Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 7 U 3924/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 1812/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 14.03.2007 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Anerkennung seiner Gesundheitsstörungen als Berufskrankheit (BK) nach Nr. 1317 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) - nachfolgend BK 1317 -sowie die Gewährung von Verletztenrente.
Der 1948 geborene Kläger, der seit 1952 an einer Sprachstörung leidet, arbeitete von 1963 bis 1990 bei der Firma K. , Kunststoff-Blas- u. Spritzwerk GmbH (jetzt Firma M. AG) wobei er während seiner Tätigkeit in der Werkstatt im Bereich Formenvorbereitung von 1963 bis 1979 der Einwirkung von Trichlorethylen (Trichlorethen) ausgesetzt war. Anschließend war er bis zum Jahr 2002 (danach arbeitsunfähig) bei der Firma B. in der Presserei tätig. Hierbei arbeitete er mit dem Kaltreiniger "Eskapon S 186".
Im März 2004 machte der Kläger bei der Edel- und Unedelmetall Berufsgenossenschaft das Vorliegen einer Berufskrankheit geltend. Diese führte Ermittlungen durch, so holte sie u. a. den Befundbericht des Allgemeinmediziners Dr. H. ein (Behandlung des Klägers von 1988 bis 2003) und zog die Krankenunterlagen der AOK R. von 1995 bis 2004 bei sowie diejenigen der AOK M. für den Zeitraum von 1970 bis 1983.
Nach Übernahme des bisherigen Vorgangs im April 2005 durch die Beklagte holte diese das Gutachten des Diplom-Chemikers und Facharztes für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin Dr. P. vom 25.03.2006 mit nervenärztlichem Zusatzgutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie sowie Umweltmediziners Dr. K. vom 21.03.2006 ein. Dr. P. diagnostizierte eine leichte demyelinisierende Polyneuropathie, deren Ursächlichkeit nicht abschließend geklärt werden könne. Eine Encephalopathie könne beim Kläger nicht festgestellt werden. Eine BK 1317 liege damit nicht vor. Dr. K. fand keine Hinweise für das Vorliegen einer Polyneuropathie bzw. einer Encephalopathie.
Nach Einholung der gewerbeärztlichen Feststellung der Gewerbeärztin E. lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 07.06.2006/Widerspruchsbescheid vom 04.10.2006 die Anerkennung der Beschwerden des Klägers wie Schwindel, Sehstörungen, Ohrgeräusche und Kopfschmerzen als BK Nr. 1317 ab.
Dagegen hat der Kläger am 25.10.2006 Klage zum Sozialgericht Heilbronn erhoben, das mit Gerichtsbescheid vom 14.03.2007 die Klage mit der Begründung abgewiesen hat, beim Kläger liege schon keine BK 1317 vor, weshalb auch die von ihm vorgetragenen Gesundheitsstörungen wie Schwindel, Sehstörungen, Ohrgeräusche und Kopfschmerzen nicht auf eine solche BK zurückgeführt werden könnten. Nach den Gutachten von Dr. K. und Dr. P. liege beim Kläger zum einen keine Encephalopathie vor und die demyelinisierende Polyneuropathie sei nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf die versicherte Tätigkeit zurückzuführen. Dies bestätige sich auch durch das Merkblatt zur BK 1317 der Anlage zur BKV in seiner neuesten Fassung. Danach sei eine Polyneuropahtie durch Trichlorethylen, dem der Kläger bis zum Jahr 1979 ausgesetzt gewesen sei, gekennzeichnet durch Sensibilitäts- und Reflexverlust oder sensomotorische Ausfälle im Versorgungsgebiet des Nervus trigeminus im Gesicht. Der im Gutachten von Dr. K. dargelegte neurologische Befund weise jedoch keine Sensibilitätsstörungen im Bereich des Gesichts aus. Es komme daher schon gar nicht auf die Qualität der Einwirkungen an, denen der Kläger ausgesetzt gewesen sei und hinsichtlich derer er der Beklagten Ermittlungsdefizite vorwerfe.
