L 8 R 149/06

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 51 (12) RJ 170/04
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 R 149/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 13 R 311/08 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 24.04.2006 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die 1919 im damals polnischen Ort Sarny geborene Klägerin begehrt von der Beklagten Regelaltersrente nach dem Gesetz über die Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG), das der Deutsche Bundestag im Jahr 2002 einstimmig beschlossen hat (Bundesgesetzblatt Teil I - BGBl I 2074). Es geht um die Berücksichtigung einer Ghetto-Beitragszeit von August 1941 bis Oktober/November 1942 im Ghetto ihres Geburtsorts.

Über die dortige NS-Verfolgung während des zweiten Weltkriegs ist aus Überlebendenberichten Folgendes überliefert:

Anfang Juli 1941 wurde die in der Ukraine am Fluss Slusk gelegene und als Eisenbahnknotenpunkt militärisch wichtige Stadt Sarny von der deutschen Wehrmacht besetzt. Bald danach wurde dort ein jüdisches Ghetto eingerichtet. Es wurde die im Reichskommissariat Ukraine allgemein übliche Kennzeichnung durch gelbe Flecken auf Brust und Rücken angeordnet. Nachdem alle jüdischen Einwohner registriert waren, wurden die jüngeren zur Arbeit geschickt. Die Männer mussten das zerstörte Lokomotivendepot der Stadt und andere schwer beschädigte Objekte sowie die zerstörte Brücke über den Fluss in Ordnung bringen, während die Frauen für Reinigungsarbeiten verwendet wurden. Auch die Einsetzung eines Judenrates ist kurz nach dem deutschen Einmarsch dokumentiert. Die Berichte Überlebender aus Sarny stimmen darin überein, dass der Judenrat täglich 300 Männer und 100 Frauen für die Arbeiten zu stellen hatte. Die Arbeiter wurden nicht in Geld entlohnt, sondern in Brot. Darüber, ob die Versorgung des Ghettos mit Lebensmitteln über den Judenrat als Entgelt abgerechnet wurde, sind keine gesicherten Erkenntnisse vorhanden. Über die Mengen des von arbeitenden Ghettobewohnern empfangenen Brotes sind unterschiedliche Angaben überliefert (100 g, 80 g), wobei nicht mehr ermittelt werden kann, welcher Wert konkret zutrifft.

Auch für den Zeitpunkt, wann genau das Ghetto in Sarny geschlossen wurde, sind zwei unterschiedliche Zeitpunkte überliefert - entweder der 3. März 1942 oder der April 1942. Insgesamt hat das geschlossene Ghetto nur etwas mehr als vier Monate bestanden. Ab dem 23. August 1942 wurde dann unter Zuhilfenahme ukrainischer Hilfspolizei die gesamte jüdische Bevölkerung erschossen. Die Opferzahlen schwanken zwischen vierzehn- und sechstausend Menschen. Während der Erschießungen kam es zu einem teilweise erfolgreichen Ausbruch einiger Juden aus Sarny, denen es gelang, sich nach Pinsk durchzuschlagen und dort Kontakt mit Partisanen aufzunehmen.

Zur jüdischen Arbeitsorganisation im Reichskommissariat Ukraine (RKU) ist generell Folgendes bekannt:

Die Bedarfsträger (Wehrmacht, städtische Einrichtung, aber auch Private) stellten ihre Anforderungen über die jeweilige Ortskommandatur (solange es die Militärverwaltung gab, später über die Stadtverwaltung bzw. das Arbeitsamt) an den jeweiligen Judenrat, der sie dann zu erfüllen hatte. Die so geforderten Arbeitsgruppen konnten bis zu 30 bis 40 Mann stark sein. Die Judenräte hatten damit die Aufgabe, die deutschen und einheimischen ("arischen") Anforderungen in Bezug auf die Arbeitsleistung zu erfüllen. Sie hatten darüber hinaus für den inneren Betrieb des jüdischen Bevölkerungsanteils zu sorgen, was die Versorgung mit Lebensmitteln, Ärzten, etc. und die Gestellung von Wohlfahrtseinrichtungen betraf. Zu diesem Zweck erfolgte auch eine Besteuerung, der dem Judenrat zugeordneten Juden, die direkt auf dem Weg über die Löhne, oder auch indirekt über den Konsum erfolgen konnte. Nach den ersten Wochen der Besetzung, in denen Juden wahllos von Deutschen oder Einheimischen zu Arbeiten abgefangen wurden, organisierte die Militärverwaltung ab Ende Juli 1941 gemeinsam mit den nun eingesetzten Judenräten die regelmäßige Stellung von Arbeitskolonnen. Dafür richteten in Wolhynien die Judenräte die Arbeitsabteilungen bzw. Arbeitsämter ein, die die geforderten Arbeitskräfte aus der jüdischen Einwohnerschaft zu stellen hatten. Sie taten dies durch die Zuweisung von Arbeit an die ihnen unterstellten jüdischen Einwohner. Eine solche Zuweisung erfasste nicht immer die gesamte Arbeitsleistung, sondern erfolgte in der Regel tageweise. Für wohlhabende Ghettobewohner gab es die Möglichkeit, sich von dieser Arbeitspflicht gegen Lösegeld ausnehmen zu lassen oder Vertreter zu stellen. Dabei unterschied sich die für die nichtjüdische Bevölkerung bestehende Arbeitspflicht, die für die Altersstufe von 18 bis 45 Jahren galt, von dem Arbeitszwang für die Juden dadurch, dass er für Juden von 14 bis 60 bzw. für Frauen von 16 bis 50 galt und vor allem in geschlossenen Kolonnen umgesetzt werden sollte. Praktisch hatte dies jedoch im Reichskommissariat Ukraine nicht immer diese Bedeutung. Realisiert wurden im Westen des Gebiets nach den Sommermassakern von 1941 häufig die Bestimmungen der so genannten "Braunen Mappe" des Reichsministers für die besetzten Ostgebiete, die im September 1941 an die Dienststellen im Reichskommissariat Ukraine versandt wurde. Danach sollten Industriearbeiter, Handwerker und Heimarbeiter wie bisher weiterarbeiten. Jüdische Handwerksbetriebe waren unter der Leitung der Zivilverwaltung einzurichten, während alle nicht manuell Tätigen (Angestellte, Freiberufler, Kaufleute) körperlicher, produktiver Arbeit zugeführt werden sollten.

Die rechtlichen Regelungen in Bezug auf die Arbeit der Juden wurden in den ukrainisch- und deutsch-sprachigen Amtblättern des RKU veröffentlicht. Nach den darin enthaltenen Festlegungen konnte ein 19-jähriger ungelernter Arbeiter, der auf seiner Arbeitsstelle verpflegt wurde, ca. 50 Rubel nach Hause bringen, um nicht arbeitende Familienangehörige versorgen zu können. Ein 23-jähriger Handwerker konnte 190 Rubel monatlich zur freien Verfügung haben. Diese Berechnung war indes von theoretischer Qualität, denn die Bezüge wurden (wenn sie überhaupt gezahlt wurden, was historisch vor allem bei den Wehrmachts- und SS/Polizeiarbeitgebern fraglich ist) in der Regel nicht an die Beschäftigten selber, sondern an die Judenräte geleistet, oder mit ihnen verrechnet. Die Judenräte wiederum besorgten aus diesen Zahlungen die Versorgung des jüdischen Bevölkerungsanteils sowohl vor der Einrichtung der geschlossenen Ghettos, als auch danach. Im Übrigen wurde der Differenzbetrag zwischen dem abgesenkten jüdischen und den nichtjüdischen Löhnen dazu verwandt, eine so genannte Judenabgabe einzuziehen, um davon die ukrainische Hilfspolizei, die die Ghettos bewachte, zu entlohnen.

Die offiziellen Zuteilungen wurden häufig tatsächlich nicht bereitgestellt und befriedigten auch dann nicht die geringsten Lebensbedürfnisse. Denn die Deutschen versorgten mit den landwirtschaftlichen Erträgen der Ukraine die Reichsbevölkerung, wodurch für den Konsum der einheimischen Bevölkerung kaum etwas übrig blieb. In dieser Skala kamen die Juden und die Zigeuner zuletzt, so dass die auch sonst niedrigen Rationen für Ukrainer hier noch einmal reduziert und auch nicht immer ausgeliefert wurden. Für den Generalbezirk Wolhynien-Podolien ist für die Zeit vor der allgemeinen Ghettoisierung der Satz von 200 bis 300 Gramm Brot pro Tag für jüdische Arbeiter und 100 bis 150 Gramm für Nichtarbeiter historisch generell überliefert. Nach der Ghettoisierung sanken diese Werte auf 100 bis 150 Gramm für jüdische Arbeiter und weniger als 100 Gramm für andere.

Soweit in den Ghettos ein Arbeitslohn auch in bar ausgezahlt wurde, konnten vom erarbeiteten Geld Nahrungsmittel und Waren des täglichen Gebrauchs erworben werden, falls diese den Judenläden und Ghettoverteilstellen geliefert wurden. Darüber hinaus gab es z.T. einen Schwarzmarkt, auf dem zusätzliche Lebensmittel von den Bauern erworben werden konnten, wenn diese nicht, was die Regel war, den Tauschverkehr gegen Kleidung oder Wertgegenstände vorzogen.

Der Wert der Arbeit im Ghetto war auch in anderer Hinsicht existenziell bedeutend. Diejenigen, die eine Arbeit hatten, glaubten, dass sie den Deutschen nötig waren und so länger am Leben bleiben würden, auch wenn sich diese Hoffnung am Ende nicht bewahrheitete.

Zum individuellen Schicksal der Klägerin sind folgende Tatsachen zwischen den Beteiligten unstreitig:

Sie hat die NS-Verfolgung als einzige ihrer Familie überlebt und gehörte zu denen, die bei der letzten Erschießung aus dem Ghetto Sarny flohen. Nach ihrer Flucht versteckte sie sich und wanderte dann nach ihrer Befreiung 1945 nach Israel aus, wo sie bis heute wohnt.

In Ihrem Entschädigungsverfahren gab die Klägerin 1955 an, sie habe mit ihren Eltern und drei Geschwistern in Sarny gelebt, als die Deutschen im Juli 1941 einmarschiert seien. Sie sei im August 1941 verhaftet und in das Ghetto Sarny eingeliefert worden. Dieses sei mit Stacheldraht umzogen und von SS sowie ukrainischer Miliz scharf bewacht worden. Im Ghetto hätten sich 5.000 bis 6.000 Juden befunden. Jeder Fluchtversuch sei mit dem Tode bestraft worden. Sie haben mit 15 Personen gemeinsam in einem kleinen Zimmer in der Topolow-Straße gewohnt und den Judenstern auf Brust und Rücken getragen. Zwangsweise habe sie Sand aufladen und zu einem Brückenbau schieben, Straßen kehren, Feldarbeiten usw. verrichten müssen. Die Lebensmittel seien vom Judenrat zugeteilt worden. Im Herbst 1942 sei das Ghetto liquidiert worden, wobei viele Juden umgebracht worden seien, darunter auch ihre Eltern und Geschwister. Erst im letzten Moment sei ihr die Flucht vom Hinrichtungsplatz gelungen. Sie habe dann versteckt gelebt und sei von einem Ort zum anderen geflohen. Schließlich sei sie nach Sarny zurückgekehrt und habe dort bis zur Befreiung am 11. Januar 1945 gelebt.

