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können") sind im vorliegenden Fall erfüllt.
Hinsichtlich der arbeitstechnischen Voraussetzungen (bei denen grundsätzlich auch die Einwirkungen durch Ganzkörperschwingungen mitzuberücksichtigen wären) kann auf die Expositionsanalyse des Technischen Aufsichtsdienstes (TAD) der Beklagten verwiesen werden. Hiernach wurde für den Kläger nach dem sog. Mainz-Dortmunder-Dosismodell ein Wert von 60,4 MNh. Diese Belastung liegt weit über dem Richtwert von 25 MNh. Da auch die zugrunde gelegten Daten nachvollziehbar und plausibel erscheinen, sind - wovon auch die Beklagte in den angegriffenen Bescheiden ausgegangen ist - die arbeitstechnischen Voraussetzungen vorliegend gegeben. Der Kläger war damit langjährig wirbelsäulenbelastend im Sinne der BK 2108 tätig.
Auch die medizinischen Voraussetzungen der BK 2108 sind gegeben. Der Kläger leidet an degenerativen Veränderungen der LWS insbesondere im Sinne einer Osteochondrose und Spondylarthrose und damit einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS.
Diese Erkrankung ist ursächlich auf die berufliche Belastung des Klägers zurückzuführen. Da für bandscheibenbedingte Erkrankungen eine multifaktorielle Verursachung typisch ist, erfordert die Kausalitätsbeurteilung im Falle der BK 2108 eine Gesamtschau aller für und gegen den ursächlichen Zusammenhang sprechenden Argumente. Diese führt im vorliegenden Fall nach den überzeugenden Darlegungen der Sachverständigen Dres. S. und H. zu dem Ergebnis, dass deutlich mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht und deshalb der ursächliche Zusammenhang hinreichend wahrscheinlich ist.
Hier spricht bereits die nach Art, Intensität und Dauer extreme berufliche Belastung der LWS des Klägers mit dem mehr als Doppeltem des Dosisrichtwertes für einen ursächlichen Zusammenhang zwischen den Lendenwirbelsäulenbeschwerden und den beruflichen Einwirkungen. Ferner ist der zeitliche Zusammenhang zwischen Exposition und Erstmanifestation der Beschwerden im Jahr 1967 gegeben. Vor allem aber ist nach den übereinstimmenden Feststellungen der gerichtlichen Sachverständigen Dres. S. und H. - denen sich die Kammer anschließt - auch ein einwirkungskonformes Schadensbild gegeben. Insbesondere überschreiten die bildtechnisch nachgewiesenen Veränderungen der LWS deutlich das altersdurchschnittlich zu erwartende Ausmaß und korrelieren mit der Funktionseinschränkung sowie der beruflichen Exposition (sog. belastungskonformes Schadensbild). Hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang die vom Sachverständigen Dr. H. festgestellten eindeutigen belastungsadaptiven Phänomene im Sinne der Osteochondrose und Spondylarthrose. Nimmt man hinzu, dass die anamnestischen Angaben des Klägers, die klinischen und röntgenologischen Befunde nach Ansicht der Sachverständigen vollständig übereinstimmen und konkurrierende Ursachen nicht ersichtlich sind, besteht nach Überzeugung der Kammer kein ernsthafter Zweifel an der beruflichen Verursachung der Erkrankung.
Vor allem vermögen die von der Beklagten über die beratungsärztlichen Stellungnahmen von Frau Dr. H. eingeführten Bedenken nicht zu überzeugen. Insbesondere kann im vorliegenden Fall nicht gegen einen Kausalzusammenhang geltend gemacht werden, dass die Halswirbelsäule des Klägers wesentlich deutlicher in Mitleidenschaft gezogen ist als die Lendenwirbelsäule. Zwar mag eine solche polysegmentale Verteilung der Bandscheibenerkrankung im Allgemeinen und nach der sog. Hamburger Formel (allgemein zu deren Anwendbarkeit: BSG, Urteil vom 27.06.2006, Az.: B 2 U 13/05 R) auf eine starke konstitutionelle Veranlagung zum Bandscheibenverschleiß hindeuten.