Gegen den am 16.03.2007 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 10.04.2007 Berufung eingelegt und ergänzend vorgebracht, das Sozialgericht hätte weitere Ermittlungen bezüglich der Schadstoffbelastungen an seinen Arbeitsplätzen durchführen müssen.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 14.03.2007 und den Bescheid der Beklagten vom 07.06.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.10.2006 aufzuheben und die bei ihm vorliegenden gesundheitlichen Beschwerden wie Schwindel, Sehstörungen, Ohrgeräusche, Kopfschmerzen, bleibende Sprachstörungen, Compoudnaevus mit melanozypärer Hyperplasie und Veränderungen an der Darmschleimhaut als Berufskrankheit nach Nr. 1317 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung anzuerkennen und ihm Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 20 v. H. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie beruft sich auf das Gutachten von Dr. P ...
Auf Antrag des Klägers gem. § 109 SGG hat der Senat das Gutachten von Prof. Dr. Dr. L. , Oberarzt an der Neurologischen Klinik des Universitätsklinikums E. , vom 25.02.2008 eingeholt. Er hat zusammenfassend ausgeführt, die neurologisch-neuropsychologische Untersuchung habe keinerlei Hinweis auf eine Polyneuropathie ergeben. Es lägen lediglich Anhaltspunkte für ein diskretes organisches Psychosyndrom im Sinne einer leichten Aufmerksamkeitseinschränkung bei komplexeren oder längerfristigen Anforderungen vor. Es sei unwahrscheinlich, dass diese diskrete Encephalopathie durch organische Lösemittel oder deren Gemische verursacht worden sei. Eine BK 1317 liege nicht vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143, 144, 151 SGG zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Beim Kläger liegt keine BK 1317 vor.
Da die Beklagte jedwede Entschädigung ablehnt, weil keine BK vorliege kann der Kläger eine Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG erheben. Dies hat der Kläger auch getan. Diese Feststellungsklage ist jedoch unbegründet. Die geltend gemachte BK liegt nicht vor.
Dementsprechend ist die von ihm zusätzlich gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG beantragte Feststellung von Folgen der BK, da abhängig von der Feststellung einer BK 1317, ebenso gegenstandlos wie der - in Ermangelung einer Entscheidung der Beklagten über konkrete Leistungen ohnehin unzulässige (BSG, Urteil vom 16.11.1005, B 2 U 28/04 R) - auf Entschädigung gerichtete Teil des gestellten Antrages.
Die vom Kläger begehrte Feststellung einer BK 1317 richtet sich für den Fall des Eintritts eines Versicherungsfalles vor dem 01.01.1997 auch nach Inkrafttreten des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) am 1. Januar 1997 nach den bis dahin geltenden Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO); denn nach § 212 SGB VII gilt das neue Recht grundsätzlich erst für Versicherungsfälle, die nach dem 31. Dezember 1996 eingetreten sind. Einer der Ausnahmetatbestände nach §§ 213 ff SGB VII ist nicht gegeben.
Nach § 551 Abs. 1 Satz 1 RVO gilt als Arbeitsunfall auch eine BK. BKen sind die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539 , 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet (versicherte Tätigkeit). Durch § 551 Abs. 1 Satz 3 RVO ist die Bundesregierung ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht worden sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Das geschieht in der BKVO, der in der Anlage 1 eine Liste der entschädigungspflichtigen BKen angefügt ist. Zu den vom Verordnungsgeber bezeichneten BKen gehören die hier geltend gemachte BK Nr. 1317: "Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische". Gleiches gilt gemäß § 9 SGB VII für nach dem 31.12.1997 eingetretene Versicherungsfälle.
Voraussetzung für die Anerkennung und ggf. Entschädigung einer Erkrankung als BK ist zum einen, dass der schädigende Stoff ("Listenstoff") generell geeignet ist, das betreffende Krankheitsbild zum Entstehen zu bringen oder zu verschlimmern. Zum anderen muss die vorliegende Erkrankung konkret-individuell durch entsprechende Einwirkungen des Listenstoffs wesentlich verursacht bzw. verschlimmert worden und diese Einwirkungen müssen wesentlich durch die versicherte Tätigkeit verursacht worden sein. Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß i.S. des "Vollbeweises", also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht, der nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen ist, grundsätzlich die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit - nicht allerdings die bloße Möglichkeit - ausreicht. Der Beweismaßstab der Wahrscheinlichkeit gilt jedenfalls für den konkret-individuellen Kausalzusammenhang zwischen der mit der versicherten Tätigkeit in innerem Zusammenhang stehenden Verrichtung und der schädigenden Einwirkung ("haftungsbegründende Kausalität") und zwischen dieser und dem Eintritt der Erkrankung ("haftungsausfüllende Kausalität").