Der Zeuge H erklärte ebenfalls 1955 im Entschädigungsverfahren, er sei im August 1941 mit der Klägerin zusammen in das Ghetto Sarny gekommen. Zusammen hätten sie schwere Trägerdienste beim Brückenbau und anderes geleistet und die Nahrung vom Judenrat zugeteilt bekommen. Im Herbst 1942 seien bei der Liquidierung des Ghettos viele Juden umgebracht worden. Zusammen mit der Klägerin sei ihm die Flucht aus dem Ghetto gelungen und sie hätten bis zur Befreiung durch die russischen Truppen in Polen versteckt gelebt. Die Zeugin T erklärte ebenfalls im BEG-Verfahren, sie sei im August 1941 zusammen mit der Klägerin in das Ghetto Sarny gekommen. Sie hätten in der Nachbarschaft gewohnt und den Judenstern auf Brust und Rücken tragen müssen. Zwangsweise hätten sie zusammen beim Sandtransport, beim Brückenbau usw. gearbeitet. Die Lebensmittelrationen hätten sie vom Judenrat zugeteilt bekommen. Im Herbst 1942 habe die Liquidierung des Ghettos stattgefunden, wobei ein großer Teil der Insassen deportiert oder umgebracht worden sei. Ihr sei zusammen mit der Klägerin die Flucht aus dem Ghetto gelungen.und sie hätten bis zur Befreiung durch die russischen Truppen in Polen versteckt gelebt.

Die Klägerin wurde 1957 als Verfolgte anerkannt und sie erhielt eine Haftentschädigung für ihre Zeit der Internierung im Ghetto Sarny von August 1941 bis August 1942.

Im November 1995 beantragte die Klägerin als Bedürftige mit einem Jahreseinkommen von unter 21.000 US-Dollar (für Verheirate) bei der Claims Conference (JCC) Leistungen aus dem Article 2-Fonds. Dazu gab sie an, am 05. Juli 1941 sei ihr Gebiet von deutschen Truppen besetzt worden. Die Judenverfolgungen hätten sofort angefangen. Ihre Mutter und die älteste Schwester G sei mit anderen 1941 in Sarny erschossen worden. Sie sei ungefähr April 1942 in das Ghetto Sarny eingewiesen worden. Dort habe sie verschiedene Zwangsarbeiten leisten müssen. Ungefähr im August 1942 sei ihr die Flucht aus dem Ghetto gelungen. Danach habe sie sich nicht weit von Sarny versteckt gehalten.

Am 20.01.2003 beantragte die Klägerin bei der Beklagten Altersrente nach dem ZRBG. Sie gab dazu an, sie sei von August 1941 bis Herbst 1942 während ihres Aufenthalts im Ghetto Sarny beschäftigt gewesen. Sie habe Sand aufgeladen und zu einem Brückenbau geschoben, Straßen gekehrt und Feldarbeiten verrichtet. Nach ihrer Erinnerung sei sie sowohl auf dem Weg von und zur Arbeit als auch während der Arbeit durch bewaffnete Volksdeutsche bewacht worden. Der Arbeitseinsatz sei "freiwillig, durch Zuweisung vom Judenrat" zustande gekommen. Täglich habe sie 12 Stunden gearbeitet. Die Arbeit sei durch Sachbezüge entlohnt worden. Barlohn habe sie nicht erhalten. Für ihre Tätigkeit habe sie Mittagessen, Lebensmittel, wie Brot, Schokolade, Gemüse und Obst erhalten, die sie habe nach Hause mitnehmen können.

Die Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 29. August 2003 und Widerspruchsbescheid vom 12. August 2004 mit der Begründung ab, eine Tätigkeitsaufnahme aus eigenem Willensentschluss sei nicht glaubhaft gemacht. Vielmehr lasse die Tatsache, dass die Klägerin während der Arbeit bewacht worden sei, darauf schließen, dass es sich bei der behaupteten Beschäftigung um ein Zwangsarbeitsverhältnis gehandelt habe, die von den Vorschriften des ZRBG nicht erfasst würden.

Die dagegen erhobene Klage ist vom Sozialgericht (SG) Düsseldorf mit Urteil vom 24.04.2006 nach Aktenlage abgewiesen worden, wobei das Gericht auf die Verwendung der Bezeichnung von "zwangsweisen" Arbeiten durch die Klägerin sowie die Zeugen H und T im Entschädigungsverfahren sowie die Angaben der Klägerin gegenüber der Claims Conference abgestellt hat (Hinweis auf das Urteil des Landessozialgerichts (LSG) NRW vom 18. Juli 2005 - L 3 RJ 101/04). Dagegen richtet sich die rechtzeitige Berufung der Klägerin.

Im Berufungsverfahren ist die Klägerin - wie andere Klägerinnen und Kläger aus Israel auch - vom erkennenden Senat gebeten worden mitzuteilen, ob sie eine persönliche Anhörung durch den Berichterstatter in Israel zur Erläuterung ihres Verfolgungsschicksals und zu Zwecken rechtlichen Gehörs wünsche. Das hat sie bejaht.

Die Beklagte ist der geplanten Anhörung in Israel zum einen mit der Begründung entgegengetreten, die Risiken einer unmittelbaren Anhörung hochbetagter Kläger/innen dürften höher sein als ihr Nutzen, weil eine unmittelbare Konfrontation der Betroffenen mit Angaben aus vorangegangenen Verfahren vielfach mit Überforderungssituationen verbunden sein könnte. Die bisherige langjährige Praxis, nach der notwendige persönliche Anhörungen der Beteiligten und Zeugen im Wege der Rechtshilfe durch ein israelisches Gericht durchgeführt würden, sei zum anderen auch weiterhin der geeignetere Weg. Diese Vorgehensweise entspreche der aller anderen Senate des LSG NRW und auch der Kammern des SG Düsseldorf in gleich gelagerten Fällen. Sämtliche dortigen Entscheidungen basierten auf der Erhebung und Auswertung von Beweisen, ohne dass es hierzu einer persönlichen Anhörung der Betroffenen in Israel bedurft habe. Auch unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit sehe die Beklagte daher keine Notwendigkeit, an dem in Israel vorgesehenen Befragungstermin teilzunehmen.

Der Staat Israel hat der konsularischen Anhörung von israelischen Klägern rentenrechtlicher Verfahren durch ein deutsches Gericht vor Ort gem. Art 16 des Haager Übereinkommens über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- oder Handelssachen (ZRHG) vom 18. März 1970 - BGBl Teil II 1274 - nach Vermittlung dieses Ersuchens durch die deutsche Botschaft in Tel Aviv mit diplomatischen Verbalnoten vom 5. Dezember 2006 und vom 13. Februar 2007 mit der Maßgabe der anschließenden Bestätigung des jeweiligen Protokolls durch das Directorate of Courts in Jerusalem zugestimmt.

Zur Vorbereitung der Anhörung hat das Gericht die an der Universität Frankfurt tätige klinische Psychologin Prof. Dr. R, die durch Forschungsarbeiten über die Interpretationen autobiographischer Erzählungen von Überlebenden des Holocaust hervorgetreten ist, mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens über die bei der Befragung und Auswertung der Ghettoüberlebenden anzuwendenden Grundsätze beauftragt.

Die Sachverständige hat ausgeführt, bei einer Anhörung von NS-Verfolgten sei davon auszugehen, dass es sich um traumatisierte Menschen handele. Als Zivilisationsbruch stelle die NS-Verfolgung und Massenvernichtung der europäischen Juden einen tiefgreifenden Einbruch in die Lebensgeschichte der Verfolgten dar, der grundlegende Handlungsorientierungen fundamental in Frage stelle und die Konstruktion einer konsistenten durchgängigen Lebensgeschichte unmöglich mache. Die Lebensgeschichte zerfalle vielmehr in eine Zeit vorher und eine Zeit danach, in der nichts mehr so sei wie vorher. Über die Verfolgungszeit selber werde zumeist in gleichförmiger schematisiert wirkender und gefühlsmäßig scheinbar wenig beteiligter Weise berichtet. Die Verfolgten sprächen über ihre Verfolgungserfahrung manchmal in einer Weise, die den Eindruck erwecke, als seien sie selbst gar nicht dabei gewesen. Dieses Phänomen der Depersonalisierung und der Dissoziation verweise auf traumatisches Erleben und sei oft auch noch nach Jahrzehnten bei Überlebenden der NS-Verfolgung anzutreffen. Verschiedene Teile der Lebensgeschichte könnten psychisch nicht integriert werden, sondern seien zumeist nur oberflächlich miteinander verbunden. Nichts desto weniger seien die meisten Verfolgten im weiteren Leben unablässig darum bemüht, eine solche Verbindung herzustellen und die Verfolgungserfahrung psychisch zu bewältigen. Dies gelte insbesondere für die Überzeugung, die sich regelhaft bei Überlebenden der NS-Verfolgung zeige, ihr Überleben durch Arbeit gesichert zu haben. Arbeit werde in diesen Lebensgeschichten oft zur zentralen Integrationsgröße. Doch habe die Arbeit von Überlebenden in ihrer Wahrnehmung auch dem Versuch gedient, sich in die damalige Gesellschaft zu integrieren, einen wichtigen Beitrag zu leisten und sich damit nicht dem Risiko auszusetzen, als "unnötig" betrachtet und in die Vernichtungslager verschleppt zu werden. Dies werde bis heute von den Überlebenden jedoch als massiv ambivalent erlebt. Arbeit werde nicht nur als Mittel angesehen, mit dem man sich der Verfolgung erfolgreich widersetzen konnte, sondern auch als Versuch, sich den Verfolgern "anzubiedern" und sich selbst sowie die Mitverfolgten zu verraten. Als überindividuelles Beispiel für diesen Konflikt lasse sich die Institution des Judenrates anführen, der sich einerseits zwar von den Nazis instrumentalisieren ließ, aber andererseits dadurch auch Leben von Verfolgten retten konnte.

