L 10 U 4555/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 9 U 1284/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 4555/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 13.07.2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 03.12.2001 Anspruch auf Gewährung von Verletztenrente hat.

Der am 1967 geborene Kläger, Linkshänder, erlitt am 03.12.2001 beim Reinigen einer nicht ausgeschalteten Fräsmaschine eine Riss-Quetschverletzung des rechten Unterarmes dorsal mit partieller Durchtrennung der Sehne des Musculus extensor carpi radialis. Während der bis 14.12.2001 dauernden stationären Behandlung in der BG-Unfallklinik L. erfolgte eine primäre Wundversorgung mit Sehnennaht und Hauttransplantation vom rechten Oberschenkel. Ende Dezember 2001 endete die ambulante Nachbehandlung in der BG-Unfallklinik L. bei reizlosen Wundverhältnissen und noch zu tragendem Gips. Der den Kläger weiter behandelnde Orthopäde Dr. P. berichtete Ende Januar 2002 von Bewegungseinschränkungen am rechten Handgelenk und erheblichen subjektiven Beschwerden und schätzte die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) vorläufig auf 20 v.H. Auf Anraten von Prof. Dr. W. , Ärztlicher Direktor der BG-Unfallklinik L. , der im Februar 2002 ein Belastungsdefizit der rechten Hand feststellte, führte der Kläger vom 20.03. bis 19.04.2002 ein teilstationäres Heilverfahren in der BG-Unfallklinik L. durch. Bei Entlassung bestand für Tätigkeiten mit einem Einsatz unter normalen Belastungen vollschichtige Arbeitsfähigkeit. In seinem Gutachten für die Beklagte beschrieb Prof. Dr. W. Narbenbildungen im Verletzungsbereich sowie eine geringe Einschränkung der Handgelenksbeweglichkeit lediglich im Seitenvergleich bei insgesamt guter Funktion. Die MdE schätzte er vom 22.04. bis 21.10.2002 auf 10 v. H., später voraussichtlich auf unter 10 v. H.

Nach einem zweiwöchigen Urlaub in Spanien wurde der Kläger Mitte Juni 2002 von dem Orthopäden Priv.-Doz. Dr. G. , A. Praxisklinik H. , ambulant untersucht mit neurologisch-neurophysiologischer Zusatzuntersuchung durch die den Kläger in der Folgezeit auch behandelnde Neurologin und Psychiaterin Dr. Sch. (Schmerzsyndrom im Versorgungsgebiet des Nervus radialis mit Hyperpathie und posttraumatisches Belastungssyndrom). Der Kläger gab dort erstmals an, er habe jetzt Angst, bestimmte Geräte zu betätigen und träume, dass seine Hand verletzt werde. Der Unfall sei für ihn einschneidend gewesen, er fühle sich eingeschränkt, ängstlich, schwach, habe Angst zu versagen und sich erneut zu verletzen.

In der Folge wurde der Kläger weiterhin krank geschrieben. Sein Arbeitsverhältnis wurde vom Arbeitgeber auf Ende Oktober 2003 gekündigt.

Im Juli 2003 erstatteten Prof. Dr. F. , Leiter der Sektion Forensische Psychiatrie und Psychotherapie an der Universitätsklinik T. und der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. St. (mit psychologischem Zusatzgutachten der Dipl.-Psych. M. ) im Auftrag der Beklagten ein Gutachten. Sie führten aus, beim Kläger bestehe noch eine Teilschädigung des Nervus radialis mit Gefühlsstörung auf der Streckseite des körperfernen rechten Unterarmes und des Handrückens rechts. Eine posttraumatische Belastungsstörung liege nicht vor. In diesem Zusammenhang sei zu beachten, dass psychische Beeinträchtigungen in den Befundberichten im ersten halben Jahr nach dem Unfallereignis nicht beschrieben werden. Auf psychiatrischem Fachgebiet bestünden Auffälligkeiten der Persönlichkeit mit Antriebssteigerung, vermehrter Impulsivität und teilweise deutlichen Teilleistungsstörungen in mehreren kognitiven Bereichen. Die MdE auf Grund der Unfallfolgen auf neurologischem und psychiatrischem Fachgebiet werde auf weniger als 10 v. H. geschätzt und entspreche damit der MdE auf unfallchirurgischem Fachgebiet.