Der Senat geht davon aus, dass der Kläger während seiner beruflichen Tätigkeit schädigenden Substanzen - d. h. solchen, die geeignet sind, eine BK 1317 hervorzurufen - ausgesetzt war. Jedenfalls Trichlorethylen (Trichlorethen) ist ein organisches, neurotoxisches Lösungsmittel (BK 1317). Das Ausmaß der beruflichen Exposition und die Schädlichkeit des bei der Firma B. verwendeten Kaltreinigers bedarf keiner Abklärung. Denn eine BK 1317 liegt nicht vor. Der Senat kann sich schon nicht davon überzeugen, dass beim Kläger eine Encephalopathie oder Polyneuropathie vorliegt.
Der Kläger leidet nicht an einer toxischen Encephalopathie. Der aktuelle medizinisch-wissen-schaftliche Kenntnisstand zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Encephalopathie diagnostiziert und ursächlich auf die berufliche Einwirkung organischer Lösungsmittel oder deren Gemische zurückgeführt werden kann, ist dokumentiert im BK-Report 2-2007 "BK 1317 - Polyneuropathie oder Encephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische", 2. Auflage, September 2007, Stand März 2007 der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung. Danach wird als Encephalopathie eine nicht entzündliche Erkrankung oder Schädigung des Gehirns unterschiedlicher Genese bezeichnet. Das Krankheitsbild der toxischen Encephalopathie unterscheidet sich bezüglich der wesentlichen Symptome nicht von anderen Encephalopathieformen. Kernsymptome sind: Verminderte Konzentrationsfähigkeit, Merkschwäche, Auffassungsschwierigkeiten, Denkstörungen, Persönlichkeitsveränderungen oft mit Antriebsarmut, erhöhte Reizbarkeit, Affektstörungen sowie eine außergewöhnliche Ermüdbarkeit oder rasche Erschöpfbarkeit.
Diese Voraussetzungen sind beim Kläger nicht erfüllt. Dr. P. und Dr. K. haben schon das Vorliegen einer Encephalopathie verneint, nachdem sie keine signifikanten Störungen des peripheren und zentralen Nervensystems feststellen konnten. Das EEG zeigte lediglich ein leicht abnormes Hirnstrombild ohne Hinweise für eine diffuse oder umschriebene fokale hirnelektrische Funktionsstörung und die visuell evozierten Potentiale waren zwar grenzwertig, jedoch nicht pathologisch zu werten (Dr. K. ).
Prof. Dr. Dr. L. hat bei seiner Untersuchung lediglich ein leichtes und nicht durchgängiges Konzentrationsdefizit testpsychologisch erfasst, das in der klinischen Untersuchung kein Korrelat gehabt hat und den Kläger auch in der Bewältigung seiner Alltagsgeschäfte nicht behindert, insbesondere auch nicht beim Autofahren. Eine Gedächtnisstörung hat er eindeutig nicht gefunden und in der Untersuchungssituation ist weder ein mnestisches noch ein Aufmerksamkeitsdefizit aufgefallen. Hinweise für das Vorliegen von Antriebsarmut bzw. außergewöhnlicher Ermüdbarkeit oder rascher Erschöpfbarkeit liegen nicht vor, da der Kläger seit Jahren pflegebedürftige Angehörige versorgt, regelmäßig im Kirchenchor singt und jährlich weite Strecken mit dem eigenen Pkw fährt. Selbst wenn man mit Prof. Dr. Dr. L. von einer geringgradigen Encephalopathie i.S. eines leichten organischen Psychosyndroms (leichte Aufmerksamkeitseinschränkung bei komplexeren oder längerfristigen Anforderungen) ausgeht, ist diese - so dieser Sachverständige - nicht mit Wahrscheinlichkeit auf die Arbeit mit neurotoxischen Lösungsmitteln zurückzuführen. Er hat vielmehr darauf hingewiesen, dass ein derartiges organisches Psychosyndrom sowohl durch medikamentöse Einflüsse als auch psychische Besonderheiten (z. B. Depressionen, verminderte Mühegabe, Umstellungserschwerung) hervorgerufen werden kann und es sich im Fall des Klägers um eine rezente, möglicherweise alterskorrelierte Erscheinung handelt. Jedenfalls hat er eine Verbindung von kognitiver Einschränkung und peripherer Nervenschädigung im Sinne einer toxischen Encephaloneuropathie verneint.