Auch bezüglich der Beweiswürdigung ergäben sich aus der spezifischen Art der NS-Verfolgung Besonderheiten unter anderem aufgrund des viele Jahrzehnte zurückreichenden Zeitablaufs. Nach dem neusten Stand der neurophysiologischen und gedächtnispsychologischen Forschung stellten Erinnerungen mentale Konstruktionsleistungen dar und nicht - wie nach dem Alltagsverständnis - einen in der psychischen Struktur unverändert wiedergabefähigen Speicher. Vielmehr werde im Prozess des Erinnerns dem vergangenen Verhalten aus der Perspektive der Gegenwart Sinn und Bedeutung verliehen. Dabei spiele das gegenwärtige Verständnis der damaligen Ereignisse eine ebenso große Rolle wie aktuelle Bedürfnisse und Interessen. Das von Arntzen (Psychologie der Zeugenaussage - System der Glaubhaftigkeitsmerkmale - 4. Auflage 2007) vorgeschlagene System der Glaubwürdigkeitsmerkmale nach Detaillierung, Ergänzbarkeit, Homogenität, Konstanz bzw. Inkonstanz, Gefühlsbeteiligung, ungesteuerte Aussageweise, Inkonsistenz der Aussagen sowie der Objektivität der Zeugenaussage, der Aussagemotivation stoße daher im Zusammenhang mit der NS-Verfolgung auf deutliche Grenzen.

Ferner hat das Gericht Oberstaatsanwalt außer Dienst B, der mit der Vertretung der durch die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf erhobenen Anklage im N-Verfahren betraut war, als weiteren Sachverständigen zu seinen Erfahrungen mit der Vernehmung jüdischer Opferzeugen in Israel befragt. Er hat ausgeführt, dass sich die jüdischen Zeugen in der Beweisaufnahme durch eine große Sorgfalt im Bezug auf die eigene Erinnerungsfähigkeit auszeichneten und dass es ihnen nach seinem Eindruck besonders wichtig war, vor einem deutschen Gericht über das Erlebte zu berichten.

Die Beklagte ist der Befragung der Klägerin im Termin vom 19.März 2007 in Tel Aviv ferngeblieben. Auf Befragen des Berichterstatters und ihrer Bevollmächtigten hat die Klägerin dort im Wesentlichen folgendes bekundet:

"Ich antworte gerne. Ich kann mich noch erinnern, wie es war, als die Deutschen nach Sarny kamen. Ich weiß noch, wie die Deutschen aussahen und was sie gefragt haben. Ja, es waren Soldaten der Wehrmacht, große Menschen, die ich nicht kannte und die mich auf Deutsch etwas gefragt haben. Ich selbst habe mich gefragt: Was will er nur wissen?. Wir mussten erst eine weiße, dann eine blaue Armbinde tragen. Ich war damals noch ein junges Mädchen.

Wir konnten nicht mehr in unserem eigenen Haus wohnen. Wir wurden ausgewiesen, in verschiedene Orte, teilweise in den Garten und wir mussten uns verstecken. Es gab schon einen jüdischen Wohnbezirk, einen abgetrennten Platz für die Juden, darum herum einen Zaun und ein Tor, von Volksdeutschen bewacht. Sie hatten eine Uniform; woher sie kamen, weiß ich nicht. Später gab es auch die SS. Sie hatten dunkelblaue Uniformen und so ein Emblem darauf. Auch einen Judenrat hat es gegeben. An Namen der Mitglieder kann ich mich nicht mehr erinnern.

Der Judenrat hatte ein eigenes Haus im Ghetto. Wir hatten Angst. Ich war noch jung. Man hat uns zu den Arbeiten hingebracht, mit einem Wagen, zur Straßenarbeit. Es gab einen Vorarbeiter, einen Meister. Auch er war ein Deutscher mit einem Emblem. Ob das über den Judenrat ging, weiß ich nicht mehr genau. Die jung waren im Ghetto, haben alle gearbeitet. Ob es auch andere Arbeitsstellen gab, weiß ich nicht. Bei den Straßenarbeiten haben sie uns Essen gegeben - ein wenig - bei der Arbeit, nicht danach, eher zufällig. Das war beim Chausseebau. Einmal haben wir auch für zu Hause etwas Essen bekommen. Andere Dinge, wie Coupons, gab es nicht, nur Brot, das ich haben wollte und ein bisschen Kleidung. Es ist schon so viele Jahre her, ich gedenke nicht an alles. Wenn sie Schokolade angeboten haben, dann hat man es gerne genommen. Es war nicht immer sichtbar, hier und dort hat man etwas zugesteckt bekommen.

Ob auch die anderen Familienmitglieder gearbeitet haben, weiß ich nicht. Ich war noch ein junges Mädchen. Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, wie die Anderen versorgt wurden. Später waren sie schon nicht mehr am Leben. Sie sind bei der Erschießung gestorben, nicht gleich am Anfang, aber dann waren sie nicht mehr da. Was ich bekommen habe, reichte gerade nur für mich. Ich konnte nichts abgeben.

Eine Möglichkeit, woanders zu arbeiten, als bei der Straße, das gab es nicht. Auswählen konnte man nicht. Bei der Judengesellschaft, da haben sie alles verteilt. Ich habe nicht auswählen können. Es ist alles schon so lange her, ich war damals 22 Jahre und habe soviel durchgemacht.

Als meine Eltern noch am Leben waren, da war es wie im Paradies. Aber ich kann mich nur sehr wenig an die Zeit erinnern, als sie noch da waren. Meinen Kindern hier in Israel habe ich früher von dieser Zeit erzählt - selbstverständlich alles, an was ich mich erinnerte. Bei einigen Gelegenheiten ist es vielleicht auch einmal aufgeschrieben worden, genau weiß ich es nicht. So sehr hat es die Kinder damals aber auch nicht beschäftigt. Für Erinnerungsbücher in der Schule hat man wohl gefragt. Vielleicht hat meine Tochter noch ein Erinnerungsbuch davon.

Der Ehemann der Klägerin, der im Termin anwesend war, hat ergänzt, das Erinnerungsvermögen seiner Frau sei in der letzten Zeit nicht so gut. Seit einem halben Jahre habe es stark nachgelassen. Er sei seit 44 Jahren mit ihr verheiratet und stamme aus einem Ort ganz in der Nähe von Sarny, aus Ostrow. Dort sei die Situation ähnlich gewesen. Als die Kinder noch klein waren, hätten sie in der Ehe über diese Zeit nicht sprechen können, jetzt - seit sie in Rente seien - hätten er und seine Frau einander das Herz ausgeschüttet und seien auch schon einmal gemeinsam in Sarny gewesen. Das sei 1990 gewesen, da sei das Erinnerungsvermögen seiner Frau noch besser gewesen. Seine Frau sei immer ein Mensch gewesen, dem es gegeben gewesen sei, Sympathie zu wecken und andere für sich zu gewinnen. So sei sie wohl eine derjenigen gewesen, die hätten auswählen können, ob sie putzen, Brücken bauen oder im Straßenbau tätig sein wollten. Seine Frau habe ihm auch erzählt, sie habe sich für die Feldarbeit entschieden, weil sie dort habe Feldprodukte mitnehmen und diese verkaufen oder tauschen können, z.B. Schuhe gegen Kartoffeln. Wie in allen anderen Ghettos in der Gegend habe der Judenrat Coupons für Lebensmittel, Seife und Brot ausgegeben.

Die ebenfalls im Termin anwesende Tochter der Klägerin hat erklärt, ihre Mutter habe ihr vor allem von den Dingen erzählt, die für die Kinder wichtig waren; davon wie sie im Ghetto überlebt habe - ein Hund sei besser behandelt worden als sie -, wie sie sich versteckt habe bei einer Nichtjüdin, dann entdeckt worden sei, auch davon, dass ihr Elternhaus ein sehr warmes Zuhause war, in dem die Familie, die Cousinen zu Gast kamen und Hilfe erhielten. Ob aber alle damals gearbeitet hätten, und wie genau die Details der Beschäftigung im Ghetto damals aussahen, wisse sie aus den Erzählungen nicht. Vielleicht gebe es noch ein Erinnerungsbuch. Wenn das der Fall sei, werde sie es bei ihrer Schwester suchen und dem Gericht vorlegen.

Später hat die Klägerin durch ihre Bevollmächtigte schriftlich mitgeteilt, dass sich der Schulaufsatz ihrer Tochter über die Familiengeschichte nicht mehr finden lasse.

Die Klägerin trägt vor:

Aus der Vernehmung der Klägerin sowie den Feststellungen des Gutachters über die Anzahl der Arbeitsplätze für Frauen und die Gesamtsituation in Sarny habe sich ergeben, dass der Kampf um die Arbeitsplätze ein Existenzkampf gewesen sei, der nicht nur Vorteile für den Arbeitenden, sondern auch für seine Familie gebracht habe. So habe der Gutachter belegt, dass in Sarny lediglich 300 Männer und 100 Frauen aus dem Ghetto täglich arbeiten konnten, was gemessen an der Gesamtzahl der Arbeitsfähigen nur eine äußerst geringe Anzahl bedeute. Der Hunger im Ghetto sei der Motor des Willens gewesen, arbeiten zu gehen, wobei der tägliche Überlebenskampf darin bestand, unter allen Umständen eine Arbeit zu erlangen, die auch honoriert wurde. Auch die Klägerin habe die von ihr verrichteten Arbeiten stets mit Essen verknüpft. Mit dem 4. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) sei daher die Entgeltlichkeit der Arbeit gegeben, denn wie dieser zutreffend ausgeführt habe, sei an den heutigen Entgeltbegriff und nicht an die nach früherer Reichsversicherungsordnung (RVO) bestehende Rechtslage anzuknüpfen. Auch wenn offen bleiben müsse, ob die Klägerin jeden Tag erneut um Arbeit gebeten habe oder als Tagelöhnerin unständig beschäftigt gewesen sei, stehe das, wie § 163 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) zeige, nicht einmal im regulären Sozialversicherungsrecht einer abhängigen Beschäftigung als Arbeitnehmerin entgegen.

Ebenso wenig komme es auf ein "angemessenes" Verhältnis zur erbrachten Arbeit an. Vielmehr sei es völlig unerheblich, in welcher Form die Klägerin ihr Entgelt erhalten habe und ob das Entgelt auch ausgereicht habe, um die Familienmitglieder zu unterhalten, solange es als Gegenleistung für eine aus eigenem Willensentschluss zustande gekommene Beschäftigung gewährt worden sei. Auch dass die Klägerin in ihrer Vernehmung erklärt habe, dass die für sie vom Judenrat herausgegebenen Lebensmittel nur für sie selbst gereicht hätten und sie nichts abgegeben habe, spreche dies nicht gegen eine Entgeltgewährung. Denn die Klägerin sei damals noch ledig gewesen, habe keine Kinder und nach der Ermordung der engeren Familienmitglieder nur noch den Vater und die Schwester gehabt, wobei nicht festgestellt worden sei, ob auch diese noch gearbeitet hätten. Ohnehin sei der Entgeltbegriff in der Sozialversicherung nicht danach definiert, dass das Entgelt ausreichen müsse, einen angemessenen Lebensunterhalt zu sichern bzw. der Familie den Unterhalt zur gewähren. Selbst im Ghetto Lodz, das von der Beklagten als Referenz-Ghetto angesehen werde, hätten die Löhne in vielen Fällen nicht ausgereicht, den Lebensunterhalt der Familie zu sichern. In diesen Fällen sei vom Judenältesten eine Unterstützung bezahlt worden, was dort im Juli 1941 53 % der Angestellten betroffen habe.