Mit Bescheid vom 18.09.2003 / Widerspruchsbescheid vom 15.04.2004 anerkannte die Beklagte Behandlungsbedürftigkeit bis zum 19.04.2002 und Arbeitsunfähigkeit bis zum 21.04.2002. Ein Anspruch auf Rente wegen des Versicherungsfalls vom 03.12.2001 bestehe nicht. Als Folgen des Versicherungsfalls wurden anerkannt: "Ohne wesentliche Folgen verheilte, operativ versorgte Fräsenverletzung am rechten Unterarm mit Teildurchtrennung des Handgelenksstreckers und Teilschädigung des sensiblen Endastes des Speichennervs." Nicht als Folgen des Versicherungsfalls wurden anerkannt: "Nicht objektivierbare Schmerzsymptomatik und Kraftlosigkeit der rechten Hand, Persönlichkeitsstörungen in Form von verminderten Bewältigungs- und Verarbeitungsstrategien, einer Antriebsvermehrung und Impulskontrollstörung sowie einer Unausgeglichenheit des Gefühlslebens, Teilleistungsstörungen in mehreren die Wahrnehmung betreffenden Bereichen, depressive Verstimmungen".

Dagegen hat der Kläger am 11.05.2004 Klage zum Sozialgericht Mannheim erhoben und zur Begründung vorgebracht, außer den Unfallfolgen am rechten Unterarm seien die auf Grund der Transplantation entstandenen Hautschäden am Oberschenkel als Unfallfolgen zu berücksichtigen sowie seine psychischen Störungen. Er hat u.a. eine Stellungnahme des Orthopäden PD. Dr. W. vom 18.11.2004 (chronisches Schmerzsyndrom, MdE 20 v. H.) vorgelegt.

Das Sozialgericht hat das Gutachten von Prof. Dr. M. , Leiter der Sektion Hand- und Mikrochirurgie an der Orthopädischen Universitätsklinik H. , eingeholt. Er hat eine auffällige Narbe auf der Streckseite des distalen Unterarmes und des Handgelenks rechts und eine geringgradige Bewegungseinschränkung des rechten Handgelenks als Unfallfolgen angesehen. Die Hautentnahmestelle am rechten Oberschenkel verursache keine Funktionsstörung. Die MdE schätze er seit dem 22.04.2002 mit 10 v. H. ein. Im Übrigen stimme er dem Gutachten von Prof. St. und Prof. F. zu.

Weiter hat das Sozialgericht das Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. B. vom 29.04.2005 eingeholt. Er hat ausgeführt, beim Kläger zeige sich ein unfallunabhängiges akzentuiertes Krankheitsverhalten mit missmutiger Verstimmung und jetzt deutlicher psychogener Ausweitung des psychischen Befundes ohne eigenständig depressive Erkrankung bei unfallunabhängig vorbestehender Persönlichkeitsakzentuierung und deutlich erkennbarer Begehrenshaltung im Kontext mit aktuellen Kränkungen und unfallunabhängig früheren biographischen Problemen. Eine posttraumatische Belastungsstörung bestehe nicht und eine Erhöhung der handchirurgisch festgestellten MdE von 10 v. H. sei nervenärztlich nicht zu begründen.

Auf Antrag des Klägers gem. § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat Dr. H. , Oberarzt am Zentrum für Psychosoziale Medizin des Universitätsklinikums H. , das Gutachten vom 28.02.2006 erstattet. Er hat eine posttraumatische Belastungsstörung, eine mittelgradige depressive Episode sowie eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung, jeweils unfallbedingt, bejaht. Er schätze die MdE bezüglich des psychischen Befundes auf 40 v. H.