Es liegt beim Kläger auch keine mit Wahrscheinlichkeit auf die Einwirkung von neurotoxischen Lösungsmittel zurückgehende Polyneuropathie vor. Zwar beschreibt Dr. K. mäßig pathologische somatosensibel evozierte Potentiale des Nervus tibialis als Ausdruck einer demyelinisierenden Störung. Elekromyo- und neurographisch fand sich keine relevante Störung des Muskulus tibialis. Die leichtgradige neurogene Störung insbesondere im Versorgungsgebiet des Dermatomyoms S1 interpretierte Dr. K. als S1-Wurzelreizsyndrom vor dem Hintergrund der beim Kläger vorliegenden LWS-Schäden. Er sah keine Hinweise für eine Polyneuropathie, ebenso wenig Prof. Dr. Dr. L ... Geht man mit Dr. P. dagegen von einer leichten demyelinisierenden Polyneuropahtie aus, ist diese jedenfalls nicht mit Wahrscheinlichkeit auf die Einwirkung von Lösemitteln zurückzuführen. Vielmehr kann deren Ursächlichkeit nicht geklärt werden. Die bei einer lösemittelbedingten Polyneuropathie primär zu erwartende axonale Polyneuropathie oder eine Mischform liegt jedenfalls - so überzeugend Dr. P. - nicht vor.
Soweit der Kläger sich in der mündlichen Verhandlung auf eine nach seinen Angaben früher diagnostizierte Persönlichkeitsstörung beruft, ist mit dieser Diagnose eine Encephalopathie nicht belegt.
Eine BK 1317 liegt somit nicht vor. Damit ist der vom Kläger gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG auch beantragten Feststellungen von Folgen einer solchen BK von vornherein der Boden entzogen.
Bei dieser Sach- und Rechtslage ist die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Anerkennung seiner Gesundheitsstörungen als Berufskrankheit (BK) nach Nr. 1317 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) - nachfolgend BK 1317 -sowie die Gewährung von Verletztenrente.
Der 1948 geborene Kläger, der seit 1952 an einer Sprachstörung leidet, arbeitete von 1963 bis 1990 bei der Firma K. , Kunststoff-Blas- u. Spritzwerk GmbH (jetzt Firma M. AG) wobei er während seiner Tätigkeit in der Werkstatt im Bereich Formenvorbereitung von 1963 bis 1979 der Einwirkung von Trichlorethylen (Trichlorethen) ausgesetzt war. Anschließend war er bis zum Jahr 2002 (danach arbeitsunfähig) bei der Firma B. in der Presserei tätig. Hierbei arbeitete er mit dem Kaltreiniger "Eskapon S 186".
Im März 2004 machte der Kläger bei der Edel- und Unedelmetall Berufsgenossenschaft das Vorliegen einer Berufskrankheit geltend. Diese führte Ermittlungen durch, so holte sie u. a. den Befundbericht des Allgemeinmediziners Dr. H. ein (Behandlung des Klägers von 1988 bis 2003) und zog die Krankenunterlagen der AOK R. von 1995 bis 2004 bei sowie diejenigen der AOK M. für den Zeitraum von 1970 bis 1983.
Nach Übernahme des bisherigen Vorgangs im April 2005 durch die Beklagte holte diese das Gutachten des Diplom-Chemikers und Facharztes für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin Dr. P. vom 25.03.2006 mit nervenärztlichem Zusatzgutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie sowie Umweltmediziners Dr. K. vom 21.03.2006 ein. Dr. P. diagnostizierte eine leichte demyelinisierende Polyneuropathie, deren Ursächlichkeit nicht abschließend geklärt werden könne. Eine Encephalopathie könne beim Kläger nicht festgestellt werden. Eine BK 1317 liege damit nicht vor. Dr. K. fand keine Hinweise für das Vorliegen einer Polyneuropathie bzw. einer Encephalopathie.