Entsprechend komme es auch beim Umfang der Sachbezüge ebenso wenig wie beim Barlohn darauf an, ob beim Arbeitgeber vom Judenrat Entgeltanteile einbehalten worden seien. Die gegenteilige Sichtweise nehme die Klägerin als Verfolgte zu ihrem Nachteil doppelt in Verantwortung. Die Arbeitenden im Ghetto nämlich hätten nach dem Vorgehensschema der Nazis die Ghettogemeinschaft zu unterhalten gehabt, was für alle besetzten und eingegliederten Gebiete gegolten habe. Ausdrücklich habe das der Reichsstatthalter/Oberfinanzpräsident von Posen in einem Schreiben vom 18.05.1942 für das Ghetto Lodz angeordnet: "Für die angenommenen Arbeitslöhne werden Lebensmittel und sonstiger Lebensbedarf an das Ghetto geliefert. Überschießende Beträge werden den Juden (Judenältesten) gutgeschrieben. Innerhalb des Ghettos zahlt der Judenälteste die verdienten und gutgeschriebenen Löhne nach gewissem Abzug in Ghetto-Mark aus, für die die Juden im Ghetto ihre Verpflegung aus Gemeinschaftsküchen usw. kaufen können."

Auch wenn für den Bezirk Wolhynien keine ebenso detaillierten Richtlinien über den Umfang der Verantwortlichkeit der Judenräte bestanden hätten, stehe nach den allgemeinen zeitgeschichtlichen Erkenntnissen und nach den speziellen Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. Golczewski fest, dass die Löhne der Arbeiter genutzt worden sein, um die kargen Brotrationen zu kaufen und diese im Ghetto zu verteilen bzw. die Suppenküchen zu versorgen, die hauptsächlich die Familien der Arbeiter ernährten. In ihrer Eigenschaft als Vertreter der örtlichen Judenschaft seien die Judenräte berechtigt gewesen, für die arbeitenden Juden beim Arbeitgeber den Lohn zu kassieren bzw. diesen in Sachwerte zu transformieren. In dieser Funktion sei der Judenrat als (Duldungs-/Anscheins-)Bevollmächtigter der im Betrieb Arbeitenden anzusehen, und mit der Auszahlung an ihn gelte der Lohn an den einzelnen Arbeiter gezahlt im Sinne einer Drittzahlung. Wie der Judenrat sodann mit dem "einkassierten" Lohn im Einzelfall verfahren sei, sei für die rechtliche Bewertung des Lohnes unerheblich.

Im Übrigen seien die von den NS-Machthabern geschaffenen Lohnverordnungen zu bedenken, so im RKU die Anordnung zur Regelung der Lohn- und Arbeitsbedingungen gewerblicher Arbeitskräfte vom 01.12.1941 in den amtlichen Mitteilungen für das RKU Nr. 8 vom 13.12.1941 sowie wie Verordnung vom 23.03.1942 zur Änderung dieser Anordnung, Amtliche Mitteilung RKU Nr. 18, in bereinigter Fassung veröffentlicht in Verordnungsblatt RKU, Nr. 9 vom 10.07.1942, vorläufige Anordnung über die Einziehung von Steuern und sonstigen Geldabgaben im Gebiet des RKU vom 21.10.1941, amtliche Mitteilung Reichskommissariat Nr. 4 vom 03.11.1941. Gemäß § 2 der vorgenannten Anordnung habe der "Judenlohn" 80 % des Lohnes der nichtdeutschen Bevölkerung betragen. Für Jüdinnen habe zunächst ein Entgeltanspruch in Höhe der nichtdeutschen Frauenlöhne bestanden, der dann später auf 80 % des Lohnes für jüdische Männer abgesenkt worden sei. Deren - im Übrigen - unbewiesene - Nichteinhaltung oder Nicht-Umsetzung hätte weder nach der damaligen NS-Rechtslage noch nach heutiger Rechtsauffassung die Nichtigkeit im Rechtssinne zur Folge. Vielmehr sei eine etwaige Nichtanwendung oder Teilanwendung der Lohnregelungen lediglich ein rechtswidriger Akt, der heute nicht Maßstab einer Beurteilung eines rechtmäßigen Entgelts sein könne, denn die Anwendung vorkonstitutionellen Rechts sei nur dann dem Richter nicht erlaubt, wenn er aufgrund dieser Anwendung Unrecht statt Recht sprechen würde (Hinweis auf Bundesverfassungsgericht, Entscheidungssammlung Band 23, Seite 98 - 106, BSG ,Urteil vom 20.09.1988, SozR 50\50 Nr. 1112). Die vorgenannten Lohnregelungen seien auch nur für jüdische Arbeiter erlassen worden, die in einem freien Beschäftigungsverhältnis gestanden hätten, denn für jüdische Zwangsarbeiter ohne Lohnanspruch habe es keinerlei Lohnregelungen bedurft. Auch das LSG NRW habe dementsprechend mit Urteil vom 15.12.2003 - Aktenzeichen L 3 RJ 33/00 - im Anschluss an die Entscheidung des Reichsversicherungsamtes (RVA) vom 29.10.1930 - Aktenzeichen III A.V. 44.30 B - veröffentlicht in Amtliche Nachrichten (AN) 1931, 34 Nr. 3948 im Sinne der so genannten Rechtsanspruchstheorie entschieden, dass sich die Versicherungspflicht auch von Ghetto-Beschäftigten nicht nach der Höhe des tatsächlich gezahlten Lohnes richte, sondern alleine nach dem Entgelt auf dessen Zahlung der Versicherte bei Fälligkeit einen Rechtsanspruch hatte, ohne Rücksicht darauf, ob der Versicherte seine Bezüge voll, teilweise oder überhaupt nicht erhalten habe. Ein solcher Lohnanspruch habe auch zugunsten der Klägerin in der streitbefangenen Zeit bestanden, weil nach der Anordnung zur Regelung des Arbeitseinsatzes des Generalkommissars in Minsk vom 15.08.1941 und der Verordnung über die Einführung der Arbeitspflicht in besetzten Gebieten vom 25.01.1943 ein Lohnanspruch jüdischer Arbeiter gegeben gewesen sei. Praktizierte Lohnzahlungen an den Judenrat stünden dem nicht entgegen, da die Entgeltzahlung an Dritte den Bestand eines sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses nicht tangiere (Hinweis auf die Arbeitsanweisung der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 04.11.2005, Ziffer 2.1.5 und RVA Grundsatzentscheidung vom 17.11.1927 in AN 1928, Seite IV, 112 Nr. 3130).

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des SG Düsseldorf vom24.04.2006 sowie des Bescheides vom 29.08.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.08.2004 zu verurteilen, der Klägerin ab dem 01.07.1997 eine Regelaltersrente in Anwendung der Vorschriften des ZRBG unter Berücksichtigung von Beitragszeiten für das Beschäftigungsverhältnis im Ghetto Sarny spätestens jedoch ab April 1942 bis Oktober/November 1942 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen unter zusätzlicher Berücksichtigung von Ersatzzeiten nach § 250 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und bezieht sich dazu in rechtlicher Hinsicht auf die Rechtsprechung des 13. Senats des BSG (Hinweise auf Urteil des BSG vom 07.10.2004 - B 13 RJ 59/03 R - und vom 14.07.1999 - B 13 RJ 71/98 R -). Die danach und vom überwiegenden Teil der Rechtsprechung geforderten Kriterien für eine aus eigenem Willensentschluss aufgenommene entgeltliche Tätigkeit im Sinne des ZRBG lägen nach dem Ergebnis der persönlichen Anhörung der Klägerin nicht vor. Es sei nicht glaubhaft, dass die Klägerin entgeltlich im Sinne von § 1 ZRBG gearbeitet habe, denn das Entgelt müsse zum Umfang und zur Art der geleisteten Arbeit noch in einem angemessenen Verhältnis stehen, weil allzu geringfügige Leistungen außerhalb eines jeden Verhältnisses zur erbrachten Leistung nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts keinen Entgeltcharakter hätten Die Klägerin habe eindeutig erklärt, kein Geld erhalten zu haben. Die empfangene Verpflegung hätte nur für sie selbst ausgereicht, nicht aber für die anderen Familienmitglieder. Demnach handele es sich allenfalls um die Gewährung freien Unterhalts und nicht um ein versicherungspflichtiges Entgelt im Sinne des § 1227 RVO. Der Vortrag der Klägerin, dass der Judenrat die jeweilige Arbeitszuweisung nach dem Motto "heute hier - morgen dort" vornahm, spreche i.Ü. deutlich gegen eine Eingliederung in einen Betrieb und mehr für die Verrichtung von Zwangsarbeit, zumal die Klägerin noch im Rahmen des Rentenverfahrens angegeben habe, sowohl auf dem Weg von uns zur Arbeit, teils auch während der Arbeit, durch bewaffnete Volksdeutsche bewacht worden zu sein. Dies stelle ein typisches Merkmal der Zwangsarbeit dar.

Die DVD mit der Anhörung der Klägerin ist der Sachverständigen Frau Prof. R zur aussagepsychologischen Auswertung übersandt worden. Die Sachverständige hat ausgeführt, es ergebe sich kein Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Aussagen der Klägerin, wenngleich sie zum Teil sehr leise gesprochen habe und immer wieder hilflos und verwirrt gewirkt habe. Insgesamt hätte das eigene Überleben die Notwendigkeit, für sich selbst zu sorgen, für sie deutlich im Vordergrund gestanden. Detailfragen nach Art der Arbeit/Freiwilligkeit/Bezahlung scheine sie aufgrund ihres eingeschränkten Erinnerungsvermögens und der verminderten geistigen Kräfte nicht mehr eindeutig beantworten zu können.

