L 14 B 498/08 AS PKH

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
14
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 119 AS 11041/07
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 14 B 498/08 AS PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Aus dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs ergibt sich keine allgemeine Verpflichtung oder auch nur Obliegenheit eines über 25 Jahre allten erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, in einer Haushalts- oder Wohngemeinschaft mit anderen Menschen zu wohnen, wohnen zu bleiben oder eine solche Gemeinschaft zu begründen
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 15. Februar 2008 aufgehoben. Dem Kläger wird mit Wirkung ab dem 31. Oktober 2007 Prozesskostenhilfe für das Verfahren vor dem Sozialgericht bewilligt und die Rechtsanwältin A M, E-Straße , B, beigeordnet; Raten oder Beträge aus dem Vermögen sind nicht zu zahlen.

Gründe:

Die zulässige, insbesondere (formgerecht) schriftlich (§ 173 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]) eingelegte Beschwerde des Klägers ist begründet.

Er ist nach seinen – hier mit Blick auf § 127 Abs. 1 Satz 3 der Zivilprozessordnung (ZPO) nicht näher darzulegenden – persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage, die Kosten der Prozessführung auch nur teilweise oder in Raten aufzubringen (§§ 114, 115 ZPO i.V.m. § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG).

Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet auch die erforderliche "hinreichende Aussicht auf Erfolg" (§ 114 ZPO).

Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 des Zweiten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB II) werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Nach einem Umzug werden höhere (als die bisherigen) Aufwendungen erbracht, sofern der Umzug erforderlich war (arg. § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II). Die vorherige Zustimmung des für die Leistungserbringung bisher örtlich zuständigen kommunalen Trägers nach § 22 Abs. 2 SGB II ist – wie das Sozialgericht in seinem Beschluss vom 13. Juli 2007 richtig gesehen hat – keine "echte" Anspruchsvoraussetzung (BSG, Urteil vom 7. November 2006 – B 7b AS 10/06 R –). Entscheidend ist allein, ob der Umzug "objektiv" erforderlich ist bzw. war. § 22 Abs. 2a Satz 1 SGB II gilt für den Kläger nicht (§ 68 Abs. 2 SGB II).

Der Auszug des Klägers aus der von ihm bis Februar 2007 mit einer anderen Person bewohnten Wohnung – und damit sein Umzug – dürfte in diesem Sinn "erforderlich" gewesen sein. Die Beklagte bestreitet nicht, dass jene Person aus der Wohngemeinschaft auszog, so dass der Kläger allein in einer unangemessen großen und unangemessen teuren Wohnung zurückblieb bzw. zurückgeblieben wäre. Er war deshalb gehalten, seine (zu erwartenden) tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, die dann die Grenze der Angemessenheit überschritten hätten, zu senken.