Nach Einholung der gewerbeärztlichen Feststellung der Gewerbeärztin E. lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 07.06.2006/Widerspruchsbescheid vom 04.10.2006 die Anerkennung der Beschwerden des Klägers wie Schwindel, Sehstörungen, Ohrgeräusche und Kopfschmerzen als BK Nr. 1317 ab.
Dagegen hat der Kläger am 25.10.2006 Klage zum Sozialgericht Heilbronn erhoben, das mit Gerichtsbescheid vom 14.03.2007 die Klage mit der Begründung abgewiesen hat, beim Kläger liege schon keine BK 1317 vor, weshalb auch die von ihm vorgetragenen Gesundheitsstörungen wie Schwindel, Sehstörungen, Ohrgeräusche und Kopfschmerzen nicht auf eine solche BK zurückgeführt werden könnten. Nach den Gutachten von Dr. K. und Dr. P. liege beim Kläger zum einen keine Encephalopathie vor und die demyelinisierende Polyneuropathie sei nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf die versicherte Tätigkeit zurückzuführen. Dies bestätige sich auch durch das Merkblatt zur BK 1317 der Anlage zur BKV in seiner neuesten Fassung. Danach sei eine Polyneuropahtie durch Trichlorethylen, dem der Kläger bis zum Jahr 1979 ausgesetzt gewesen sei, gekennzeichnet durch Sensibilitäts- und Reflexverlust oder sensomotorische Ausfälle im Versorgungsgebiet des Nervus trigeminus im Gesicht. Der im Gutachten von Dr. K. dargelegte neurologische Befund weise jedoch keine Sensibilitätsstörungen im Bereich des Gesichts aus. Es komme daher schon gar nicht auf die Qualität der Einwirkungen an, denen der Kläger ausgesetzt gewesen sei und hinsichtlich derer er der Beklagten Ermittlungsdefizite vorwerfe.
Gegen den am 16.03.2007 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 10.04.2007 Berufung eingelegt und ergänzend vorgebracht, das Sozialgericht hätte weitere Ermittlungen bezüglich der Schadstoffbelastungen an seinen Arbeitsplätzen durchführen müssen.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 14.03.2007 und den Bescheid der Beklagten vom 07.06.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.10.2006 aufzuheben und die bei ihm vorliegenden gesundheitlichen Beschwerden wie Schwindel, Sehstörungen, Ohrgeräusche, Kopfschmerzen, bleibende Sprachstörungen, Compoudnaevus mit melanozypärer Hyperplasie und Veränderungen an der Darmschleimhaut als Berufskrankheit nach Nr. 1317 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung anzuerkennen und ihm Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 20 v. H. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie beruft sich auf das Gutachten von Dr. P ...
Auf Antrag des Klägers gem. § 109 SGG hat der Senat das Gutachten von Prof. Dr. Dr. L. , Oberarzt an der Neurologischen Klinik des Universitätsklinikums E. , vom 25.02.2008 eingeholt. Er hat zusammenfassend ausgeführt, die neurologisch-neuropsychologische Untersuchung habe keinerlei Hinweis auf eine Polyneuropathie ergeben. Es lägen lediglich Anhaltspunkte für ein diskretes organisches Psychosyndrom im Sinne einer leichten Aufmerksamkeitseinschränkung bei komplexeren oder längerfristigen Anforderungen vor. Es sei unwahrscheinlich, dass diese diskrete Encephalopathie durch organische Lösemittel oder deren Gemische verursacht worden sei. Eine BK 1317 liege nicht vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143, 144, 151 SGG zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Beim Kläger liegt keine BK 1317 vor.
Da die Beklagte jedwede Entschädigung ablehnt, weil keine BK vorliege kann der Kläger eine Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG erheben. Dies hat der Kläger auch getan. Diese Feststellungsklage ist jedoch unbegründet. Die geltend gemachte BK liegt nicht vor.
Dementsprechend ist die von ihm zusätzlich gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG beantragte Feststellung von Folgen der BK, da abhängig von der Feststellung einer BK 1317, ebenso gegenstandlos wie der - in Ermangelung einer Entscheidung der Beklagten über konkrete Leistungen ohnehin unzulässige (BSG, Urteil vom 16.11.1005, B 2 U 28/04 R) - auf Entschädigung gerichtete Teil des gestellten Antrages.