Mit Urteil vom 13.07.2006 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger habe wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 03.12.2001 keinen Anspruch auf Gewährung von Verletztenrente. Der Kläger verfüge über eine aktive und abwechslungsreiche Alltags- und Freizeitgestaltung, weshalb Dr. B. eine nennenswerte Beeinträchtigung des Klägers in den allgemeinen vitalen Lebensbereichen sowie in seinem Alltags- und Erwerbsleben nicht gesehen habe. Selbst wenn der Kläger auf Grund der traumatisierenden Verletzung nunmehr den Umgang mit ähnlichen Maschinen meide, führe dies nicht zu einer gravierenden Einschränkung seiner Erwerbsmöglichkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Auch dem Gutachten von Dr. H. könne entnommen werden, dass eine Beeinträchtigung des Klägers in den wesentlichen Bereichen der Alltags- und Freizeitgestaltung und in den Vitalfunktionen, die für die Durchführung einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit maßgeblich seien, nicht vorliege. Der Kläger sei trotz der Unfallfolgen in der Lage, den Alltagsanforderungen gut gerecht zu werden und ein aktives, in vielfältige soziale Bindungen einbezogenes Leben zu führen. Da auch die rein organischen Unfallfolgen im Bereich des rechten Unterarmes und der rechten Hand nur gering ausgeprägt seien, erreiche die unfallbedingte MdE nicht den rentenberechtigenden Bereich von 20 v. H.

Gegen das am 08.08.2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 06.09.2006 Berufung. Er hält das Gutachten des Dr. H. für überzeugend.

Der Kläger beantragt (Schriftsatz vom 04.09.2006),

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 13.07.2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 24.09.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.04.2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 03.12.2001 Verletztenrente nach einer MdE um 40 bis 50 v. H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend.

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 SGG zulässige Berufung, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist unbegründet.

Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, haben nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nach § 56 Abs. 1 Satz 3 SGB VII nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v. H. mindern. Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII).

Versicherungsfälle sind nach § 7 Abs. 1 SGB VII Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Arbeitsunfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit).

Im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung gilt wie allgemein im Sozialrecht für den ursächlichen Zusammenhang zwischen Unfallereignis und Gesundheitsschaden die Theorie der wesentlichen Bedingung (hierzu und zum Nachfolgenden BSG, Urteil vom 12.04.2005, B 2 U 27/04 R in SozR 4-2700 § 8 Nr. 15). Diese setzt zunächst einen naturwissenschaftlichen Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Gesundheitsschaden voraus. Es ist daher in einem ersten Schritt zu klären, ob der Gesundheitsschaden auch ohne das Unfallereignis eingetreten wäre. Ist dies der Fall, war das Unfallereignis für den Gesundheitsschaden schon aus diesem Grund nicht ursächlich. Andernfalls ist in einem zweiten, wertenden Schritt zu prüfen, ob das versicherte Unfallereignis für den Gesundheitsschaden wesentlich war. Denn als im Sinne des Sozialrechts ursächlich und rechtserheblich werden nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Gab es neben der versicherten Ursache noch andere, konkurrierende Ursachen (im naturwissenschaftlichen Sinn), z.B. Krankheitsanlagen, so war die versicherte Ursache wesentlich, sofern die unversicherte Ursache nicht von überragender Bedeutung war. Eine überwiegende oder auch nur gleichwertige Bedeutung der versicherten gegenüber der konkurrierenden Ursache ist damit für die Annahme des ursächlichen Zusammenhangs nicht Voraussetzung.

Nach ständiger Rechtsprechung müssen im Unfallversicherungsrecht die anspruchsbe-gründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung (Arbeitsunfall bzw. Berufskrankheit) und die als Unfallfolge geltend gemachte Gesundheitsstörung erwiesen sein, d. h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können (vgl. u. a. BSG, Urteil vom 30.04.1985, 2 RU 43/84 in SozR 2200 § 555a Nr. 1). Hingegen genügt hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung (haftungsbegründende Kausalität) sowie der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung (haftungsausfüllende Kausalität) eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 30.04.1985, a.a.O.); das bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang sprechen muss, wobei dieser nicht schon dann wahrscheinlich ist, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist (vgl. BSG, Urteil vom 02.11.1999, B 2 U 47/98 R in SozR 3-1300 § 48 Nr. 67; Urteil vom 02.05.2001, B 2 U 16/00 R in SozR 3-2200 § 551 Nr. 16). Kommen mehrere Ursachen in Betracht (konkurrierende Kausalität), so sind nur solche Ursachen als rechtserheblich anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.1988, 2/9b RU 28/87 in SozR 2200 § 548 Nr. 91). Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des jeweiligen Klägers (vgl. BSG, Urteil vom 27.06.1991, 2 RU 31/90 in SozR 3-2200 § 548 Nr. 11).

Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperli¬chen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs 2 Satz 1 SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. BSG, Urteil vom 22.06.2004, B 2 U 14/03 R in SozR 4-2700 § 56 Nr. 1): Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermö¬gens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust un¬ter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäuße¬rungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit aus¬wirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unent¬behrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich dar¬auf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletz¬ten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswir¬kungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtli¬chen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat das Sozialgericht die Klage zu Recht abgewiesen, denn beim Kläger liegen als Unfallfolgen lediglich eine auffällige Narbe auf der Streckseite des distalen Unterarms und des Handgelenks rechts sowie eine geringgradige Bewegungseinschränkung des rechtens Handgelenks mit Defektdeckung mit Spalthauttransplantat, eine Hautentnahmestelle auf der Vorderseite des rechten Oberschenkels mit einem Durchmesser von 8 cm mit Grobstrukturierung und Farbverschiebung der Haut vor. Dies ergibt sich für den Senat überzeugend aus dem vom Sozialgericht eingeholten Gutachten von Prof. Dr. M ... Danach ist die Sensibilität im Bereich des Transplantates deutlich vermindert, die Haut in der Umgebung zeigt jedoch normale Temperatur, Farbe und Schweißsekretion und ist voll sensibel versorgt. Auch ist die Beweglichkeit des rechten Handgelenkes im Vergleich zu der linken Seite nur endgradig eingeschränkt und beim Bewegen des Handgelenkes besteht keine Schmerzempfindlichkeit, kein Reibegeräusch und kein Klickphänomen. Weiter ist die Unterarmdrehung nicht beeinträchtigt, die Beweglichkeit der Fingergelenke ist frei, der Faustschluss ist vollständig, Schlüssel- und Hackengriff sind kraftvoll durchführbar und der Spitzgriff ist mit allen Fingern möglich und die Geschicklichkeit der rechten Hand ist nicht beeinträchtigt. Die Hautentnahmestelle auf der Vorderseite des rechten Oberschenkels ist voll belastungsfähig und verursacht keine Funktionseinschränkung. Die von Prof. Dr. M. angenommene MdE von 10 v. H. für die chirurgischen Folgen des Unfalls ist für den Senat nachvollziehbar und überzeugend.

Es besteht weder eine posttraumatische Belastungsstörung noch eine mittelgradige depressive Episode, noch eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung. Dies ergibt sich für den Senat überzeugend aus den vom Sozialgericht eingeholten Gutachten von Dr. B. vom 29.04.2005 sowie aus dem von der Beklagten eingeholten Gutachten von Prof. Dr. F. und Prof. Dr. St. vom 28.07.2003, das der Senat im Wege des Urkundenbeweises verwertet.

Voraussetzung für die Anerkennung von psychischen Gesundheitsstörungen als Unfallfolgen und in der Folge die Gewährung einer Verletztenrente ist aber die Feststellung der konkreten Gesundheitsstörung, die bei dem Verletzten vorliegt und seine Erwerbsfähigkeit mindert. Angesichts der zahlreichen in Betracht kommenden Erkrankungen und möglicher Schulenstreite sollte diese Feststellung nicht nur begründet sein, sondern auf Grund eines der üblichen Diagnosesysteme und unter Verwendung der dortigen Schlüssel und Bezeichnungen erfolgen, damit die Feststellung nachvollziehbar ist (BSG, Urteil vom 09.05.2006, B 2 U 1/05 R, in SozR 4-2700 § 8 Nr. 17).