Die – insbesondere im Widerspruchsbescheid vom 25. Juni 2007 zum Ausdruck kommende – Vorstellung der Beklagten, ein erwerbsfähiger Hilfebedürftiger, der einmal (möglicherweise auch vor Eintritt seiner Hilfebedürftigkeit) vor längerer Zeit mit einer bestimmten Person eine Wohngemeinschaft begründet und sie nach deren Auszug mit einer anderen Person zunächst fortgeführt hat, sei nach deren (angekündigtem, bevorstehendem und auch durchgeführtem) Auszug gehalten, "zur Durchsetzung des Wirtschaftlichkeitsprinzips und Sparsamkeitsgrundsatzes" einen weiteren "Nachmieter" zu suchen, um mit dieser – fremden – Person die Wohngemeinschaft fortzusetzen bzw. – richtiger – eine neue zu begründen ("einmal Wohngemeinschaft, immer [lebenslänglich?] Wohngemeinschaft"), findet im Gesetz keine Stütze. Aus dem Zweiten Buchs des Sozialgesetzbuchs ergibt sich keine allgemeine Verpflichtung oder auch nur Obliegenheit eines volljährigen bzw. – ab 1. April 2006 – über 25 Jahre alten erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, in einer Haushalts- oder Wohngemeinschaft mit anderen Menschen zu wohnen, wohnen zu bleiben oder eine solche Gemeinschaft zu begründen (so bereits Beschluss des Senats vom 28. September 2006 – L 14 B 733/06 AS ER –). "(D)ie Übernahme der Unterkunftskosten (dient) der Befriedigung eines menschlichen Grundbedürfnisses, des Wohnens. Sie bildet einen Eckpfeiler für die Erreichung des übergeordneten Hilfeziels, der Loslösung aus dem Leistungsbezug. Dieses menschliche Grundbedürfnis ist nicht auf die schlichte Beseitigung der Obdachlosigkeit als solche beschränkt, sonder beinhaltet grundsätzlich auch die Möglichkeit, sich in einem abgeschlossenen, von Einflüssen Dritter freien Bereich aufzuhalten." (LSG Hamburg, Beschluss vom 25. August 2005 – L 5 B 201/05 ER AS – unter Hinweis auf die Hamburger "Fachlichen Vorgaben zu § 22 II – Leistungen für Unterkunft und Heizung" vom 15. Oktober 2004). Dementsprechend steht jedem volljährigen bzw. (jetzt) über 25 Jahre alten erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in aller Regel eine eigene Wohnung (wenn auch nur mit einfacher und im unteren Segment liegender Ausstattung – BSG, Urteil vom 7. November 2006 – B 7b AS 10/06 R –) zu. Ob für Ehe- oder (eingetragene) Lebenspartner oder auch Mitglieder einer noch bestehenden "funktionierenden" Wohngemeinschaft etwas anderes gilt, kann hier offen bleiben. Zum einen waren der Kläger und sein (früherer) Mitbewohner nicht Ehe- oder Lebenspartner, zum anderen war die Wohngemeinschaft durch und nach dem Auszug des Mitbewohners aufgelöst und bestand nicht mehr. Dass diese Auflösung möglicherweise nicht ausschließlich auf finanziellen Umständen oder Überlegungen beruhte, sondern (auch) auf anderen Beweggründen, ändert daran nichts. Ein Verbot der Auflösung einer Wohngemeinschaft lässt sich aus dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs ebenso wenig herleiten wie ein Verbot der Auflösung einer Ehe oder (eingetragenen) Lebenspartnerschaft. Anhaltspunkte für einen Missbrauch sind nicht ersichtlich.

Ebenso abwegig wäre die Vorstellung, der Kläger wäre verpflichtet gewesen, – zunächst? – bis zu einer Aufforderung der Beklagten, die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung zu senken, in der für ihn allein erkennbar zu großen und (deshalb) zu teuren Wohnung wohnen zu bleiben. Nicht nur musste er befürchten, die Beklagte würde Leistungen in Höhe der dann von ihm zu tragenden tatsächlichen Aufwendungen nicht (mehr) erbringen. Selbst wenn die Beklagte noch für eine Übergangszeit Leistungen in dieser Höhe erbracht hätte bzw. hätte erbringen müssen, war es vernünftig und geboten, alsbald nach Auflösung der Wohngemeinschaft eine kleinere Wohnung zu suchen, um die unnötige Erbringung zu hoher Leistungen durch die Beklagte zu vermeiden.

Dass die Aufwendungen des Klägers für die von ihm jetzt bewohnte Wohnung ("abstrakt") angemessen sind, zieht die Beklagte nicht in Zweifel; auch dem Senat erscheinen sie – noch – angemessen.

Dem Anspruch des Klägers dürfte auch nicht der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 SGB II entgegenstehen. Zwar dürfte seine Ausbildung (Besuch einer Fachoberschule) "dem Grunde nach" im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) förderungsfähig sein, jedoch erhält er augenscheinlich aufgrund der Regelung in § 2 Abs. 1a Satz 1 BAföG keine Ausbildungsförderung (Bescheid des Amts für Ausbildungsförderung vom 26. Oktober 2006), so dass § 7 Abs. 5 SGB II auf ihn keine Anwendung findet (§ 7 Abs. 6 SGB II). Ggf. wäre dem im Hauptsacheverfahren nachzugehen.

Auf seinen Antrag ist dem Kläger auch die zu seiner Vertretung bereite Rechtsanwältin beizuordnen, da die Vertretung durch eine Rechtsanwältin (oder durch einen Rechtsanwalt) ungeachtet des im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Amtsermittlungsgrundsatzes erforderlich erscheint (§ 121 Abs. 2 Satz 1 ZPO i.V.m. § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG; siehe dazu auch BVerfG, Beschluss vom 17. Februar 1997 – 1 BvR 1440/96 –, NJW 1997, 2103 f.).

Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und die Beiordnung der zur Vertretung des Klägers bereiten Rechtsanwältin wirken ab der – erneuten – Antragstellung am 31. Oktober 2007.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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