Die vom Kläger begehrte Feststellung einer BK 1317 richtet sich für den Fall des Eintritts eines Versicherungsfalles vor dem 01.01.1997 auch nach Inkrafttreten des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) am 1. Januar 1997 nach den bis dahin geltenden Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO); denn nach § 212 SGB VII gilt das neue Recht grundsätzlich erst für Versicherungsfälle, die nach dem 31. Dezember 1996 eingetreten sind. Einer der Ausnahmetatbestände nach §§ 213 ff SGB VII ist nicht gegeben.
Nach § 551 Abs. 1 Satz 1 RVO gilt als Arbeitsunfall auch eine BK. BKen sind die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539 , 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet (versicherte Tätigkeit). Durch § 551 Abs. 1 Satz 3 RVO ist die Bundesregierung ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht worden sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Das geschieht in der BKVO, der in der Anlage 1 eine Liste der entschädigungspflichtigen BKen angefügt ist. Zu den vom Verordnungsgeber bezeichneten BKen gehören die hier geltend gemachte BK Nr. 1317: "Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische". Gleiches gilt gemäß § 9 SGB VII für nach dem 31.12.1997 eingetretene Versicherungsfälle.
Voraussetzung für die Anerkennung und ggf. Entschädigung einer Erkrankung als BK ist zum einen, dass der schädigende Stoff ("Listenstoff") generell geeignet ist, das betreffende Krankheitsbild zum Entstehen zu bringen oder zu verschlimmern. Zum anderen muss die vorliegende Erkrankung konkret-individuell durch entsprechende Einwirkungen des Listenstoffs wesentlich verursacht bzw. verschlimmert worden und diese Einwirkungen müssen wesentlich durch die versicherte Tätigkeit verursacht worden sein. Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß i.S. des "Vollbeweises", also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht, der nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen ist, grundsätzlich die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit - nicht allerdings die bloße Möglichkeit - ausreicht. Der Beweismaßstab der Wahrscheinlichkeit gilt jedenfalls für den konkret-individuellen Kausalzusammenhang zwischen der mit der versicherten Tätigkeit in innerem Zusammenhang stehenden Verrichtung und der schädigenden Einwirkung ("haftungsbegründende Kausalität") und zwischen dieser und dem Eintritt der Erkrankung ("haftungsausfüllende Kausalität").
Der Senat geht davon aus, dass der Kläger während seiner beruflichen Tätigkeit schädigenden Substanzen - d. h. solchen, die geeignet sind, eine BK 1317 hervorzurufen - ausgesetzt war. Jedenfalls Trichlorethylen (Trichlorethen) ist ein organisches, neurotoxisches Lösungsmittel (BK 1317). Das Ausmaß der beruflichen Exposition und die Schädlichkeit des bei der Firma B. verwendeten Kaltreinigers bedarf keiner Abklärung. Denn eine BK 1317 liegt nicht vor. Der Senat kann sich schon nicht davon überzeugen, dass beim Kläger eine Encephalopathie oder Polyneuropathie vorliegt.
Der Kläger leidet nicht an einer toxischen Encephalopathie. Der aktuelle medizinisch-wissen-schaftliche Kenntnisstand zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Encephalopathie diagnostiziert und ursächlich auf die berufliche Einwirkung organischer Lösungsmittel oder deren Gemische zurückgeführt werden kann, ist dokumentiert im BK-Report 2-2007 "BK 1317 - Polyneuropathie oder Encephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische", 2. Auflage, September 2007, Stand März 2007 der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung. Danach wird als Encephalopathie eine nicht entzündliche Erkrankung oder Schädigung des Gehirns unterschiedlicher Genese bezeichnet. Das Krankheitsbild der toxischen Encephalopathie unterscheidet sich bezüglich der wesentlichen Symptome nicht von anderen Encephalopathieformen. Kernsymptome sind: Verminderte Konzentrationsfähigkeit, Merkschwäche, Auffassungsschwierigkeiten, Denkstörungen, Persönlichkeitsveränderungen oft mit Antriebsarmut, erhöhte Reizbarkeit, Affektstörungen sowie eine außergewöhnliche Ermüdbarkeit oder rasche Erschöpfbarkeit.