Jedoch treffen die hierfür maßgeblichen Erwägungen vorliegend offensichtlich nicht zu. Denn soweit ein von den oberen Segmenten der Wirbelsäule nach unten zunehmendes Schadensbild gefordert wird, ist dabei offensichtlich an Fälle gedacht, in denen die oberen Segmente bzw. die HWS keinen nennenswerten Belastungen ausgesetzt waren. Nur dann kann für einen Kausalzusammenhang gefordert werden, dass sich der Degenerationszustand im Bereich der LWS von dem belastungsferner Abschnitte der Wirbelsäule unterscheidet. Diesbezüglich haben die gerichtlichen Sachverständigen überzeugend und nachvollziehbar dargelegt, dass das beim Kläger vorzufindende Schadensbild gerade für eine berufliche Verursachung spricht, da nur die Wirbelsäulenabschnitte von degenerativen Veränderungen betroffen sind, die entsprechenden Belastungen ausgesetzt waren.
Schließlich dürfte sich der Einwand der Beklagten ohnehin als obsolet erweisen, soweit in die Betrachtung der BK 2108 einbezogen wird, dass auch eine BK 2109 (dazu unter II.) vorliegt.
Selbst soweit man aber den Ausgangspunkt der Beklagten teilt und von einem nicht ganz belastungskonformen Schadensbild ausginge, wäre mit dem Sachverständigen Dr. H. zumindest von einer richtungsweisenden Verschlimmerung eines Anlageleidens auszugehen. Auch insofern ergäbe sich folglich keine abweichende Bewertung.
Nach alldem steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die festgestellten Gesundheitsbeeinträchtigungen im Bereich der LWS des Klägers beruflich bedingt und daher als Berufskrankheit nach Nr. 2108 BKV anzuerkennen und zu entschädigen sind.
II.
Auch die Voraussetzungen der BK Nr. 2109 ("bandscheibenbedingte Erkrankungen der Halswirbelsäule [HWS] durch langjähriges Tragen schwerer Lasten auf der Schulter, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können") sind im vorliegenden Fall gegeben.
Hinsichtlich der arbeitstechnischen Voraussetzungen kann für die Jahre 1962 bis 1964 auf die Expositionsanalyse des TAD der Beklagten verwiesen werden. Soweit die Beklagte darüber hinaus an ihrer Einschätzung festgehalten hat, in den darauffolgenden Jahren von 1966 bis 1998 seien die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht erfüllt, wird dies von ihren eigenen Ermittlungen nicht getragen.
Insbesondere ist nicht nachvollziehbar, dass die Beklagte insoweit von einer anderen bzw. geringeren Belastung ausgeht, obwohl der Kläger glaubhaft und nachvollziehbar versichert hat, gerade in den Jahren seiner Selbständigkeit extremen Belastungen ausgesetzt gewesen zu sein. Diese Belastungen können schließlich auch nicht unter Hinweis auf die Berufsgruppe der Fleischabträger relativiert werden. Insbesondere erscheint willkürlich die Exposition schematisch auf 15 bis 30 % der Belastung von Fleischabträgern zu schätzen. Insofern ist schon das Abstellen auf die zurückgelegten Wegstrecken wenig aussagekräftig. Zu berücksichtigen wäre vielmehr auch die Tragedauer und der Transportweg über enge Treppen und Kellerwege mit regelmäßig ungünstiger physiologischer Zwangshaltung. Insofern ist auch im unfallversicherungsrechtlichen Schrifttum anerkannt, dass die Tätigkeit als Transportarbeiter ein vergleichbares Belastungsprofil zu den Fleischträgern aufweist (vgl. Mehrtens/ Brandenburg, BKV, M 2109 Anm. C, S. 10). Im Übrigen erscheinen die von der Beklagten zugrunde gelegten Wegstrecken von 15 m bei lebensnaher Betrachtung äußerst knapp bemessen und wurde bei der Exposition nicht berücksichtigt, dass der Kläger nicht nur Körbe sondern auch 50 kg schwere Säcke in typischer Zwangshaltung auf der Schulter getragen hat (Bild 5 und 6 der Fotodokumentation, Blatt 144 und 147 der Verwaltungsakte).