Der Kläger erfüllt zwar nach seinen Angaben einen Teil der Kriterien der posttraumatischen Belastungsstörung (F43.1 nach ICD 10 = Zehnte Revision der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme der Weltgesundheitsorganisation), jedoch nicht alle wesentlichen. So verursacht das Störungsbild keine Leiden oder Beeinträchtigungen in klinisch bedeutsamer Weise in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen. Ein sozialmedizinisch richtungsweisendes Rückzugs- und Vermeidungsverhalten besteht nicht, vielmehr ist der Kläger kontaktfreudig und unternehmenslustig. So hat der Kläger bei der Begutachtung von Dr. B. berichtet, er habe eine Freundin mit eigener Wohnung, zu der er mit dem Auto fahre, mit der er ins Kino, zu Konzerten oder zum Essen/Trinken gehe, Spaziergänge mit deren Hund unternehme und etwa zweimal pro Monat zum Tanzen gehe. Er sei ungern allein zu Hause und gehe dann spätestens wenn es dunkel werde raus, einen Kaffee trinken. Schließlich kenne er sehr viele Leute an seinem Wohnort H ... Montags besuche er ein Café, wo Live-Musik gespielt werde. Drei bis viermal im Monat spiele er Billard. Er interessiere sich für Fachliteratur über Finanzen und für Politik. Auch die weiteren Kriterien einer posttraumatischen Belastungsstörung wie Gleichgültigkeit und Teilnahmslosigkeit gegenüber anderen Menschen bzw. Freudlosigkeit sind damit beim Kläger nicht gegeben. Der Kläger sieht auch seinen Sohn, der bei der Mutter lebt, alle zwei Wochen und auch drei Wochen in den Ferien am Stück. Er geht dann mit ihm in den Zoo, ins Kino, spielt mit dem Laptop, surft im Internet, spielt Billard, macht Ausflüge und besichtigt Städte. Zudem passt es in der Regel nicht zum Bild einer posttraumatischen Belastungsstörung, dass die ersten Symptome erst ein halbes Jahr nach dem Unfallereignis aufgetreten sind. Der Kläger stellte sich am 14.06.2002 bei Dr. Sch. vor und klagte dort erstmals über Angstzustände und depressive Verstimmung (Arztbrief vom 20.06.2002). Keiner der früheren ärztlichen Unterlagen sind konkrete Beschwerden des Klägers im psychischen Bereich zu entnehmen. So werden in dem Bericht von Prof. Dr. W. vom 21.12.2001 betreffend die stationäre Behandlung vom 03.12. bis 14.12.2001 psychische Beschwerden nicht erwähnt. Dies gilt auch für dessen Zwischenbericht vom 28.12.2001 sowie die Krankheitsberichte vom 22.02.2002, 20.03.2002 und 30.04.2002 sowie den Bericht vom 25.04.2002 über die teilstationäre Behandlung vom 20.03. bis 19.04.2002. Auch im ersten Rentengutachten von Prof. Dr. W. vom 25.04.2002 werden unter der Rubrik "Klagen des Verletzten" keine Angaben über psychische Beschwerden gemacht. Auch in den Berichten des Orthopäden Dr. P. vom 16.01.2002 und 31.01.2002 werden keine derartigen Angaben gemacht. Wenn Dr. P. im Bericht vom 31.01.2002 von erheblichen subjektiven Beschwerden berichtet, so ergibt sich aus dem Zusammenhang, dass dies die Fräsverletzung am rechten Unterarm betrifft und nicht etwa psychische Beschwerden gemeint sind. Weiter sind dem Dienstreisebericht der Angestellten Rau der Beklagten über das mit dem Kläger am 04.06.2002 geführte ausführliche Gespräch keinerlei Angaben über psychische Beschwerden zu entnehmen.

Der Senat geht vielmehr mit Prof. Dr. F. , Prof. Dr. St. und Dr. B. davon aus, dass beim Kläger unfallunabhängig auf psychiatrischem Fachgebiet Auffälligkeiten der Persönlichkeit mit Antriebssteigerung, vermehrte Impulsivität mit deutlich erkennbarer Begehrenshaltung im Kontext mit aktuellen Kränkungen und auch unfallunabhängig früheren biographischen Problemen vorliegen.