Diese Voraussetzungen sind beim Kläger nicht erfüllt. Dr. P. und Dr. K. haben schon das Vorliegen einer Encephalopathie verneint, nachdem sie keine signifikanten Störungen des peripheren und zentralen Nervensystems feststellen konnten. Das EEG zeigte lediglich ein leicht abnormes Hirnstrombild ohne Hinweise für eine diffuse oder umschriebene fokale hirnelektrische Funktionsstörung und die visuell evozierten Potentiale waren zwar grenzwertig, jedoch nicht pathologisch zu werten (Dr. K. ).
Prof. Dr. Dr. L. hat bei seiner Untersuchung lediglich ein leichtes und nicht durchgängiges Konzentrationsdefizit testpsychologisch erfasst, das in der klinischen Untersuchung kein Korrelat gehabt hat und den Kläger auch in der Bewältigung seiner Alltagsgeschäfte nicht behindert, insbesondere auch nicht beim Autofahren. Eine Gedächtnisstörung hat er eindeutig nicht gefunden und in der Untersuchungssituation ist weder ein mnestisches noch ein Aufmerksamkeitsdefizit aufgefallen. Hinweise für das Vorliegen von Antriebsarmut bzw. außergewöhnlicher Ermüdbarkeit oder rascher Erschöpfbarkeit liegen nicht vor, da der Kläger seit Jahren pflegebedürftige Angehörige versorgt, regelmäßig im Kirchenchor singt und jährlich weite Strecken mit dem eigenen Pkw fährt. Selbst wenn man mit Prof. Dr. Dr. L. von einer geringgradigen Encephalopathie i.S. eines leichten organischen Psychosyndroms (leichte Aufmerksamkeitseinschränkung bei komplexeren oder längerfristigen Anforderungen) ausgeht, ist diese - so dieser Sachverständige - nicht mit Wahrscheinlichkeit auf die Arbeit mit neurotoxischen Lösungsmitteln zurückzuführen. Er hat vielmehr darauf hingewiesen, dass ein derartiges organisches Psychosyndrom sowohl durch medikamentöse Einflüsse als auch psychische Besonderheiten (z. B. Depressionen, verminderte Mühegabe, Umstellungserschwerung) hervorgerufen werden kann und es sich im Fall des Klägers um eine rezente, möglicherweise alterskorrelierte Erscheinung handelt. Jedenfalls hat er eine Verbindung von kognitiver Einschränkung und peripherer Nervenschädigung im Sinne einer toxischen Encephaloneuropathie verneint.
Es liegt beim Kläger auch keine mit Wahrscheinlichkeit auf die Einwirkung von neurotoxischen Lösungsmittel zurückgehende Polyneuropathie vor. Zwar beschreibt Dr. K. mäßig pathologische somatosensibel evozierte Potentiale des Nervus tibialis als Ausdruck einer demyelinisierenden Störung. Elekromyo- und neurographisch fand sich keine relevante Störung des Muskulus tibialis. Die leichtgradige neurogene Störung insbesondere im Versorgungsgebiet des Dermatomyoms S1 interpretierte Dr. K. als S1-Wurzelreizsyndrom vor dem Hintergrund der beim Kläger vorliegenden LWS-Schäden. Er sah keine Hinweise für eine Polyneuropathie, ebenso wenig Prof. Dr. Dr. L ... Geht man mit Dr. P. dagegen von einer leichten demyelinisierenden Polyneuropahtie aus, ist diese jedenfalls nicht mit Wahrscheinlichkeit auf die Einwirkung von Lösemitteln zurückzuführen. Vielmehr kann deren Ursächlichkeit nicht geklärt werden. Die bei einer lösemittelbedingten Polyneuropathie primär zu erwartende axonale Polyneuropathie oder eine Mischform liegt jedenfalls - so überzeugend Dr. P. - nicht vor.
Soweit der Kläger sich in der mündlichen Verhandlung auf eine nach seinen Angaben früher diagnostizierte Persönlichkeitsstörung beruft, ist mit dieser Diagnose eine Encephalopathie nicht belegt.
Eine BK 1317 liegt somit nicht vor. Damit ist der vom Kläger gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG auch beantragten Feststellungen von Folgen einer solchen BK von vornherein der Boden entzogen.
Bei dieser Sach- und Rechtslage ist die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
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