Der Sachverständige Prof. Dr. Golczewski hat in seinem zeitgeschichtlichen Gutachten ausgeführt, die Angaben der Klägerin entsprächen vollauf dem Bild, dass sich in der Literatur biete. Auch dass die Klägerin die Arbeit durch den Judenrat zugewiesen habe, folge dem für Sarny dokumentierten Muster und sei wahrscheinlich, weil damit erst eine - wenngleich sehr geringe - Verpflegungsleistung verbunden gewesen sei, bzw. eine Anhebung der Rationen möglich wurde. So seien im Reichskommissariat Ukraine (RKU) im Interesse der Ghettobewohner durchaus Lebensmittel anstelle einer zustehenden Barentlohnung ausgegeben worden, wobei hier - anders als im Generalgouvernement - der Barlohn sicher eher eine Ausnahme gewesen sei. Dabei seien stets arbeitende Juden besser gestellt gewesen, als nicht arbeitende, was für Arbeitsfähige den eigenen Willen stützte, eine Arbeit zu leisten, für die es zusätzliche Lebensmittel gegeben habe. Der für heute wertende Menschen nicht mehr nachzuvollziehende Hunger, der in den systematisch von Lebensmitteln, ausgeplünderten besetzten Gebieten der Sowjetunion geherrscht und ghettoisierte Juden mit noch einmal potenzierter Härte getroffen habe, habe diese Menschen motiviert, alles zu tun, um in den Besitz von Nahrung zu gelangen. Alle Berichte aus dieser Zeit stellten die Suche nach Lebensmitteln an die erste Stelle der eigenen Ziele. Auch in Bezug auf die Feldarbeit könne grundsätzlich angenommen werden, dass mit ihr die Möglichkeit zu einer weitergehenden Lebensmittelbeschaffung zusammenhing.

In einem Beweistermin am 29.10.2007 hat der Senat generelle Fakten zu den Verhältnissen in den Ghettos und zur Überlieferung bzw. Würdigung zeitgeschichtlicher Überlieferungen erhoben:

Der an der Universität Bonn tatige Ernährungswissenschaftler Prof. Dr. T hat dargelegt, generell gültige, gezielte Vorgaben zur Ernährung auch der deutschen Bevölkerung während der Kriegzeit seien nicht bekannt. Mit Einführung der Lebensmittelkarten am 1. September 1939 sei eine kontrollierte Ausgabe von Lebensmitteln erfolgt. Welche quantitativen bzw. qualitativen Vorgaben dabei erfüllt wurden, bleibe unklar. Ähnliches gelte auch für die Ernährung in den besetzten Gebieten und der "nicht-arischen" Bevölkerung. Objektive Publikationen zur Ernährungslage in den Gettos/Lagern des 2. Weltkrieges seien in der verfügbaren Literatur nicht zu finden. Entsprechend der Philosophie der Machthaber ("Verringerung der jüdischen Bevölkerung durch Hungertod") sei jedoch davon auszugehen, dass die Gettobewohner bewusst nicht bedarfsdeckend ernährt wurden. Auch eine ernährungswissenschaftlich begründete Festlegung von "ausreichenden" Rationen für eine "freiwillige Beschäftigung" bzw. eine daraus abzuleitende Möglichkeit, mit den zugewiesenen Rationen weitere Menschen ausreichend zu versorgen, habe nicht stattgefunden. Es gebe in diesem Zusammenhang einzelne Aussagen über so genannte "amtlich festgelegte Minimalrationen" an Lebensmitteln, die den Gettobewohnern zur Verfügung gestellt wurden. Leider lasse sich diese "amtliche" Quelle nicht (mehr) feststellen. Insgesamt sollten danach die Gettobewohner pro Tag nur 1100 Kalorien erhalten, was natürlich deutlich unter dem Bedarf gelegen habe. Da generelle "Vorschriften" für die Ausgabe von Lebensmitteln nicht zu finden seien, müsse vermutet werden, dass die verantwortlichen Kommandanten eigene Vorgehensweisen definiert hätten. Es sei davon auszugehen, dass die Getto-/Lagerbewohner generell unterernährt waren. Zusätzliche Essensausgaben im Rahmen von Arbeitseinsätzen hätten auf lokalen Entscheidungen/Aktivitäten von Kommandanten, Verantwortlichen oder Ältestenräten beruht. Aus ernährungswissenschaftlicher Sicht ließen sich entsprechende Angaben nicht objektiv bewerten: Es fehlten z. B. Informationen zur tatsächlichen Basisversorgung; zudem seien quantitative und qualitative Berechnungen/Auswertungen für die einzelne Person nicht möglich, da immer nur pauschal über eine Ausgabe von Lebensmitteln an eine Gruppe (Anzahl meist unbekannt) von Arbeitenden gesprochen werde. Unbeantwortet bleibe auch, ob zusätzliche Rationen in Abhängigkeit der Schwere der Arbeit ausgegeben wurden. Generell sei anzunehmen, die Zusatzrationen hätten nicht einmal den "Mehrbedarf" durch die körperliche Arbeit gedeckt; eine Weitergabe dieser Rationen hätte den Mangel der Arbeitenden sicherlich weiter erhöht. Bei ausbleibender bzw. stark verminderter Energie- und Nährstoffzufuhr stelle sich der Stoffwechsel um; diese Adaptation verminderte zunächst die Folgen der Unterernährung. Spätestens nach ca. 50 Tagen seien jedoch die Speicher an Protein im Skelettmuskel aufgebraucht und der Organismus müsse lebensnotwendige Funktions- und Strukturproteine (z.B. Herzmuskel) abbauen. Die Konsequenz sei der Hungertod. Im selben Beweistermin vom 29.10.2007 haben der an der Ruhr-Univsiät Bochum tätige Historiker Prof. Dr. Goschler und der Lehrstuhlinhaber für osteuropäische Geschichte an der Universität Hamburg Prof. Dr. Golczewski sowie die psychologische Sachverständige Prof. Dr. R ergänzend zum Beweiswert der BEG-Akten bzw. der darin enthaltenen Erklärungen Stellung genommen. Prof. Dr. Goschler hat im Wesentlichen ausgeführt, in der Zeitgeschichte Israels sei ein Wechsel vom Heldennarrativ zum Opfernarrativ der Holocaust-Überlebenden erst im Zuge des Eichmann-Prozesses zu beobachten gewesen. Vor diesem Hintergrund wiege die Signifikanz von Erklärungen aus BEG-Akten umso stärker, je mehr ungefragt individuelle Umstände berichtet wurden. Insofern scheine es so, als breche sich an solchen Stellen der Akten mitunter gleichsam der Wunsch der Opfer Bahn, anders als in punktuellen Zusammenhängen ihre Lebensgeschichte ganzheitlich zu erzählen. Dies sei aber umso schwächer ausgeprägt bzw. an den Akten umso schwächer erkennbar, je stärker das betreffende Vorbringen über juristisch geschulte Bevollmächtigte vorgetragen wurde. Darin zeigten sich dann Angleichungsprozesse des Sachvortrags im Sinne des legitimen Weglassens von für die juristische damalige Entscheidung und die Erfolgsaussichten irrelevanten Tatsachen. Es mache insofern einen großen Unterschied, ob in den BEG-Verfahren Bevollmächtigte aufgetreten seien oder nicht.

Prof. Dr. R hat erklärt, insbesondere der Gesichtspunkt des ganzheitlichen Narrativs und der Wunsch in der Subjektivität ernst genommen zu werden, seien Umstände, die aus psychologischer Sicht eine entscheidende Rolle spielten. Dabei sei zu betonen, dass "Erinnerung" eben kein Abrufen aus einem festen Speicher, sondern eine situationsbezogene aktuelle Gehirnleistung darstelle. Hinzu komme die bekannte Unzuverlässigkeit und die tagesformabhängigen Schwankungen der menschlichen Gedächtnisleistung. Von daher seien Unterschiede in den jeweils zeitlich weit auseinander liegenden Schilderungen der Überlebenden nicht erklärungsbedürftig, sondern umgekehrt ganz natürlich und auch vom Standpunkt der Wissenschaft her zu erwarten: Es sei eher fragwürdig und ein Grund für Skepsis, wenn solche Erinnerungen über Jahre hinweg gleichsam "gestanzt" konstant blieben.

Prof. Dr. Golczewski hat betont, dass es sich bei allen Aussagen von Betroffenen nach so langer Zeit um aus einer traumatischen Situation stammende und seitdem häufig durchdachte und von späteren Informationen "kontaminierte" Berichte handeln dürfte, bei denen eine saubere Unterscheidung zwischen tatsächlich Erlebtem und im Diskurs bzw. aus der Lektüre Erschlossenem nur in Ausnahmefällen möglich sei. Differenzen zu Aussagen in früheren Entschädigungsprozessen rührten dabei nicht zuletzt aus einem durchaus nachvollziehbarem Unverständnis der rechtlichen Rahmenbedingungen her: Denn in den Entschädigungssachen sei es der erlittene Zwang gewesen, der zu einem Anspruch auf Entschädigungsleistungen führte, während es nun nach dem ZRBG gerade nicht der Zwang, sondern der "eigene Willensentschluss" sei, der zu einer Berechtigung führe (zudem von den Prozessbeteiligten häufig noch fälschlicherweise als "Freiwilligkeit" interpretiert). Letzteres sei für die nun in hohem Alter nicht mehr immer geistig sehr beweglichen Verfolgungsopfer nur schwer zu begreifen. Sie müssten gegen ihr persönliches Empfinden (ungeachtet des tatsächlichen Sachverhalts) und entgegen einer subjektiv entwickelten Interpretationsweise aussagen, dass sie "freiwillig" im Ghetto gearbeitet hätten, wenn sie ihre Klage unterstützen wollten. Da sie den ganzen Ghettoaufenthalt (zu Recht) als eine Zwangsmaßnahme auffassten, komme ihnen dies unglaublich vor und widerspreche der subjektiven Einstellung zu ihrer Verfolgungszeit, aber auch ihrem Logikverständnis, wonach unberechtigter Zwang ausgeglichen, nicht jedoch Zusammenarbeit mit dem Verfolger belohnt werden sollte.