Im Übrigen überspannt die Beklagte die Anforderungen offensichtlich. Denn nach dem einschlägigen Merkblatt ist für die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK 2109 das Tragen von Lastgewichten über 50 kg auf der Schulter mit gewisser Regelmäßigkeit und Häufigkeit in der überwiegenden Zahl der Arbeitsschichten erforderlich. Zur Konkretisierung des Merkmals der Häufigkeit ist mangels anderer Anhaltspunkte das Merkblatt zur BK 2108 entsprechend heranzuziehen, wonach grundsätzlich 40 Hübe pro Arbeitsschicht ausreichend sind (vgl. Mehrtens/ Brandenburg, BKV, M 2109 Anm. 2, S. 9; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 11.11.1998, Az.: L 2 U 883/98). Diese Voraussetzungen erfüllt die 32 Jahre dauernde selbständige Tätigkeit des Klägers, bei der er u. a. 60 kg schwere Körbe 40 mal täglich über jeweils 15 m auf der Schulter transportiert hat. Die arbeitstechnischen Voraussetzungen sind damit bereits nach den Feststellungen der Beklagten erfüllt. Dies gilt erst recht, soweit die ebenfalls auf der Schulter transportierten bis zu 50 kg schweren Säcke berücksichtigt werden.
Auch die medizinischen Voraussetzungen der BK 2109 sind gegeben. Der Kläger leidet an ausgeprägten degenerativen Veränderungen der HWS insbesondere im Sinne einer Osteochondrose und Spondylarthrose und damit einer bandscheibenbedingten Erkrankung der HWS.
Diese Erkrankung ist ursächlich auf die berufliche Belastung des Klägers zurückzuführen. Da für bandscheibenbedingte Erkrankungen eine multifaktorielle Verursachung typisch ist, erfordert die Kausalitätsbeurteilung auch im Falle der BK 2109 eine Gesamtschau aller für und gegen den ursächlichen Zusammenhang sprechenden Argumente. Diese führt im vorliegenden Fall nach den überzeugenden Darlegungen der Sachverständigen Dres. S. und H. zu dem Ergebnis, dass deutlich mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht und deshalb der ursächliche Zusammenhang hinreichend wahrscheinlich ist.
Auch hier spricht bereits die nach Art, Intensität und Dauer extreme berufliche Belastung der HWS des Klägers für einen ursächlichen Zusammenhang zwischen den Halswirbelsäulenbeschwerden und den beruflichen Einwirkungen. Ferner ist der zeitliche Zusammenhang zwischen Exposition und Erstmanifestation der Beschwerden im Jahr 1967 gegeben.
Vor allem aber ist nach den übereinstimmenden Feststellungen der gerichtlichen Sachverständigen Dres. S. und H. - denen sich die Kammer anschließt - auch ein einwirkungskonformes Schadensbild gegeben. Insbesondere überschreiten die bildtechnisch nachgewiesenen Veränderungen der HWS das Altersmaß bei weitem und korrelieren mit der Funktionseinschränkung sowie der beruflichen Exposition (sog. belastungskonformes Schadensbild). Hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang die vom Sachverständigen Dr. H. festgestellten eindeutigen belastungsadaptiven Phänomene im Sinne der Osteochondrose und Spondylarthrose. Auch hat der Sachverständige überzeugend dargelegt, dass der Befund dem typischen belastungskonformen Schadensbild einer BK 2109 entspricht, bei dem die oberen zervikalen Segmente der HWS mitbetroffen sind. Nimmt man hinzu, dass die anamnestischen Angaben des Klägers, die klinischen und röntgenologischen Befunde nach Ansicht der Sachverständigen vollständig übereinstimmen und konkurrierende Ursachen nicht ersichtlich sind, vermag die Kammer ernsthafte Zweifel an der beruflichen Verursachung der Erkrankung nicht zu erkennen.
Vielmehr steht auch insoweit zur Überzeugung der Kammer fest, dass die festgestellten Gesundheitsbeeinträchtigungen im Bereich der HWS des Klägers beruflich bedingt und daher als Berufskrankheit nach Nr. 2109 BKV anzuerkennen und zu entschädigen sind.
III.