Beim Kläger liegt auch keine depressive Störung vor. Auch dies ergibt sich für den Senat überzeugend aus den Gutachten von Prof. Dr. F. , Prof. Dr. St. und Dr. B. und ist insbesondere auch auf Grund des vom Kläger gegenüber Dr. B. und Dr. H. geschilderten und oben erwähnten Tagesablaufs und sozialen Verhaltens nachvollziehbar.

Nicht zu folgen vermag der Senat den Ausführungen von Dr. H. soweit er das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung und einer mittelgradigen depressiven Episode bejaht. Denn dieser stützt seine Diagnose insbesondere auf die Angaben des Klägers ohne diese kritisch zu hinterfragen und auf das Ergebnis der testpsychologischen Untersuchungen. Gerade dies wäre aber erforderlich gewesen, weil es sich bei den testpsychologischen Untersuchungen ausnahmslos um Selbstbeurteilungsverfahren gehandelt hat und der Sachverständige sogar eine nicht bestehende Konsistenz der verschiedenen Testergebnisse erkannt hat. Dies allein mit der Behauptung einer Dissimulationstendenz zu erklären, genügt nicht. Vor allem aber fehlt eine Auseinandersetzung mit der dargestellten abwechslungsreichen Freizeitgestaltung des Klägers. Außerdem erklärt der Sachverständige in seinem Gutachten auch nicht explizit, weshalb er anderer Auffassung als Prof. Dr. F. , Prof. Dr. St. und Dr. B. ist. Der Hinweis, bei der Begutachtung durch Dr. B. sei es zu einer negativen Übertragungskonstellation gekommen, ist für den Senat nicht nachvollziehbar. Auffällig ist weiter, dass der Kläger gegenüber Dr. H. Intrusionserlebnisse angibt, derartige Intrusionen jedoch bei der Begutachtung durch Prof. Dr. F. und Prof. Dr. St. , die wesentlich zeitnäher erfolgte, nicht angegeben wurden. Auch der im Gutachten von Dr. B. wiedergegebenen Beschwerdeschilderung lassen sich keine Hinweise auf Intrusionserlebnisse entnehmen. Der Auffassung von Dr. Sch. , die erstmals am 14.06.2002 beim Kläger die Diagnose eines posttraumatischen Belastungssyndroms gestellt hat, vermag sich der Senat somit ebenfalls nicht anzuschließen.

Auch eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung (ICD 10 F45.4) sieht der Senat nicht als nachgewiesen an. Voraussetzung für eine derartige Schmerzstörung ist u.a. ein wiederholt auftretender schwerer Schmerz, der nicht durch einen physiologischen Prozess oder eine körperliche Störung vollständig erklärt werden kann und der in Verbindung mit emotionalen Konflikten und psychosozialen Problemen steht. Dr. H. bejaht diese Diagnose, ohne dies zu begründen. Eine kritische Hinterfragung der Angaben des Klägers zu Schmerzzuständen und deren konkreten Ausmaß ist nicht erfolgt. PD. Dr. W. (Stellungnahme vom 18.11.2004) geht demgegenüber von einem chronischen Schmerzsyndrom aus, dies aber ebenfalls allein auf die Beschwerdeangaben des Klägers gegründet. Sofern Schmerzen des Klägers auf Grund der chirurgischen Folgen des Unfalls tatsächlich vorliegen, scheidet - da organischen Ursprungs - die Annahme einer somatoformen Schmerzstörung schon deshalb aus und die chirurgische MdE von 10 v.H. deckt auch die üblicherweise mit derartigen Folgen einhergehenden Schmerzzustände. Eine besondere, das übliche Maß überschreitende Schmerzhaftigkeit ist nicht erkennbar. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass Dr. B. bei seiner Untersuchung nicht der willentlichen Kontrolle entzogene Auffälligkeiten (ausgeprägte Inkonsistenz der Kraftprüfung, ausweichende und unklare Angaben des Klägers) beschrieben hat, die die Glaubwürdigkeit des Klägers hinsichtlich der Schmerzangaben in Zweifel ziehen. All dies hat Dr. H. außer Acht gelassen.

Bei dieser Sach- und Rechtslage ist die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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