Bei der Bewertung mündlicher Überlieferung von Geschichte durch Zeitzeugen (Oral History) und zu dem Beweiswert von Internet-Quellen hätten Historiker/innen bei ihrer Arbeit unbedingt die Prinzipien der Quellenkritik zu wahren. Dies bedeute, dass man sich bei jeder benutzten Quelle kritische Gedanken hinsichtlich der Authentizität, der Texttreue, der Bedeutung verwendeter Begriffe und der Reichweite der aufgenommenen Aussage machen müsse. Die Geschichtswissenschaft habe dazu eine eigene spezifische Methodik entwickelt, die sich exemplarisch dadurch auszeichne, dass man Quellen "gegen den Strich bürste", d.h. sich methodisch frage, ob der Betreffende das Selbe bei diametral anderer Interessenlage oder Erkenntnismöglichkeit genauso bekundet hätte oder nicht. Dabei seien selbstverständlich die Umstände der Entstehung einer Quelle besonders zu beachten. In jedem Fall sei es mit der historischen Methodik unvereinbar, irgendwo aufgefundene Daten (in einer Datenbank, in einer Aussage, in einem Dokument) unhinterfragt zu übernehmen. Auch der durchaus übliche (von den Vertretern der Beklagten angeführte) Fall divergierender Informationen sei dementsprechend zu würdigen, wobei die Entscheidung, warum man die eine Information für authentischer halte als eine andere, begründet und nachvollziehbar - damit also wissenschaftlich - erfolgen müsse.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Beteiligtenvorbringens und des Beweisergebnisses wird auf die Sitzungsniederschriften des erkennenden Senats, die eingeholten Sachverständigengutachten, die Gerichtsakte mit Anlagen, die Verwaltungsvorgänge der Beklagten, die Entschädigungsakte aus dem BEG-Verfahren der Klägerin sowie auf die Videoaufzeichnung ihrer Anhörung in Israel verwiesen, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der geheimen Beratung des erkennenden Senats gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Die angefochtenen und vom SG bestätigten Bescheide der Beklagten erweisen sich nach der Gesamtwürdigung der gerichtlichen Ermittlungen sowie des Beteiligtenvorbringens im Berufungsverfahren im Ergebnis nicht als rechtswidrig im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Klägerin hat weder nach allgemeinen Rentenvorschriften (hierzu unter A.) noch nach dem ZRBG (hierzu unter B.) einen feststellbaren Rentenanspruch gegen die Beklagte.

A. Die Arbeit der Klägerin im Ghetto Sarny unterfiel nicht den Reichsversicherungsgesetzen, da sie nicht die deutsche Staatangehörigkeit besaß. Die Stadt Sarny lag im Reichskommissariat Ukraine, in dem die Reichsversicherungsgesetze für Personen, die nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besaßen, nicht galten (vgl. BSG, Urteil vom 23.08.2001, B 13 RJ 59/00 R, zum sog. Generalgouvernement). Eine Anrechnung als Versicherungszeit richtet sich daher nach den §§ 15, 16 FRG in Verbindung mit § 20 des Gesetzes zur Wiedergutmachung des nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) bzw. § 17 a des Fremdrentengesetzes (FRG). Die Voraussetzungen dieser Vorschriften liegen jedoch nicht vor, wobei dahinstehen kann, ob die Klägerin dem so genannten deutschen Sprach-und Kulturkreis (dSK) angehört hat, auch wenn dies nach ihren im Termin in Tel Aviv noch heute deutlichen guten deutschen Sprachkenntnissen grundsätzlich in Betracht käme Eine Anrechnung als Beitragszeit nach § 15 Abs. 1 FRG scheidet aus, da eine Beitragsentrichtung zu einem nichtdeutschen (sowjetisch-ukrainischen) Träger der gesetzlichen Rentenversicherung während der Zeit der deutschen Besatzung nicht ersichtlich ist. Die Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 FRG sind bereits deshalb nicht erfüllt, da ein nach deutschem Recht dem Grunde nach rentenversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis, wie unten unter B. ausgeführt, nicht vorlag. Auch § 16 FRG greift nicht zu Gunsten der Klägerin ein, da die von ihr ausgeübten Tätigkeiten auch bei einer Beurteilung anhand des später (am 01.03.1957) geltenden Bundesrechts (§§ 1227, 1228 RVO neuer Fassung) Versicherungspflicht in den gesetzlichen Rentenversicherungen begründet hätten, wenn sie im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet verrichtet worden wären. Hierfür fehlt es nämlich an der auch das ZRBG betreffenden Voraussetzung der Entgeltlichkeit, auf die unter B. I. 4. und II. b) näher eingegangen wird. Da mithin nicht im Sinne einer Glaubhaftmachung festgestellt werden kann, dass die Klägerin eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt hat, liegen die Voraussetzungen des § 12 WGSVG ebenfalls nicht vor.

B. Ein Anspruch der Klägerin nach dem ZRBG besteht ebenfalls nicht. Das gilt nach Maßgabe aller zum ZRBG vertretenen obergerichtlichen und höchstrichterlichen Rechtsauffassungen, so dass die Streitfragen zum Entgelt, zum Ghettobegriff und zum eigenen Willensentschluss im Sinne des § 1 ZRBG vorliegend offen bleiben können (hierzu unter I.).

Denn sowohl unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des 13. Senats des BSG als auch der auf dieser Basis vom erkennenden Senat entwickelten Hilfskriterien bei Beweisnot sowie schließlich nach dem Verständnis des 4. Senats des BSG ist ein Anspruch der Klägerin nach dem ZRBG nicht gegeben (hierzu unter II.). Der Senat folgt auch nicht der so genannten Anspruchstheorie zum ZRBG, die - soweit ersichtlich - von keinem Obergericht mehr vertreten wird (hierzu unter III.).

I. Rechtlich gilt für die in der Rechtsprechung zum ZRBG aktuell vertretenen unterschiedlichen Auffassungen im Wesentlichen folgendes:

1. Um ein "Ghetto" im Sinne des § 1 ZRBG handelt es sich jedenfalls bei solchen Wohnbezirken, in denen Juden durch eine Aufenthaltsbeschränkung vollständig und nachhaltig durch die Androhung schwerster Strafen oder durch Gewaltmaßnahmen von der Umwelt abgesondert wurden und die sich in einem Gebiet befanden, das rechtlich als vom Deutschen Reich besetzt oder diesem eingegliedert zu qualifizieren ist, womit der faktische Herrschaftsbereich des NS-Staates gemeint ist. Es kann hier dahingestellt bleiben, ob auch ein sogenanntes "offenes" Ghetto unter den Ghetto-Begriff i.S.d. § 1 ZRBG fällt. Denn auf den Unterschied zwischen "offenem" und "geschlossenen" Ghetto kommt es im Fall des Klägers rechtlich nicht an. Vielmehr lässt sich aus den unter B. dargelegten Gründen feststellen, dass sie in ihrer Zeit in Sarny in einem "geschlossenen" Ghetto war (eingehend zum Problemkreis des Ghettobegriffs: LSG NRW, Urteil v. 1. September 2006 - L 14 R 41/05; Urteil v. 15. Dezember 2006 - L 13 RJ 112/04 - mit anhängiger Revision - B 5 R 12/07 R -).

2. "Beschäftigung" im Sinne des § 1 ZRBG ist jede nicht selbständige Arbeit. Das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses ist nicht notwendig. Anhaltspunkte sind eine von Weisungen eines anderen hinsichtlich Zeit, Ort, Dauer, Inhalt oder Gestaltung abhängige Tätigkeit sowie eine gewisse funktionale Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Unternehmens oder Weisungsgebers, wobei die tatsächlichen Umstände des Einzelfalls und das sich daraus ergebende Gesamtbild der ausgeübten Tätigkeit maßgeblich sind. Auch Arbeiten und Dienstleistungen, die außerhalb des räumlichen Bereichs eines Ghettos verrichtet wurden, werden dabei vom ZRBG erfasst, wenn sie Ausfluss der Beschäftigung im Ghetto waren (4. Senat des BSG, Urteil vom 14.12.2006 - B 4 R 29/06 R - Randnummer 99 mit Hinweis auf Bundestagsplenarprotokoll vom 25. April 2002). Die Arbeit muss dem Verfolgten lediglich von einem Unternehmer oder einer Ghettoautorität mit Sitz im Ghetto (z.B. dem örtlichen Judenrat) angeboten oder ähnlich einer Arbeitnehmerüberlassung oder einer Arbeitsvermittlung zugewiesen worden sein. Eine direkte Rechtsbeziehung mit unmittelbarem Entgeltzufluss zwischen einer deutschen Dienststelle und den betroffenen Ghettobewohnern ist daher nicht erforderlich.

3. Eine Beschäftigung "aus eigenem Willen" scheidet dann aus, wenn der Arbeitende von hoher Hand unter Ausschluss jeder freien Willensbetätigung zur Arbeit gezwungen wurde, z.B. bei Strafgefangenen oder KZ-Häftlingen. Ein eigener Willensentschluss im Sinne des ZRBG liegt demgegenüber vor, wenn die Arbeit vor dem Hintergrund der wirklichen Lebenslage im Ghetto jedenfalls auch noch auf einer wenn auch auf das Elementarste reduzierten Wahl zwischen wenigstens zwei Verhaltensmöglichkeiten beruhte. Solange NS-Verfolgte hinsichtlich des Zustandekommens und/oder der Durchführung der zugewiesenen angebotenen Arbeiten noch eine gewisse Dispositionsbefugnis hatten, sie also die Annahme und/oder Ausführung der Arbeiten gegenüber dem, der sie ihnen zuwies, auch ohne unmittelbare Gefahr für Leib, Leben und ihre Restfreiheit ablehnen konnten, liegt keine Unfreiwilligkeit vor, auch dann nicht, wenn sie deshalb mangels eines Entgelts weniger oder nichts mehr zu essen hatten. Gleiches gilt für eine nur den Zwangsaufenthalt im Ghetto aufrecht erhaltende, also vor allem eine fluchtverhindernde Bewachung bei Beschäftigungen außerhalb des räumlichen Ghettobereichs (vergleiche 4. Senat des BSG am angegebenen Ort Randnummer 102 mit weiteren Nachweisen).

Auch nach der Rechtsprechung des 13. Senats des BSG ist unerheblich für die Beurteilung nach dem ZRBG, aus welchen weiteren Motiven die Arbeit aufgenommen worden ist. Auch existenzielle Not (zB die Angst vor dem Verhungern oder vor Deportation in ein Vernichtungslager) als Beweggrund steht der Annahme einer freiwilligen Arbeitsaufnahme nicht entgegen (vergleiche BSG, Urteil vom 14.07.1999, B 13 RJ 75/98 R; BSG, Urteil vom 18.06.1997, 5 RJ 20/96). Auch nach der Rechtsprechung des 8. Senats des BSG kann trotz der Anweisung zur Aufnahme einer bestimmten Beschäftigung noch ein "freies" Beschäftigungsverhältnis vorliegen, wenn die Arbeitsbedingungen im Übrigen denen "normaler" Beschäftigter entsprochen haben (so zB BSG, Urteil vom 17.03.1993, 8 RKnU 1/91 zur Arbeit von Wolgadeutschen mit weiteren Nachweisen auch zur Frage der Beschäftigung in Strafhaft). Für einen eigenen Willensentschluss und gegen Zwangsarbeit spricht insbesondere der Umstand, wenn es in einem bestimmten zeitlichen und örtlichen Bezugsrahmen vergleichbare Personen gegeben hat, die nicht gearbeitet haben (BSG, Urteil vom 18.06.1997, 5 RJ 20/96 - zur Trudarmee (Arbeitsarmee) in der UdSSR unter Stalin). Die Bezeichnung der Arbeit als "Zwangsarbeit", insbesondere im Entschädigungsverfahren, reicht nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht aus, das Merkmal zu verneinen (vergleiche BSG, Urteil vom 23.08.2001 - B 13 RJ 59/00 R -). Ebenso ist es unschädlich, dass ein abstrakt-generell angeordneter Arbeitszwang bestand. Umgekehrt wird das Merkmal der Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss (ebenso wie das der Entgeltlichkeit) nicht dadurch ersetzt, dass abstrakt-generell die Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen angeordnet war (vgl. hierzu im Einzelnen BSG, Urteil vom 14.12.2006, B 4 R 29/06 R).