Der Kläger war wegen dieser Erkrankungen im Sinne der BK 2108 und 2109 seit dem 14.12.1998 zur Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten gezwungen, die für die Entstehung der Krankheit ursächlich waren. Der Zeitpunkt ergibt sich nach den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen Dr. H. aus der gesundheitsbedingten Aufgabe der selbständigen Tätigkeit. Hierfür spricht auch, dass der Kläger nach diesem Zeitpunkt nicht mehr wirbelsäulenbelastend tätig war. Damit war der Versicherungsfall am 14.12.1998 eingetreten. Anspruch auf Verletztenrente, besteht vom Folgetag an (§ 72 Abs. 1 Nr. 2 SGB VII).
IV.
Die durch die Berufskrankheiten bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) ist auf Dauer mit 25 v.H. einzuschätzen.
Die Bemessung des Grades der MdE, also die aufgrund § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII durch eine Schätzung vorzunehmende Festlegung des konkreten Umfangs, der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII), ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG eine tatsächliche Festlegung, die das Gericht gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG nach seiner freien aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnen Überzeugung trifft. Neben der Feststellung der Beeinträchtigung des Leistungsvermögens des Versicherten ist dabei die Anwendung medizinischer oder sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens erforderlich. Als Ergebnis dieser Wertung ergibt sich die Erkenntnis über den Umfang der dem Versicherten versperrten Arbeitsmöglichkeiten. Hierbei kommt es stets auf den gesamten Umfang des Einzelfalles an.
Zur Berufskrankheit nach Nr. 2108 und 2109 der BKV haben sich noch keine allgemeinen Erfahrungswerte herausgebildet, die bei der Beurteilung der MdE herangezogen werden könnten (vgl. BSG, Entscheidung vom 02. Mai 2001 - B 2 U 24/00 R). Folglich kommt hier der sachverständigen Einschätzung durch die Gutachter eine besondere Bedeutung zu. Die Kammer schließt sich auch diesbezüglich der übereinstimmenden Beurteilung der Sachverständigen Dres. S. und H. an. Danach mindern die erheblichen schmerzhaften Funktionsbeeinträchtigungen im Halswirbelsäulenbereich und die funktionellen Beeinträchtigungen im Bereich der Lendenwirbelsäule die Erwerbsfähigkeit des Klägers um ein Viertel. Insbesondere ist ihm die Ausübung von Tätigkeiten, die mit intensiven körperlichen Belastungen oder Zwangshaltungen des Rumpfes einhergehen, nicht mehr möglich. Zumutbar erscheinen nur noch körperlich leichte Tätigkeiten ohne Hebe- und Tragebelastung mit wechselnder Belastungssituation. Dies betrifft einen erheblichen Teil der Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens, so dass das Gericht keine Bedenken hat, der Einschätzung der Sachverständigen zu folgen. Nicht zu überzeugen vermag indes die Einschätzung des im Verwaltungsverfahren gehörten Sachverständigen Dr. G., da eine nachvollziehbare Begründung für die MdE-Schätzung auf 50 v. H. nicht gegeben wird.
V.
Abschließend sieht sich die Kammer zu der Feststellung veranlasst, dass die ablehnenden Entscheidungen der Beklagten nicht im Ansatz zu überzeugen vermögen. Nicht nur, dass die Beklagte ihre Ablehnung mit mehrfach wechselnder Begründung versehen und sich letztlich auf eine unzutreffende Bewertung der arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK 2109 zurückgezogen hat. Nimmt man die extreme Exposition des Klägers sowohl im Bereich der Lenden- als auch der Halswirbelsäule hinzu, erscheint die ablehnende Argumentation der Beklagten, wonach das Schadensbild der (zu Unrecht) abgelehnten BK 2109 zugleich als alleiniger Ablehnungsgrund der BK 2108 angeführt wird, offensichtlich zirkulär. Spätestens nach dem zwei gerichtliche Sachverständige dargelegt haben, dass die im Bereich der Halswirbelsäule erhobenen Befunde nicht gegen eine berufliche Verursachung des Schadensbildes im Bereich der Lendenwirbelsäule sprechen, bewegt sich die weitere Prozessführung der Beklagten am Rande der Mutwilligkeit (§ 192 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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