4. Zum Entgeltbegriff des § 1 ZRBG werden höchstrichterlich unterschiedliche Auffassungen vertreten:

a) Für das Grundverständnis des 13. Senates des BSG kommt es darauf an, ob die hier von der Klägerin ausschließlich - und glaubhaft - als Gegenleistung für die Beschäftigung im Ghetto erinnerten Lebensmittelrationen im Sinne des § 1226 RVO aF bzw. § 1227 RVO nF zur freien Verfügung standen, dh ob sie das Maß des sogenannten freien Unterhaltes überschritten. Der 13. Senat des BSG hat insoweit durch Urteil vom 7.10.2004 entschieden, dass eine "gute Verpflegung" dieses Maß noch nicht erreicht.

b) Auch nach Auffassung des erkennenden Senats ist auf dieser Basis nach wie vor für eine Entgeltlichkeit iSd § 1 ZRBG nicht ausreichend die bloße Versorgung des Betroffenen mit Nahrungsmitteln selbst - auch dann nicht, wenn diese Ernährung besser war und im Ghetto u.U. größere Überlebenschancen bot. Das gilt insbesondere dann, wenn die empfangenen Nahrungsmittel objektiv nur dazu geeignet waren, den mit der Arbeit verbundenen Kalorienmehrbedarf zu decken (Senatsurteile L 8 R 54/05; L 8 R 244/05 und L 8 R 74/05; ebenso LSG NRW, Urteil v. 8. Dezember 2006 - L 13 R 144/06). Denn die Ernährung zum Zwecke des Erhalts der eigenen Arbeitskraft ist ein Umstand, der in gleicher Weise für Zwangsarbeit typisch ist - schon aus dem reinen Eigeninteresse desjenigen, der die Arbeitskraft der Zwangsarbeiter für sich ausbeutet. Einen deutlichen Unterschied sieht der Senat erst dann als hinreichend glaubhaft gemacht an, wenn das Maß der empfangenen Gegenleistung - unabhängig davon ob in Form von Coupons oder Naturalien gewährt - objektiv bewertet dazu ausreichte, um nicht nur den Arbeitenden selbst, sondern mindestens eine weitere Person für einen erheblichen Zeitraum zu ernähren oder hierzu einen entscheidenden Beitrag zu leisten, und sei es nur auf dem im Ghetto allgemein herrschenden außerordentlich niedrigen Ernährungsniveau.

c) Nach dem rechtlichen Verständnis des 4. Senats des BSG kommt es demgegenüber für den Entgeltbegriff des § 1 ZRBG nicht auf den Maßstab der §§ 1226, 1227 RVO, sondern auf die heute geltenden Bestimmungen des § 14 SGB Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) an. Auch danach ist aber wohl von einer wirklichen "Gegenleistung" erst dann zu sprechen, wenn das für die Arbeit Empfangene begrifflich einen Gegenwert darstellt, d.h. wenn nach Abzug des durch die mit der Arbeit notwendig zusammenhängenden Eigenverbrauchs etwas als Gegenleistung übrig bleibt.

II. Die unter 1. bis 4. ausgeführten rechtlichen Voraussetzungen sind im Fall der Klägerin nicht alle erfüllt. Denn jedenfalls die dazu erforderliche Entgeltlichkeit ihrer Beschäftigung lässt sich aufgrund richterlicher Beweiswürdigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens gemäß §§ 128, 202 SGG in Verbindung mit § 294 der Zivilprozessordnung (ZPO) nicht als glaubhaft gemacht bzw. überwiegend wahrscheinlich im Sinne des § 3 WGSVG und § 4 FRG feststellen.

Dieses Ergebnis beruht auf der Würdigung aller Umstände des gesamten Verfahrens gemäß § 128 SGG. Dabei sind auch die Angaben der Klägerin in vollem Umfang verwertbar (vgl. hierzu im Einzelnen Senat, Urteil vom 06.06.2007, L 8 R 54/05, sozialgerichtsbarkeit.de).

Der erkennende Senat hält die Angaben der Klägerin für glaubhaft. Für das Gericht steht als Ergebnis des Berufungsverfahrens fest, dass die Klägerin in der persönlichen Anhörung über ihre streitbefangene Zeit im Ghetto Sarny die Wahrheit bekundet hat, so wie sie sich heute noch daran erinnert. Er vermag aber auf dieser Grundlage keine ausreichenden tatsächlichen Umstände feststellen, die denen des § 1 ZRBG entsprechen. Gerade weil sich die Klägerin in der persönlichen Anhörung in Israel ungeachtet aller sonstigen Gedächtnislücken noch deutlich an viele Gegebenheiten ihrer damaligen individuellen Beschäftigung erinnerte, kann der Senat allerdings auch nicht über ihre dortigen Angaben hinweg gehen und generell andere Wahrscheinlichkeiten unterstellen.

a) Der Senat hält es für durchaus möglich, dass die Klägerin im Ghetto Sarny eine Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss ausgeübt hat.

Nicht ausschlaggebend ist dabei entgegen der Auffassung der Beklagten, dass die Klägerin im Entschädigungsverfahren ihre Tätigkeit im Brückenbau und bei der Feldarbeit als Zwangsarbeit bezeichnete und auch eine Überwachung auf dem Weg sowie während der Arbeitsstelle schilderte. Der Begriff der Zwangsarbeit als solcher steht der heutigen Einordnung der Beschäftigung als Tätigkeit aus eigenem Willensentschluss nämlich nicht entgegen

Zur Würdigung der Inhalte von BEG-Akten der 50´ er und 60´ er Jahre des vergangenen Jahrhunderts ist zunächst der damalige zeitgeschichtliche und rechtliche Kontext dieser Erklärungen zu berücksichtigen. Die bloße Verwendung von Rechtsbegriffen wie "Zwangsarbeit" oder "ZAL", "KL" bewirkt für sich genommen noch keinen sicheren Rückschluss auf das damals wirklich Gemeinte - zumal die heutige rechtliche Bedeutung dieser Begriffe im Rahmen des ZRBG eine andere ist als nach den damals maßgeblichen Bestimmungen. Zentrales Moment im eigenen Erleben und natürliches Empfinden jedes Menschen, der die Zeit im Ghetto er- und überlebt hat, ist zudem die Erfahrung von Zwang in seiner extremsten Ausprägung gewesen. Daher ist die Angabe von "freiwilliger Arbeit" nicht zu erwarten, selbst wenn sie nach den vom Senat zugrunde gelegten Maßstäben stattgefunden hat. Diese Kategorie ist erst durch den heutigen Kontext der bewusst vom sonstigen Ghettozwang abstrahierenden BSG-Rechtsprechung zum Ghetto Lodz und das darauf aufbauende ZRBG entstanden. Entsprechend ist die Unzulässigkeit einer negativen Beweiswürdigung solcher BEG-Erklärungen gestützt auf die Begriff des "Zwangs" oder der "Zwangsarbeit" zu Recht in den deutsch-israelischen Verbindungsstellen-Gesprächen vom 1/3 Juli 2003 festgestellt worden (wobei offen bleiben kann, ob diese Ergebnisse über Art 3 GG und Art 26, 31 der Wiener Vertragsrechtskonvention eine verbindliche Selbstbindung der Verwaltung enthalten - vgl. dazu im verneinenden Sinne wohl BSG Urteil vom 13.03.2002 - B 13 R J 15/01 R).

Auch bezüglich der Bewachung ist eine undifferenzierte Betrachtung geboten. Die Überwachung zu ausschließlich fluchtverhindernden Zwecken ist im Rahmen des ZRBG von einer Überwachung zu unterscheiden, die tatsächlich ggf. zur Erzwingung von Arbeitsleistung gedient hat. Da die Klägerin vorliegend außerhalb des Ghettos, nämlich beim Brückenbau und bei der Feldarbeit bestehende Arbeitsplätze schilderte, deren Existenz auch historisch erwiesen ist, ist zunächst überwiegend wahrscheinlich, dass die dabei berichtete Bewachung dem fluchtverhindernden Zweck und nicht der Erzwingung von Arbeitsleistung diente.

Allerdings hat die Klägerin selbst in ihrer ausführlichen persönlichen Anhörung in Israel mehrfach auf Nachfragen des Berichterstatters sowie ihrer eigenen Bevollmächtigten geäußert, dass sie "keine Wahl" bei der Aufnahme ihrer Beschäftigung hatte. Ob sie damit die generelle Lage im Ghetto meinte, oder die konkrete Situation bei der unmittelbaren Aufnahme der Arbeit, ist freilich nicht klar geworden - und nach so vielen Jahren möglicherweise auch für die Klägerin nicht mehr exakt erinnerlich.

Für einen eigenen Willensentschluss der Klägerin ist zudem der Umstand zu würdigen, dass die von ihr verrichteten Arbeiten aufgrund der Hungerbedingungen im Ergebnis gegenüber der Lage von nicht-arbeitenden Ghettobewohnern etwas günstiger waren, so dass sich die Ghettobewohner um eine solche Beschäftigung bemühten. Die von Prof. Dr. Golczewski ermittelten Tatsache, dass der Judenrat von Sarny nur wenige hundert junge Menschen als Arbeitskontingent zu stellen hatte, kann insoweit sowohl für als auch gegen einen eigenen Willensentschluss der Betroffenen gewertet werden. Für den eigenen Willensentschluss der Klägerin spricht schließlich die von ihr im Rentenverfahren gewählte Formulierung, sie habe die Beschäftigung "freiwillig durch Vermittlung des Judenrates" erhalten. Dies wurde so auch von ihrem Ehemann, der als Zeuge vom Hören-Sagen aus ihren Erzählungen der gemeinsamen Ehezeit, als das Gedächtnis der Klägerin noch besser war, bestätigt.

Letztlich kann die Frage des eigenen Willensentschlusses jedoch offen bleiben.

b) Denn eine Entgeltlichkeit im Sinne des § 1 ZRBG ist nach allen oben dargestellten Auffassungen der Rechtsprechung angesichts der extrem geringen Hungerrationen, die die Klägerin für ihre Beschäftigung im Ghetto erhielt, ausgeschlossen.

Der genaue Umfang dieser Rationen lässt sich zwar nach den von der Klägerin selbst naturgemäß nur noch bruchstückhaft erinnerten Umständen nicht mehr feststellen. Hier sind indes für die gerichtliche Entscheidung zur Glaubhaftmachung Ergänzungen durch die gerichtlichen Sachverständigengutachten möglich, die einen Rückschluss mit der für das ZRBG geforderten überwiegenden Wahrscheinlichkeit erlauben. Denn nach dem zeitgeschichtlichen Gutachten von Prof. Dr. Golczewski sind auch für die konkreten Verhältnisse im Ghetto Sarny die bei Spector in Bezug auf die Ukraine überlieferten Mengenangaben von bis zu 100 Gramm Brot Mehrration für körperliche Arbeit pro Tag zugrunde zu legen. Nach den generellen ernährungswissenschaftlichen Erkenntnissen des Sachverständigengutachtens Prof. Dr. T, die der erkennende Senat für plausibel erachtet, war diese geringe Menge allerdings nicht ausreichend, um auch nur den Kalorienmehrbedarf der dafür von der Klägerin erbrachten körperlich schweren Arbeit beim Brückenbau (Sand-aufladen) und bei der Feldarbeit zu decken.

Ein das Maß eigenen freien Unterhalts übersteigendes Entgelt liegt damit schon begrifflich nicht vor. Dies gilt auch für die vom erkennenden Senat im Anschluss an die Rechtsprechung des 13. Senats des BSG für Fälle von Beweisnot entwickelte Beweiserleichterung durch das Hilfskriterium der Mitversorgung anderer. Denn die Klägerin hat insoweit keine hinreichend konkrete individuelle Erinnerung mehr daran, ob sie in der Lage war, mit den von ihr empfangenen Rationen weitere Familienmitglieder zu ernähren. Sie hat in ihrer persönlichen Anhörung allenfalls an einer Stelle ansatzweise davon berichtet, etwas Essen mit nach Hause genommen zu haben. Ein solches solidarisches Teilen der Hungerrationen ist zwar im Familienverband durchaus glaubhaft, erlaubt aber nach Auffassung des erkennenden Senats rechtlich nur dann den Rückschluss auf eine Entgeltlichkeit, wenn feststeht, dass tatsächlich andere über einen längeren Zeitraum davon - objektiv betrachtet - mitversorgt werden konnten oder hierzu ein entscheidende Beitrag vorlag. Genauere Angaben waren der Klägerin indes insoweit jedoch nicht mehr möglich. Die nach den unterschiedlichen Überlebensberichten maximal 100 g Extraration Brot genügten, wie oben gezeigt, demgegenüber objektiv nicht einmal für sie selbst.

Hinzu kommt, dass die Klägerin, selbst bezogen auf die (im Vergleich zum Brückenbau für eine entgeltliche Beschäftigung eher in Betracht kommende) Feldarbeit, eher Umstände geschildert hat, die es als überwiegend wahrscheinlich erscheinen lassen, dass sie die dort erlangten Nahrungsmittel nicht im Sinne einer bewussten und gewollten Gegenleistung von den Deutschen erhielt. Vielmehr hat sie ausdrücklich angegeben, dass sie dort in der etwas glücklicheren Lage war, sich Feldfrüchte heimlich organisieren zu können. Rechtlich setzt ein Entgelt im Sinne des § 1 ZRBG aber einen gewollten Austausch von Leistung und Gegenleistung voraus (so schon Senatsurteil L 8 R 244/05). Ähnliches gilt von der durch die Klägerin noch erinnerten Begebenheit, dass ihr einmal von einem volksdeutschen Bewacher Schokolade zugesteckt wurde. Ein solches Vorkommnis steht zwar eigentlich in starkem Widerspruch zu den damals im Ghetto Sarny zeitgeschichtlich herrschenden Verhältnissen, macht aber – gerade deswegen – die Erinnerung der Klägerin besonders plastisch und glaubhaft. Dass es tatsächlich so war, wie von der Klägerin erinnert, lässt sich zudem durch den auch vom Ehemann der Klägerin bestätigten Umstand erklären, dass sie als damals junges Mädchen von 22 Jahren in der Lage war, Empathie zu erzeugen. Rechtlich spricht diese Begebenheit individuellen menschlichen Mitleids aber ebenfalls nicht für, sondern eher gegen eine im Zusammenhang zu der Beschäftigung bewusst und gewollt gewährte Gegenleistung von Seiten der deutschen Machthaber.

Auch auf Grundlage der Rechtsprechung des 4. Senats des BSG kann ein begriffliches "Entgelt" im Sinne des § 1 ZRBG erst jenseits des mit der Arbeit zwingenden Mehrverbrauchs verbundenen Kalorienbedarfs angenommen werden und ist mithin für die Beschäftigung der Klägerin im Ghetto Sarny nicht feststellbar. Denn auch der 4. Senat spricht in seinem – insoweit klarstellenden – Vorlagebeschluss vom 20.12.2007 – B 4 R 85/06 R – davon, dass ein rentenrechtlich relevantes Entgelt auch unter den Verhältnissen des Ghettos begrifflich erst jenseits der so genannten "existenzsichernden Zuwendungen" beginnen konnte (ebenda Randnummer 120).

III. Schließlich kommt der Klägerin nach dem Vorgesagten auch keine generelle tatsächliche Vermutung der Entgeltlichkeit von Ghettoarbeit zugute. Für eine solche Verallgemeinerung waren die Verhältnisse in den unterschiedlichen Ghettos, aber wohl auch im Ghetto Sarny, nach den neuesten auch den Beteiligten bekannten historischen Erkenntnissen des erkennenden Senats sowohl während der unterschiedlichen Phasen und Orten des Kriegs- sowie Besatzungsverlaufs wie auch wegen der verschiedenen im NS-Staat willkürlich miteinander rivalisierenden NS- und Militärorganisationen (Wehrmacht, Rüstungsindustrie, Organisation Todt, SS, SA, Einzelpersonen- und Firmen etc.) zu sehr von reinen Zufällen und gravierenden inneren Widersprüchen gekennzeichnet bzw. zu vielgestaltig. Eine solche Vermutung lässt sich auch nicht auf die im RKU formal geltenden Lohnordnungen der deutschen Machthaber stützen, selbst wenn die Klägerin zutreffend darauf hingewiesen hat, dass Juden danach üblicherweise für bestimmte Arbeiten einen Lohn versprochen bekamen. Denn die Frage, ob der sich formal nach diesen Ordnungen ergebende Lohnanspruch real erfüllt wurde, hing, wie der Sachverständige Prof. Dr. Golczewski gezeigt hat, oft von reiner Willkür ab. Zudem hat der Sachverständige durch seine detaillierte Schilderung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen deutschen Dienststellen und örtlichen Judenräten belegt, dass der Hauptzweck dieser Verordnungen offenbar in der internen Verrechnung der jüdischen Arbeitsleistung bestand.

Soweit sich die Klägerin demgegenüber im Anschluss an die Entscheidung des RVA vom 29.10.1930 - Aktenzeichen III A.V. 44.30 B - veröffentlicht in AN 1931, 34 Nr. 3948 und ein Urteil des 3. Senats des LSG NRW mit Urteil vom 15.12.2003 - Aktenzeichen L 3 RJ 33/00 - auf die sogenannte Rechtsanspruchstheorie beruft, so ist darauf hinzuweisen, dass der 3. Senat des LSG NRW diese Rechtsprechung zwischenzeitlich aufgegeben hat und auch der erkennende Senat ihr bereits entgegen getreten ist – so schon Senatsurteil - 8 R 249/05 -). Diese Auffassung wurde bislang auch von keinem der Rentensenate des BSG zur Anwendung des ZRBG in Betracht gezogen. "Recht" im eigentlichen Sinne des Wortes war das, was örtliche NS-Machthaber als Lohn oder Ration in Ghettos verordneten, ohnehin in keinem Fall (grundlegend: Radbruch, Gesetzliches Unrecht und überpositives Recht, in: Süddeutsche Juristenzeitung 1946, 105 ff unter III.; vgl. auch 4. Senat des BSG Urteil vom 14.12.2006- B 4 R 29/06 R - Randnummer 109, 114). Die aus heutiger Sicht gebotene wenigstens nachträglich gleiche Anwendung vergleichbarer Maßstäbe für vergleichbare Umstände darf von diesem willkürverzerrten Verhalten lokaler NS-Stellen daher nicht abhängig sein. Es trifft auch nicht zu, dass den NS-Opfern damit in der heutigen Rechtsanwendung ein zweites Mal bzw. neues Unrecht zugefügt wird. Denn im Gegensatz zur Frage nach der Versicherungspflicht bei bestehendem Beschäftigungsverhältnis – für die die Rechtsanspruchstheorie entwickelt wurde – stellt das ZRBG nach Auffassung des erkennenden Senats durch den Wortlaut "gegen Entgelt" ausdrücklich darauf ab, ob bzw. dass der Betroffene die Gegenleistung auch als realen Zufluss wirklich bekommen hat.

Eben dies ist im Fall der Klägerin – selbst bei Berücksichtigung der für jüdische Arbeiter erlassenen Lohnordnungen – nicht feststellbar, da letztere nach den ausdrücklichen Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. Golczewski von theoretischer Qualität waren und die reale Praxis vielmehr einer Abführung der Gelder an die Judenräte entsprach. Die Zahlung an die Judenräte kann entgegen der rechtlichen Annahme der Klägerin auch nicht im Wege der (Duldungs- oder Anscheins-) Bevollmächtigung im Sinne einer Erfüllung durch Leistung an einen Dritten für die Entgeltlichkeit nach dem ZRBG herangezogen werden, auch wenn eine solche Zurechnung unter bestimmten Voraussetzungen nach den regulären Bestimmungen der RVO zur Versicherungspflicht führte (vergleiche dazu schon die Entscheidung des RVA in AN 1911, 404, in der einem jüdischen Waisenjungen, dessen Waisenheim seinen Lehrlingslohn nicht in bar an ihn weiter geleitet hatte, die Versicherungspflicht und damit eine Rente zuerkannt worden war). Denn solche Zahlungen von deutscher Seite an den Judenrat von Sarny sind nach den historischen Erkenntnissen des Sachverständigen Prof. Dr. Golczewski nicht feststellbar. Zudem wäre neben dem Nachweis realer Zahlungen des Arbeitgebers auch das Bestehen eines durch entsprechende Vereinbarung zwischen den Beteiligten zustande gekommenen Zahlungsanspruchs Voraussetzung (BSG Urteil vom 18.6.1997 - 5 RJ 66/95 -). Auch dafür bieten die Schilderungen der Klägerin selbst keinen konkreten Anhaltspunkt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGG zuzulassen, bestanden nicht, da die Klägerin nach allen zum ZRBG vertretenen Auffassungen einen Anspruch auf die begehrte Leistung hat, so dass sich revisionswürdige Fragen vorliegend nicht streitentscheidend stellen.
Rechtskraft
Aus
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